Zitate zur und über die Psychoanalyse

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Abstinenz

Es wird deutlich, daß die analytische Beziehung als ein Ineinandergreifen von Übertragung und Gegenübertragung von beiden Beteiligten zu verstehen ist. Übertragung bedeutet dann das Wahrnehmen und Handeln im bisherigen eigenen Beziehungssystem, Gegenübertragung bedeutet Wahrnehmen und Handeln im Beziehungssystem des Beziehungspartners. Was sich in der analytischen Beziehung entwickelt, ist aus dieser Sicht als unbewußte Inszenierung einer gemeinsamen Szene zu verstehen. Wenn also inzestuöse Phantasien und grenzüberschreitende Handlungen auftreten, dann kann die Initiative von jedem der beiden ausgegangen sein. Der Therapeut ist in jedem Fall betroffen von und beteiligt an allem, was geschieht und was nicht geschieht. Daraus ergibt sich, daß die Suche nach dem >Schuldigen< überflüssig wird, also auch die Zuschreibung: >Die Patientin hat mich verführt<. Stattdessen ergibt sich für den Therapeuten die eindeutige Verantwortung in dem gemeinsamen Geflecht von Übertragung und Gegenübertragung, die einseitige Rollenverteilung zwischen Therapeut und Patient strikt einzuhalten. Der Therapeut ist hier Therapeut und nichts anderes, nicht Mutter, nicht Vater, nicht Ersatzpartner, nicht Patient! Und der Patient ist ebenfalls nichts anderes als Patient. Er braucht diesen Platz wie das Kind seinen Platz als Kind braucht. Trotzdem ist er nicht das Kind (des Analytikers).

Bauriedl, T. (1998): Ohne Abstinenz stirbt die Psychoanalyse. Forum Psychoanalyse 14: 342-363 (Zitat: 354)


Behandlungstechnik

Freud has outlined a set of rules for various phases of ‘structural psychotherapy” in his technical writings. He never insisted that all those rules are to be strictly followed. He considered only a few of them indispensable, such as the advice not to take notes during the analytic interview. Every analyst is entitled to change those technical suggestions in accordance with his experience if he can demonstrate clinically that his innovation will lead to a structural change of the patient’s personality.

(…)

Hence, it can be said that any technique whether it uses a couch or not, whether it requires daily or infrequent interviews, is a psychoanalytic therapy if by use of valid psychotherapeutic tools it aims at, or results in, structural changes of the personality.

Freud hat in seinen technischen Schriften eine Reihe von Regeln für verschiedene Phasen der "strukturellen Psychotherapie" skizziert. Er hat nie darauf bestanden, daß all diese Regeln strikt eingehalten werden. Er hielt nur einige von ihnen für unverzichtbar, wie den Rat, während des analytischen Interviews keine Notizen zu machen. Jeder Analytiker ist berechtigt, diese technischen Vorschläge entsprechend seiner Erfahrung zu ändern, wenn er klinisch nachweisen kann, dass seine Innovation zu einer strukturellen Veränderung der Persönlichkeit des Patienten führt.

(…)

Daher kann gesagt werden, dass jede Technik, ob sie eine Couch benutzt oder nicht, ob sie tägliche oder unregelmäßige Interviews erfordert, eine psychoanalytische Therapie ist, wenn sie unter Verwendung gültiger psychotherapeutischer Mittel strukturelle Veränderungen der Persönlichkeit anstrebt oder erreicht. (Übersetzung: J. T.)

Eissler, K. R (1950): The Chicago Institut of Psychoanalysis and the sixth Period of Development of Psychoanalytic Technique. The Journal of General Psychology, 1950 (42): 103-157 (116)


Ethik

Diese Kollegen, die der Sonne auf ihrem Höhenflug blinder Allmachtsphantasien zu nahe gekommen sind und sich dabei versengt und entehrt haben, sind uns viel ähnlicher, als uns lieb sein mag.

