Dr. Jürgen Thorwart Dipl.-Psychologe Psychologischer Psychotherapeut Psychoanalytiker (DGPT)
Praxis für
Psychoanalyse -alle Kassen und privat- Marktplatz 13 D-85375 Neufahrn (bei Freising/München) Tel.: 08165/ 90 93 70 (Anrufbeantworter) Telephonische Sprechzeiten:
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Freud 1891 Aus: GW I Freud (Imago)
Sigmund Freud (um 1921) 1856-1939
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Wir mögen noch so oft betonen, der menschliche Intellekt sei kraftlos im Vergleich zum menschlichen Triebleben, und recht damit haben. Aber es ist doch etwas Besonderes um diese Schwäche; die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen man für die Zukunft der Menschheit optimistisch sein darf (...).
Sigmund Freud (1900):
Goldmünze 50 Euro (2017) Rechteinhaber: Münze Österreich
www.muenzeoesterreich.at/ (Werknutzungsbewilligung v. 19.09.2020) |
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Sigmund Freud Museum Wien Wien IX Berggasse |
Weitere Hinweise zum Copyright: Letzte Bearbeitung der Website (außer Aktuelles): Januar 2023 |
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III. Psychoanalytischer Kongreß, Weimar September 1911
(siehe Beitrag in Aktuelles: AKTUELL: Nummer 5/2015)
Quelle: Kopie von
Michael Schröter nach einem Originalabzug im Besitz von Tina
Joos-Bleuler;
aufgenommen am 21. oder 22.09.1911 von Franz Vältl (1881-1953)
(Ich danke Herr Schröter für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung auf meiner Webseite: 27.04.15)
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Couch Praxis |
Medaille von Aus: GW Freud (Imago) |
Praxisschild Neufahrn |
GW Freud (Imago) |
Freud
um 1905 |
68. „Das habe ich gethan“ sagt mein Gedächtniss. Das kann ich nicht gethan haben — sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich — giebt das Gedächtniss nach.
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse(1886): § 68 |
Anmerkung: Wegen der Vielzahl von Nietzsche-Ausgaben zitiere ich künftig aus der Digitalen Kritische Gesamtausgabe. Werke und Briefe (basierend auf dem kritischen Text von G. Colli and M. Montinari, Berlin/New York: de Gruyter 1967, hrsg. v. Paolo D’Iorio. (eKGWB) |
All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. |
Alles seit je. Nie etwas andres. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern. |
Beckett, Samuel: Worstward Ho (1983/1999: 7) Deutsche Übersetzung: JT |
Das Gedächtnis ist nicht ein
Instrument zur Erkundung Benjamin, Walter (1985): Gesammelte Schriften VI: 468
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Vielleicht Erinnern das ist
vielleicht des Vergessens und vielleicht die freundlichste Art der Linderung dieser Qual Fried, Erich (1983): Gesammelte Werke. Gedichte Band 3. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 11 (Es ist was es ist) |
Erich Fried (1921-1988) |
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Anmerkung: |
Mir ward die Liebe nicht - Drum leb’ ich wie die Pflanze, Im Keller ohne Licht. Mir ward die Liebe nicht - Drum tön’ ich wie die Geige, Der man den Bogen bricht. Mir ward die Liebe nicht - Drum wühl’ ich mich in Arbeit Und leb’ mich wund an Pflicht. Mir ward die Liebe nicht - Drum denk’ ich gern des Todes, Als freundliches Gesicht.
Pappenheim, Bertha (1910–1912):
Stadtarchiv Frankfurt. |
1. [Auszug] Aber wie finden wir uns selbst wieder? Wie kann sich der Mensch kennen? Er ist eine dunkle und verhüllte Sache; und wenn der Hase sieben Häute hat, so kann der Mensch sich sieben mal siebzig abziehen und wird doch nicht sagen können „das bist du nun wirklich, das ist nicht mehr Schaale.“
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900): Schopenhauer als Erzieher (1874): § 1 |
Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen. Wolf, Christa (1968): Nachdenken über Christa T. |
Denn genauer sieht das Auge etwas im Traum als in der Phantasie, wenn es wach ist. da Vinci, Leonardo (1452-1519) Jede Erkenntnis beginnt mit den Sinnen. Aphorismen, Rätsel, Prophezeiungen. München: SchirmerGraf 2006, 20) |
(...) es ist ja soviel leichter, den Mars oder den Mond zu erreichen, als das eigene Wesen zu erkennen.
Jung, Carl Gustav (1961): Gespräch mit
Miguel Serrano. Anmerkung: Serrano befragte Jung an dieser Stelle nach seiner Ansicht über das Zeitalter der Supertechnik und interplanetarischer Reisen. Das Interview fand wenige Wochen vor seinem Tod im Juni 1961 statt. |
Wenn man sich für einen Skeptiker hält, tut man gut daran, gelegentlich auch an seiner Skepsis zu zweifeln. Freud, Sigmund (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XV: 57 |
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[Fegefeuer, Dreizehnter Gesang]
An jener Seite, wo
der Fels sich senkte, Dante Alighieri (1265-1321): Die Göttliche Komödie - Fegefeuer, 13. Gesang, Vers 79-81 Quelle: Projekt Gutenberg (Deutsche Seite) www.gutenberg.org/ebooks/8085:(z. Zt. für deutsche IP-Adressen gesperrt: 8/2019) über Spiegel-online: Kapitel 48, Ziff. 27 Anmerkung: Dante ist auf dem Weg durch die Hölle - Vergil gibt ihm Halt. |
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Sprache Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen? Spricht die Seele, so spricht ach! die Seele schon nicht mehr.
Goethe, J. W. von &
Schiller,
F.
(Distichon
aus dem
Anmerkung:
Das Musen-Almanach für das Jahr 1797 (hrsg. v. F. Schiller)
ist
online unter: |
Psychosomatik bedeutet nicht, den Körper weniger, sondern die Psyche mehr zu erforschen. Psychosomatic does not mean to study the soma less; it only means to study the psyche more. Weiss, Edward (1947): Psychogenic Rheumatism. Annals of Internal Medicine 26 (6): 890-900; Zitat: 890 (Deutsche Übersetzung: JT) |
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Ich möchte zu Beginn dieser Diskussion hervorheben, daß der psychosomatische Zugang zu Krankheiten nicht bedeute, den Körper weniger, sondern eher die Psyche mehr zu erforschen. I should like, at the outset of this discussion, to point out that the psychosomatic approach to disease does not mean that one should study the "soma" any less, but rather study the "psyche" more. Meyer, A. Zelig (1947): Psychosomatic Considerations of Gastric Disease. California Medicine (Calif Med.) 67 (6): 368–370; Zitat: 368 (Deutsche Übersetzung: JT) |
65. Der Reiz der Erkenntniss wäre gering, wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu überwinden wäre.
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse: |
Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben. Freud, Sigmund (1930a): Das Unbehagen in der Kultur: GW XIV: 441 |
Zur Kriminalität aus psychoanalytischer Sicht Es gibt keinen „kriminellen“ oder „delinquenten“ Typus. Wenn man in diesen Begriffen denkt, macht man den ersten und fundamentalen Fehler. Kriminelle Impulse oder Impulse, Gesetze zu verletzen, sind in jedem vorhanden. Verbrechen ist kein Problem, das besondere Individuen betrifft; es betrifft die Gesellschaft als Ganzes. Man kann etwas verallgemeinernd sagen, dass das offensichtliche Trio Krimineller, Gesellschaft, Richter Personifikationen von drei Elementen darstellt, die in jedem von uns und damit in jedem Teil unseres inneren Trios präsent sind, dem Es, dem Ich und dem Über-Ich. Kriminelle handeln auf der äußeren Bühne das aus, was innerlich in jedem von uns stattfindet. Wenn man, wie oben gezeigt, in Betracht zieht, dass individuelle Verbrechen unbewusst auf das Urverbrechen zurückgehen und dass diese unbewusste triebhafte psychische Ebene in jedem Menschen vorliegt, dann wird deutlich, dass für den Psychoanalytiker die psychologische Bedeutung von Verbrechen und Strafe jeden Menschen im selben Ausmaße betrifft, sei er Geschworener, Krimineller oder Richter. Es wird ebenso offensichtlich, dass die starke Tendenz hin zur Strafe triebhaften archaischen Gesetzen folgt und dass vernünftige Vorgehensweisen starkem Widerstand begegnen. Foulkes, Sigmund Heinrich (1943): Psychoanalyse und Verbrechen. Forum der Psychoanalyse 28 (2012): 103f |
Das Gewissen findet keine Anwendung auf alles, was zugunsten des Objektes geschieht; in der Liebesverblendung wird man reuelos zum Verbrecher. Freud, Sigmund (1921c): Massenpsychologie und Ich-Analyse: XII: 125 |
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Gnothi
seauton -
Erkenne Dich selbst Bei der Abbildung handelt es sich um ein stilisiertes Auge aus Marmor, (Schloß Buonconsiglio, Trient). In der Umrandung des Auges ist zu lesen: "GNOTHI SAUTON ID EST COGNOSCERE TE IPSUM" (lat.: Erkenne dich selbst, das ist [heißt] erkenne dich selbst). Der dem Gott Apoll zugeordnete Spruch stand – neben den ebenfalls als apollinisch betrachteten Weisheiten Ἐγγύα, πάρα δ᾽ ἄτα (engýa, pára d' áta „Bürgschaft, schon ist Schaden da!“) und Μηδὲν ἄγαν (mēdén ágan „Nichts im Übermaß“) – an einer Säule der Vorhalle des Apollontempels in Delphi. Anmerkung: Während die Forderung, sich selbst zu erkennen, ursprünglich auf Einsicht in die Begrenztheit und Hinfälligkeit des Menschen (im Gegensatz zu den Göttern) zielte, stand für Platon der Aspekt im Vordergrund, daß der Mensch Wissen um das eigene Nichtwissen erlangt, zu rechter Einsicht strebt und dadurch auch seinen Charakter veredelt. Das Bemühen um solche Selbsterkenntnis war für Platon ein Bestandteil seines zentralen ethischen Projekts der Sorge um die Seele, deren Wohlergehen davon abhänge, dass sie Tugend (aretē) kultiviere. Quelle: wikipedia.org; Fotograph: Thc phreak (keine Nutzungsbeschränkung) |
Die Enttäuschung des Krieges Die psychoanalytische Erfahrung hat diese Behauptung womöglich noch unterstrichen. Sie kann alle Tage zeigen, daß sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand bei ihnen begegnet, aber auch alles Verständnis wieder erlangen, wenn dieser Widerstand überwunden ist. Man darf sich auch nicht darüber verwundern, daß die Lockerung aller sittlichen Beziehungen zwischen den Großindividuen der Menschheit eine Rückwirkung auf die Sittlichkeit der Einzelnen geäußert hat, denn unser Gewissen ist nicht der unbeugsame Richter, für den die Ethiker es ausgeben, es ist in seinem Ursprunge »soziale Angst« und nichts anderes. Wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt, hört auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf, und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte. (...) In Wirklichkeit gibt es keine »Ausrottung« des Bösen. Die psychologische – im strengeren Sinne die psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, daß das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung |gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. Wir klassifizieren sie und ihre Äußerungen in solcher Weise, je nach ihrer Beziehung zu den Bedürfnissen und Anforderungen der menschlichen Gemeinschaft. Zuzugeben ist, daß alle die Regungen, welche von der Gesellschaft als böse verpönt werden – nehmen wir als Vertretung derselben die eigensüchtigen und die grausamen – sich unter diesen primitiven befinden. (...) Im allgemeinen sind wir geneigt, den angeborenen Anteil zu hoch zu veranschlagen, und überdies laufen wir Gefahr, die gesamte Kultureignung in ihrem Verhältnisse zum primitiv gebliebenen Triebleben zu überschätzen, d.h. wir werden dazu verleitet, die Menschen »besser« zu beurteilen, als sie in Wirklichkeit sind. (…) Es gibt also ungleich mehr Kulturheuchler als wirklich kulturelle Menschen, ja man kann den Standpunkt diskutieren, ob ein gewisses Maß von Kulturheuchelei nicht zur Aufrechterhaltung der Kultur unerläßlich sei, weil die bereits organisierte Kultureignung der heute lebenden Menschen vielleicht für diese Leistung nicht zureichen würde. (...) Den bisherigen Erörterungen entnehmen wir bereits den einen Trost, daß unsere Kränkung und schmerzliche Enttäuschung wegen des unkulturellen Benehmens unserer Weltmitbürger in diesem Kriege unberechtigt waren. Sie beruhten auf einer Illusion, der wir uns gefangen gaben. In Wirklichkeit sind sie nicht so tief gesunken, wie wir fürchten, weil sie gar nicht so hoch gestiegen waren, wie wirs von ihnen glaubten. Daß die menschlichen Großindividuen, die Völker und Staaten, die | sittlichen Beschränkungen gegeneinander fallen ließen, wurde ihnen zur begreiflichen Anregung, sich für eine Weile dem bestehenden Drucke der Kultur zu entziehen und ihren zurückgehaltenen Trieben vorübergehend Befriedigung zu gönnen. Dabei geschah ihrer relativen Sittlichkeit innerhalb ihres Volkstumes wahrscheinlich kein Abbruch. (...) Die psychoanalytische Erfahrung hat diese Behauptung womöglich noch unterstrichen. Sie kann alle Tage zeigen, daß sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand bei ihnen begegnet, aber auch alles Verständnis wieder erlangen, wenn dieser Widerstand überwunden ist. Freud, Sigmund (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. X: 330, 331f, 334, 334, 337 und 339 Anmerkung: Das ihm zugeschriebene Zitat 'Die Decke der Zivilisation ist dünn' stammt nach meiner Recherche nicht von Freud - doch unterstreicht der Text (bezogen auf den ersten Weltkrieg) genau diese Überzeugung und ist bis in die Gegenwart von großer Aktualität. |
Warum Krieg? Darf ich Ihnen aus diesem Anlaß ein Stück der Trieblehre vortragen, zu der wir in der Psychoanalyse nach vielem Tasten und Schwanken gekommen sind? Wir nehmen an, daß die Triebe des Menschen nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen, – wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Platos, oder sexuelle mit bewußter Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität, – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen. (…) Nun lassen Sie uns nicht zu rasch mit den Wertungen von Gut und Böse einsetzen. Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor. Nun scheint es, daß kaum jemals ein Trieb der einen Art sich isoliert betätigen kann, er ist immer mit einem gewissen Betrag von der anderen Seite verbunden, wie wir sagen: legiert, der sein Ziel modifiziert oder ihm unter Umständen dessen Erreichung erst möglich macht. (…) Ganz selten ist die Handlung das Werk einer einzigen Triebregung, die an und für sich bereits aus Eros und Destruktion zusammengesetzt sein muß. In der Regel müssen mehrere in der gleichen Weise aufgebaute Motive zusammentreffen, um die Handlung zu ermöglichen. (…)Wenn also die Menschen zum Krieg aufgefordert werden, so mögen eine ganze Anzahl von Motiven in ihnen zustimmend antworten, edle und gemeine, solche, von denen man laut spricht, und andere, die man beschweigt. Wir haben keinen Anlaß sie alle bloßzulegen. Die Lust an der Aggression und Destruktion ist gewiß darunter; ungezählte Grausamkeiten der Geschichte und des Alltags bekräftigen ihre Existenz und ihre Stärke. Die Verquickung dieser destruktiven Strebungen mit anderen, erotischen und ideellen, erleichtert natürlich deren Befriedigung. Manchmal haben wir, wenn wir von den Greueltaten der Geschichte hören, den Eindruck, die ideellen Motive hätten den destruktiven Gelüsten nur als Vorwände gedient, andere Male, z.B. bei den Grausamkeiten der heiligen Inquisition, meinen wir, die ideellen Motive hätten sich im Bewußtsein vorgedrängt, die destruktiven ihnen eine unbewußte Verstärkung gebracht. Beides ist möglich. Freud, Sigmund (1933b/1932): Warum Krieg? XV: 121 und 122f Anmerkung: Es handelt sich hier um ein Antwortschreiben an Albert Einstein (September 1932). Dieser hatte ihm in seinem Brief vom 30. Juli 1932 die Frage gestellt: »Gibt es einen Weg, die Menschen vom Verhängnis des Krieges zu befreien?« |
[Ist Lieben eine Kunst?] Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können. Daher geht es für sie nur darum, wie man es erreicht, geliebt zu werden, wie man liebenswert wird. Um zu diesem Ziel zu gelangen, schlagen sie verschiedene Wege ein. Der eine, besonders von Männern verfolgte Weg ist der, so erfolgreich, so mächtig und reich zu sein, wie es die eigene gesellschaftliche Stellung möglich macht. Ein anderer, besonders von Frauenbevorzugter Weg ist der, durch Kosmetik, schöne Kleider und dergleichen möglichst attraktiv zu sein. Andere Mittel, die sowohl von Männern als auch von Frauen angewandt werden, sind angenehme Manieren, interessante Unterhaltung, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Gutmütigkeit. Viele dieser Mittel, sich liebenswert zu machen, sind die gleichen wie die, deren man sich bedient, um Erfolg zu haben, um »Freunde zu gewinnen«. Tatsächlich verstehen ja die meisten Menschen unseres Kulturkreises unter Liebenswürdigkeit eine Mischung aus Beliebtheit und Sex-Appeal. Hinter der Einstellung, daß man nichts lernen müsse, um lieben zu können, steckt zweitens die Annahme, es gehe bei dem Problem der Liebe um ein Objekt und nicht um eine Fähigkeit. Fromm, Erich (1956a): Die Kunst des Liebens. Gesamtausgabe (R. Funke). IX: 440 |
[Mephistopheles] Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn! Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern; Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar; Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sey nicht wahr; Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht; Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht. Goethe, J. W. von (1832): Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten (vollendet im Sommer 1831). In: Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. 41. Band. Stuttgart & Tübingen: J. G. Cotta'sche Buchhandlung: 16 |
Wer zu viel mißt, mißt Mist Unbekannt
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Immer noch da, aber unsichtbar (…) Vielleicht wollt ihr es nicht wissen, aber ihr wißt es: So mancherlei ist erst mal da, und dann ist es immer noch da, aber unsichtbar. Immer noch da, –-- aber unsichtbar. (…) Der Onkel unter dem du als Kind so gelitten hast: Immer noch da, aber unsichtbar. Erlebnisse, so seltsam, daß man davon nicht erzählen darf, Parteien, die man schon seit Jahrzehnten nicht mehr wählen darf: Immer noch da, aber unsichtbar. Und sind immer noch da, --- und sind immer noch da … (…) Die bösen Zellen, als es hieß, jetzt wird alles wieder gut: Immer noch da, aber unsichtbar. Und ganz bis am Schluß … der Lebensmut: Unsichtbar, aber immer noch da. (…) Krämer, Sebastian Auftritt bei der 64. Jahrestagung der DGPT (Berlin September 2013) CD Tüpfelhyänen (12/2013) - Track 04: Immer noch da, aber unsichtbar (Der gesamte Text findest sich unter Skurriles.) |
Das Unbehagen in der Moderne erwuchs aus einer Art Sicherheit, die im Streben nach dem individuellen Glück zuwenig Freiheit tolerierte. Das »Unbehagen in der Postmoderne« entsteht aus einer Freiheit, die auf der Suche nach Lustgewinn zuwenig individuelle Sicherheit toleriert. (...) Und daher garantiert eine Freiheit ohne Sicherheit keinen zuverlässigen Nachschub an Glück als eine Freiheit ohne Sicherheit. Baumann, Zygmundt (1997/1999): Unbehagen in der Postmoderne: Hamburg: Hamburger Edition: 11f |
Die Annäherung an das Unbewußte - das heißt an das, was wir nicht wissen, nicht an das, was wir wissen - ist für den Patienten und den Analytiker zweifellos verstörend. Jeder, der morgen einen Patienten sehen wird, sollte irgendwann Angst verspüren. Im Behandlungszimmer sollten sich grundsätzlich zwei verängstigte Personen aufhalten: der Patient und der Psychoanalytiker. Andernfalls muß man sich fragen, weshalb sie etwas herausfinden wollen, das ohnehin jeder weiß. Bion, Wilfred R. (1973-74/2010): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 15 Wenn wir uns in der Psychoanalyse dem Unbewußten annähern - das heißt dem, was wir nicht kennen -, reagieren wir, Patient und Analytiker gleichermaßen, zwangsläufig beunruhigt. In jedem Behandlungszimmer sollten sich zwei verängstigte Menschen befinden: der Patient und der Psychoanalytiker. Wenn die beiden keine Angst haben, muß man sich fragen, warum sie sich die Mühe machen, etwas herauszufinden, das jeder weiß. Bion, Wilfred R.: Interview mit A. G. Banet. Los Angeles 1976. In: Die Tavistock-Seminare. Tübingen: edition diskord 2007: 126 |
[Brazilian Lectures: Sao Paulo 1973] Sich mit vertrauten Dingen zu beschäftigen ist immer verlockend. Für Psychoanalytiker ist diese Versuchung größer als für andere Menschen, weil die Psychoanalyse eine der seltenen Situationen ist, in denen man sich einer angsterregenden Beschäftigung widmen kann, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen Bion, Wilfred R. (1973-74/2010): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 15 |
[Brief an Lou Andreas Salome 25.5.1916] Ich weiß, daß ich mich bei der Arbeit künstlich abgeblendet habe, um alles Licht auf die eine dunkle Stelle zu sammeln, auf Zusammenhang, Harmonie, Erhebung und alles, was Sie das Symbolische heißen, verzichte, geschreckt durch die eine Erfahrung, daß jeder solche Anspruch. jede Erwartung die Gefahr mit sich bringt, das zu Erkennende verzerrt zu sehen, wenn auch verschönert.
Freud,
Sigmund
(1912-1936): Sigmund Freud - Lou Andreas-Salome.
Briefwechsel. (hg. v. Ernst Pfeiffer). |
[Sao Paulo 1973] Statt zu versuchen, obskure Probleme durch Intelligenz und Kenntnisreichtum in helleres Licht zu rücken, schlage ich vor, das »Licht« bis auf einen durchdringenden Dunkelheitsstrahl – das Gegenteil eines Suchscheinwerfers – zu dämpfen . Die besondere Eigenschaft dieses durchdringenden Strahls bestünde darin, daß wir ihn auf den Gegenstand unserer Neugierde richten könnten und dieses Objekt dann jedes vorhandene Licht absorbieren würde; dem Untersuchungsbereich würde somit jedes Licht, das er besaß, entzogen. Die Finsternis wäre absolut und würde ein luminöses absolutes Vakuum erzeugen. So daß ein eventuell – wie schwach auch immer – vorhandenes Objekt sehr deutlich erkennbar würde. Unter den Bedingungen maximaler Dunkelheit würde sich dann selbst das schwächste Licht zeigen. Bion, Wilfred R. (1973-74/2010): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 36 |
۩ Bion hat diesem Vorgehen von Freud (siehe letzten Beitrag) ein anderes entgegengesetzt, das nicht ganz einfach zu verstehen ist, aber der psychoanalytischen 'Wahrnehmung (die keineswegs nur intellektuell beschaffen ist) vielleicht näher kommt.