Gabbard, G. O. (2007 [2003]): Mißlungene psychoanalytische Behandlung suizidaler Patienten. In: Zwettler-Otte S (Hrsg.) Entgleisungen in der Psychoanalyse. V&R: Göttingen, 119–142, S. 121


Ethik

Wenn sie in die Interaktion einfließen, muss der Analytiker in der Lage sein, wieder in die zweite Reihe zurückzutreten, um die analytische Reflexion, gegebenenfalls verbunden mit der Benennung seines Anteils, wieder zu ermöglichen. Aber außer dem Honorar und der Gratifikation, die er durch die positive Entwicklung der Patientin, des Patienten gewinnt, darf er nichts haben wollen, d.h. wollen schon, aber er darf es nicht einfordern und realisieren.

Hirsch, M. (2012): »Goldmine und Minenfeld«. Liebe und sexueller Machtmissbrauch in der analytischen Psychotherapie und anderen Abhängigkeitsbeziehungen: 22


Ethik

The patient has every right to try to seduce the analyst. The analyst has no right to allow himself to be seduced.

Der Patient hat jedes Recht seinen Analytiker zu verführen. Der Analytiker hat kein Recht sich zu erlauben, sich verführen zu lassen. (Übersetzung JT)

Joseph, B. (2001; persönliche Mitteilung) zit. nach Gabbard, G. O. (2007): Boundaries and Boundary Violations in Psychoanalysis, Second Edition. Arlington: American Psychiatric Association Publishing (Second edition): 69

online: google books


Ethik

Die Grenzüberschreitungen in der Phantasie verhindern ein Ausagieren. Das jeweils andere Objekt konnte erhalten bleiben, obwohl es in der Phantasie besessen, beraubt, beglückt, verlassen und getötet wurde.

Marahrens-Schürg, C. (1993): "Niemals sind wir ungeschützter als wenn wir lieben ..." (S. Freud) – Männliche Übertragungsliebe weiblich gesehen. In: DPG – Dokumentation der Arbeitstagung 1993 in Göttingen. O.O.u.D., 131–161 (Zitat: 151)


Kunst respektlosen Respekts

Die empirische Therapie-Forschung ermittelt, dass formale Diagnosen (DSM, ICD) wenig relevant für das therapeutische Handeln sind. Sie zeigt uns genau, dass Psychotherapie individualisiert praktiziert wird, dass der Interaktion, insbesondere der Kunst respektlosen Respekts eine erhebliche Rolle zukommt und damit der Person der Psychotherapeutin, die es fertigbringen muss, intime Themen anzusprechen, ohne intim zu werden.

Buchholz, M. B. & Kächele, H. (2019): Verirrungen der bundesdeutschen Diskussion - Eine Polemik über die technokratische Umgestaltung der Psychotherapie. Psychotherapeutenjournal 2/2019: 156-162 (Zitat:156)


Lehranalyse & 'durchanalysierter' Psychoanalytiker*in

Meine Ausführungen wollen vor allem dem gegenüber herausstellen, daß jenseits von Gegenübertragung im nur technischen Sinne, sowie jenseits der durch die eigene Lehranalyse erreichten Lösung eigener Problematik jeder Mensch - auch der bestanalysierte Analytiker Struktureigentümlichkeiten aufweist, die nicht wegzunalysieren sind, auch wenn jemand noch so »durchanalysiert« wird. Wir haben eine Eigenstruktur, die zu uns gehört, eine »persönliche Gleichung«, einen individuellen »Faktor X«, den wegzuleugnen einer Verdrängung gleichkäme.

Riemann, F. (1964): Die Struktur des Analytikers und ihr Einfluß auf den Behandlungsverlauf. In: Grundformen helfender Partnerschaft. Stuttgart: Klett-Cotta, 9. Auflage 2004: 122


Macht

Jeder, der sie [die Psychoanalyse] ausübt, muß die eigenen Machtgelüste kennen, das narzißtische Bedürfnis, Macht über andere auszuüben, und seine eigenen Allmachtsansprüche aus dem Unbewußten, muß diese bei seinen Analysanden wahrnehmen und vor allem durchschauen, wenn sich aus der Übertragung auf seine Person die Verführung ergibt, eine aggressive, auch narzißtisch befriedigende Macht über den Analysanden auszuüben. (...)