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Nichts ist schädlicher in der Analyse als das schulmeisterliche oder auch nur autoritative Auftreten des Arztes. Alle unserer Deutungen müssen eher den Charakter eines Vorschlages, denn einer sicheren Behauptung haben, und dies nicht nur, damit wir den Patienten nicht reizen, sondern weil wir uns tatsächlich auch irren können. Das nach uralter Sitte des Handelsmannes jeder Verrechnung angehängte Zeichen „S. E.” (salvo errore), d. h. Irrtum vorbehalten, wäre auch bei jeder analytischen Deutung zu erwähnen. Doch auch unser Vertrauen zu unseren Theorien darf nur ein bedingtes sein, denn vielleicht handelt es sich im gegebenen Falle um die berühmte Ausnahme von der Regel oder gar um die Notwendigkeit, an der bisherigen Theorie etwas zu ändern. Es ist mir schon passiert, dass ein ungebildeter, anscheinend ganz naiver Patient Einwände gegen meine Erklärungen vorbrachte, die ich reflektorisch abzulehnen bereit war, doch die bessere Überlegung zeigte mir, dass nicht ich, sondern der Patient im Rechte war, ja, dass er mir mit seiner Einwendung zu einem viel tieferen Erfassen des Gegenstandes im allgemeinen verhalf. Die Bescheidenheit des Analytikers sei also nicht eine eingelernte Pose, sondern der Ausdruck der Einsicht in die Begrenztheit unseres Wissens. Ferenczi, Sándor (1927/28): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 389 |
Francisco de Goya (1746-1828):
El sueño de la razón produce
monstruos Anmerkung: Im Spanischen kann 'sueño' ebenso Traum wie auch Schlaf bedeuten. Auch deshalb geht die Deutung des Werkes in verschiedene Richtungen - als Zustimmung oder Kritik der Vernunft. Der Stich ist das 43. Blatt von insgesamt 80 Werken der in der Technik der Aquatinta ausgeführten Radierungen aus Goyas 1799 veröffentlichten Sammlung "Caprichos" (deutsch: Launen, Einfälle). Es sollte ursprünglich als Titelblatt verwendet werden (vgl. wikipedia). Nach meiner Vorstellung ist es Ausdruck der (dunklen und unheimlichen) Vorgänge im Schlaf und damit Vorläufer der Idee einer dem Bewußtsein weitgehend entzogenen inneren Welt psychischer Vorgänge. |
wikimedia: Public Domain |
Jede, auch die wissenschaftliche Neugier wird von infantilen, voyeuristischen Regungen getragen; in den Wunsch zu helfen können sich magische Allmachtswünsche einfügen; sogar der unerlässliche Wunsch, den Analysanden zu verstehen, ist ohne eine emotionelle Beteiligung nicht möglich, in die unbewusste sexuelle Regungen eingehen. Die tiefe Befriedigung, die wir in »guten« Analysestunden empfinden, ist auf die wechselseitige Übertragung zielgehemmter objektbezogener Wünsche zurückzuführen und erneuert sich im identifikatorischen Austausch von Gefühlen im gemeinsamen Erleben. Daran kann der muntere Ausdruck »Arbeitsbündnis«, der die Lust an der Analyse zu versachlichen sucht, nichts ändern. Parin, Paul (1987): Abstinenz? In: K. Brede et al. (Hg.): Befreiung zum Widerstand. Aufsätze über Feminismus, Psychoanalyse und Politik. Frankfurt/M.: Fischer, 172-178 (Zitat: 174) |
Waits, Tom: Come On Up To The House |
The world is not my home I'm just a passin thru
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Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. |
Luxemburg,
Rosa Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung. Berlin 1920: 109; Gesammelte Werke. Band 4: 359, Anmerkung 3. Berlin (Ost): Dietz Verlag 1983 Zitiert nach: wikiquote.org (4/2014) |
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Luxemburg, Rosa (1871-1919) erstellt: um die Jahrhundertwende (1900) |
Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern. |
Luxemburg, Rosa Breslauer Gefängnismanuskripte zur Russischen Revolution. Textkritische Ausgabe. Manuskriptdruck. Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte. Heft 2. (hrsg. von Klaus Kinner und Manfred Neuhaus). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. 2001: 34 Zitiert nach: wikiquote.org (4/2014) |
"When I use a word," Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, "it means just what I choose it to mean – neither more nor less. "The question is," said Alice, "whether you can make words mean so many different things." "The question is," said Humpty Dumpty, "which is to be master – that's all." Übersetzung (JT): Wenn ich ein Wort benutze, sagte Humpty Dumpty in einem ziemlich verächtlichem Ton, "dann bedeutet es bloß das, was es nach meiner Wahl bedeuten soll - nicht mehr und nicht weniger" "Die Frage ist", meinte Alice, "ob du Worte so viele unterschiedliche Dinge bedeuten lassen kannst." "Die Frage ist", meinte Humpty Dumpty, "wer die Macht hat - das ist alles." Carroll, Lewis (1872): Through the Looking-Glass. Raleigh, NC: Hayes Barton Press, 72 (deutsch: Alice hinter den Spiegeln; vgl Alice im Wunderland/Alice’s Adventures in Wonderland) 1865) Zitiert (engl. Originalversion) nach: wikiquote.org (4/2014) Vgl. deutsche Version: wikipedia.org (4/2014) |
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. Kraus, Karl (1911): Die Fackel: Nr. 326-327-328 vom 08.07.1911 (13. Jg.): 44 |
Erotik verhält sich zu Sexualität wie Gewinn zu Verlust. Kraus, Karl (1911): Die Fackel: Nr. 333 vom 08.10.1911 (13. Jg.): 11 |
(...) und schließlich hat sich die Psychoanalyse als eine hochdifferenzierte Art des Spielens im Dienste der Kommunikation des Patienten mit sich selbst und anderen entwickelt. Winnicott, Donald Woods (1971): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta 1974: 52 |
All unser
redlichstes Bemühn
Goethe,
J. W. von (1911): Sämmtliche Werke. Band 1: 168f |
Das Wort verwundet leichter, als es heilt. Goethe, J. W. von (1803): Die natürliche Tochter. Trauerspiel (V. 1471). Link: wikipedia.org |
Und allerdings ist für das Wohlsein des Menschen, ja, für die ganze Weise seines Daseins, die Hauptsache offenbar Das, was in ihm selbst besteht, oder vergeht. Hier nämlich liegt unmittelbar sein inneres Behagen, oder Unbehagen, als welches zunächst das Resultat seines Empfindens, Wollens und Denkens ist; während alles außerhalb Gelegene doch nur mittelbar darauf Einfluß hat. Daher affiziren die selben äußern Vorgänge, oder Verhältnisse, Jeden ganz anders, und bei gleicher Umgebung lebt doch Jeder in einer andern Welt. Denn nur mit seinen eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Willensbewegungen hat er es unmittelbar zu thun: die Außendinge haben nur, sofern sie diese veranlassen, Einfluß auf ihn. Die Welt, in der Jeder lebt, hängt zunächst ab von seiner Auflassung derselben, richtet sich daher nach der Verschiedenheit der Köpfe: dieser gemäß wird sie arm, schaal und flach, oder reich, interessant und bedeutungsvoll ausfallen. Schopenhauer, Arthur (1788-1860): Aphorismen zur Lebensweisheit. Leipzig: Insel-Verlag MCMXVn (1915): 17. Quelle online über http://archive.org |
Ethik verfährt (...) nicht anders als alle Philosophie: sie lehrt nicht fertige Urteile, sondern "Urteilen" selbst. Hartmann, Nicolai (1925): Ethik. Berlin: Walter de Gruyter. 3. Aufl. 1949: 3 |
An den Mond [Auszug - erste Fassung] Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt Einen Mann am Busen hält Und mit dem genießt, Was den Menschen unbewußt Oder wohl veracht’ Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht.
Goethe, J. W. von
(ca. 1777): Handschrift Goethes
Referenz: Karl Eibl, K. (1987): Johann
Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und
Gespräche, Band 1. Frankfurt: Deutscher Klassiker
Verlag: 234-235 |
An den Mond [Auszug - zweite Fassung] Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt, Einen Freund am Busen hält, Und mit dem genießt, Was, von Menschen nicht gewußt, Oder nicht bedacht, Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht. Goethe, J. W. von (ca. 1777): Gedichte. Ausgabe letzter Hand. 1827: 111 Referenz: Karl Eibl, K. (1987): Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Band 1. Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag: 301-302 (Link: Freiburger Anthologie - derzeit nicht aufrufbar: 8/2019) Anmerkung: Freud zitiert die letzten 4 Zeilen in seiner Ansprache zum Goethe-Preis 1930 als Beleg für den Inhalt des Traumlebens. Freud, S. (1930e): Ansprache im Frankfurter Goethe-Haus. GW XIV: 548
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Zivilisiertheit ist ein Verhalten, das die Menschen voreinander schützt und es ihnen zugleich ermöglicht, an der Gesellschaft anderer Gefallen zu finden. Eine Maske zu tragen gehört zum Wesen von Zivilisiertheit. Masken ermöglichen unverfälschte Geselligkeit, losgelöst von den ungleichen Lebensbedingungen und Gefühlslagen derer, die sie tragen. Zivilisiertheit zielt darauf, die anderen mit der Last des eigenen Selbst zu verschonen. Das Gegenteil von Zivilisiertheit ist Unzivilisiertheit. Unzivilisiert ist es, andere mit dem eigenen Selbst zu belasten. Unzivilisiertheit bedeutet Einschränkung der Geselligkeit durch diese Last. Jeder kennt Menschen, die in diesem Sinne unzivilisiert sind: jene »Freunde«, die stets darauf aus sind, anderen Einlaß in die traumatische Sphäre ihrer alltäglichen Innenwelt zu gewähren, die am anderen nur ein einziges Interesse haben, daß er ihren Geständnissen sein Ohr leiht. Sennet, Richard (1990): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt/M.: Fischer: 335 + 336 |
Lieder auf der Flucht : XV (Auszug) Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen, die Zeit und die Zeit danach. Wir haben keinen. Bachmann, Ingeborg (1956): Werke (hg. v. C. Koschel et al.). München: Piper. Band 1: 147 |
Ingeborg Bachmann 1926-1973 (Grabinschrift auf dem Friedhof von Klagenfurt-Annabichl) |
[Brief von Louise an Léon - Auszug] Man gewöhnt sich an seine Leerstellen und lebt mit ihnen, sie gehören zu einem, und man möchte sie nicht missen; wenn ich mich jemandem beschreiben müsste, so würde mir als Erstes einfallen, dass ich die russische Sprache nicht beherrsche und keine Pirouetten drehen kann. So werden die Leerstellen allmählich zu Wesensmerkmalen und füllen sich gleichsam mut sich selber auf. Auch Du, die Sehnsucht nach Dir - oder auch nur das Wissen um Dich - füllt mich noch immer aus. Capus, Alex (2011): Léon und Louise [Roman]. München: Carl Hanser Verlag: 185 |
Sudelbuch [Auszug] Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt.
Lichtenberg,
Georg Christoph (1911):
Schriften und Briefe. |
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) Professor für Experimentalphysik an der Universität Göttingen
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483. Feinde der Wahrheit. – Ueberzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen.
Nietzsche, Friedrich
(1844-1900):
Menschliches Allzumenschliches I
(1878), Kapitel 11, Neuntes Hauptstück: |
(You Make Me Feel Like) A Natural Woman |
(Du läßt mich fühlen wie) Eine normale Frau |
Looking out on the morning rain I used to feel so uninspired And when I knew I had to face another day Lord, it made me feel so tired Before the day I met you, life was so unkind But you're the key to my peace of mind 'Cause you make me feel You make me feel You make me feel like A natural woman When my soul was in the lost and found You came along, to claim it I didn't know just what was wrong with me 'Til your kiss helped me name it Now I'm no longer doubtful of what I'm living for And if I make you happy I don't need to do more 'Cause you make me feel You make me feel You make me feel like A natural woman Oh, baby, what you done to me? You make me feel so good inside And I just wanna be close to you You make me feel so alive You make me feel You make me feel You make me feel like A natural woman You make me feel You make me feel You make me feel like A natural woman |
In den morgendlichen Regen hinausschauend Fühlte ich mich so uninspiriert Und als mir klar wurde, daß ich einen weiteren Tag zu bewältigen hatte Gott, das hat mich so müde gemacht Vor dem Tag an dem ich Dich traf, war das Leben so lieblos Aber Du bist der Schlüssel zu meinem Seelenfrieden Weil Du mich fühlen läßt Du mich fühlen läßt Du läßt mich fühlen wie Eine normale Frau Als meine Seele im Fundbüro war Kamst Du vorbei, um sie zu beanspruchen Ich wusste nicht genau was mit mir nicht stimmte Bis Dein Kuss mir geholfen hat es zu benennen Jetzt bin ich nicht länger voller Zweifel wofür ich lebe Und wenn ich Dich glücklich mache, brauche ich nicht mehr zu tun Weil Du mich fühlen läßt Du mich fühlen läßt Du läßt mich fühlen wie Eine normale Frau Oh, Schatz, was Du mit mir getan hast, Du läßt mich mein Inneres so gut anfühlen Und ich will Dir einfach nur nahe sein Du läßt mich so lebendig fühlen Weil Du mich fühlen läßt Du mich fühlen läßt Du läßt mich fühlen wie Eine normale Frau Weil Du mich fühlen läßt Du mich fühlen läßt Du läßt mich fühlen wie Eine normale Frau |
Aretha Franklin (*1942
in Memphis, Tenessee)
Auf youtube.com finden sich Aufnahmen mit Aretha Franklin (Deutsche Übersetzung: JT) |
Das allerbeste Antidot gegen die Versuchung, libidinöse, aggressive, prägenitale Wünsche am Patienten zu befriedigen, ist jedoch, so glaube ich, die Freude an der eigentlichen analytischen Arbeit. Je mehr Lust an der Sache selbst gewonnen werden kann, desto weniger Lust muß aus Nebensachen gezogen werden. Was heißt Lust aus der Sache selber ziehen? Darunter verstehe ich eine offene, neugierige, zu experimentellen und spielerischem Umgang mit der Technik bereiten Haltung, die ohne Angst vor geheiligten Paradigmata das tun kann, was dem Fortgang des analytischen Prozesses dient. Zugleich aber stammt diese Lust aus der entgegengesetzten Haltung, nämlich aus dem Vergnügen an Disziplin, Ordnng und wissenschaftlicher Redlichkeit. Ich will sagen, aus dem Vergnügen daran, sich stets dem Diskurs mit gesicherten Theoriestücken und erprobten Praxiserfahrungen zu stellen, das, was man tut, auch theoretisch begründen zu wollen. Ich meine also jene Lust, die aus der Spannung erwächst, die der psychoanalytischen Technik immanent ist, zu heilen und zu forschen. (...) Und wie kontrolliere ich, ob ich in dieser freieren, offeneren Praxis noch die Abstinenzregel beachte? Die Kontrolle darüber gewährleistet die Frage, ob ich das, was ich tue, tue, weil ich es brauche, oder weil der Patient es braucht. Cremerius, Johannes (1988): Aus gegebenem Anlaß. ABSTINENZ - MAXIME UND REALITÄT. In: Anonyma (1988): Verführung auf der Couch. Ein Niederschrift. Freiburg: Kore, 186-188 (1988 als Vortag an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München e.V. gehalten – Cremerius war Mitglied des Instituts). |
Das absolut Andere das ist der Andere.
Lévinas, Emmanuel (1987): Totalität und
Unendlichkeit. |
Das absolut Andere das ist der Andere. Er bildet keine Mehrzahl mit mir. Die Gemeinsamkeit, in der ich 'Du' oder 'Wir' sage, ist nicht ein Plural von 'Ich'. Ich, Du sind nicht Individuen eines gemeinsamen Begriffes. An den Anderen bindet mich weder der Besitz noch die Einheit der Zahl noch auch die Einheit des Begriffs. Es ist das Fehlen eines gemeinsamen Vaterlandes, das aus dem Anderen den Fremden macht, den Fremden, der das Bei-mir-zu-Hause stört. Aber Fremder, das bedeutet auch der Freie. Über ihn vermag mein Vermögen nichts. Eine wesentliche Seite an ihm entkommt meinem Zugriff, selbst wenn ich über ihn verfüge. Er ist nicht ganz an meinem Ort. Aber ich, der ich mit dem Fremdebn keinen gemeinsamen Begriff habe, ich bin, wie er, ohne genus. Wir sind der Selbe und der Andere. Die Konjunktion und zeigt hier weder Addition der Termini noch Macht des einen Terminus über den anderen an. Wir werden hier versuchen zu zeigen, daß die Beziehung desSelben und des Anderen - die wir so außeraußerordentlichen Bedingungen zu unterstellen scheinen - die Sprache ist.(...) Die Rede bewahrt den Abstand zwischen mir und dem Anderen; sie hält an der radikalen Trennung fest, welche die Wiederaufrichtung der Totalität verhindert und in der Trabnszendenz vorausgesetzt ist; (...). Lévinas, Emmanuel (1987): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber, 44 und 45 f (Original: Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. 1980: 9 und 10f) |
Der Kleine Prinz [Auszug] Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Saint-Exupéry, Antoine de (1943): Der kleine Prinz (Kapitel 21) |
Klärchens Lied Freudvoll Und leidvoll, Gedankenvoll sein, Langen Und bangen In schwebender Pein, Himmelhoch jauchzend, Zum Tode betrübt – Glücklich allein Ist die Seele, die liebt.
Goethe, J. W. von:
Egmont. 3. Aufzug, 2.
Szene (Klärchen
singt);
www.gutenberg.org |
Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur, gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen, und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Kant, Immanuel (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12 (481-494): 481 und 482f; online: www.deutschestextarchiv.de Anmerkung: Kant übersetzt hier einen Text aus den Briefen (Episteln) des römischen Dichters Horaz (Epist. I,2,40); siehe: www.herok.info |
[Anekdote: Bion und der Revolver] Owen Renik erzählt in seiner Arbeit über Standards and standardization (2003) – sie beruht auf einer offiziösen Rede, die er als Leiter des Board on Professional Standards der American Psychoanalytic Association hielt – eine Anekdote über Wilfred Bion, die, so meint er, das Problem gut auf den Punkt bringt. Bion stellte auf einem Treffen der British Psychoanalytical Society einen Fall vor. Er war, wie Sie wissen, nicht nur ein eminenter Analytiker, sondern auch ein dekorierter Offizier des Zweiten Weltkrieges, der die Waffe zu führen wusste. Nachdem er an dem Abend eingeführt worden war, bereitete Bion seinen Vortrag vor. Er zog das Manuskript aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Er nahm seine Armbanduhr ab und legte sie dazu. Schließlich zog er eine Pistole aus der Tasche und legte sie ebenfalls daneben. An diesem Punkt rief ein alarmierter Kollege aus der Zuhörerschaft: »Professor Bion! Wozu ist die denn da?« »Oh, die?«, antwortete Bion. »Die ist für die erste Person, die zu mir sagen wird, dass das, was ich mache, keine Psychoanalyse mehr ist!« (Renik 2003, S. 43f, übersetzt von H.W.). Will, Herbert (2006): Psychoanalytische Kompetenzen. Standards und Ziele für die psychotherapeutische Ausbildung und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer, 10f Renik. Owen (2003): Standards and standardization. Journal American Psychoanalytical Association (Supplement) 51: 43-55 |
Leider zeigt die Geschichte der »Zvilisation«, daß eine Neigung zur Zusammenarbeit und zum Teilen nur recht sporadisch vohanden ist. (120) [135] Aus Wrights Daten geht hervor, daß eine Gesellschaft umso kriegerischer ist, je mehr Arbeitsteilung in ihr herrscht, und daß Gesellschaften mit einem Klassensystem die am meisten kriegerischen sind. Schließlich zeigen seine Daten auch, daß die Kriegslust um so geringer ist, je ausgewogener das Gleichgewicht der verschiedenen Gruppen und das Gleichgewicht zwischen der Gruppe und ihrer physischen Umgebung ist, während häufige Störungen des Gleichgewichts zu einer erhöhten Kriegsbereitschaft führen. (132) [149] Fast jeder zieht den Schluß: Wenn schon zivilisierte Menschen so kriegslüstern sind, wieviel kriegslüsterner müssen dann erst die Primitiven gewesen sein. Aber die Ergebnisse von Wright bestätigen die These, daß die primitivsten Menschen die am wenigsten kriegerischen sind und daß die Kriegslust mit der Zivilisation zunimmt. (133) [149f] Daß Destruktivität und Grausamkeit nicht wesensmäßig zur menschlichen Natur gehören, besagt freilich nicht, daß sie nicht intensiv und weit verbreitete wären. (159) [177] Die Geschichte der Menschheit ist der Bericht einer außerordentlichen Destruktivität und Grausamkeit, und die Aggression des Menschen ist offenbar weit größer als die seiner tiereischen Ahnen; der Mensch ist im Gegensatz zu den meisten Tieren ein wirklicher »Killer«. (165)[185] Die These, daß der Krieg durch eine angeborene menschliche Destruktivität verursacht werde, ist einfach absurd für jemand, der auch nur die geringsten geschichtlichen Kenntnisse besitzt. (189) [210f] Fromm, Erich (1973a): Anatomie der menschlichen Destruktivität. Gesamtausgabe Band VII: Aggressionstheorie: München: dtv 1. Aufl. 1989; die Angaben in [Klammern] verweisen auf die Originalausgabe |
Kleines Solo Einsam bist du sehr allein. Aus der Wanduhr tropft die Zeit. Stehst am Fenster. Starrst auf Steine. Träumst von Liebe. Glaubst an keine. Kennst das Leben. Weißt Bescheid. Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist Einsamkeit zu zweit. Wünsche gehen auf die Freite*. Glück ist ein verhexter Ort. Kommt dir nahe. Weicht zur Seite. Sucht vor Suchenden das Weite. Ist nie hier. Ist immer dort. Stehst am Fenster. Starrst auf Steine. Sehnsucht krallt sich in Dein Kleid. Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit. Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren. Magst nicht bleiben, wer du bist. Liebe treibt die Welt zu Paaren. Wirst getrieben. Musst erfahren, dass es nicht die Liebe ist … Bist sogar im Kuss alleine. Aus der Wanduhr tropft die Zeit. Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine. Brauchtest Liebe. Findest keine. Träumst von Glück. Und lebst im Leid. Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit. (* auf Brautschau gehen, um jemandes Hand anhalten) Kästner, Erich (1899 - 1974): Kleines Solo (1947): www.deutschelyrik.de |
26. [Auszug] Belauern und belauschen wir uns nur selber, in jenen Minuten, wo wir einen uns neuen Satz hören oder finden. Vielleicht missfällt er uns, weil er so trotzig, so selbstherrlich dasteht: unbewusst fragen wir uns, ob wir ihm nicht einen Gegensatz als Feind zur Seite ordnen, ob wir ihm ein „Vielleicht“, ein „Mitunter“ anhängen können; selbst das Wörtchen „wahrscheinlich“ giebt uns eine Genugthuung, weil es die persönlich lästige Tyrannei des Unbedingten bricht.
Nietzsche, Friedrich
(1844-1900):
Menschliches Allzumenschliches II (1879): § VM — 26. |
133. [Auszug] Die Wahrheit ist: im Mitleid — ich meine in dem, was irreführender Weise gewöhnlich Mitleid genannt zu werden pflegt, — denken wir zwar nicht mehr bewusst an uns, aber sehr stark unbewusst, wie wenn wir beim Ausgleiten eines Fusses, für uns jetzt unbewusst, die zweckmässigsten Gegenbewegungen machen und dabei ersichtlich allen unseren Verstand gebrauchen. Anmerkung: Nietzsche deutet das Mitleid einschließlich des daraus resultierenden Handlungsimpulses - z. B. jemand in Not zu helfen - mit einer unbewußten Motivation: Als etwa auftretende Ohnmacht und Feigheit (nicht dem Verletzten zu helfen) - einschließlich der Verletzung der Ehre (sich selbst und anderen gegenüber); als Vermeidung von der Peinlichkeit angesichts der eigenen Gefährdetheit und Gebrechlichkeit; als Möglichkeit feiner Notwehr oder Rache; als Genugtuung, sich als Mächtigerer, Helfender zu fühlen und des Beifalls sicher oder als Versuch, sich aus der Langeweile herausreißen.
Nietzsche, Friedrich
(1844-1900):
Morgenröthe (1881): § 133 |
Friedrich Nietzsche (1844-1900) Philologe und Philosoph |
608 Ursache und Wirkung verwechselt. — Wir suchen unbewusst die Grundsätze und Lehrmeinungen, welche unserem Temperamente angemessen sind, so dass es zuletzt so aussieht, als ob die Grundsätze und Lehrmeinungen unseren Charakter geschaffen, ihm Halt und Sicherheit gegeben hätten: während es gerade umgekehrt zugegangen ist. Unser Denken und Urtheilen soll nachträglich, so scheint es, zur Ursache unseres Wesens gemacht werden: aber thatsächlich ist unser Wesen die Ursache, dass wir so und so denken und urtheilen. — Und was bestimmt uns zu dieser fast unbewussten Komödie? Die Trägheit und Bequemlichkeit und nicht am wenigsten der Wunsch der Eitelkeit, durch und durch als consistent, in Wesen und Denken einartig erfunden zu werden: denn diess erwirbt Achtung, giebt Vertrauen und Macht.
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900):
Menschliches Allzumenschliches I (1878): § 608 |
333. [Auszug] Die längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft; (…).
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900):
Die fröhliche Wissenschaft (1882): § 333 |
Frühling der Seele [Auszug] Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden.
Trakl, Georg
(veröffentlicht 1915):
Die Dichtungen. Frankfurt/M. Insel Verlag, 149 Gesamtwerk (literarische Texte und Briefe): www.literaturnische.de/Trakl/index-trakl.htm |
Georg Trakl (1887-1914) Schriftsteller, Vertreter des österreichischen Expressionismus |
146. Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse (1886): § 146 www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/JGB-146 |
Friedrich Nietzsche (1844-1900) Philologe und Philosoph |
Klaus Nomi (1944-1983) Countertenor im Bereich der Popmusik (bürgerlich: Klaus Sperber). Bei dem "Cold Song" handelt es sich um die Arie "What Power Art Thou" (vom "Génie du froid") aus dem dritten Akt der Semi-Oper "King Arthur. The British Worthy" von Henry Purcell (1659–1695). In der berühmtesten Szene der Oper (Frost-Szene) soll gezeigt werden, wie die Macht der Liebe imstande ist, jedes noch so kalte Herz aufzutauen. Die exaltierten Auftritte von Klaus Nomi waren sehenswert (ich hatte einmal die Gelegenheit ihn live zu sehen), im Internet (www.youtoube.com) finden sich verschiedene Aufnahmen.
Das Lied findet sich u.a. auf der
LP/CD: (Deutsche Übersetzung: JT) |
Cold Song What power art thou? Who from below Hast made me rise? Unwillingly and slow From beds of everlasting snow! See'st thou not how stiff And wondrous old? Far unfit to bear the bitter cold ... I can scarcely move Or draw my breath I can scarcely move Or draw my breath Let me, let me Let me, let me Freeze again ... Let me, let me Freeze again to death! |
Cold Song Welche Macht bist Du? Wer von unten Mich liess aufersteh'n? Unwillig und langsam Aus den Betten des ewigen Schnees! Siehst Du nicht wie steif Und wundersam alt [ich bin]? Gar untauglich die bitt´re Kälte zu ertragen ... Ich kann mich kaum bewegen Oder Atem holen Ich kann mich kaum bewegen Oder Atem holen Laß mich, laß mich Laß mich, laß mich Wieder einfrieren ... Laß mich, laß mich Wieder zu Tode frier´n! |
[Über den Umgang mit dem Tod] Der Tod lauert auf uns in allen Ecken. (123) So laßt uns lernen, ihm Fuß halten und nicht Reißaus geben. Und, um damit anzufangen, ihm seinen großen Vortheil über uns abzugewinnen, müssen wir eine der gewöhnlichen ganz entgegengesetzte Methode einschlagen. Benehmen wir ihm das Fremde, machen wir seine Bekanntschaft, halten wir mit ihm Umgang, und lassen uns nichts so oft vor den Gedanken vorbei eilen, als den Tod. Halten wir ihm alle Augenblicke unsrer Einbildung vor, und zwar unter allen seinen Gestalten. (131) Es ist ungewiß, wo uns der Tod erwartet; erwarten wir ihn also allenthalben! Sinnen auf den Tod, ist Sinnen auf Freyheit. (132) de Montaigne, Michel Eyquem (1793): Gedanken und Meinungen über allerley Gegenstände. Erster Band. Berlin: F. T. Lagarde (online verfügbar über google-books) |
Was für die Raupe das Ende der Welt bedeutet, nennt der Rest der Welt Schmetterling. Herkunft unbekannt (häufig Lao tse/Laozi zugeschrieben) Bild: © Lisa Spreckelmeyer/pixelio.de (lizenzfrei) |
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Die Zukunft ist uns verborgen. Aber fühlt der Astronom das, der eine Sonnenfinsternis berechnet? Wittgenstein, Ludwig (1949/1993): Lertzte Schriften über die Philosophie der Psychologie (1949-1950). Das Innere und das Äußere. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 35 |
Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennst dich aus; du kommst von einer anderen zur selben Stelle, und kennst dich nicht mehr aus. Wittgenstein, Ludwig (1958/1971): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 106 (Nr. 203) |
Eine Hauptursache philosophischer Krankheiten ̶̶ einseitige Diät: man nährt sein Denken nur mit einer Art von Beispielen. Wittgenstein, Ludwig (1958/1971): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 189 (Nr. 593) Anmerkung: Das könnte auch für andere (psychologische und psychoanalytische) Krankheiten gelten! |
Erich Fried (1921-1988) wurde in Wien geboren, floh 1938 nach London, wo er bis zu seinem Tod 1988 lebte. Er schrieb überaus kritische politische Gedichte (so 1966: "und Vietnam und"), seine israelkritischen Gedichten (z. B. "Höre Israel") sind bis heute schwer (oder gar nicht) zu verdauen. Spätestens seit dem 1979 erschienenen Band "Liebesgedichte" gehört er zu den meistgelesenen deutschsprachigen Lyrikern. Im Verlag Klaus Wagenbach ist eine schöne vierbändige gebundene Ausgabe seines Werkes (Gedichte & Prosa) zu einem erstaunlichen Preis, über 2.500 Seiten für 68 Euro erschienen (siehe rechts). |
Drei Wünsche Ich wollte manchmal ich wäre so erfahren wie ich alt bin oder auch nur so klug wie ich erfahren bin oder wenigstens so glücklich wie ich klug bin aber ich glaube ich bin zu dumm dazu
Fried, Erich
(1982): Gesammelte
Werke. Gedichte Band 2. |
Briefe Sigmund Freud an Sándor Ferenczi & Ludwig Binswanger (Auszüge) Anmerkung: Freuds zweite Tochter Sophie, von ihm liebevoll als "Sonntagskind" bezeichnet, starb am 25. Januar 1920 mit 27 Jahren an einer schweren Grippe. Der Todesfall, so schmerzlich er ist, findet doch keine Lebenseinstellung umzuwerfen. Jahrelang war ich auf den Verlust der Söhne gefaßt, nun kommt der der Tochter; da ich im tiefsten ungläubig bin, habe ich niemand zu beschuldigen und weiß, daß es keinen Ort gibt, wo man eine Klage anbringen könnte. Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 346 (Wien, 4.2.1920 an Sándor Ferenczi) Wenige Wochen später schrieb Freud an Ludwig Binswanger: Seither liegt ein schwerer Druck auf uns allen, den ich auch in meiner Arbeitsfähigkeit verspüre. Die Ungeheuerlichkeit, daß Kinder vor den Eltern sterben sollen, haben wir beide nicht verwunden. Sigmund Freud & Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938 (herausgegeben v. G. Fichtner): Frankfurt/M.: Fischer 1992: 169 (122 F, Wien, 14.03.1920) Als Reaktion auf den plötzlichen Tod des achtjährigen Sohnes von Binswanger (im Mai 1926) schrieb er ihm :
Ich kann es doch nicht
unterlassen, Ihnen zu schreiben, nicht ein Wort überflüssigen Beileids,
sondern – ja eigentlich nur aus innerem Drange, weil Ihr Brief eine
Erinnerung in mir geweckt hat – unsinnig! –, die ja nie eingeschlafen
war. Es ist richtig, ich habe eine geliebte Tochter
im Alter von 27 Jahren verloren, aber dies vertrug ich merkwürdig gut.
Es war das Jahr 1920, man war zermürbt durch das Kriegselend, durch
Jahre darauf vorbereitet zu hören, daß man einen Sohn oder gar drei
Söhne verloren hat. So war die Gefügigkeit gegen das Schicksal
vorbereitet. Aber zwei Jahre später brachte ich das jüngere Kind dieser
Tochter, ein Kerlchen von 3–4 Jahren nach Wien, wo es meine kinderlose
Älteste zu sich nahm, und dieses Kind ist uns – Juni '23 – an rapid
verlaufender Militärtuberkulose gestorben. (...) Mir stand es für alle
Kinder und anderen Enkel, und seither, seit Heineles Tod mag ich die
Enkel nicht mehr, aber freue mich auch nicht am Leben. Es ist auch das
Geheimnis der Indifferenz – Tapferkeit hat man es genannt – bei meiner
eigenen Lebensgefahr. Sigmund Freud & Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938 (herausgegeben v. G. Fichtner): Frankfurt/M.: Fischer 1992: 208 (154 F, Wien, 15.10.1926) Und noch einmal, drei Jahre später kommt er auf das Thema zurück: Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter sechsunddreißig Jahre als geworden. (…). Man weiß, daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will. Sigmund Freud & Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938 (herausgegeben v. G. Fichtner): Frankfurt/M.: Fischer 1992: 222 (168 F, Wien, 11/12.04.1929) |
Brief an Paul Demeny, 15.05.1871 [Auszug]
Ich ist ein anderer. Rimbaud, Arthur (1881): Seher-Briefe. Lettres du voyant (übers. u. hg. v. W. v. Koppenfels). Mainz: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung 1990, 20 online (französisches Original - Auszug!) |
Arthur Rimbaud (1854-1891) französischer Lyriker, Abenteurer und Geschäftsmann
Anmerkung:
Das Zitat
stammt aus einem Brief Rimbauds an seinen Rhetoriklehrer Paul Demeny.
Daß Rimbaud explizit nicht schrieb "Ich bin ein anderer" deutet darauf hin, worum es ihm
geht: Der Dichter ist nicht souveräner Autor seiner Worte, sondern
vielmehr eine Art von Medium, das durch ihn spricht. Denken und Sprechen
entspringen aus seiner Sicht nicht dem 'identischen' Ich: "Es ist falsch,
zu sagen: Ich
denke; man sollte sagen: Es denkt mich. ̶ Entschuldigen Sie das Wortspiel.
̶ |
Wir mußten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann, wir haben allmählich uns gewöhnen müssen, ohne Boden unter unseren Füßen zu leben, ohne Recht, ohne Freiheit, ohne Sicherheit. Zweig, Stefan (1944): Die Welt von Gestern. Frankfurt/M.: Fischer, Frankfurt 1970, S. 19 online: Projekt Gutenberg (über http://gutenberg.spiegel.de): Die Welt von Gestern
Anmerkung: Zweig war von Freud sehr
beeindruckt. 1926 schrieb er:
Mir ist die Psychologie (Sie verstehen
dies wie kein zweiter) heute eigentlich die Passion meines
Lebens. Und ich möchte dann einmal, wenn ich weit genug bin, sie
am schwersten Object üben, an mir selbst. (Brief v.
8.09.1926 an Freud*). In ihrem Briefwechsel bis zum Tod Freuds
(Frankfurt: Fischer 1968) schrieb Zweig in der Anrede: "Liebster
Vater Freud". Das Buch "Die Welt von Gestern" ist eine
Autobiograpie, die Zweig 1942 kurz von seinem Freitod in
Brasilien schrieb. |
Erich Fried (1921-1988) |
Angst und Zweifel Zweifle nicht an dem der dir sagt er hat Angst aber hab Angst vor dem der dir sagt er kennt keinen Zweifel Fried, Erich (1974): Gesammelte Werke. Gedichte Band 2. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 202 (Gegengift) |
Was es ist Es ist Unsinn sagt die Vernunft Es ist was es ist sagt die Liebe
Es ist Unglück sagt die Berechnung Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst Es ist aussichtslos sagt die Einsicht Es ist was es ist sagt die Liebe Es ist lächerlich sagt der Stolz Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe Fried, Erich (1983): Gesammelte Werke. Gedichte Band 3. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 35 (Es ist was es ist) |
Erich Fried (1921-1988) |
Frank Wedekind
(1905):
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Der Gefangene (1902) Oftmals hab' ich nachts im Bette Schon gegrübelt hin und her, Was es denn geschadet hätte, Wenn mein Ich ein Andrer wär'. Höhnisch raunten meine Zweifel Mir die tolle Antwort zu: Nichts geschadet, dummer Teufel, Denn der Andre wärest du! Hilflos wälzt ich mich im Bette Und entrang mir dies Gedicht, Rasselnd mit der Sklavenkette, Die kein Denker je zerbricht. |
Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird. Morgenstern, Christian (1891): Aphorismen. Stuttgarter Ausgabe, Band 5 (hg. v. Reinhardt Habel). Stuttgart: Verlags Urachhaus 1987: 254 (1146) |
Der Narzissmus des Analytikers erscheint geeignet, eine besonders ausgiebige Fehlerquelle zu schaffen, indem er mitunter eine Art narzisstischer Gegenübertragung zustande bringt, die den Analysierten veranlasst, einesteils Dinge in den Vordergrund zu schieben, die dem Arzt schmeicheln, andernteils ihn betreffende Bemerkungen und Einfälle abfälliger Art zu unterdrücken. Beides ist technisch unrichtig; das erste, indem es zu Scheinbesserungen des Patienten führen kann, die nur darauf berechnet sind, den Analytiker zu bestechen und ihm auf diese Weise libidinöse Gegensympathie abzugewinnen; das zweite, indem es den Analytiker von der technischen Notwendigkeit abhält, bereits leise Anzeichen der sich meist nur zaghaft hervorwagenden Kritik aufzuspüren und dem Patienten zur unverhüllten Aussprache, beziehungsweise Abreaktion, zu verhelfen. Ferenczi, Sándor (1924): Entwicklungsziele der Psychoanalyse (Zur Wechselbeziehung von Theorie und Praxis). Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 238f |
Keinesfalls darf man sich schämen, früher gemachte Irrtümer rückhaltlos zu bekennen. Man vergesse nie, dass die Analyse kein Suggestivverfahren ist, bei dem vor allem das Ansehen des Arztes und seine Unfehlbarkeit zu wahren ist. Das einzige, worauf auch die Analyse Anspruch erhebt, ist das Vertrauen zur Offenheit und Aufrichtigkeit des Arztes, und diesem tut das offene Bekennen eines Irrtums keinen Schaden an. Ferenczi, Sándor (1927/28): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 390 |
Die analytische Einstellung fordert vom Arzte nicht nur die strenge Kontrolle des eigenen Narzissmus, sondern auch die scharfe Überwachung von Gefühlsreaktionen jeglicher Art. War man früher etwa der Ansicht, dass ein allzu hoher Grad von "Antipathie" eine Gegenanzeige gegen die Durchführung einer analytischen Kur abgeben kann, so müssen wir nach tieferer Einsicht in die Verhältnisse eine solche Gegenindikation von vornherein ausschliessen und vom analysierten Analytiker erwarten, dass seine Selbstkenntnis und Selbstkontrolle stärker ist, als dass er sich vor Idiosynkrasien beugen müsste. Jene "antipathischen Züge" sind ja in den meisten Fällen nur Vorbauten, hinter denen sich ganz andere Eigenschaften verstecken. Es hiesse also dem Patienten aufzusitzen, ginge man auf solche Fallen ein; das Weggejagtwerden ist oft der unbewusste Zweck des unausstehlichen Benehmens. Das Wissen um diese Dinge befähigt uns, auch den unerquicklichsten oder abstossendsten Menschen in voller Überlegenheit als einen heilungsbedürftigen Patienten zu betrachten und ihm, als solchem, sogar unsere Sympathie nicht zu versagen. Diese mehr als christliche Demut zu erlernen, gehört zu den schwersten Aufgaben der psychoanalytischen Praxis. Bringen wir sie aber zustande, so mag uns die Korrektur auch in verzweifelten Fällen gelingen. Ich muss nochmals betonen, dass auch hier nur die wirkliche Gefühlseinstellung hilft; eine nur gemachte Pose wird von scharfsinnigen Patienten mit Leichtigkeit entlarvt. Ferenczi, Sándor (1927/28): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 390f |
Das Nichtmitgeteilte, das Nichtmitteilbare, das, was niemandem erzählt wurde und auf niemanden Eindruck machte, das, was nirgends eingeht in das Bewußtsein der Zeiten und ohne Bedeutung in dem dumpfen Chaos des unbestimmten Vergessens versinkt, ist verdammt zur Wiederholung; es wiederholt sich, weil es, obwohl wirklich geschehen, in der Wirklichkeit keine Bleibe gefunden hat. Arendt, Hannah (1975): Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München: Ullstein [1959] 1975: 104 |
Der Mensch mit sich allein [Auszug] 491. Selbstbeobachtung. — Der Mensch ist gegen sich selbst, gegen Auskundschaftung und Belagerung durch sich selber, sehr gut vertheidigt, er vermag gewöhnlich nicht mehr von sich, als seine Aussenwerke wahrzunehmen. Die eigentliche Festung ist ihm unzugänglich, selbst unsichtbar, es sei denn, dass Freunde und Feinde die Verräther machen und ihn selber auf geheimem Wege hineinführen.
Nietzsche, Friedrich
(1844-1900):
Menschliches Allzumenschliches I
(1878): § 491 |
116. Die unbekannte Welt des "Subjects". — Das, was den Menschen so schwer zu begreifen fällt, ist ihre Unwissenheit über sich selber, von den ältesten Zeiten bis jetzt! Nicht nur in Bezug auf gut und böse, sondern in Bezug auf viel Wesentlicheres! Noch immer lebt der uralte Wahn, dass man wisse, ganz genau wisse, wie das menschliche Handeln zu Stande komme, in jedem Falle. Nicht nur "Gott, der in’s Herz sieht", nicht nur der Thäter, der seine That überlegt, — nein, auch jeder Andere zweifelt nicht, das Wesentliche im Vorgange der Handlung jedes Andern zu verstehen. "Ich weiss, was ich will, was ich gethan habe, ich bin frei und verantwortlich dafür, ich mache den Andern verantwortlich, ich kann alle sittlichen Möglichkeiten und alle inneren Bewegungen, die es vor einer Handlung giebt, beim Namen nennen; ihr mögt handeln, wie ihr wollt, — ich verstehe darin mich und euch Alle!" — so dachte ehemals Jeder, so denkt fast noch Jeder. (…) Die Handlungen sind niemals Das, als was sie uns erscheinen! Wir haben so viel Mühe gehabt, zu lernen, dass die äusseren Dinge nicht so sind, wie sie uns erscheinen, — nun wohlan! mit der inneren Welt steht es ebenso! Die moralischen Handlungen sind in Wahrheit "etwas Anderes", — mehr können wir nicht sagen: und alle Handlungen sind wesentlich unbekannt. Das Gegentheil war und ist der allgemeine Glaube: wir haben den ältesten Realismus gegen uns; bis jetzt dachte die Menschheit: "eine Handlung ist Das, als was sie uns erscheint." (…). Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Morgenröthe (1881): § 116. www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/M-116 |
189. Der Denker. — Er ist ein Denker: das heisst, er versteht sich darauf, die Dinge einfacher zu nehmen, als sie sind.
Nietzsche,
Friedrich
(1844-1900):
Die fröhliche Wissenschaft (1882): § 189 |
Ludwig Andreas Feuerbach (1804-1872); |
Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heißt, sondern der Mensch schuf, wie ich im Wesen des Christenthums zeigte, Gott nach seinem Bilde. Feuerbach, Ludwig (1851): Ludwig Feuerbach's sämmtliche Werke. 8. Band: Vorlesungen über das Wesen der Religion. Leipzig: Verlag Otto Wigand: 241; google books |
Der Geist will sich vermählen mit dem Begriff: ich will geliebt oder ich will begriffen sein, das ist eins.
von Arnim,
Bettina (Elisabeth)
(1835): Tagebuch. Berlin Ferdinand Dümmler: 36; |
Bettina von Arnim, |
Ungeplant Daß ich viel zu alt bin für dich oder daß du zu jung bist für mich das sind alles gewichtige Argumente die entscheidend wären in den Lehrwerkstätten in denen die aufgeklärteren Menschen sich ihre berechnete Zukunft zurechtschneiden streng nach Maß Fried, Erich (1983): Gesammelte Werke. Gedichte Band 3. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 26 (Es ist was es ist) |
Erich Fried (1921-1988) |
Wage es, weise zu sein Immanuel Kant (1784) |
Sapere aude Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! |
Immanuel Kant (1724-1804) erklärte seine Interpretation des lateinischen Spruches 1784 zum Leitspruch der Aufklärung; im Original aus dem Buch der Episteln des Dichters Horaz (20 v. Chr.): Dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, / incipe. (Epist. I,2,40 f.) |
John Lennon (9.10.1940 - 8.12.1980) |
You may say I'm a dreamer But I'm not the only one Lennon, John (1971): Imagine (Liedtext) |
3) Allgemeines über alle Perversionen [Auszug] Die alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten dieser Überschreitungen, wenigstens die minder argen unter ihnen, einen selten fehlenden Bestandteil des Sexuallebens der Gesunden bilden und von ihnen wie andere Intimitäten auch beurteilt werden. Gerade auf dem Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will. Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muß man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebes anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten aneinander (»vom Himmel durch die Welt zur Hölle«). Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 59, 60, 61 |
#29 Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Sexualwissenschaft [Auszug] Die Psychoanalyse ist so kostbar, weil sie die einzelnen Allgemeinen als Individuen ernst nimmt und zu verstehen sucht. Sie ist bis heute mehrheitlich am Individuellen orientiert. Sie will nicht wahrhaben, dass die Struktur, die Episteme, die diskursive Formation oder die Imperative und Objektive dem Dividuum vorschreibt, was es wie zu praktizieren habe. Sigusch, Volkmar (1905d): Sexualitäten. Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten. New York: Campus: 134 |
Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben. Freud, Sigmund (1912d): Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens (Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens II). GW VIII: 82f Anmerkung: Freud bezieht sich hier auf "junge Menschen, deren "ganze Sinnlichkeit (…) im Unbewußten an inzestuöse Objekte gebunden oder, wie wir auch sagen können, an unbewußte inzestuöse Phantasien fixiert wird. Das Ergebnis ist dann eine absolute Impotenz, die etwa noch durch die gleichzeitig erworbene wirkliche Schwächung der den Sexualakt ausführenden Organe versichert wird. (…) Das Liebesleben solcher Menschen bleibt in die zwei Richtungen gespalten, die von der Kunst als himmlische und irdische (oder tierische) Liebe personifiziert werden. (...) Sie suchen nach Objekten, die sie nicht zu lieben brauchen, um ihre Sinnlichkeit von ihren geliebten Objekten fernzuhalten, und das sonderbare Versagen der psychischen Impotenz tritt nach den Gesetzen der »Komplexempfindlichkeit« und der »Rückkehr des Verdrängten« dann auf, wenn an dem zur Vermeidung des Inzests gewählten Objekt ein oft unscheinbarer Zug an das zu vermeidende Objekt erinnert." |
Sigmund Freud |
Zurückhaltung, wir taugen zu keiner Art von offiziellem Dasein, brauchen unsere Unabhängigkeit nach allen Seiten. Vielleicht haben auch wir Grund zu sagen: Gott schütze uns vor unseren Freunden. Mit den Feinden sind wir ja bisher fertig geworden. Auch gibt es ein Nachher, in dem wir wiederum Platz finden müssen. Wir sind und bleiben tendenzlos bis auf das eine: zu erforschen und zu helfen. Freud, S. & Ferenczi, S. (1917-1919): Briefwechsel. Band II/2. (hg. von Ernst Falzeder & Eva Brabant). Wien: Böhlau: 229 (Brief 808 F, Wien, 20.4.1919) |
Karl Valentin (1882-1948)
Anmerkung:
Es handelt sich um die offizielle Seite der Familie und Erben
von Karl Valentin; Zitate dürfen noch bis 2018 (Urheberrecht: 70
Jahre nach dem Tod des Künstlers) nur mit Genehmigung im
Internet verwendet werden - es sei denn, es handelt sich um
Zitate in einem Text oder um Internetseiten ohne gewerblichen
Zweck
|
Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit Gut, dass Hitler nicht Kräuter heißt, sonst müsste man ihn mit »Heil Kräuter« grüßen. Gar nicht krank ist auch nicht gesund. Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Die Zukunft war früher auch besser! |
Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!