In den Analysen besteht die größte Versuchung zur blinden Ausübung von Macht im Rahmen der sogenannten positiven Gegenübertragung. Der Wunsch, Analysanden rasch von quälenden Symptomen zu befreien, ein gestörtes Verhältnis zu Beziehungspersonen, zur Arbeits- und Berufswelt zu normalisieren, mag beim Analytiker zur Bestechung seines Überichs und zur Skotomisierung seiner Machtansprüche einschließlich seines Allmachtswunsches, alles zu heilen, beitragen. Er wird dann nichts anderes leisten als Eltern, »die immer das Beste gewollt« haben, und wird Gefahr laufen, den analytischen Prozeß zu stören, um Anpassung an eigene Erwartungen — einschließlich sozialer Anpassung — zu erzielen.

Parin, P & Parin-Matthèy, G. (1983): Das obligat unglückliche Verhältnis der Psychoanalytiker zur Macht. In: Lohmann, Hans-Martin (Hrsg.): Das Unbehagen in der Psychoanalyse. Frankfurt/Main: Qumran, 17-23 (Zitat: 18)


Narzißmus

Der Narzissmus des Analytikers erscheint geeignet, eine besonders ausgiebige Fehlerquelle zu schaffen, indem er mitunter eine Art narzisstischer Gegenübertragung zustande bringt, die den Analysierten veranlasst, einesteils Dinge in den Vordergrund zu schieben, die dem Arzt schmeicheln, andernteils ihn betreffende Bemerkungen und Einfälle abfälliger Art zu unterdrücken.

Ferenczi, S. (1924): Entwicklungsziele der Psychoanalyse (Zur Wechselbeziehung von Theorie und Praxis). Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 238f


Nationalsozialimus

All Jews have to resign from Berlin Society. Deplorable as it would be, I should still say, that I prefer Psycho-Analysis should be practiced by Gentiles in Germany than not at all, and I hope you agree.

Alle Juden müssen aus der Berliner Gesellschaft austreten. So bedauerlich das auch wäre, meine ich dennoch, daß ich es vorziehe, wenn die Psychoanalyse von Nichtjuden in Deutschland praktiziert wird, als überhaupt nicht, und ich hoffe, Sie stimmen mir zu (Übersetzung JT; ob sich die beiden duzten oder siezten ist mir nicht bekannt)

Jones, E. (1935): Brief an Anna Freud v. 11.11.1935

zit. nach: Zaretsky, E. (2006): Freuds Jahrhundert. Die Geschichte der Psychoanalyse. Wien: Zsolnay: 325 (der Autor gibt als Quelle an: "ernest Jones an Anna Freud, 11. Nov. 1935, BPSA: Go7/GC/FOI/15

Anmerkung:

Am 10. Mai 1933 wurden in Berlin (Opernplatz) auch die Bücher von Sigmund & Anna Freud, Siegfried Bernfels und Wilhelm Reich verbrannt.

1935 wurden die jüdischen Psychoanalytiker*innen angesichts der antisemitischen und totalitären Verordnungen der Nationalsozialisten von ihren nichtjüdischen Kolleg*innen veranlaßt, 'freiwillig' aus der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPG) auszutreten. Auch Sigmund und Anna Freud und andere namhaften Psychoanalytiker*innen fielen (anders als beispielsweise Wilhelm Reich) nicht durch Kritik an dieser und anderen Maßnahme oder durch Solidaritätsbekundungen für die jüdischen Psychoanalytiker*innen in Deutschland auf.

Literaturauswahl (siehe auch auf der Seite der DPG: Literaturhinweise zur Geschichte der DPG):

Ermann M. (1992): Psychotherapie, Psychoanalyse und der NS-Staat. Selbstbeschädigung und Versuche einer Restitution. In: C. Rohde-Dachser (Hg): Beschädigungen - Psychoanalytische Zeitdiagnosen. Göttingen:

Kaufhold, R. & Hristeva, G. (2021): »Das Leben ist aus. Abrechnung halten!« Eine Erinnerung an vertriebene Psychoanalytiker unter besonderer Berücksichtigung von Wilhelm Reichs epochemachenden Faschismus-Analysen. In: Psychoanalyse im Widerspruch, Heft 66/2021: 7 – 66.