Karl Valentin: Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich
mich nicht getraut!
Das Beste aus seinem Werk (hrsg. von Helmut
Bachmaier), |
Karl Valentin (1882-1948) |
Die Geschichte der Wissenschaften zeigt uns bei allem, was für dieselben geschieht, gewisse Epochen, die bald schneller, bald langsamer auf einander folgen. Eine bedeutende Ansicht, neu oder erneut, wird ausgesprochen; sie wird anerkannt, früher oder später; es finden sich Mitarbeiter; das Resultat geht in die Schüler über; es wird gelehrt und fortgepflanzt, und wir bemerken leider, daß es gar nicht darauf ankommt, ob die Ansicht wahr oder falsch sei: beides macht denselben Gang, beides wird zuletzt eine Phrase; beides prägt sich als todtes Wort dem Gedächtniß ein.
Goethe,
J. W.
von
(1833): Goethe's
Werke. Stuttgart: J. G. Cotta'sche Buchhandlung. Band 50:
68f |
Kafka,
Franz
(1916): Die Acht Oktavhefte |
Ich kenne den Inhalt nicht, ich habe den Schlüssel nicht, ich glaube Gerüchten nicht, alles verständlich, denn ich bin es selbst. |
"Männer und Frauen stehen so zu Beziehungen, wie sie auch zum Orgasmus stehen, nur umgekehrt (…), Frauen sehnen sich so nach Beziehungen, wie Männer sich nach einem Orgasmus sehnen. Ihr ganzes Wesen beugt sich diesem Imperativ. Umgekehrt wollen Männer Beziehungen so wie Frauen einen Orgasmus: manchmal, unter den richtigen Umständen." Waldman, Adelle (2013): Das Liebesleben des Nathaniel P. O.O.: Verlagsbuchhandlung Liebeskind: 268 |
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Die unbewusste Verkleidung physiologischer Bedürfnisse unter die Mäntel des Objektiven, Ideellen, Rein-Geistigen geht bis zum Erschrecken weit, — und oft genug habe ich mich gefragt, ob nicht, im Grossen gerechnet, Philosophie bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes und ein Missverständniss des Leibes gewesen ist. Hinter den höchsten Werthurtheilen, von denen bisher die Geschichte des Gedankens geleitet wurde, liegen Missverständnisse der leiblichen Beschaffenheit verborgen, sei es von Einzelnen, sei es von Ständen oder ganzen Rassen.
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900): Die Fröhliche Wissenschaft - Vorrede zur
zweiten Ausgabe (1887): 2. |
Vierter Satz. — Die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff "unrein" ist die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist des Lebens.
Nietzsche,
Friedrich (1844-1900): Der Antichrist (1888) - Gesetz wider das
Christenthum |
Hier hat natürlich auch die dem Außenstehenden so auffällige tiefe Ungeschicklichkeit der Deutschen ihren Grund, sich in einem Gespräch über die Frage der Vergangenheit überhaupt zu bewegen. Wie schwer es sein muss, hier einen Weg zu finden, kommt vielleicht am deutlichsten in der gängigen Redensart zum Ausdruck, das Vergangene sei noch unbewältigt, man müsse erst einmal daran gehen, die Vergangenheit zu bewältigen. Dies kann man wahrscheinlich mit keiner Vergangenheit, sicher aber nicht mit dieser. Das höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt. Arend, Hannah (1959): Rede am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Hamburger Lessing-Preises, zitiert in: diestandard, 11.Oktober 2006, www.diestandard.at (kein Volltext) |
Hannah (Johanna) Arend (1906 -1975)
Jüdisch deutsch-amerikanische
politische Theoretikerin und |
Emmanuel Lévinas, (1905/6 - 1995), französisch-litauischer Philosoph |
Das Gesicht des Seins, das sich im Krieg zeigt, konkretisiert sich im Begriff der Totalität. Lévinas, Emmanuel (1980/1987): Totalität und Unendlichkeit: 20 |
Der Katholizismus ist der große Zerstörer der Kinderseele, der große Angsteinjager, der große Charaktervernichter des Kindes. Das ist die Wahrheit. Millionen und schließlich Milliarden verdanken der katholischen Kirche, daß sie von Grund auf zerstört und ruiniert worden sind für die Welt, daß aus ihrer Natur eine Unnatur gemacht worden ist.
Bernhard, Thomas (1986):
Auslöschung.
Ein Zerfall. |
Thomas Bernhard (1931 - 1989) Österreichischer Schriftsteller |
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Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen. Marquez, Gabriel Garcia (2002): Leben, um davon zu erzählen. München: Kiepenheuer & Witsch: 7 (Die Widmung ist dem Text vorangestellt) |
Helmut Schmidt (23.12.1918 - 10.11.2015)
SPD-Politiker, Bundeskanzler a. D., |
ZEIT: Jetzt sind Sie schon fast 25 Jahre lang bei der ZEIT. Sind Sie inzwischen wenigstens ein bisschen Journalist? Schmidt: Ich fürchte nicht, und wissen Sie, warum? ZEIT: Mir schwant nichts Nettes. Schmidt: Weil ich es mir einfach nicht abgewöhnen kann, gründlich zu arbeiten!" (lacht)
Die ZEIT: Unter Wegelagerern. Vom Journalismus und
der Gewohnheit, gründlich zu arbeiten (Giovanni di Lorenzo im
Gespräch mit Helmut Schmidt).
ZEIT EXTRA:
23.12.1918 -
10.11.2015. Der Abschied. Eine Sonderausgabe zum Tod von Helmut
Schmidt. Ausgabe Nr. 01 v. 11.11.2015: 26;
online unter:
www.zeit.de |
Hast du Geld, musst du dich nicht beugen!
Brecht, Bertolt (1926):
Vom Geld. In: Werke Band 4: Gedichte 2 (1913-1956). |
Schwächen Du hattest keine Ich hatte eine: Ich liebte
Brecht, Bertolt (1950):
Werke Band 4: Gedichte 2 (1913-1956). |
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DER TAG, AN DEM DAS VERSCHWAND Am Tag, an dem das verschwand, da war die uft vo Kagen. Den Dichtern, ach, verschug es gatt ihr Singen und ihr Sagen. Nun gut. Sie haben sich gefaßt. Man sieht sie wieder schreiben. Jedoch: Soang das nicht wiederkehrt, muß aes Fickwerk beiben. Gernhardt, R. (1994): Gesammelte Gedichte 1954-2006. Frankfurt/M.: Fischer 4. Aufl. 2014: 165 |
Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln. Goethe, J. W. (von 1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 45, Vers 577-579 |
Jean-Paul Sartre (1905-1980),
französischer Romancier, |
Nous ne voulons rien manquer de notre temps peut-être en est-il de plus beaux, mais c'est le nôtre; nous n'avons que cette vie à vivre, au milieu de cette guerre, de cette révolution peut-être. Wir wollen nichts von unserer Zeit verpassen: vielleicht gibt es Schönere, aber diese ist unsere; wir haben nichts als dieses Leben zu leben, inmitten dieses Krieges, vielleicht dieser Revolution. (Deutsche Übersetzung: JT) Sartre, Jean-Paul (1945): Présentation des Temps Modernes. In: LES TEMPS MODERNES, n° 1, Paris, octobre 1945 |
Der Satz hat
mich immer wieder einmal beschäftigt Das Verstehen erzeugt Tiefe und Tiefe erzeugt Sinn. |
Das Verstehen erzeugt Tiefe, nicht Sinn. Arendt, Hannah (2002): Denktagebuch (hrsg. von U. Ludz & I. Nordmann), 2 Bände. München: Piper: 332 |
Wir kamen dann wieder auf das Kriegsthema, und ich sagte, daß ich glaubte, im Gegensatz zu seiner Einstellung sei das einfache Volk nicht sehr dankbar für Führer, die ihm Krieg und Zerstörungen bescheren. »Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg«, sagte Göring achselzuckend. »Warum sollte irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, daß er mit heilen Knochen zurückkommt. Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Rußland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt.« »Nur mit einem Unterschied«, entgegnete ich. »In einer Demokratie hat das Volk durch seine gewählten Volksvertreter ein Wort mitzureden, und in den Vereinigten Staaten kann nur der Kongreß einen Krieg erklären.« »Oh, das ist alles gut und schön, aber das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.« Gilbert, G. M. (im Gespräch mit Hermann Göring, April 1945): Nürnberger Tagebuch. Gespräche der Angeklagten mit dem Gerichtspsychologen. Frankfurt/M.: Fischer 1962: 270 |
Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. Das Rascheln im Blätterwalde vertreibt ihn. Benjamin, W. (1936): Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows. In: Gesammelte Schriften. Werkausgabe Edition Suhrkamp (hrsg. v. R. Tiedemann & H Schweppenhäuser), Band 5. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980: 438-465 (hier: 446) |
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Daß es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben (und das heißt: in einem Beziehungssystem zu leben, wo man nach seinen Handlungen und Meinungen beurteilt wird), oder ein Recht, einer politisch organisierten Gemeinschaft zuzugehören – das wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen auftauchten, die solche Rechte verloren hatten und sie zufolge der neuen globalen politischen Situation nicht wiedergewinnen. Arendt, Hannah (1949): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht. Die Wandlung, 4. Jg., Herbstheft 1949 (Dezember 1949), 754-770; Zitat: 760. Internet: www.hannaharendt.net Zeitschrift für politisches Denken, Band 5, Nr. 1 (2009): unter "Documents" |
Croyez ceux qui cherchent la vérité,doutez de ceux qui la
trouvent; Glaubt denjenigen, die die Wahrheit suchen, zweifelt an denjenigen, die sie gefunden haben; zweifelt an allem, aber zweifelt nicht an euch selbst (Übers. JT). Gide, André (1952): Ainsi soit-il ou les Jeux sont faits. Paris: Gallimard (1952): 174 |
Gide, André, Paul Guillaume (1869 - 1951) Französischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger 1947 |
12 bzw. 28 Jahre nach Samjatins Sciens Fiction Roman "Wir" erschienen die bekannteren Romane von Aldous Huxley - Brave New World und George Orwell - 1984. Samjatin schildert die Geschichte von D-503, dem Konstrukteur des Raumschiffs INTEGRAL. Er berichtet vom Leben in der gläsernen Stadt im "Einzigen Staat", der das Leben der BewohnerInnen mit Ausnahme zweier freier Stunden pro Tag bis in das kleinste Detail regelt, auch die "Geschlechttage" sind strikt vorgegeben. Durch die Begegnung mit einer Rebellin beginnt sich D-503 zu verändern, er entwickelt eine Seele und schließt sich der Bewegung an. Das Staatsoberhaupt, der "Wohltäter" schlägt hart zurück und es kommt zum offenen Kampf. |
Ich fühlte mich. Alle jene, die sich fühlen, sind sich ihrer Individualität bewußt. Doch nur das entzündete Auge, der verletzte Finger, der kranke Zahn machen sich bemerkbar, das gesunde Auge, der gesunde Finger, der gesunde Zahn scheinen nicht vorhanden zu sein. Man ist also bestimmt krank, wenn man sich der eigenen Persönlichkeit bewußt wird. Samjatin, Jewgnij (1920): Wir. München: Heyne 1975: 87 |
Die statistische Methode vermittelt zwar die ideale Durchschnittlichkeit eines Sachverhalts, nicht aber ein Bild von dessen empirischer Wirklichkeit. Sie gibt zwar einen unanfechtbaren Aspekt der Wirklichkeit, kann aber die tatsächliche Wahrheit bis zur Irreführung verfälschen. Letzteres gilt in besonderem Maße von der auf Statistik gegründete Theorie. Die wirklichen Tatsachen zeichnen sich durch ihre Individualität aus; überspitzt ausgedrückt, könnte man sagen, daß das wirkliche Bild sozusagen auf lauter Ausnahmen von der Regel beruhe und mithin die absolute Wirklichkeit den vorherrschenden Charakter der Irregularität habe. Jung, Carl Gustav (1957): Gegenwart und Zukunft. GW 10 Zivilisation im Übergang. Olten: Walter-Verlag 1974, 2. Auflage 1981: 275-336 (hier: 278, § 494) |
[...] there is nothing so practical as a good theory. Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie (Übers. JT).
Lewin, Kurt (1951): Problems
of Research in Social Psychology. In: D. Cartwright (Hrsg.):
Field Theory in Social Science. Selected Theoretical Papers. |
Kurt Lewin (1890-1947) |
Edmund Josef von Horváth
(1901-1938) |
Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu. Horváth, Ödön (1926): Zur schönen Aussicht. Gesammelte Werke, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2. Aufl. 1978, Band 3: 67 Anmerkung: Es handelt sich um ein 1926 entstandenes Theaterstück; das Zitat spricht Ada Freifrau von Stetten |
Heinrich Heine
(1797-1856) |
Der große Narr ist ein sehr großer Narr, riesengroß, und er
nennt sich Heine, H. (1832): Französische Zustände I (Vorrede). In: Heinrich Heine's Sämmtliche Werke. Neue Ausgabe in 12 Bänden. 9. Band. Hamburg: Hoffmann & Campe 1887: 18 |
Rafik Schami
(das Pseudonym bedeutet: Suheil Fadél (*1946)
Promovierter Chemiker, |
(...) Gleichzeitig bin ich in Deutschland ernst geworden Was hat Sie so ernst gemacht? Das liegt an der Gesellschaft hier, in der alles Schlag auf Schlag läuft. Das Beschäftigtsein zwingt zur Ernsthaftigkeit und nimmt den Deutschen ihre Leichtigkeit. (...) Weil wir hier trotz unseres Wohlstands sehr bekümmert leben. Gleichzeitig habe ich in Deutschland Dinge in mit entdeckt, die lange unterdrückt waren, und die sich erst hier entfalten konnten. Dass ich mich nicht mehr umsehen muss, wenn ich offen auf der Straße rede - diese Freiheit hat mich geprägt. Schami, R. (2016): Rafik Schami über Gastfreundschaft. Interview mit Julia Rothhaas. Süddeutsche Zeitung Ausgabe Samstag/Sonntag, 19./20. März 2016, Nr. 66: 58. |
Ärzte Wissen möchtet ihr gern die geheime Struktur des Gebäudes, Und ihr wählt den Moment, wenn es in Flammen gerät. Was ist das Schwerste von allem? Was dir das Leichteste dünken, Mit den Augen zu sehn, was vor den Augen dir liegt.
Schiller,
Friedrich
(1796):
Xenien und Votivtafeln aus dem Nachlaß.
In: J. W. v. Goethe: online: www.zeno.org |
Albrecht Ludolf von Krehl
(1861-1937) |
Krankheiten als solche gibt es nicht, wir kennen nur kranke Menschen. Wenn wir die Krankheiten des Menschen erforschen, so beschreiben wir den Ablauf eines Lebensvorganges am einzelnen Menschen, d. h. wir beschreiben die Beschaffenheit des Menschen, an dem, die Bedingungen, unter denen, und die Art und Weise, wie jener Vorgang abläuft. Damit ist schon gesagt, daß für uns nicht der Mensch als solcher (auch den gibt es nicht), sondern der einzelne kranke Mensch, die einzelne Persönlichkeit in Betracht kommt. (...) Diese einzelnen kranken Menschen sind untereinander nicht gleich. Krehl L. (1930): Entstehung, Erkennung und Behandlung innerer Krankheiten, I. Band: Die Entstehung innerer Krankheiten: Pathologische Physiologie. Leipzig: Vogel (13. Aufl.): 24 online: books.google.de |
Dr. Martin Luther
(1483-1546) |
Was wollen wir Christen nun anfangen mit diesem verworfenen und verdammten Volk der Juden? (...) Wir müssen mit Gebet und Gottesfurcht eine gnadenlose Barmherzigkeit üben, damit wir doch etliche von ihnen aus den Flammen und der Glut erretten können. Rächen dürfen wir uns nicht, sie haben die Rache von selbst am Hals, tausendmal schlimmer als wir es ihnen wünschen mögen. Ich will meinen wohlgemeinten Rat geben: Erstens, dass man ihre Synagogen oder Schulen anzünde und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und überschütte, sodass kein Mensch für alle Zeiten weder Stein noch Schlacke davon sehe. (...) Zweitens soll man auch ihre Häuser abbrechen und zerstören, denn sie treiben darin genau das gleiche, wie in ihren Synagogen. Stattdessen mag man sie etwa unter ein Dach oder in einen Stall tun, wie die Zigeuner, damit sie wissen, dass sie nicht Herren in unserem Land sind, wie sie sich derzeit rühmen, (...). Zum dritten möge man ihnen alle ihre Gebetbüchlein und Talmude nehmen, in denen solcher Götzendienst, Lügen, Fluch und Lästerung gelehrt wird. Zum vierten soll man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbieten, weiterhin zu lehren. (...) Zum fünften soll man den Juden das freie Geleit auf den Straßen ganz und gar verwehren und verbieten. Denn sie haben nichts im Land zu suchen, weil sie weder Herren, noch Amtsleute, noch Händler oder dergleichen sind. Sie sollen daheimbleiben. (...) Zum sechsten soll man ihnen wuchern verbieten, was ihnen schon Mose verboten hatte. Da sie nicht in ihrem eigenen Land sind, können sie nicht Herren über ein fremdes sein. Und man nehme ihnen alle Barschaft und Wertsachen wie Silber und Gold und lege es zur Verwahrung beiseite. Luther, Martin (1543): Von den Juden und ihren Lügen (Von den Jüden und iren Lügen). Wittenberg: Hans Lufft; übertragen aus dem Frühneuhochdeutschen v. K.-H. Büchner et al. (Hrsg.): Luthers judenfeindliche Schriften, Band 1. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2016: 247ff |
Wenn ich mer ein Juden tauff, so will ich in auf die Elbpruckh furen, ain stain an hals hengen und hinab stossen et dicere: Ego te baptiso in nomine Abraham, quia non servant fidem. [Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen, ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams.]
Luther, Martin (1532):
Tischrede Nr. 1795. In:
D. Martin Luthers Werke.
Kritische Gesamtausgabe. Tischreden 1531-1546. 2. Band.
Tischreden aus den dreißiger Jahren. Weimar: Hermann Böhlaus
Nachfolger 1913, S. 217 (Nr. 1795); online: Die Übersetzung ist hier u.a. zu finden: Luther, Martin (1543): Von den Juden und ihren Lügen (Von den Jüden und iren Lügen). Wittenberg: Hans Lufft; übertragen aus dem Frühneuhochdeutschen v. K.-H. Büchner et al. (Hrsg.): Luthers judenfeindliche Schriften, Band 1. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2016: 2 |
Unbekannt |
Some days, I feel everything at once. Other days, I feel nothing at all. I don’t know what’s worse: drowning beneath the waves or dying from the thirst. |
Schlußstück Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. Rilke, R. M. (1902): Das dichterische Werk von Rainer Maria Rilke. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins. 3. Aufl. 2015: 515 online: www.lyrik123.de/rainer-maria-rilke-schlussstueck-9933 |
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), |
Der Schauende (Auszug) (...) Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit uns ringt, wie ist das groß; ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen, - wir würden weit und namenlos. Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein. Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein. (...) Rilke, R. M. (1906): Das dichterische Werk von Rainer Maria Rilke. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins. 3. Aufl. 2015: 500 |
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Für eine Freundin (Auszug) (...)
Daß
wir erschraken, da du starbst, nein, daß (...) Anmerkung. Die Freundin ist Paula Modersohn Becker Rilke, R. M. (1908): Das dichterische Werk von Rainer Maria Rilke. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins. 3. Aufl. 2015: 633
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Das Wiedersehen Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: »Sie haben sich gar nicht verändert.« »Oh!« sagte Herr K. und erbleichte.
Brecht, Bertolt
(1950): Geschichten vom Herrn Keuner. Werke Band 5: Prosa. |
Bertolt Brecht oder Bert Brecht (1898-1956),
eigentlich Eugen
Berthold Friedrich Brecht, |
Mühsal der Besten »Woran arbeiten Sie?« wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: »Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.«
Brecht, Bertolt
(1950): Geschichten vom Herrn Keuner. Werke Band 5: Prosa. |
Maßnahmen gegen die Gewalt Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Er blickte sich um und sah hinter sich stehen – die Gewalt. »Was sagtest du?« fragte ihn die Gewalt. »Ich sprach mich für die Gewalt aus«, antwortete Herr Keuner. Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner antwortete: »Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muß länger leben als die Gewalt.« Und Herr Keuner erzählte folgende Geschichte: In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem stand, daß ihm gehören solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte; ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe. Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen, wusch sich, legte sich nieder und fragte mit dem Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: »Wirst du mir dienen?« Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die Fliegen, bewachte seinen Schlaf, und wie an diesem Tage gehorchte er ihm sieben Jahre lang. Aber was immer er für ihn tat, eines zu tun hütete er sich wohl: das war, ein Wort zu sagen. Als nun die sieben Jahre herum waren und der Agent dick geworden war vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der Agent. Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete: »Nein« Brecht, Bertolt (1930): Geschichten vom Herrn Keuner. Text und Kommentar. Berlin: Suhrkamp 2012: 12 |
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926),
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Der Panther Im Jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein. Rilke, Rainer Maria (1902/3) Sämtliche Werke. Herausgegeben vom Rilke-Archiv in Verbindung mit R. Sieber-Rilke, besorgt von E. Zinn, Band 1–6, Wiesbaden und Frankfurt/M.: Insel, 1955–1966: 505 |
Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen., und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich. Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht, und die findigen Tiere merken es schon, daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind in der gedeuteten Welt. Rilke, Rainer Maria (1923): Duineser Elegien (Auszug aus: Die erste Elegie). Sämtliche Werke, Band 1, Frankfurt/.: Insel-Verlag 1955; online: http://gutenberg.spiegel.de/buch/duineser-elegien-829/1 |
Und Schlag auf Schlag! Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen Goethe, J. W. (1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 106, Vers 1699-1702 |
James Rhodes (Jahrgang 1975) beschreibt in seinem Buch sehr drastisch seinen sexuellen Mißbrauch als Kind in der Grundschule und sein Überleben mit Unterstützung der (klassischen) Musik; er tritt bis heute als Pianist auf. Das Zitat (Titel seiner zweiten CD) stammt nach seinen Angaben von Glenn Gould (Quelle rechts: 232); näheres dazu unter Skurriles |
Now Would All Freudians Please Stand Aside. Rhodes, James (2014): Instrumental. A Memoir of Madness, Medication and Music. Edinburgh: Canongate Books. Deutsch: Der Klang der Wut. Wie die Musik mich am Leben hielt. München: Nagel & Kimche: 232 Rhodes, James (2010): now would all freudians please stand aside. Signum Classics: CD mit Werken von Bach, Bach/Busoni, Bach/Marcello, Beethoven und Chopin |
Ich entdeckte, daß es in der Intimität, der Einsamkeit und - alle Freudianer mögen weghören - in der gebärmutterähnlichen Geborgenheit des Studios möglich war, auf eine viel direktere, persönlichere Weise Musik zu machen als in jedem Konzertsaal. Gould, Glenn (Jahr unbekannt* ) zit. nach Bachmann, P. & S. Zweifel, S. (1990): Glenn Gould. Chronik von Leben und Werk. In: du (Thema: Mythos Glenn Gould. Die Wahrheit und andere Lügen), Heft Nr. 4, April 1990: 76 * vermutlich nach 1964, dem Jahr, in dem er sein letztes öffentliches Konzert gab. (10.04.64, Los Angeles) |
Glenn
Gould
(1932-1982) |
Dieser wichtige - wenn auch tendenziell idealisierende Satz - bezieht sich auf das von Freud entwickelte "klassische Milieu"; das beschriebene Benehmen des Analytikers (bzw. Freuds) hat aus der Sicht Winnicotts die Entwicklung der psychoanalytischen Technik überhaupt erst möglich gemacht. Leider wird Winnicotts Satz getrübt - seit bekannt wurde, daß er (als sein ehemaliger Lehranalytiker) Masud R. Khan Patientinnen überwies, im Wissen darum, daß Khan zu Übergriffen neigte! (vgl. Sandler A.-M. (2003): Reaktionen der psychoanalytischen Institutionen auf Grenzverletzungen – Masud Khan und Winnicott. In: Zwettler-Otte S (Hrsg) Entgleisungen in der Psychoanalyse. Vandenhoeck & Ruprecht 2007, Göttingen, S 93–119) Ich habe mich selbst auch bereits zu diesem Fall geäußert: Thorwart, J. (2015): Zur Prävention von Grenzverletzungen in der psychoanalytischen Ausbildung. Forum der Psychoanalyse 31: 35-51 |
Man könnte noch viel mehr sagen, aber das Ganze läuft letzten Endes darauf hinaus, daß der Analytiker sich gut benimmt, und das ohne allzuviel Aufwand, einfach deshalb, weil er ein relativ reifer Mensch ist. Winnicott, Donald C. (1958).: Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse. München: Kindler 1976: 190 |
Eine dritte und letzte Bitte an den Leser muß an dieser Stelle noch ausgesprochen werden, soll die Methode der Aufklärung nicht Unheil bringen: Wenn Sie über sich und andere zu einem besseren Verständnis zu kommen trachen, betreiben Sie Ihre Bemühungen nicht mit der Absicht der Entlarvung, als Spionage. Freud empfahl dem, der mit seinen Erkenntnissen in der Praxis arbeitet, eine wohlwollende Bereitschaft, die Not des Kranken anzunehmen. Hier in dieser Abhandlung geht es nicht um große schmerzliche Selbstoffenbarungen, sondern um winzige Fragmente, blitzhaftes Aufleuchten verborgener Innenwelt. Wer über den Splittern im Auge des Nächsten die Balken im eigenen vergißt, bleibt auch diesmal blind. Und da die Hellhörigkeit für die Fehlleistungen sich schon recht weit ausgebreitet hat, kann er sicher sein, daß er in die für den lieben Nachbarn gedachte Grube fallen wird. Rationale Analyse, das Durchschauen eines Prozesses ist in unserer Zivilisation fast zwanghaft mit machtmehrender Ausbeutung dieses Wissens verknüpft. Wenn jetzt auch das vermehrte Wissen um Doppelläufigkeit der menschlichen Verhaltensweisen, um den Spannungszustand zwischen Bewußtem und Unbewußtem in den Strudel der Machtpolitik gerät, welche die Menschen sich untereinander nicht ersparen können, dann ist die Psychoanalyse ihrerseits am unbeabsichtigten anderen Ende ihrer Verwirklichung angelangt. Es wird ertragen werden müssen. Aber man soll nicht leichtfertig dieser Korruption anheimfallen. Die Psychoanalyse ist aus der spezifischen Not des zeitgenössischen Menschen hervorgegangen. Netze unerhörter neuer Machtansprüche werden über ihn geworfen. Die Not seiner Selbstverborgenheit wächst mit all seinen Fortschritten der Bemächtigung. Man kann dem zynisch gegenüberstehen und mit tiefenpsychologischer Kenntnis auf die Schwächen seiner Mitmenschen zielen. Auch Erkenntnisse haben ihre großen und kleinen Schicksale. Nicht zu vergessen wäre aber, daß die Psychoanalyse eine ärztliche Wissenschaft ist. Nil nocere: niemandem zum Schaden, ist immer das Memento großen Arzttums gewesen. Wer ein Stück teilhat an ärztlichem Wissen, sollte auf den Eid des »nil nocere« schwören. Viele Heilmittel sind Gifte: über die Wirkung entscheidet die Kunst des Wissenden. Wer mit Wohlwollen dem Autor bis in das zuweilen Absurde seiner Kombinatorik folgt, wird diesmal in der schönsten Lage sein, ihn noch durch die Absurdität, die ihm selbst gelegentlich unterläuft, zu übertrumpfen. Wo immer er dem Possenspiel der unbeabsichtigten Sentenzen, seiner Tücke, die Objekte fehlzuleiten begegnet, mag er fortan Freud dankbar sein für die Winke, wie man über sich selbst lachend, staunend Erkenntnis gewinnen kann – statt einen Fluch auszustoßen. Alexander Mitscherlich
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Friedrich
Rückert (1788 - 1866),
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Das sind die Weisen, Die durch Irrtum zur Wahrheit reisen. Die bei dem Irrtum verharren, Das sind die Narren. Rückert, Friedrich (1836): Werke (hrsg. v. Georg Ellinger), Band 1 u. 2, Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut. Band 2: Gedichte (Pantheon/Fünftes Bruchstück. Zahme Xenien/Vierzeilen: Nr. 12 (Seite 48) |
Biermann macht Geschlechtsverkehr mit einer Dame. Es ist Eva-Maria Hagen. Danach fragt er sie, ob sie etwas trinken möchte. Aber die Dame hat Hunger. Danach ist Ruhe im Objekt. Bericht eines Stasi-Spitzels zitiert in: Biermann, Wolf (2016): Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie. Berlin: Ullstein: 288 Robert Gernhardt zitiert in seinem Gedicht "Schamerfüllter Dichter" einen Stasibericht, bei dem es um dieselbe - oder eine zweite (?) - Begegnung geht: SCHAMERFÜLLTER DICHTER Daß der Wolf Daß der Wolf Biermann Daß der wortgewaltige Wolf Biermann All sein Lebtag nichts zu Papier gebracht hat Was sich dem vergleichen ließe, was dieser Spitzel Was dieser gottverlassne Stasi-Spitzel in jener Nacht notierte: "Wolf Biermann führt mit einer Dame Geschlechtsverkehr durch. Später erkundigt er sich, ob sie Hunger hat. Die Dame erklärt, daß sie gern einen Konjak trinken würde. Es ist Eva Hagen. Danach ist Ruhe im Objekt." Daß das nicht schlecht sei Daß das bei Gitt ziemlich gut sei Daß das verdammt noch mal besser sei als s.o. –: Das denkt er, und schämt sich. Gernhardt, R. (1994): Gesammelte Gedichte 1954-2006. Frankfurt/M.: Fischer 4. Aufl. 2014: 384 Anmerkung: Inzwischen habe ich einen Spiegel-Artikel recherchiert, in welchem Wolf Biermann die zweite Version fast identisch wiedergibt (Wolf Biermann: Tiefer als unter die Haut; online: DER SPIEGEL 5/1992: 185). Das Gedächtnis Biermanns scheint offenbar in der Gegenwart eine kleine Umformung vorgenommen zu haben! |
Arthur Koestler, (1905-1983), österreichisch-ungarischer Schriftsteller, der ein Kritiker Freuds und der Psychoanalyse war (und im Spiegel-Beitrag auch - polemisch - Bezug auf ihn nimmt) faßt in diesem Spiegel-Beitrag die Thesen seines in Englisch erschienenen Buchs The Brain Explosion zusammen (nach meiner Recherche heißt das Buch: Janus - A Summing Up, 1978; deutsch: Der Mensch, Irrläufer der Evolution. Eine Anatomie der menschlichen Vernunft und Unvernunft, Bern: Scherz 1978)
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Die tödlichste Waffe des Menschen ist die Sprache. Koestler, Arthur (1978): Der Mensch - ein Irrläufer der Evolution. Über die Unfähigkeit der Menschheit ihre Probleme zu lösen. In: DER SPIEGEL 5/1978: 166 online: DER SPIEGEL 5/1978: 166 |
On ne connut que le Pastor fido du Guarini ces scènes attendrissantes, qui font verser des larmes, qu'on retient par coeur malgré soi; et voilà pourquoi nous disons retenir par coeur; car ce qui touche le coeur se grave dans la mémoire. Man kannte diese rührenden Szenen nur aus Pastor fido von Guarini, die einen Tränen vergießen lassen, die man ohne es zu wollen im Herzen behält; deshalb sprechen wir auch vom Auswendiglernen lernen als "retenir par coeur", etwas mit dem Herzen behalten; denn, was das Herz berührt, gräbt sich in das Gedächtnis ein. (Übersetzung: JT).
Voltaire (1785): Oeuvres complètes de Voltaire.
Band 38, Dictionnaire online: Voltaire - Google Books |
Voltaire
(1694-1778) |
Before you cross the street take my hand. Life is what happens to you while you’re busy making other plans.
Lennon, John
(1950): Text aus dem Song "Beautiful Boy" Auf www.youtube.com ist das Lied "Beautiful boy" zu hören (Textstelle: 2:16). |
John Winston Lennon (1940-80) |
Nikolai Hartmann (1882-1950)
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Ethik lehrt nicht direkt, was hier und jetzt geschehen soll in gegebener Sachlage, sondern allgemein, wie dasjenige beschaffen ist, was überhaupt geschehen soll. (...) Ethik verfährt darin nicht anders als alle Philosophie: sie lehrt nicht fertige Urteile, sondern "Urteilen" selbst. (...) Der Charakter der "praktischen Philosophie" verliert hier alles Aufdringliche. Sie mischt sich nicht in die Konflikte des Lebens, gibt keine Vorschriften, die auf diese gemünzt wären, ist kein Codex von Geboten und Verboten wie das Recht. Sie wendet sich gerade an das Schöpferische im Menschen (...). Nicht die Entmündigung und Einspannung des Menschen in ein Schema ist ihr Ziel, sondern seine Erhebung zur vollen Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit. Hartmann, Nicolai (1926): Ethik. Berlin: de Gruyter: 3f online: www.books.google.de |
George
Santayana (1863-1952) |
Those who cannot remember the past are condemned to repeat it. Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern können, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen. (Übers. JT) Santayana, G. (1832): (1905): The Life of Reason or The Phases of Human Progress. New York: Charles Scribner's Sons: 284. online: https://archive.org |
Wer mit dem Wesen der Neurose vertraut ist, wird nicht erstaunt sein zu hören, daß auch derjenige, der sehr wohl befähigt ist, die Psychoanalyse an anderen auszuüben, sich benehmen kann wie ein anderer Sterblicher und die intensivsten Widerstände zu produzieren imstande ist, sobald er selbst zum Objekte der Psychoanalyse gemacht wird. Man bekommt dann wieder einmal den Eindruck der psychischen Tiefendimension und findet nichts Überraschendes daran, daß die Neurose in psychischen Schichten wurzelt, bis zu denen die analytische Bildung nicht hinabgedrungen ist. Freud, Sigmund (1913c): Zur Einleitung der Behandlung. GW VIII: 458 |
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Die Psychoanalyse bemüht sich, unfähige Weichlinge zu lebenstüchtigen Menschen, Instinktgehemmte zu Instinktsicheren, lebensfremde Phantasten zu Menschen, die den Wirklichkeiten ins Auge zu sehen vermögen, ihren Triebimpulsen Ausgelieferte zu solchen, die ihre Triebe zu beherrschen vermögen, liebesunfähige und egoistische Menschen zu liebes- und opferfähigen, am Ganzen des Lebens Uninteressierte zu Dienern des Ganzen umzuformen. Dadurch leistet sie eine hervorragende Erziehungsarbeit und vermag den gerade jetzt neu herausgestellten Linien einer heroischen, realitätszugewandten, aufbauenden Lebensauffassung wertvoll zu dienen.
Müller-Braunschweig, C.
(1933): Psychoanalyse und Weltanschauung. Reichswart.
Nationalsozialistische Wochenschrift und Organ des Bundes
Völkischer Europäer/Organe de L’Alliance Raciste Européenne,
Anmerkung: Wie weit
die Verirrungen reichen können (siehe oben bei Freud), dafür ist
dieser Textausschnitt Müller-Braunschweig meint wohl jene jüdischen KollegInnen, wenn er schreibt: Leider ist die Psychoanalyse zum Teil dadurch in Mißkredit geraten, daß sie von Personen ausgeübt worden ist, die es nicht für nötig gehalten haben, sich jener umfänglichen Ausbildung und strengen Schulung zu unterziehen, die für eine sachgemäße und gewissenhafte theoretische und praktische Ausübung unbedingte Voraussetzung bildet. (1139) |
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Ich habe meinen Patienten oft erklärt, daß es ideal wäre, wenn Analytiker nur die Rolle eines Führers auf einer schwierigen Bergtour spielen würde, der darauf hinweist, welcher Weg eingeschlagen oder vermieden werden sollte. Um genau zu sein, sollte man hinzufügen, daß der Analytiker ein Führer ist, der sich über den Weg selber nicht allzu sicher ist, weil er zwar Erfahrung im Bergsteigen besitzt, aber diesen speziellen Berg noch nicht erklommen hat. Horney, K. (1942): Self-Analysis. New York: N. N. Norton. Deutsche Ausgabe: Selbstanalyse. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1974: 9 |
Horney, Karen
(1885-1952) |
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775-1854)
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Der Mensch bekommt die Bedingung nie in seine Gewalt, ob er gleich im Bösen danach strebt; sie ist eine ihm nur geliehene, von ihm unabhängige; daher sich seine Persönlichkeit und Selbstheit nie zum vollkommenen Aktus erheben kann. Dies ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient. Daher der Schleier der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens. Freude muß Leid haben, Leid in Freude verklärt werden. (...) Nur in der Persönlichkeit ist Leben; und alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde, der also allerdings auch Grund der Erkenntnis sein muß. Aber nur der Verstand ist es, der das in diesem Grunde verborgene und bloß potentialiter enthaltene herausbildet und zum Aktus erhebt. Schelling, F.,W., J. (1834): E(1834): Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. In: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 3, Leipzig 1907, S. 429ff (Zitate: 495 und 510 online: www.zeno.org |
Illusionen empfehlen sich uns dadurch, daß sie Unlustgefühle ersparen und uns an ihrer Statt Befriedigungen genießen lassen. Wir müssen es dann ohne Klage hinnehmen, daß sie irgend einmal mit einem Stücke der Wirklichkeit zusammenstoßen, an dem sie zerschellen. Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 331 |
Der Fahrgast (einleitender Satz) Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie.
Kafka, F.
(1908): Der Fahrgast. In: Hyperion.
Eine Zweimonatsschrift. online: www.gutenberg.spiegel.de |
Arthur Schnitzler
(1862-1931) |
23. Bereit sein ist viel, warten können ist mehr, doch erst: den rechten Augenblick nützen ist alles. Schnitzler, A. (1927): Buch der Sprüche und Bedenken. Wien: Phaidon-Verlag: 227 |
Patients who test our patience Kottler, Jeffrey A. (1986): On being a therapist. San Francisco: Jossey-Bass: 141 online: books.google.de |
Wir haben damit eine andere Methode der klinischen Darstellung angewandt, als sie bisher meist herrschte. Wir sind gewohnt, bei der Betrachtung eines Krankheitsbildes möglichst auf eine klare, abgegrenzte, einheitliche Diagnose hinzustreben. Wir erreichen dies, indem wir einzelne dominierende Züge im klinischen Bild als wesentlich herausheben, aus diesen die Bezeichnung für das Ganze schöpfen während wir nun von allem, was übrigbleibt, abstrahieren, es retuschieren und abdunkeln und als scheinbar und unwesentlich aus unserem Blickfeld hinausschieben. Der Wert dieser Methode für den praktischen Gebrauch soll nicht unterschätzt werden. Wir erreichen dadurch faßliche, darstellbare Krankheitseinheiten, wir ziehen die scharfen Grenzen, die wir haben wollen. Aber wir erreichen sie durch die ätiologische und symptomatische Verstümmelung der lebendigen Bilder. Was wir an Systematik gewinnen, das verlieren wir an Verständnis.
Kretschmer, E. (1919): Über psychogene Wahnbildung
bei traumatischer Hirnschwäche. Online: books.google.de |
Ernst Kretschmer (1888 - 1964) deutscher Psychiater, der eine heute eher unwissenschaftlich wirkende Konstitutionstypologie entwarf. Er wurde 1929 für den Nobelpreis (Physiologie oder Medizin) nominiert; seine Geschichte als Ordinarius in Marburg (1926-1946) ist eng mit dem Nationalsozialismus verbunden |
Meine Ausführungen wollen vor allem dem gegenüber herausstellen, daß jenseits von Gegenübertragung im nur technischen Sinne, sowie jenseits der durch die eigene Lehranalyse erreichten Lösung eigener Problematik jeder Mensch - auch der bestanalysierte Analytiker - Struktureigentümlichkeiten aufweist, die nicht wegzuanalysieren sind, auch wenn jemand noch so »durchanalysiert« wird. Wir haben eine Eigenstruktur, die zu uns gehört, eine »persönliche Gleichung«, einen individuellen »Faktor X«, den wegzuleugnen einer Verdrängung gleichkäme. Riemann, F. (1964): Die Struktur des Analytikers und ihr Einfluß auf den Behandlungsverlauf. In: F. Riemann (1974): Grundformen helfender Partnerschaft. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta, 121-145 (hier: 122) |
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14. Anfangs wollt' ich fast verzagen, Und ich glaubt', ich trüg' es nie; Und ich hab' es doch getragen, – Aber frag[t] mich nur nicht: wie? Heine, H. (1822): Buch der Lieder, Nr. 14, Sämmtliche Werke. 15. Band: Dichtungen, Erster Theil. Hamburg: Hoffman und Campe 1865 (hier: 61) Online: books.google.de |
Elend. Land ohne Band, neues Land, ohne Hauch der Erinnerung, mit dem Rauch von fremdem Herd. Zügellos! wo mich trug keiner Mutter Schoß Klee, P. (1914): Tagebücher 1898-1918 (hrsg. v. F. Klee). Stuttgart: Europäischer Buchklub 1964: 319, Eintrag 934 |
Klee, Paul
(1879-1940) |
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In hellen Momenten überblicke ich nun zuweilen zwölf Jahre Geschichte des eigenen inneren Ichs. Das krampfige Ich zuerst, jenes Ich mit großen Scheuklappen, dann der Wegfall der Scheuklappen und des Ichs, jetzt allmählich wieder ein Ich ohne Scheuklappen. Gut, daß man das alles nicht vorauswußte. Klee, P. (1911): Tagebücher 1898-1918 (hrsg. v. F. Klee). Stuttgart: Europäischer Buchklub 1964: 270, Eintrag 899 |
Christian Morgenstern (1881-1914) deutscher Dichter, Schriftsteller und Übersetzer.
An den
Galgenliedern arbeitete Morgenstern |
Das Butterbrotpapier Ein Butterbrotpapier im Wald, – da es beschneit wird, fühlt sich kalt ... In seiner Angst, wiewohl es nie an Denken vorher irgendwie gedacht, natürlich, als ein Ding aus Lumpen usw., fing, aus Angst, so sagte ich, fing an zu denken, fing, hob an, begann zu denken, denkt euch, was das heißt, bekam (aus Angst, so sagt' ich) Geist, und zwar, versteht sich, nicht bloß so vom Himmel droben irgendwo, vielmehr infolge einer ganz exakt entstandnen Hirnsubstanz – die aus Holz, Eiweiß, Mehl und Schmer, (durch Angst), mit Überspringung der sonst üblichen Weltalter, an ihm Boden und Gefäß gewann – [(mit Überspringung) in und an ihm Boden und Gefäß gewann.] Mithilfe dieser Hilfe nun entschloß sich das Papier zum Tun, – zum Leben, zum – gleichviel, es fing zu gehn an – wie ein Schmetterling ... zu kriechen erst, zu fliegen drauf, bis übers Unterholz hinauf, dann über die Chaussee und quer und kreuz und links und hin und her – wie eben solch ein Tier zur Welt (je nach dem Wind) (und sonst) sich stellt. Doch, Freunde! werdet bleich gleich mir! – : Ein Vogel, dick und ganz voll Gier, erblickt's (wir sind im Januar ...) – und schickt sich an, mit Haut und Haar – und schickt sich an, mit Haar und Haut – (wer mag da endigen!) (mir graut) – (Bedenkt, was alles nötig war!) – und schickt sich an, mit Haut und Haar – – Ein Butterbrotpapier im Wald gewinnt – aus Angst – Naturgestalt ... Genug!! Der wilde Specht verschluckt das unersetzliche Produkt ... Morgenstern, C. (1909): Sämtliche Gedichte. Band 3. Sonderausgabe zum 100. Todestag nach der Stuttgarter Ausgabe (hg. v. M. Kießig). Stuttgart: Urachhaus 2013: 136f |
GLÜCK ist wie Blütenduft, der dir vorüberfliegt ... Du ahnest dunkel Ungeheures, dem keine Worte dienen – schließest die Augen, wirfst das Haupt zurück – – und, ach! vorüber ist's.
Morgenstern, C.
(1901): Sämtliche Gedichte. Band 1. Sonderausgabe
zum 100. Todestag nach der Stuttgarter |
Frage Oh Menschenherz, was ist Dein Glück? Ein rätselhaft geborener Und kaum gegrüßt, verlorener Unwiederholter Augenblick! Lenau, N. (1902): Sämtliche Werke (hg. von O. F. Gensichen). Nikosia/Cyprus: Verone 2017: 54 online: books.google.de |
Nikolaus Lenau (1802-1850) eigentlich Nikolaus Franz Niembsch (seit 1820) Edler von Strehlenau, österreichischer, spätromantischer Schriftsteller |
It falls to each of us to be those those anxious, jealous guardians of our democracy; to embrace the joyous task we’ve been given to continually try to improve this great nation of ours. Because for all our outward differences, we, in fact, all share the same proud title, the most important office in a democracy: Citizen. (Applause.) Citizen.