Lockot, R. (1994): Die Reinigung der Psychoanalyse. Die Deutschen Psychoanalytische Gesellschaft im Spiegel von Dokumenten und Zeitzeugen (1933-1951). Tübingen: Edition diskord

Lockot, R. (2000): Psychoanalytiker eignen sich ihre deutsche Geschichte an. In: Schlösser, Höhfeld (Hg), Psychoanalyse als Beruf. Gießen: Psychosozial-Verlag

Peglau, A. (2013): Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus. Gießen: Psychosozialverlag

Zepf, S. & Seel, D. (2019): Psychoanalyse und politische Ökonomie. Kritik der psychoanalytischen Praxis und Ausbildung. Gießen: Psychosozialverlag


Nationalsozialismus

Freud und AdIer haben den Schatten, der alle begleitet, sehr deutlich gesehen. Die Juden haben diese Eigentümlichkeit mit den Frauen gemein; als die physisch Schwächeren müssen sie auf die Lücken in der Rüstung des Gegners zielen, und wegen dieser, durch jahrhundertelange Geschichte aufgezwungenen Technik, sind die Juden selber dort, wo andere am verwundbarsten sind, am besten gedeckt. infolge ihrer mehr als doppelt so alten Kultur sind sie sich der menschlichen Schwächen und Schattenseiten in viel höherem Maße bewußt als wir und darum in dieser Hinsicht viel weniger verwundbar. Auch haben sie es dem Erlebnis der antiken Kultur zu verdanken, daß es ihnen möglich ist, mit vollem Bewußtsein in wohlwollender, freundlicher und duldsamer Nachbarschaft ihrer eigenen Untugenden zu leben, während wir noch zu jung sind, um keine »Illusionen« über uns zu haben.

(...)

Der Jude als relativer Nomade hat nie und wird voraussichtlich auch nie eine eigene Kulturform schaffen, da alle seine Instinkte und Begabungen ein mehr oder weniger zivilisiertes Wirtsvolk zu ihrer Entfaltung voraussetzen. Die jüdische Rasse als Ganzes besitzt daher nach meiner Erfahrung ein Unbewußtes, das sich mit dem arischen nur bedingt vergleichen läßt. (…). Das arische Unbewußte hat ein höheres Potential als das jüdische (…). Meines Erachtens ist es ein schwerer Fehler der bisherigen medizinischen Psychologie gewesen, dass sie jüdische Kategorien, die nicht einmal für alle Juden verbindlich sind, unbesehen auf den christlichen Germanen oder Slawen verwandte. Damit hat sie nämlich das kostbarste Geheimnis des germanischen Menschen, seinen schöpferischen ahnungsvollen Seelengrund als kindisch-banalen Sumpf erklärt, während meine warnende Stimme durch Jahrzehnte des Antisemitismus verdächtigt wurde. Diese Verdächtigung ist von Freud ausgegangen. Er kannte die germanische Seele nicht, so wenig wie alle seine germanischen Nachbeter sie kannten. Hat sie die gewaltige Erscheinung des Nationalsozialismus, auf den eine ganze Welt mit erstaunten Augen blickt, eines Besseren belehrt? Wo war die unerhörte Spannung und Wucht, als es noch keinen Nationalsozialismus gab? Sie lag verborgen in der germanischen Seele, in jenem tiefen Grunde, der alles andere ist als der Kehrichtkübel unerfüllbarer Kinderwünsche und unerledigter Familienressentiments.

Jung C. G. (1934): Zur gegenwärtigen Lage der Psychotherapie. Zentralblatt für Psychotherapie (hg. v. C. G. Jung) 7: 8f; online: https://archive.org/


Nationalsozialismus

Wenn nun die Umwelt in der Analyse unternommen werden soll, allzu sehr der Strenge der ursprünglich drohenden Umwelt nahe komm oder sie sogar übertrifft - dann ist es für den armen Analysanden unmöglich, die befreiende Entdeckung zu machen, daß die ursprünglichen Drohungen ihre Macht verloren haben ... Ein Analytiker würde sich selbst und seinen Analysanden täuschen und gefährden, wenn er so tun würde, als wenn jetzt alles frei durchdacht und frei erörtert werden könnte ... Wer kann in einer solchen Umwelt beweisen, daß Gedanken nicht zu Taten führen?

Kamm, B. (1980): Brief an R. Lockot, zit. n. Brecht et al. 1985, S. 164 (In: Brecht, K.& Friedrich, V. & Hermanns, L. M. & Kaminer, I. J. & Juelich, H. (2006): »Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …« - Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Hamburg: Kellner)

Anmerkung: Bernhard Kamm (1899-1991) war der einzige Nichtjude, der 1935 die DPG aus Solidarität mit seinen jüdischen Kolleg*innen verließ und nach Topeka (USA) emigrierte. Nähere Informationen unter: www.hagalil.com


Nationalsozialismus

Die Psychoanalyse bemüht sich, unfähige Weichlinge zu lebenstüchtigen Menschen, Instinktgehemmte zu Instinktsicheren, lebensfremde Phantasten zu Menschen, die den Wirklichkeiten ins Auge zu sehen vermögen, ihren Triebimpulsen Ausgelieferte zu solchen, die ihre Triebe beherrschen vermögen, liebesunfähige und egoistische Menschen, zu liebes- und opferfähigen, am Ganzen des Lebens Uninteressierte zu Dienern am Ganzen umzuformen. Dadurch leistet sie eine hervorragende Erziehungsarbeit und vermag den gerade jetzt neu herausgestellten Linien einer heroischen, realitätszugewandten, aufbauenden Lebensauffassung wertvoll zu dienen. Wir geben zu, daß nicht bei allen Veröffentlichungen des psychoanalytischen Schrifttums diese positive und schöpferische Grundhaltung deutlich genug hervortritt.

Müller- Braunschweig, C. (1933): Psychoanalyse und Weltanschauung. Reichswart. Nationalsozialistische Wochenschrift und Organ des Bundes Völkischer Europäer (Ausgabe v. 22.10.1933). Nachdruck inPeglau, A. (2013): Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus. Gießen: Psychosozialverlag: 552-554


Nationalsozialismus

Die deutschen Psychoanalytiker wünschen sich, daß ihnen die nationalsozialistische Regierung wohlwollend eine fruchtbare Fortsetzung ihrer wissenschaftlichen und therapeutischen Arbeit sichern möge. Sie wünschen sich das um so mehr, als seit dem nationalsozialistischen Regime für die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft in ganz anderem Umfang die Voraussetzungen dafür geschaffen waren, der Gesellschaft ein wirklich deutsches Gesicht geben zu können (...). Vor allem glauben wir, daß wir Wertvolles für das Ziel einer ›deutschen Psychotherapie‹ beizusteuern vermögen.

Müller- Braunschweig, C. (1935): Nationalsozialistische Idee und Psychoanalyse. Typoscript. In: Brecht, K.& Friedrich, V. & Hermanns, L. M. & Kaminer, I. J. & Juelich, H. (2006): »Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …« - Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Hamburg: Kellner: 167


Selbstanalyse - selbstanalytisches Element

Seit langen habe ich das Gefühl, daß in unserem Leben als Psychoanalytiker etwas Entscheidendes fehlt. (...) Ich meine das selbstanalytische Element, das ich von der Selbstanalyse im engeren Sinne abgrenzen möchte. (...)

Ich denke, es ist uns nicht gelungen, die umfassende Entwicklung einer psychoanalytischen Sensibilität in uns zuzulassen, die uns selbst als belebte Objekte ins Feld des Analysierbaren mit einbezieht. Wir haben die Freude daran verloren, uns von uns selbst verblüffen zu lassen und von einem bestimmten inneren Zustand Gebrauch zu machen, um jene Fähigkeit wachzuhalten, die Freud entwickelte, als er mit seiner Selbstanalyse begann.