Obama,
Barack
(2015):
Abschiedsrede
in Chicago am 10.01.2017 Online: Rede des Präsidenten auf youtube
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Jedem von uns fällt die Aufgabe zu, besorgte, eifersüchtige Hüter unserer Demokratie zu sein; die uns übertragene, schöne Aufgabe anzunehmen, kontinuierlich weiter zu versuchen, unsere großartige Nation zu verbessern. Denn trotz aller äußerlichen Unterschiede teilen wir doch tatsächlich alle den gleichen stolzen Titel, das wichtigste Amt in einer Demokratie: Bürger (Applaus) Bürger. (Übersetzung: JT) |
Marcus Tullius Cicero
(106 – 43 v. Chr.), |
Nescire quid ante quam natus sis acciderit, id est semper esse puerum. Nicht zu wissen, was vor deiner Geburt geschehen ist, heißt immer ein Knabe [Kind] bleiben. Cicero, M. T. (46 v. Christus): Orator, § 120 |
Stefan Zweig (1881-1942): deutscher Schriftsteller; 1942 nahm er sich im brasilianischen Exil, zusammen mit seiner zweiten Frau das Leben. Bei dem nebenstehenden Zitat handelt es sich um den letzten Satz des umfangreichen Buches.
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Aber jeder Schatten ist im Letzten doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt. Zweig, S. (1942): Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Köln: Anaconda 2013: 574 |
Der Narr glaubt weise zu sein, aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist. The fool doth think he is wise, but the wise man knows himself to be a fool.
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William Shakespear (1564-1616) Wie es euch gefällt: 5. Akt, 1. Szene (Touchstone) Deutsche Übersetzung: JT (auch unten) |
Wo Worte rar sind, haben sie Gewicht. Where words are scarse, they are seldome spent in vaine. |
William Shakespear (1564-1616) Richard II: 2. Akt, 1. Szene (Gaunt) |
An sich ist nichts weder gut noch schlecht, erst das Denken macht es dazu. (...) for there is nothing either good or bad, but thinking makes it so |
William Shakespear (1564-1616) Hamlet: 2. Akt, 2. Szene (Hamlet) |
Footballer's Wife Oh, Mr James Dean, er gehörte nirgends dazu Oh er ging bevor sie ihn kriegen konnten Auf ihre Art, ihre boshafte Art Oh Marylin Monroe, wo bis Du hingegangen? Ich habe nicht alle Deine Geschichten gehört Ich habe nicht all Deinen Ruhm gesehen
Aber die Frau des Fußballers
erzählt ihre Probleme und Streit Wer ist sie, so zu tun Als wäre sie eine von ihnen? Ich glaube nicht Und das Mädchen aus dieser Show Ja, die eine, die wir alle kennen Sie denkt sie ist eine Art Star Ja, du weißt, wer du bist Ich denke nicht, ich denke nicht Oh, Ginger Rogers, Fred Astaire Würdet ihr für mich tanzen, denn es ist mir egal Was heutzutage vor sich geht Ich denke es gibt noch etwas anderes, etwas anderes Und ich bin vom Winde verweht, so wie sie zuvor Aber ich ich selbst glaube, ich denke da gibt es noch mehr Es muss noch mehr geben Ich denke, da ist noch mehr, noch mehr Aber die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit Letztlich ist es mir egal Wer ist sie, so zu tun Als wäre sie eine von ihnen? Ich glaube nicht Und das Mädchen aus dieser Show Ja, die eine, die wir alle kennen Sie denkt sie ist eine Art Star Ja, du weißt, wer du bist Ich denke nicht, ich denke nicht Oh, ich glaube nicht an die Geschichten, die du erzählst Dein Leben ist nur von etwas Uninteressantem bestimmt es fällt mir nicht ins Auge Es fällt mir nicht ins Auge Ich glaube nicht an Deinen verkauften Ruhm bevor du dieses Leben verlässt Gibt es noch so viel mehr zu sehen Ich denke nicht, dass die Welt so sein sollte Aber die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit Letztlich ist es mir egal Wer ist sie, so zu tun Als wäre sie eine von ihnen? Ich glaube nicht Und das Mädchen aus dieser Show Ja, die eine, die wir alle kennen Sie denkt sie ist eine Art Star Ja, du weißt, wer du bist Ich denke nicht, ich denke nicht Die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit Letztlich ist es mir egal Wer ist sie, so zu tun Als wäre sie eine von ihnen? (Übersetzung: JT) |
Footballer's Wife Oh, Mr James Dean, he don't belong to anything Oh he left before they could get him With their ways, their wicked ways Oh Marilyn Monroe, where did you go? I didn't hear all your stories I didn't see all your glory But the footballer's wife tells her troubles and strife I just don't care in the end Who is she to pretend That she's one of them? I don't think so And the girl from that show Yes the one we all know She thinks she's some kinda star Yes you know who you are I don't think so, I don't think so Oh Ginger Rogers, Fred Astaire Won't you dance for me cos I just don't care What's going on today I think there's something more, something more And I'm gone with the wind like they were before But I'm believing myself I think there's something more There must be something more I think there's something more, something more But still the footballer's wife tells her troubles and strife I just don't care in the end Who is she to pretend That she's one of them? I don't think so And the girl from that show Yes the one we all know She thinks she's some kinda star Yes you know who you are I don't think so, I don't think so Oh I don't believe in the telling of your stories Throughout your life, there's just something unappealing it don't catch my eye It don't catch my eye Oh I don't believe in the selling of your glories before you leave this life There's so much more to see I don't believe this is how the world should be But still the footballer's wife tells her troubles and strife I just don't care in the end Who is she to pretend That she's one of them? I don't think so And the girl from that show Yes the one we all know She thinks she's some kinda star Yes you know who you are I don't think so, I don't think so The footballer's wife tells her troubles and strife I just don't care in the end Who is she to pretend That she's one of them? Amy MacDonald (2007): This is the Life (CD - Melodramatic Records) Track 10 Im Internet ist derzeit (9/3017) die CD-Fassung von Footballer's Wife zu hören (www.youtube.com/watch?v=A9uxLuav2kE) - auch ganze Konzerte stehen kan man sich auscheuen und -hören. Auch der Kauf der CD "This is the Life" lohnt sich! |
Václav Havel
(1936 – 2011), |
Naděje prostě není optimismus. Není to přesvědčení, že něco dobře dopadne, ale jistota, že má něco smysl – bez ohledu na to, jak to dopadne. Hoffnung ist einfach nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Havel, V. (1985/6) Das Zitat stammt aus Karel Hvížďala (1990) "Fernverhör. Ein Gespräch mit Karel Hvízd'ala", einem Ferninterview, das dieser mit Havel in den Jahren 1985 und 1986 führte. Die tschechische Originalfassung des Zitats findet sich in Václav Havel – Rozhovory s Karlem Hvížďalou (2011: 145). Das Interview (Dálkový výslech) ist auch in Band 4 der achtbändigen Buchreihe Havels gesammelter Werke Spisy enthalten (889). Ich danke M. Bermeiser für die Angabe der Quelle. Er hat sich in seinem Buch "Václav Havels Reden: Aspekte einer holistischen Rhetorik" (2017, ibidem) intensiv mit der beeindruckenden Rhetorik der präsidialen Reden Havels beschäftigt. |
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), |
TODES-ERFAHRUNG Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund, Bewunderung und Liebe oder Haß dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund tragischer Klage wunderlich entstellt. Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen, spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt. Doch als du gingst, da brach in diese Bühne ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne, wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald. Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes hersagend und Gebärden dann und wann aufhebend; aber dein von uns entferntes, aus unserm Stück entrücktes Dasein kann uns manchmal überkommen, wie ein Wissen von jener Wirklichkeit sich niedersenkend, so daß wir eine Weile hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend. Rilke, R. M. (24.01.1907, Capri): Gesammelte Gedichte. o.O.: Insel-Verlag 1962: 274 (geschrieben zum Gedächtnis der am 24.01.1906 verstorbenen Gräfin Luise Schwerin) online: ProjektGutenberg.de |
Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende. Freud, S. (1920g): Jenseits des Lustprinzips. GW XIII: 40) |
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τὸ φρικωδέστατον οὖν τῶν κακῶν ὁ θάνατος οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς͵
ἐπειδήπερ ὅτανμὲν ἡμεῖς
Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn
solange wir existieren, Epikur von Samos (341 v.Chr - 270 v.Chr.): Brief an Menoikeus |
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Alles in der Welt läßt sich ertragen, Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.
Goethe, J. W. von (1827):
Sämtliche Gedichte, Zweiter Teil. |
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Goethe mahnt sogar:
"Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 434, Fußnote 1 |
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Sinn kann nicht gegeben, sondern muß gefunden werden. Frankl, V. E. (1970): Der Wille zum Sinn. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. München: Piper. Erweiterte Neuausgabe, 2. Aufl. 1994: 9-36 (27) |
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Wo chiemte mer hi? Wo chiemte mer hi wenn alli seite wo chiemte mer hi und niemer giengti für einisch z'luege wohi dass me chiem we me gieng Marti, K. (1967): Rosa Loui, vierzg gedicht ir bärner umgangssprach. Neuwied: Luchterhand 1967: 22 |
Wo kämen wir hin? Wo kämen wir hin, wenn alle sagten wo kämen wir hin und niemand ginge um einmal zu schauen wohin man käme wenn wir gingen
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Und der Mensch steht dann da als ein Wesen, das aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht - aus dem Nichts geboren, ins Sein »geworfen«, vom Nichts bedroht. Wahrlich, ein adeliges Wesen ist der Mensch in diesem Aspekt: ein »von und zu« - von Nichts zu Nichts. Frankl, V. E. (1947): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 47) Anmerkung: Frankl ist nicht der Auffassung der Existenzphilosophie, wie sie in seinem Zitat zum Ausdruck kommt. Die Logotherapie bzw. die Existenzanalyse geht vielmehr davon aus, daß die Zukunft Nichts ist, die Vergangenheit jedoch die eigentliche Wirklichkeit. Die Gegenwart ist die Grenzfläche zwischen dem Nichts und dem Sein (gleichzeitig als Ewigkeit zu verstehen). |
Viktor E. Frankl (1905-1997), |
Der lebende Mensch hat Vergangenheit und hat Zukunft; der Sterbende hat keine Zukunft mehr, sondern nur mehr Vergangenheit; der Tote aber ist seine Vergangenheit. Frankl, V. E. (1947): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 55; Anm. 6) |
Im Tode hat der Mensch zwar kein Leben, aber dafür ist er es. Und daß es das gewesene Leben »ist«, das er nunmehr ist, das kann uns nun nicht mehr stören; wissen wir doch, daß das Gewesensein die sicherste Form von Sein überhaupt ist. Frankl, V. E. (1947): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 55) |
Toleranz besteht nicht darin, daß man die Ansicht eines anderen teilt, sondern nur darin, daß man dem anderen das Recht einräumt, überhaupt anderer Ansicht zu sein. Andererseits wird Toleranz aber auch dann mißverstanden, wenn man so weit geht, daß man dem anderen auch noch das Recht zugesteht, selber und seinerseits – intolerant zu sein. Frankl, V. E. (1947)): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 80 - Anmerkung zu Seite 79) |
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273. Wen nennst Du schlecht? Den, der immer beschämen will. 274. Was ist Dir das Menschlichste? Jemandem Scham ersparen. 275. Was ist das Sigel der erreichten Freiheit? Sich nicht mehr vor sich selber schämen. Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Fröhliche Wissenschaft (1887); www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/FW-273 |
John Keats (1795 - 1821), englischer Dichter
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I had not a dispute but a disquisition with Dilke, on various subjects; several things dovetailed in my mind, & at once it struck me, what quality went to form a Man of Achievement especially in literature & which Shakespeare possessed so enormously - I mean Negative Capability, that is when man is capable of being in uncertainties, mysteries, doubts without any irritable reaching after fact & reason. Ich hatte kein Streitgespräch mit Dilke, sondern einen Diskurs über verschiedene Themen; mehrere Dinge fügten sich in meinen Gedanken zusammen, & mit einem Mal fiel mir auf, welche Qualität einen Mann großer Taten besonders in der Literatur ausmacht, die Shakespeare in so ernormen Maße besaß – ich meine eine negative Fähigkeit, das heißt, wenn ein Mensch fähig ist, sich im Zustand von Unsicherheiten, Geheimnissen und Zweifel zu befinden, ohne jeden nervösen Griff nach Tatsachen & Vernunft. (Übersetzung JT) Keats, J. (1817): Brief an George und Thomas Keats v. 21.12.1817. In: The Complete Poetical Works of John Keats (ed. by H. E. Scudder). Boston: Riverside Press, 1899: 277; deutsch: Werke und Briefe. Stuttgart: Reclam 1995: 334 Anmerkung: Der britische Psychoanalytiker Wilfred R. Bion (1897-1979) hat diese Aussage von Keats in sein hochdifferenziertes und (beabsichtigt) abstraktes Werk aufgenommen (Aufmerksamkeit und Deutung 2006: 143). Obwohl er den Begriff kaum selbst erwähnt, ist es aus seiner Sicht gerade für den Psychoanalytiker eminent wichtig, Zweifel und Unsicherheit aushalten zu können (dazu unten mehr). Das für Bion wichtigste erkenntnistheoretische Prinzip (Mertens 2018, S. 251) verbindet sich mit seiner Erkenntnis 'no memory, no desire, no understanding' und den von ihm als "selected facts" bezeichneten Deutungseinfällen (ebd. 231ff). Mertens, W. (2018): Psychoanalytische Schulen im Gespräch über die Konzepte Wilfred R. Bions. Gießen: Psychosozial-Verlag |
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The practising analyst must get hardened to mental breakdowns and become reconciled to the feeling of continuously breaking down; that is the price which we have to pay for growth. We cannot fall back on the idea of being cured, because that is an old-fashioned and inappropriate term. We have to be reconciled to the feeling that we are on the verge of a breakdown, or some kind of mental disaster; we have to have a certain toughness to stand this continuing experience of mental growth (...) – like living in the middle of a mental breakdown, without being clear wether one is breaking up or breaking down. Der praktizierende Analytiker muss abgehärtet sein gegen mentale Einbrüche und sich mit dem Gefühl eines ständigen Zusammenbrechens aussöhnen; das ist der Preis, den wir für Wachstum zu zahlen haben. Wir können uns nicht auf die Vorstellung zurückziehen, geheilt zu sein, denn das ist ein altmodischer und unangemessener Begriff. Wir müssen uns mit dem Gefühl anfreunden, dass wir am Rande eines Zusammenbruchs oder einer Art von mentaler Katastrophe stehen; wir müssen über eine gewisse Robustheit verfügen, um diese kontinuierliche Erfahrung von mentalem Wachstum auszuhalten (...) – als würden wir inmitten eines mentalen Zusammenbruchs leben, ohne uns klar darüber zu sein, ob es ein Ein- oder ein Durchbruch ist. (Übersetzung JT) Bion, W. R. (1990): 1973 São Paulo. 1974 Rio de Janeiro/São Paulo: London: Karnac: 203f |
Wir sehen mit Schrecken die Gefühle der moralischen Überlegenheit: Wer sich der Gefahr gegenüber absolut sicher fühlt, ist schon auf dem Wege, ihr zu verfallen. Deutschlands Schicksal wäre eine Erfahrung für alle.
Jaspers, K.
(1946) Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung
Deutschlands. |
Karl Jaspers (1883-1969) |
Es handelt sich hier um ein Bilderbuch über die Begegnung der Ente mit dem Tod; für Kinder ist es nur insoweit geeignet als jemand an ihrer Seite ist, der mit ihnen über ihre Gedanken und Gefühle spricht oder sie einfach auch (nur) tröstet und festhält! |
Lange schaute er ihr nach. Als er sie aus den Augen verlor, war der Tod fast ein wenig betrübt. Aber so war das Leben. Erlbruch, W. (2010): Ente, Tod und Tulpe. München: Antje Kunstmann (ohne Seitenangaben) |
Gleiches (wie oben bei Ente, Tod und Tulpe) gilt für Andersens Märchen. Es handelt von Leben und Tod, von der Ungeduld groß (erwachsen) zu werden, der Neugier auf das Leben, der (verleugneten) Angst vor den Entwicklungsaufgaben, von Trennungen, narzißtischer Aufwertung und Kränkung - und einem unerfüllt gebliebenen Leben und Sterben. Hans Christian Andersen (1805-1875) |
»Vorbei! vorbei!« sagte der alte Baum. »Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! vorbei!« (...) Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen; nun war der vorbei, und mit dem Baume war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei - und so geht es mit allen Geschichten! Andersen, H. C. (1844): Der Tannenbaum. In: Sämmtliche Märchen Leipzig: Verlag von Johann Friedrich Hartknoch 1862 online: gutenberg.spiegel.de |
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51. Das sind die Weisen, Die durch Irrthum zur Wahrheit reisen, Die bei dem Irrthum verharren, Das sind die Narren. Rückert, F. (1836): Gesammelte Gedichte, Zweiter Band. Erlangen: Verlag Carl Hender, 408; books.google.de |
Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten. (...) un homme est toujours la proie de ses vérités. Camus, A. (1942): Der Mythos von Sisyphos. (Deutsch von Hans Georg Brenner und Wolfdietrich Rasch). Düsseldorf: Karl Rauch Verlag 1960: 46 (Original: Le Mythe de Sisyphe, Paris: Gallimard 1942) |
Albert
Camus (1913-1960) |
Vater und Sohn Es ist nicht Zeit 'was zu verändern Spann' aus, nimm's leicht Du bist noch jung, das ist dein Problem Du mußt noch so viel lernen Find' ein Mädel, werde sesshaft Wenn Du Lust hast, kannst Du heiraten Sieh mich an ich bin alt, aber ich bin glücklich. Früher war ich wie du jetzt bist Und ich weiß, daß es nicht leicht ist Ruhig zu bleiben, wenn Du herausgefunden hast Daß etwas vor sich geht Aber nimm Dir Deine Zeit, denk' viel nach Aber denk an alles, was du hast Denn morgen wirst Du auch noch da sein Deine Träume vielleicht aber nicht Wie soll ich das nur erklären? Denn, wenn ich tue, wendet er sich wieder ab Es ist immer dieselbe Dieselbe alte Geschichte Von dem Moment an, als ich sprechen konnte Wurde mir befohlen zuhören Jetzt sehe ich einen Weg und ich weiß, Daß es an der Zeit ist, weg zu gehen Ich weiß, es ist Zeit zu gehen Es ist nicht Zeit 'was zu verändern Setz Dich hin, mach' langsam Du bist noch jung, das ist dein Problem Du musst noch so viel durchmachen Find' ein Mädel, werde sesshaft Wenn Du Lust hast, kannst Du heiraten Sieh mich an ich bin alt, aber ich bin glücklich. All die Zeiten, in denen ich ich geweint habe, und all die Dinge, von denen ich wußte, für mich behalten habe Es ist schwierig Aber es ist schwieriger es zu ignorieren Wenn sie Recht hätten, würde ich ihnen zustimmen, Aber sie kennen sich, nicht mich. Jetzt sehe ich einen Weg und ich weiß, Daß es an der Zeit ist, weg zu gehen Ich weiß, es ist Zeit zu gehen (Übersetzung: JT) |
Father and son It's not time to make a change Just relax, take it easy You're still young, that's your fault There's so much you have to know Find a girl, settle down If you want, you can marry Look at me I am old, but I'm happy I was once like you are now And I know that it's not easy To be calm when you've found Something going on But take your time, think a lot Why, think of everything you've got For you will still be here tomorrow But your dreams may not How can I try to explain? 'Cause when I do, he turns away again It's always been the same Same old story From the moment I could talk I was ordered to listen Now there's a way, and I know That I have to go away I know I have to go It's not time to make a change Just sit down, take it slowly You're still young, that's your fault There's so much you have to go through Find a girl, settle down If you want, you can marry Look at me I am old, but I'm happy All the times that I've cried Keeping all the things I knew inside It's hard But it's harder to ignore it If they were right, I'd agree But it's them they know, not me Now there's a way, and I know That I have to go away I know I have to go Cat Stevens - Yussuf Islam (1970): Tea for The Tillerman Im Internet sind verschiedene Versionen zu hören und sehen (youtube). |
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Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen. Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 253 |
Theodor W. Adorno |
Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren. Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 255 |
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Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen. Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 67 |
Anmerkung: Dieses berühmt gewordene Zitat zeigt, wie problematisch es sein kann, einen Satz aus seinem Zusammenhang zu reißen. Denn liest man den dazugehörigen Text (ein Aphorismus mit dem Titel: "Asyl für Obdachlose") ist nicht einfach zu erschließen, was der abschließende Satz bedeutet: Adorno beschreibt die Schwierigkeit sich unter den (Wohn-) Bedingungen der Verhältnisse (Kapitalismus/Konsumismus, Nationalsozialismus und Sozialismus) einzurichten. Obwohl es eine 'richtige' Lösung nicht gibt, zielt die Conclusio darauf ab, sich mit den Widersprüchen (z. B. Privateigentum, Nichtachtung von Dingen und Menschen) auseinanderzusetzen und sich zu fragen, wie man sich unter schwierigen Bedingungen am besten verhalten kann. |
Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 67 Die Minima Moralia entstanden zwischen 1944 und 1947 im kalifornischen Exil. |
The Present Moments that interest us most are those that arise when two people make a special kind of mental contact – namely, an intersub-jective contact. This involves the mutual interpenetration of minds that permits us to say, "I know that you know that I know" or "I feel that you feel that I feel." There is a reading of the contents of the other's mind. Such reading can be mutual. Two people see and feel roughly the same mental landscape for a moment at least. These meetings are what psychotherapy is largely about. They also provide the happenings that change our lives and become the memories that compose the story of our intimate relationships. Stern, D. N. (2004): The Present Moment in Psycho-therapy and Everyday Life. New York: W. W. Norton: 75 |
Die Gegenwartsmomente, die uns am meisten interessieren, sind jene, die entstehen, wenn zwei Menschen eine spezielle Form des mentalen Kontakt herstellen und zwar einen intersubjektiven Kontakt. Das schließt die gegenseitige Durchdringen der Psychen ein, die es uns erlaubt zu sagen: "Ich weiß, dass du weißt, daß ich weiß" oder "Ich fühle, daß du fühlst, daß ich fühle." Es gibt ein Lesen des Inhalts in der Seele des anderen. Dieses Lesen kann gegenseitig sein. Zwei Menschen sehen und fühlen fast dieselbe seelische Landkarte, zumindest für einen Moment. Diese Begegnungen sind das, worum es in der Psychotherapie hautsächlich geht. Sie stellen auch Erlebnisse dar, die unser Leben verändern und werden zu Erinnerungen, welche die Geschichte unserer intimen Beziehungen ausmachen. (Übersetzung: JT) |
Is this the real life? Is this just fantasy? Caught in a landslide No escape from reality Mercury, F. (1975):Text zu Bohemian Rhapsody; veröffentlich von Queen auf der LP - A Night at the Opera; vorherige Auskoppelung als Single youtube.de: Queen - Bohemian Rhapsody (Official Video) |
Ist das das richtige Leben? Ist das nur Fantasie? Gefangen in einer Erdlawine Keine Flucht aus der Realität Nach Angaben von Freddie Mercury hat er den langen Text von Bohemian Rhapsody als sich zufällig reimenden Unsinn bezeichnet. (wikipedia.org). |
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Übrigens aber ist der Mensch ein dunkles Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht, er weiß wenig von der Welt und am wenigsten von sich selber. Ich kenne mich auch nicht, und Gott soll mich auch davor behüten. Goethe, J. W. von (1929): Gespräche. Mit Johann Peter Eckermann, 10. April 1829. Aus: Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann (Band 1–10, Leipzig 1889–1896), Band 7: 78 (1198) |
Gäbe es nicht eine Mitwelt, die unsere Schuld vergibt, wie wir unseren Schuldigern vergeben, könnten auch wir uns kein Vergehen und keine Verfehlung verzeihen, weil uns, eingeschlossen in uns selber, die Person mangeln würde, die mehr ist als das Unrecht, das sie beging. Arend, H. (1958): Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper: Stuttgart 12. Aufl. 2001: 210f |
Hannah
Arend (1906-1975) |
Faust: (…) Der Gott, der mir im Busen wohnt, kann tief mein Innerstes erregen; Der über allen meinen Kräften thront, Er kann nach außen nichts bewegen; Und so ist mir das Dasein eine Last, Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt. Mephistopheles: Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast. Goethe, J. W. (1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 99, Vers 1566-1572 |
Johann Wolfgang von Goethe (28. August 1749 in Frankfurt/M. † 22. März 1832 in Weimar) Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz in Weimar (eigene Aufnahme) |
Mephistopheles: (...) Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden. Goethe, J. W. (1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 122, Vers 1985 |
Zusammenhang: Der Schüler, der mit M. spricht, ist unsicher, was er studieren soll. Von Rechtsgelehrsamkeit hält M. nicht viel, worauf der Schüler auf die Idee kommen, dann also Theologie zu studieren. Daraufhin M. Was diese Wissenschaft betrifft, Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden, Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, (...) |
Emmanuel
Lévinas |
Das Ich ist in ausgezeichneter Weise Einsamkeit. Il [le moi] est solitude par excellence. Lévinas, E. (1961): Totalität und Endlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber Studienausgabe 4. Auflage/3. Auflage der Studienausgabe 2008: 165; Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. Leiden/Niederlande: Martinus Nijhoff 1980: 90 |
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Die Sexualität ist in uns weder Wissen noch Können, sondern die eigentliche Pluralität unserer Existenz. La sexualité n'est en nous ni savoir, ni pouvoir, mais la pluralité même de notre exister. Lévinas, E. (1961): Totalität und Endlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber Studienausgabe 4. Auflage/3. Auflage der Studienausgabe 2008: 405; Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. Leiden/Niederlande: Martinus Nijhoff 1980: 254 |
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Nach Auschwitz darf man alles bestreiten, alles betrachten als sinnlos, weil keine Antwort auf dieses Leiden kommt oder dieses Leiden ihren guten Sinn hat ohne Antwort. Eine gewisse craint, eine gewisse Vorsichtigkeit gegenüber dem Begriff des Glücks, um das Menschliche als Menschliches zu betrachten und weiter betrachten zu können, ist wahrscheinlich der Grund dieser Vorsicht gegenüber den Begriffen des Glücks. Lévinas, E. (1989): Interview mit Christoph von Wolzogen in deutscher Sprache in der Pariser Wohnung von Lévinas, der Grundlage eines Films des WDR "Liebesweisheit - Emmanuel Levinas, Denker des Anderen" ist (Henning Burk und Christoph von Wolzogen 1990); Auszüge aus dem Interview: www.denkberatung.de; Link zum Film: "Liebesweisheit - Emmanuel Levinas, Denker des Anderen": www.youtube.de |
Jeder Mensch erfindet sich eine Geschichte, die er dann oft unter gewaltigen Opfern, für sein Leben hält, oder eine Reihe von Geschichten, die sich mit Ortsnamen und Daten durchaus belegen lassen so daß an ihrer Wirklichkeit nicht zu zweifeln ist. Nur der Schriftsteller glaubt nicht daran. Das ist der Unterschied. Indem ich weiß, daß jede Geschichte, wie sehr sie sich auch belegen läßt mit Fakten, meine Erfindung ist, bin ich Schriftsteller.