Bollas, C. (1997 [1987]). Der Schatten des Objekts. Das ungedachte Bekannte. Zur Psychoanalyse der frühen Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta, 2. Auflage 2005: 245-247


Unbewußte, das

Die Annäherung an das Unbewußte – das heißt an das, was wir nicht wissen, nicht an das, was wir wissen – ist für den Patienten und den Analytiker zweifellos verstörend. Jeder, der morgen einen Patienten sehen wird, sollte irgendwann Angst verspüren. Im Behandlungszimmer sollten sich grundsätzlich zwei verängstigte Personen aufhalten: der Patient und der Psychoanalytiker. Andernfalls muß man sich fragen, weshalb sie etwas herausfinden wollen, das ohnehin jeder weiß.

Sich mit vertrauten Dingen zu beschäftigen ist immer verlockend. Für Psychoanalytiker ist diese Versuchung größer als für andere Menschen, weil die Psychoanalyse eine der seltenen Situationen ist, in denen man sich einer angsterregenden Beschäftigung widmen kann, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen.

Bion, W. R. (2010 [1973-74]): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 15


Unbewußte, das & Zweifel

Es gibt bei beiden einen nicht zugelassenen Zweifel; beim Pfarrer bezieht er sich auf Gott, bei den Psychoanalytikern auf das Unbewusste. Offiziell glaubt der Pfarrer an Gott, sonst könnte er seine Aufgabe nicht erfüllen; in gleicher Weise glaubt der Psychoanalytiker offiziell an das Unbewusste und daran, dass es gilt, das Unbewusste aufzudecken. Ich habe aber beobachtet, dass es viele Analytiker gibt, die nicht wirklich daran glauben, sondern es nur vorgeben, weil sie sonst keine Patienten haben könnten. Sie fühlen sich auch der psychoanalytischen Schule zugehörig, in der sie ausgebildet wurden. Sie sind wie die Pfarrer, die an Gott zu glauben vorgeben, weil sie sonst aus ihrer Glaubensgemeinschaft herausfliegen würden. Beiden ist gemeinsam, dass es in Wirklichkeit eine Menge Unglauben, Zweifel und Doppelzüngigkeit gibt und dass sie sich aus dem ganzen Problem mit allen möglichen Rationalisierungen herauszuwinden versuchen.

Noch etwas haben Psychoanalytiker und Pfarrer gemeinsam. Beide haben beständig ein furchtbares Schuldgefühl, weil sie sich selbst betrügen, wenn sie nicht wirklich alles glauben, was sie sagen; der Psychoanalytiker betrügt seinen Patienten, wenn er heimlich denkt, er sei viel kränker als der Patient und es werde mit ihm selbst nie besser; zum anderen lügt er, wenn er dieses Unbewusste noch nie erlebt hat und doch weiterhin von der Lehre vom Unbewussten und über die Heilung durch das Aufdecken des Unbewussten "predigt".

Fromm, E. (1959 [1992g]): Das Unbewusste und die psychoanalytische Praxis (Dealing with the Unconscious in Psychotherapeutic Practice). Gesamtausgabe (12 Bände; hrsg. von Reiner Funk). München: Deutsche Verlags-Anstalt 1999. Band XII: 231f


Voyeurismus

Jede, auch die wissenschaftliche Neugier wird von infantilen, voyeuristischen Regungen getragen; in den Wunsch zu helfen können sich magische Allmachtswünsche einfügen; sogar der unerläßliche Wunsch, den Analysanden zu verstehen, ist ohne eine emotionale Beteiligung nicht möglich, in die unbewusste sexuelle Regungen eingehen.

Parin, P. (1987): Abstinenz? In: Brede, Karola et al. (Hrsg.): Befreiung zum Widerstand. Aufsätze zu Feminismus, Psychoanalyse und Politik. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 172-178 (Zitat: 174)


 

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Praxis für Psychoanalyse und Psychotherapie - Dr. Jürgen Thorwart

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