Frisch, M.
(1960):
Unsere Gier nach Geschichten. Gesammelte Werke in zeitlicher
Folge, |
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Jede Geschichte ist eine Erfindung (...), jedes Ich, das sich ausspricht, ist eine Rolle –. (...) Unsere Gier nach Geschichten (...) – vielleicht sind's zwei oder drei Erfahrungen, was einer hat (...), zwei oder drei Erfahrungen, wenn's hochkommt, das ist's, was einer hat, wenn er von sich erzählt, überhaupt, wenn er erzählt: Erlebnismuster – aber keine Geschichte (...), keine Geschichte. (...) Man kann sich selbst nicht sehen, das ist's, Geschichten gibt es nur von außen (...), daher unsere Gier nach Geschichten! Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält (...) oder eine ganze Reihe von Geschichten (...).
Frisch, M.
(1964): Mein Name sei Gantenbein.
Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, |
Rede von Gantenbein |
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Alles, was man beweisen kann, kann man auch bestreiten. Unbestreitbar ist nur das Unbeweisbare. Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 122; online: www.digizeitschriften.de |
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Das in sich inadäquate, verirrte, rastlose Wesen ist der Mensch; als Vernunftwesen hat er zuviel Natur, als Naturwesen zuviel Vernunft – was soll da herauskommen? Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 127; online: www.digizeitschriften.de |
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Die menschliche Seele ist der größte kosmische Versuch mit untauglichen Mitteln. Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 127; online: www.digizeitschriften.de |
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Das Entscheidende und Bezeichnende des Menschen ist, wo seine Verzweiflungen liegen. Die Sinnlosigkeit und Eingeschränktheit des Lebens packt einen oft als etwas so Radikales und Auswegloses, daß man völlig verzweifeln muß; das einzige was einen darüber erhebt, ist: daß man dies erkennt und daß man darüber verzweifelt. Die tiefste Erschütterung ist das gefühlsmäßige Bewußtwerden der Schätze, die in uns wie in einem verschlossenen Gefäß ruhen, zu denen wir nicht den Schlüssel oder die Kraft des Erschließens haben, und die wir so mit ins Grab nehmen. Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 130; online: www.digizeitschriften.de |
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Kant, I. (1784): Werkausgabe in 12 Bänden. Band XI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik (Band 1), Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977. Erstdruck in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784, S. 481-494 (Zitat: 481). Online: zeno.org Immanuel Kant (1724 - 1804), Philosoph in Königsberg |
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Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie nach uns gesucht, – wie sollte es geschehn, daß wir eines Tages uns fänden? (...) Wir bleiben uns eben nothwendig fremd, wir verstehn uns nicht, wir müssen uns verwechseln, für uns heisst der Satz in alle Ewigkeit »Jeder ist sich selbst der Fernste«, – für uns sind wir keine »Erkennenden«... Nietzsche, Friedrich: (1887): Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral, Vorrede 1. |
Gefunden Ich ging im Walde So für mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn. Im Schatten sah ich Ein Blümchen stehn, Wie Sterne leuchtend, Wie Äuglein schön. Ich wollt es brechen, Da sagt' es fein: Soll ich zum Welken Gebrochen sein? Ich grubs mit allen Den Würzlein aus, Zum Garten trug ichs Am hübschen Haus. Und pflanzt es wieder Am stillen Ort; Nun zweigt es immer Und blüht so fort.
Goethe, J. W. von
(1827 [1815]): |
Goethe schrieb das Gedicht für und an seine Frau, Christiane Vulpius (Brief vom 26. August 1813) |
Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand: Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland! |
Deutschland, wir sind deine Kinder Aber wir gehören dir nicht Wir gehören dem Traum von morgen Hilf uns, dass er nicht zerbricht Lass und aus Vergangenem lernen Gib der Zukunft deine Hand Friedlich über alle Grenzen Mutter-, Vater-, Kinderland. |
Die Nationalhymne der Deutschen Bundesrepublik Komponist: Joseph Haydn (1732-1809) |
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) online: Die Bundesregierung 5/2018 |
Rolf Zuckowski (Liedermacher): Deutschland, deine Kinder (Auszug) online: www.lyrics.com |
Ein Kinderlied. Dazu R. Zuckowski in DIE ZEIT (19. April 2018: 67): ZEIT: Auch von konservativer Seite haben Sie schon Gegenwind bekommen. In Elternforen beklagen sich Mütter über Ihr Lied Nackidei: Das versaue die Erziehung. Wie gehen Sie damit um? Zuckowski: In den neunziger Jahren habe ich mal einen Brief aus Bayern bekommen, den Kinder mir geschrieben haben: "Unser Pfarrer ist gestorben, das ist traurig, aber nun dürfen wir das Lied Nackidei wieder singen." Das Lied ist nicht unanständig. Ich singe von Tieren: (...) [siehe Text rechts]. Mir war klar, dass das aneckt. Aber wer bei so was nicht mitkommt ist nicht offen. Zumindest nicht für meine Art von Humor. |
Nackidei Der Eber sagt zu seiner Frau hörzu du süße kleine Sau, wir machen heut ne Schweinerei, und gehn mal wieder Nackidei. (...) Rolf Zuckowski (Liedermacher): Deutschland, deine Kinder (Auszug) online: www.songtexte.com |
You load sixteen tons, what do you get? Another day older and deeper in debt Saint Peter don't you call me 'cause I can't go I owe my soul to the company store (Auszug: Refrain) |
Du lädst sechzehn Tonnen und was kriegst Du dafür? Einen weiteren Tag älter und tiefer in Schulden Petrus ruf' mich noch nicht, denn ich kann nicht gehen Ich schulde meine Seele dem Fimenladen (Übersetzung: JT) |
Sixteen Tons ist ein sozialkritischer Country-/Folk-Song, der 1947 von Merle Travis (1917-1983) veröffentlicht wurde. Er beschäftigt sich mit mit den teils unmenschlichen Umständen, unter welchen die Bergleute (und ihre Familien) in den USA ihre Arbeit verrichteten. Es herrschte Lohnsklaverei, die sich dadurch auszeichnete, daß die Kumpel mit Wertmarken (scrips) bezahlt wurden, mit denen sie zu überteuerten Preisen Lebensmittel in den firmeneigenen Geschäften kaufen konnten (wikipedia). Merle Travis: youtube Cover-Versionen: Tennessee Ernie Ford (1919-1991), Jonny Cash (1932-2003) u.v.a. |
Mein Name sei Gantenbein |
Gantenbein allein. "Jede Geschichte ist eine Erfindung", sage ich nach einer Weile (...)jedes Ich, das sicht ausspricht, ist eine Rolle –" (48) "Unsere Gier nach Geschichten", sage ich und merke, daß ich schon viel getrunken habe, es zeigt sich daran, daß ich meine Sätze nicht zu Ende spreche, sondern annehme, man habe mich schon verstanden kraft meiner Einsicht: "– vielleicht sind's zwei oder drei Erfahrungen, was einer hat", sage ich, "zwei oder drei Erfahrungen, wenn's hochkommt, das ist's, was einer hat, wenn er von sich erzählt, überhaupt wenn er erzählt: Erlebnismuster - aber keine Geschichte", sage ich, "keine Geschichte." Ich trinke, aber mein Glas ist leer. "Man kann sich selbst nicht sehen, das ist's, Geschichten gibt es nur von außen", sage ich, "daher unsere Gier nach Geschichten!" (48f) |
"Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält", sage ich, "oder eine ganze Reihe von Geschichten", sage ich, bin aber zu betrunken, um meinen eignen Gedanken wirklich folgen zu können, und das ärgert mich, so daß ich verstumme. (49) Ich drehe mich auf dem Absatz – ich möchte nicht das Ich sein, das meine Geschichten erlebt, Geschichten, die ich mir vorstellen kann – ich drehe mich auf dem Absatz, um mich zu trennen, so flink wie möglich, von dem fremden Herrn. (66) Es hört auf, wenn man einander wiedersieht, und es hört auf, wenn er weiterfliegt für immer; in jedem Fall, das wußte er, hört es auf, und es gibt keine Hoffnung gegen die Zeit ... (73) Wenn Lila wüßte, daß ich sehe, sie würde zweifeln an meiner Liebe, und es wäre die Hölle, ein Mann und ein Weib, aber kein Paar; erst das Geheimnis, das ein Mann und ein Weib voreinander hüten, macht sie zum Paar. (103f) Was ich sehe und was ich nicht sehe, ist eine Frage des Takts. Vielleicht ist die Ehe überhaupt nur eine Frage des Takts. (105) Da ruht Ihr nun also, ein Paar mit liebestoten Körpern allnächtlich im gemeinsamen Zimmer, ausgenommen die kurzen Reisen wie jetzt. (...) Keines von Euch hat einen vertrauteren Menschen, nein, nicht einmal in der Erinnerung; nicht einmal in der Hoffnung. Kann man sich verbundener sein als Ihr? Man kann's nicht. Aber manchmal sehnt Ihr euch also. Wonach? Da schaudert es euch. Was eigentlich? Da lebt Ihr die endlos-raschen Jahre liebevoll, ein Paar, zärtlich, ohne es vor Gästen zu zeigen, denn Ihr seid es wirklich, ein wirkliches Paar mit zwei liebestoten Körpern, die einander nur noch selten nochmals suchen (133f) Das Leben geht weiter, aber nicht vorwärts, und es stellt sich, wenn auch verschwiegen, die Frage,wer daran schuld ist (...) (242) Ich bin blind. Ich weiß es nicht immer, aber manchmal. Dann wieder zweifle ich, ob die Geschichten, die ich mir vorstellen kann, nicht doch mein Leben sind. Ich glaub's nicht. Ich kann nicht glauben, daß das, was ich sehe, schon der Lauf der Welt ist. (314) |
Frisch, Max (1960/1964): mein Name sei Gantenbein. Gesammelte Werke in zeitlicher Folge 1964-1967. Band V 1. Werkausgabe edition suhrkamp. Neunter Band. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976 |
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Unsere Art des Verhaltens ist aus jener, die wir "unzivilisiert" nennen, hervorgegangen. Aber die Begriffe fassen die tatsächliche Veränderung zu statisch und zu unnuanciert. In Wahrheit handelt es sich bei dem, was wir als "zivilisiert" und "unzivilisiert" einander gegenüberstellen, nicht um einen Gegensatz von der Art des Gegensatzes zwischen "Gutem" und "Schlechtem", sondern ganz offenbar hat man es hier mit Stufen einer Entwicklungsreihe zu tun, überdies einer Entwicklungsreihe, die weitergeht. Es könnte gut sein, daß den später Kommenden unsere Stufe der Zivilisation, unser Verhalten ähnliche Peinlichkeitsgefühle auslöst, wie uns zuweilen das Verhalten jener, deren Nachkommen wir sind. Elias, Norbert: (1969): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt/M.: Suhrkamp: 74 |
Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker.
Roth, P. W.
(1908):
Jedermann. Everyman. |
Phillip Roth (1933-2018), einer der ganz bedeutenden Erzähler und Anwärter auf den Literaturnobelpreis. ist gestern (22.05.18) im Alter von 85 Jahren gestorben! Über sein Leben: wikipedia |
Weil es für sie nicht anders ist als für mich, seit ich ein kleiner Junge war. Weil es für sie nicht anders ist als für jeden. Weil der Tod die größte Beunruhigung des Lebens ist. Weil der Tod so ungerecht ist. Weil der Tod, wenn man das Leben einmal gekostet hat, einem alles andere als natürlich vorkommt. Ich hatte gedacht – insgeheim war ich mir sicher -, das Leben geht immer weiter.
Roth, P.
(2006):
Jedermann. Everyman. |
Roth spielt mit dem Titel und Namen des Protagonisten Jedermann, eines seiner letzten Bücher - seit 2012 schrieb er nicht mehr, auf das Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal von 1911 "Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" an. Dort geht es um die unerwartete Konfrontation des Jedermann mit dem Tod, der ihn vor seinen Schöpfer führen will. Da weder sein treuer Knecht oder seine Freunde noch sein Geld ihn ins Grab begleiten wollen, bekennt er sich schließlich zum Christentum und stirbt als Bekehrter. Roth blickt aus einen anderen, einer postmoderne und von der Religiosität unberührten, Sicht auf das Leben des Durchschnittsbürgers Jedermann zurück: Nicht vor Gott muß dieser sich rechtfertigen – sondern vor sich selbst. Er hadert mit dem Altern und der sich einstellenden Einsamkeit. Im Gespräch mit einem Totengräber nähert er sich dem Thema Tod stirbt wenig später bei einer Operation. |
Vorm Einschlafen zu sagen Was morgen ist, auch wenn es Sorge ist, ich sage: Ja So wie die Blume still im Regen abends spricht – weil sie im neuen Licht, auch wieder blühen will: Was morgen ist, auch wenn es Sorge ist, ich sage: Ja |
Wolfgang
Borchert
(1921-1947), Borchert, Wolfgang (nachgelassenes Gedicht) Das Original-Manuskript befindet sich im Borchert-Archiv der Staatsbibliothek Hamburg mit der Signatur BOR: Acb 25: 1v. Veröffentlicht und versehen mit einer Abbildung des Original-Manuskripts ist das Gedicht im Ausstellungskatalog zur Borchers-Ausstellung in Schloß Reinbek (11/1996-2/1997) erschienen: Kraske, B. M. (1996): Wolfgang Borchert: Leben - Werk - Wirkung. (Ausstellung und Katalog). Hrsg. von der Stadt Reinbek). Gline: Verlag Hans-Jürgen Böckel 1996: 72 |
Abschied Das war ein letzter Kuß am Kai – vorbei. Stromabwärts und dem Meere zul fährst du. Ein rotes und ein grünes Licht entfernen sich ... |
Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 16 |
Abschied Laß mir deinen Rosenmund noch für einen Kuß. Draußen weiß ein ferner Hund, daß ich weiter muß. Laß mir deinen hellen Schoß noch für ein Gebet. Mach mich aller Schmerzen los! – horch, der Seewind weht. Laß mir noch dein weiches Haar schnell für diesen Traum: Daß dein Lieben Liebe war – laß mir diesen Traum! |
Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 276 |
Ich möchte Leuchtturm sein in Nacht und Wind – für Dorsch und Stint, für jedes Boot – und bin doch selbst ein Schiff in Not! |
Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 7 (Einleitung zu: Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg) |
Forderungen aus einem sozialistischen Land? Nein - aus Bayern! Art. 123 (3) der Bayerischen Verfassung – Papier ist geduldig ... |
Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern. |
Art. 161 der Bayerischen Verfassung ... online über die Bayerische Staatskanzlei - BayernRecht: www.gesetze-bayern.de |
Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Mißbräuche sind abzustellen. Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. |
Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe? Nichts als ein besiegter, gebrochener, erbarmenswerter Mensch, Zeugnis einer falschen Lebensweise. Weil ich verlieren kann, was ich habe, mache ich mir natürlich ständig Sorgen, dass ich verlieren werde, was ich habe. (...) Wenn ich bin, der ich bin und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen.
Fromm,
Erich (1976a): Haben oder Sein. Die seelischen
Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Gesamtausgabe (12 Bände;
hrsg. von Reiner Funk). (Ausgabe dtv 1. Auflage 1979: 108, 109) |
Erich Fromm (1900-1980): deutscher, nach der Emigration 1933 aus Deutschland, amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe |
Der Konsumentenhaltung liegt der Wunsch zugrunde, die ganze Welt zu verschlingen, der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit.
Fromm,
Erich (1976a): Haben oder Sein. Die seelischen
Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Gesamtausgabe (12 Bände;
hrsg. von Reiner Funk). (Ausgabe dtv 1. Auflage 1979: 37) |
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Friedenspolitik ist eine nüchterne Arbeit. Auch ich versuche, mit den Mitteln, die mir zu Gebote stehen, der Vernunft in meinem Lande und in der Welt voranzuhelfen: Jener Vernunft, die uns den Frieden befiehlt, weil der Unfriede ein anderes Wort für die extreme Unvernunft geworden ist. Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche. Was in Deutschland zwölf Jahre lang in extremer Zuspitzung Realpolitik genannt wurde, hat sich als höllische Chimäre erwiesen. Heute sind wir dabei, mit uns selbst und mit der Welt ein erträgliches Gleichgewicht zu finden. Wenn in der Bilanz meiner politischen Wirksamkeit stehen würde, ich hätte einem neuen Realitätssinn in Deutschland den Weg öffnen helfen, dann hätte sich eine grosse Hoffnung meines Lebens erfüllt. Ich sage hier wie zuhause: Ein guter Deutscher kann kein Nationalist sein. Ein guter Deutscher weiss, dass er sich einer europäischen Bestimmung nicht versagen kann. Durch Europa kehrt Deutschland heim zu sich selbst und den aufbauenden Kräften seiner Geschichte. Unser Europa, aus der Erfahrung von Leiden und Scheitern geboren, ist der bindende Auftrag der Vernunft. Brandt, Willy: (1971): Friedenspolitik in unserer Zeit. Nobelvorlesung. Vortrag des Bundeskanzlers Willy Brandt am 11. Dezember 1971 in Oslo anlässlich der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1971 Online: www.nobelprize.org |
Ich will also annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit ist, sondern dass ein boshafter Geist, der zugleich höchst mächtig und listig ist, all seine Klugheit anwendet, um mich zu täuschen; ich will annehmen, dass der Himmel, die Luft, die Erde, die Farben, die Gestalten, die Tone und alles Aeusserliche nur das Spiel von Träumen ist, wodurch er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt; ich werde von mir selbst annehmen, dass ich keine Hände habe, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut, keine Sinne, sondern dass ich mir nur den Besitz derselben fälschlich einbilde; ich werde hartnäckig in dieser Meinung verharren und so, wenn es mir auch nicht möglich ist, etwas Wahres zu erkennen, wenigstens nach meinen Kräften es erreichen, dass ich dem unwahren nicht zustimme, und mit festem Willen mich vorsehen, um nicht von jenem Betrüger trotz seiner Macht und List hintergangen zu werden. Aber dieses Unternehmen ist mühevoll, und eine gewisse Trägheit lässt mich in das gewohnte Leben zurückfallen. Wie ein Gefangener, der zufällig im Traume einer eingebildeten Freiheit genoss, bei dem späteren Argwohn, dass er nur träume, sich fürchtet, aufzuwachen, und deshalb den schmeichlerischen Täuschungen sich lange hingiebt, so falle ich von selbst in die alten Meinungen zurück und scheue das Erwachen, damit nicht der lieblichen Ruhe ein arbeitsvolles Erwachen folge, was, statt in hellem Licht, in der unvertilgbaren Finsterniss der angeregten Schwierigkeiten verbracht werden muss.
Descartes,
R..
(1628/29):
Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie, in welchen
das Dasein Gottes und der Unterschied der menschlichen Seele von
ihrem Körper bewiesen wird. In:
René
Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 5. Link: Zeno.org (S. 23) |
René Descartes |
Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862)österreichischer Schriftsteller und Schauspieler |
Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab' mich noch selten getäuscht. Nestroy, J., N. (1836): Die beiden Nachtwandler. I,16 (Strick) online: gutenberg.spiegel.de |
She's got it Yeah, baby, she's got it I'm your Venus, I'm your fire At your desire Well, I'm your Venus, I'm your fire At your desire |
Bananarama (1986): Venus (Auszug: Refrain). Abum: True Confessions Offizielles Video: www.youtube.com |
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Bei all unseren Institutionen, von der Polizei bis zur Akademie [unklar ist, welche Art von Akademie die Autorin meint], von der Medizin bis zur Politik, achten wir wenig auf die Leute, die gehen – auf jenen Eliminierungsprozess, der die ganze Zeit weiterläuft und sehr früh jene ausschließt, die wahrscheinlich originell und erneuernd sind, während er die zurücklässt, die von einer Sache angelockt werden, weil sie ihr schon gleichen. (…) Dieser Gesellschaftsmechanismus läuft fast unbemerkt – trotzdem vermag er wie kein anderer unsere Institutionen starr und lastend zu erhalten. Lessing, D. (1978): Das goldene Notizbuch (Vorwort). Hamburg: Hoffman und Campe 2007: 20 |
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Kinder an die Macht Die Armeen aus Gummibärchen Die Panzer aus Marzipan Kriege werden aufgegessen kindlich genial Es gibt kein gut, es gibt kein böse Es gibt kein schwarz, es gibt kein weiß Es gibt Zahnlücken Statt zu unterdrücken Gibt's Erdbeereis auf Lebenszeit Immer für 'ne Überraschung gut Gebt den Kindern das Kommando Sie berechnen nicht, was sie tun Die Welt gehört in Kinderhände Dem Trübsinn ein Ende Wir werden in Grund und Boden gelacht Kinder an die Macht Sie sind die wahren Anarchisten Lieben das Chaos, räumen ab Kennen keine Rechte, keine Pflichten Ungebeugte Kraft, massenhaft Ungestümer Stolz Gebt den Kindern das Kommando Sie berechnen nicht, was sie tun Die Welt gehört in Kinderhände Dem Trübsinn ein Ende Wir werden in Grund und Boden gelacht Kinder an die Macht Grönemeyer, H. (1986): Kinder an die Macht. Album: Sprünge Video: www.youtube.com |
So beginnt der Roman von Beckett. |
Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues. Beckett, S. (1957/1959): Murphy. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 44. Aufl. 2017: 9 |
Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Es kann geschehen, überall. Weder kann ich noch will ich behaupten, daß es geschehen wird. Levi, P. (1990): Die Untergegangenen und die Geretteten, München: Carl Hanser: 205
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Primo Levi
(1919-1987), |
Zum Bösen kamen die Menschen nie in einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan.
Köhlmeier,
M.
(2018):
»Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, |
Michael Köhlmeier
(*1949), |
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Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand. Frisch, M. (1953*): Biedermann und die Brandstifter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002: 54
* erstmals als Hörspiel "Biedermann
und die Brandstifter" erstmals im Schauspielhaus Zürich
aufgeführt (29.03.1958); Suhrkamp-Erstausgabe: |
zeige deine Wunde Beuys, J. (1976): zeige deine wunde. Installation/Environment: Städtische Galerie im Lenbachhaus München (wikipedia) Link zum Foto der Installation (www.lenbachhaus.de) In einem Interview im Januar 1980 meinte er zu seinem Werk: "Zeige deine Wunde, weil man die Krankheit offenbaren muß, die man heilen will. Der Raum […] spricht von der Krankheit der Gesellschaft. […] Dann ist natürlich der traumatische Charakter angesprochen. Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden." (Jost Herbig: Die Dinge haben ihre Sprache. Interview mit Joseph Beuys. Süddeutsche Zeitung, 26./27. Januar 1980)
ARD-alpha (9.11.2016 punkt. Einfach
Wissen; Film von Moritz Pompl 4:58): Besonders interessant: Die Pressekonferenz 1980 (Ankauf durch das Lehnbachhaus) mit Joseph Beuys und Politikern (u. a. Richard Hundhammer, CSU, Abgeordneter des Bayerischen Landtags) Link: BR-alpha Link: ARD-Mediathek |
Joseph
Beuys
(1921–1986),
Quelle: wikipedia.org File:Beuys-Feldman-Gallery.jpg Erstellt: 1. Januar 1971 |
›oeheim, waz wirret dir?‹ (›Oheim, was tut dir weh?‹) von Eschenbach, Wolfram (1200-1210): Parzival. Werke in drei Bänden. Band II Text und Kommentar (n. d. Ausgabe von K. Lachmann & E. Nellmann, übertragen von D. Kühn). Frankfurt/M.: Deutscher Klassikerverlag 2006: 795, 29 (S. 356) |
Während er beim ersten Versuch noch schweigt, führt diese Frage zur unmittelbaren Genesung des Gralkönigs Anfortas. Der mit einem Speer am Hoden Verletzte verwandelt sich in einen jugendlichen und schönen Mann. Es würde mich wundern, wenn Beuys nicht von diesem Text und seinen Variationen (u. a. von A. Muschg: Der rote Ritter 1993) inspiriert gewesen sein sollte. Denn ein weiteres Motiv, die Doppelung (bei von Eschenbach z. B.: Orient/Okzident; Christen/Heiden; die Brüder Parzifal/Feirefiz; der zweimalige Versuch Parzifals, Amfortas von seinem Leid zu erlösen) ist ein zentraler Aspekt des Beuys'schen Werks. |
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Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts verstanden werden muß. Aber darüber vergißt man den andern Satz, daß es vorwärts gelebt werden muß. Welcher Satz, je mehr er durchdacht wird, gerade damit endet, daß das Leben in der Zeitlichkeit nie richtig verständlich wird, gerade weil ich keinen Augenblick völlige Ruhe bekommen kann, um die Stellung einzunehmen: rückwärts. Kierkegaard, Søren: (1843): Geheime Papiere (hg. v. T. Hagemann). Frankfurt/M.: Eichborn 2004: 44 (Tagebucheintrag 1843) |
Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden. (72) Alles Denkbare wird einmal gedacht. Jetzt oder in Zukunft. 8. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. (78) 9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie immer dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten [z.B. Ödipus] (78) Dürrenmatt, F. (1962): Die Physiker. Zürich: Die Arche |
Friedrich Dürrenmatt (1921-1990): schweizerischer Schriftsteller, Dramatiker und Maler; Uraufführung "Die Physiker": 21.2.1962. |
Was sich auf diesen Seiten chronistisch verzeichnet findet, sind Untaten von so ungezügelter und zugleich bürokratisch-sachlich organisierter Lieblosigkeit, Bosheit und Mordgier, daß niemand sie ohne tiefste Scham darüber zu lesen vermag, daß Menschen zu solchem fähig sind. Indem er aber Kunde bekommt von den Folter- und Schreckenskammern unserer Zeit, wehrt er im Abscheu nicht nur ab, daß ihm diese äußeren Ereignisse zu nahe kommen, er wehrt auch kulturfremde Triebregungen in sich selbst ab, die durch das Aufwachsen in der Kultur, das heißt unter den Bedingungen der Mitmenschlichkeit gemildert wurden. Kultur lehrt die rücksichtslose Asozialität unserer Triebanlagen zu zügeln, angstfreier zu ertragen und in soziales Verhalten zu verwandeln. Aber die sittlichen Normen sind ein Gebäude, das weiterhin auf vulkanischem Boden ruht. Es ist deshalb nicht genug, nur zu erschrecken über das, was geschehen konnte, sondern immer zugleich die Wahrheit in sich einzulassen, daß es von Menschen getan wurde, die nicht als Monstren zur Welt kamen, die vielmehr oft in ziemlich unauffälliger Weise mit geläufiger Begabung es zu Fachkenntnissen und begehrten Stellungen in unserer Gesellschaft brachten, ehe sie die erworbenen Fähigkeiten der Menschlichkeit narkotisch lähmten und in eine weltzerstörerische Trieblust zurücksanken. Was in diesen Hohlräumen völliger Kulturentledigung, in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern geschah, war ungeheuerlich, so ungeheuerlich wie das Menschenwesen, das sich selbst ächtet und sich in das Wesen seiner Albträume verwandelt. Die furchtbare historische Koinzidenz stellte jene Hilfskader von abgerichteten Befehlsempfängern und -ausführern bereit, die dazu verhalfen, daß der Albtraum opferverschlingende Wirklichkeit werden konnte. »Die Kulturgesellschaft, die die gute Handlung fordert und sich um die Triebbegründung derselben nicht kümmert hat also eine große Zahl von Menschen zum Kulturgehorsam gewonnen, die dabei nicht ihrer Natur folgen« (Sigm. Freud, Gesammelte Werke, Bd. X, S. 335) Mitscherlich, A. & Mielke, F. (Hg.) (1960): Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt/M.: Fischer. Vorwort: Von der Absicht dieser Chronik: 717 (hier 7f) |
Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird
man wieder tun: Die Bibel - Einheitsübersetzung (2016): Prediger 1,9; online über: bibleserver.com |
Heideröslein Sah ein Knab' ein Röslein stehn, Röslein auf der Heiden, War so jung und morgenschön, Lief er schnell es nah zu sehn, Sah's mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein roth, Röslein auf der Heiden. Knabe sprach: ich breche dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: ich steche dich, Daß du ewig denkst an mich, Und ich will's nicht leiden. Röslein, Röslein, Röslein roth, Röslein auf der Heiden. Und der wilde Knabe brach s' Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, Half ihr doch kein Weh und Ach, Mußt' es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein roth, Röslein auf der Heiden.
Goethe,
J. W. von
(1789):
Goethe’s Schriften. online: wikisource |
Das 1771 entstandene Gedicht Goethes (damals 22 Jahre alt) wurde von vielen Komponisten verton (u. a. Franz Schubert und Robert Schumann), die Fassung von Heinrich Werner (1827) hat bis heute hohen Bekanntheitsgrad. Auch die Gedichtinterpretationen sind zahlreich - sie reichen von der Überlegung, daß hier eine Vergewaltigung geschildert wird bis hin zu einer Allegorie von Goethes kurzer Liebesbeziehung zu Friederike Brion. Die Schönheit der Sprache (in Verbindung mit der lieblichen Melodie, die wir im Ohr haben) verführt dazu, die unter der Oberfläche bzw. zwischen den Zeilen mitgeteilten Assoziationen, Wertvorstellungen und Phantasien nicht mitzudenken (ob Goethe daran gedacht hat, wissen wir nicht). Das Frauen- und Männerbild bzw. die Beziehung zwischen den Geschlechtern war damals bzw. ist (?) durchdrungen von diesen: ■ weibliche Defloration (Entblütung), ■ Jungfräulichkeit (Blut), ■ die Selbstverständlichkeit des (männlichen) Machtanspruches über Frauen und ihre Sexualität, ■ das Aufbegehren und dann (stille) Leiden des Mädchens/der Frau, ■ Empathieverweigerung und Gewalt und eine ■ erzwungene negative Intimität. |
Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt, bürgerlich: Friedrich Stowasser (1928-2000): österreichischer Künstler |
Wer die Vergangenheit nicht ehrt, verliert die Zukunft, wer seine Wurzeln vernichtet, kann nicht wachsen. Hundertwasser, F. (1990) - hier im Original-Autograph Er schrieb diese Zeilen 1991 für das KunstHausWien und verwendete sie ebenfalls für eine Grußbotschaft an die Stadt Uelzen anläßlich der Eröffnung des von ihm (um)gestalteten Bahnhofs (1999). Mit Genehmigung der Hundertwasserstiftung (25.01.19) |
Es gibt ja nichts Verlogeneres, als diese Geburtstagsfeiern, zu welchen sich die Menschen hergeben, nichts Widerwärtigeres als die Geburtstagsverlogenheit und die Geburtstagsheuchelei (...). Bernhard, T. (1985): Alte Meister. Komödie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1. Auflage 1985: 115 |
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Ich spreche die Sprache, die nur ich alleine verstehe, sonst niemand, wie jeder nur seine eigene Sprache versteht, und die glauben, sie verstünden, sind Dummköpfe oder Scharlatane. Bernhard, T. (1976): Der Keller. Eine Entziehung. In: Die Autobiographie. Werke 10. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004: 205 |
Thomas Bernhard (1931-1989): |
ASTA SCHEIB: Wann haben Sie sich zum letzten Mal gefreut? THOMAS BERNHARD: Einmal am Tag freut man sich, daß man am Leben ist und noch nicht tot. Das ist ein unwahrscheinliches Kapital. (...) ASTA SCHEIB: Haben Sie sich gewünscht, eine Familie zu gründen? THOMAS BERNHARD: Ich war immer nur froh zu überleben.
Bernhard, T. (1987):
Der Wahrheit auf der Spur
(Interview am 17. Januar1987). |
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Hans Sahl (1902-1993), |
Strophen Ich gehe langsam aus der Welt heraus in eine Landschaft jenseits aller Ferne, und was ich war und bin und was ich bleibe, geht mit mir ohne Ungeduld und Eile in ein bisher noch nicht betretenes Land. Ich gehe langsam aus der Zeit heraus in eine Zukunft jenseits aller Sterne, und was ich war und bin und immer bleiben werde, geht mit mir ohne Ungeduld und Eile, als wär ich nie gewesen oder kaum. Sahl, H. (19xx)*: Die Gedichte. München: Luchterhand 2. Auflage 2009: 185 Anmerkung: Wolf Biemann hat in der ZEIT über das Gedicht geschrieben: Zu einem Gedicht von Hans Sahl (18. Oktober 1991) * Das Entstehungsdatum ist nicht angegeben. |
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Ich weiß, daß ich bald sterben werde Ich weiß, daß ich bald sterben werde, zu lange schon war ich auf dieser Welt zu Gast, auf diesem Flecken, diesem Stückchen Erde, das du, mein Gott, wenn es dich gibt, mir gabst. Was bleibt von all dem, das ich tat und lebte? Nur eine Kleinigkeit: Ein Mensch fand statt. Ein Mensch, der weiß, daß er nun sterben werde und müde ist und sagt: Ich hab es satt. Fast schon so alt wie dieses, mein Jahrhundert der Flammenmeere, Mörder, Folterungen, der Volksverderber und der Volksverächter, geliebt, gehaßt, gefürchtet und bewundert. So nehmt, o Brüder, eine Hand voll Erde und gebt sie mir zum Abschied auf den Weg. Ich weiß, daß ich bald sterben werde. Ein Gast nimmt leise seinen Hut und geht. Sahl, H. (19xx)*: Die Gedichte. München: Luchterhand 2. Auflage 2009: 237 * Das Entstehungsdatum ist nicht angegeben. |
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Das Bedürfnis nach Unterscheidung und Trennung wohnt den Dingen inne; es handelt sich nicht lediglich um ein Bedürfnis des Geistes. Durkheim, E. (1987): Schriften zur Soziologie der Erkenntnis. Frankfurt: Suhrkamp 1. Aufl. 1993: 157 |
Ermutigung Du laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit die allzu hart sind brechen die allzu spitz sind stechen und brechen ab sogleich und brechen ab zsogleich Du laß dich nicht verbittern In dieser bittren Zeit die Herrschenden erzittern sitzt du erst hinter Gittern doch nicht vor deinem Leid doch nicht vor deinem Leid Du laß dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit das wolln sie doch bezwecken das wir die Waffen strecken schon vor dem großen Streik schon vor dem großen Streik Du laß dich nicht verbrauchen gebrauche deine Zeit du kannst nicht untertauchen du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit grad deine Heiterkeit Wir wolln es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit das Grün bricht aus den Zweigen wir wolln das allen zeigen dann wissen sie bescheid dann wissen sie bescheid Biermann, W. (1968): Ermutigung. In: Mit Marx- und Engelszungen. Berlin: Wagenbach: ?? LIVE in der Kölner Sporthalle 1976: youtube
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Wolf Biermann (*1936), deutscher Liedermacher und Lyriker Bei "Ermutigung" handelt es sich um ein Gedicht und Lied des damaligen DDR-Bürgers Wolf Biermann. Es erschien 1968 in der Gedichtsammlung "Mit Marx- und Engelszungen" im Verlag Klaus Wagenbach (Westdeutschland); im gleichen Jahr veröffentlichte Wagenbach auch die von Biermann vertonte Fassung auf der Single "4 neue Lieder". 1974 erschien es auf Biermanns Langspielplatte "aah-ja!", die 1974 bei CBS erschien. Biographisches Wolf Biermann (*15.11.1936 in Hamburg) stammt aus einem jüdischen kommunistischen Elternhaus. Sein Vater, ein Schlosser und Maschinenbauer, wurde wegen Sabotage gegen die Nationalsozialisten sechs Jahre inhaftiert und 1943 in Auschwitz ermordet. 1953 verlässt Wolf Biermann, damals 16 Jahre alt, Hamburg und siedelt kurz vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in die DDR über. Nach der Veröffentlichung seines Gedichtbandes "Die Drahtharfe" 1965 im westdeutschen Wagenbach-Verlag und dem folgenden Auftritts- und Publikationsverbot durch das 11. Plenum des ZK der SED nach seinen eigenen Worten den "Status eines staatlich anerkannten Staatsfeindes" erreicht. 1976 "darf" Wolf Biermann auf Einladung der westdeutschen Industriegewerkschaft Metall zu einer Tournee in die BRD aufbrechen. Drei Tage nach diesem Konzert, am 16. November 1976, entzieht ihm die DDR ihre Staatsbürgerschaft. Quelle: www.jugendopposition.de: Biermann - die Biographie 16.November 2008
Dichtertreffen "Lauter Lyrik" am 1, Rolf-Liebermann-Studio Quelle (Lizenzhinweis): wikimedia.org |
Der Text von Herman Melville zeigt in beeindruckender und verstörender Weise den Rückzug desSchreibers Bartlebys aus seiner sozialen Umwelt. Es gibt eine Vielzahl autobiographischer, gesellschaftspolitischer und psychologischer Deutungen der Kurzgeschichte (deutsch.wikipedia - english.wikipedia.org) und auch PsychoanalytikerInnen haben sich des Themas angenommen (u. a. G. Schneider: (2003): Die Zukunft? Plädoyer für eine atopische Grundhaltung in der Psychoanalyse – mit einem Exkurs zu Melvilles Bartleby. Psyche 57 (Heft 3): 226-249 |
I would perfer not to. Melville, H. (1853): Bartleby, the Scriver. A Story of Wall Street. In: Putnam*s Magazin. Monatszeitschrift (Vereinigte Staaten von Amerika), November–December 1853 Text im Original: wikisource Text in der deutschen Übersetzung: Projekt Gutenberg |
Nach dem Tod kommt nichts. Meine Frau hat kein Grab, ich werde kein Grab haben. Ich glaube an nichts. Lebe dein Leben und denk nicht daran, was dann kommt, denn es kommt gar nichts. Christo (2019): Interview mit Johanna Adorjan, Süddeutsche Zeitung vom 6./.7.04.19: 60 |
Christo
Wladimirow Jawaschew (*1935) |
Erst durch den Hinweis eines Radiomoderators, daß es hier um den Mißbrauch eines Jungen gehe, brachte mich dazu, mir den Text dieses sehr bekannte Songs näher anzusehen. Im Originalvideo ist es tatsächlich ein Junge, der mit anderen Jungs durch die Stadt läuft, dann sein Tempo im Treppenhaus verlangsamt und schließlich auf dem (2.) Stockwerk zögernd eine Tür öffnet. Suzanne Vega schrieb 2010 in der Süddeutschen Zeitung dazu: (…) Ich wollte Dur, da mich die Kombination aus Moll und einem kleinen leidgeprüften Jungen auf einer Haustürmatte wütend machte. Mir schien, dass die meisten missbrauchten Kinder traurig und ängstlich sind, aber dass sie ihr Schicksal irgendwann als Tatsache des Lebens akzeptieren, als etwas fast Erwartbares. Eine Art Pragmatismus. So kam ich auf Dur, und wir beließen es dabei. Im fertigen Song klang es aufmunternd, froh, fast triumphierend, was gar nicht meine Absicht war. (...) "Luka" war an die Radiostationen verteilt worden. Und sofort ein Erfolg. Wieso? Warum diese enorme Resonanz? Wegen des Themas, unter anderem. Viele Hörer schrieben mir über ihre Erfahrungen mit Missbrauch. Übrigens bis heute. Letztes Wochenende hat mir ein Teenage-Mädchen geschrieben, das als Kind missbraucht wurde, wie sehr es sich mit "Luka" identifiziere. Das war auch damals das Erstaunliche daran: So viele Menschen in Amerika, aber auch aus anderen Ländern und Kulturen dieser Erde, identifizierten sich mit meinem erfundenen Charakter. Ich hatte gedacht, es sei eine kleine, persönliche Sache. Aber mein Manager Ron hatte recht behalten: Es war eine riesige, gesellschaftliche Sache.
Süddeutsche Zeitung online:
17. Mai 2010, 21:01 Uhr:
Suzanne Vega und ihr Hit "Luka" Wie man einen Treffer überlebt.
Jeder kennt Suzanne Vegas Radio-Hit "Luka" - und vielleicht noch
"Tom's Diner", aber nicht viel mehr. Ein "Two Hit Wonder"
schreibt über die Anatomie eines Superhits. Von Suzanne Vega
Das
eindringliche an Luka ist, dass alles angedeutet und schwer
greifbar bleibt zugleich aber indirekt die Psychodynamik des
Geschehens sehr gut zum Ausdruck kommt: das Opfer (Verleugnung,
Anpassung, Rückzug), der Täter (das Opfer zum schweigen bringen, es
für verrückt erklären, es schuldig sprechen) und Umwelt (Nachbarn, Familienangehörige,
die nicht |
My name Luka My name is Luka I live on the second floor I live upstairs from you Yes I think you've seen me before If you hear something late at night Some kind of trouble, some kind of fight Just don't ask me what it was Just don't ask me what it was Just don't ask me what it was I think it's because I'm clumsy I try not to talk too loud Maybe it's because I'm crazy I try not to act too proud They only hit until you cry After that you don't ask why You just don't argue anymore You just don't argue anymore You just don't argue anymore Yes, I think I'm okay I walked into the door again If you ask that's what I'll say And it's not your business anyway I guess I'd like to be alone With nothing broken, nothing thrown Just don't ask me how I am Just don't ask me how I am Just don't ask me how I am My name is Luka I live on the second floor I live upstairs from you Yes I think you've seen me before If you hear something late at night Some kind of trouble, some kind of fight Just don't ask me what it was Just don't ask me what it was Just don't ask me what it was And they only hit until you cry After that, you don't ask why You just don't argue anymore You just don't argue anymore You just don't argue anymore Vega, S. (1987): My name is Luka
youtube:
Music video by Suzanne Vega performing Luka. |
Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Wir haben unsere Verwandten in den polnischen Ghettos zurückgelassen, unsere besten Freunde sind in den Konzentrationslagern umgebracht worden und das bedeuten den Zusammenbruch unserer privaten Welt (7f). Ich weiß nicht, welche Erfahrungen und Gedanken des Nachts in unseren Träumen hausen. Ich wage nicht nach Einzelheiten zu fragen, denn auch ich bliebe lieber optimistisch. (10)
Arendt,
H. (1943): Wir Flüchtlinge.
In:
Zur Zeit. Politische Essays |
Hannah
Ahrend (1906-1975), |
Dieses kurze Stück von
Willy |
Das Flunserl Willy Astor entdeckt das Flunserl (Aufzeichnung: 1998); Aufzeichnung und Rechte: Bayerischer Rundfunk v. 31.07.2009; erhältlich auf der CD "Tonjuwelen" (CD1-10) (Ariola) |
Interview mit Slavoj Žižek Mal abgesehen davon, dass das System meistens eben nicht funktioniert, besteht Ihr Ideal tatsächlich darin, dass man nebeneinander vor sich hinlebt? Ja, ich verstehe nicht, warum alle finden, dass sich jeder mit jedem verstehen soll. Es ist doch okay, wenn man einander toleriert und in Ruhe lässt, ich meine das auch in Bezug auf Einwanderer aus anderen Kulturkreisen. Wenn man sich versteht, umso besser, aber es sollte keine moralische Verpflichtung geben. Mir geht es um eine respektvolle, nicht rassistische Form von Distanz. Beleidigen sollte man nur Menschen, die man liebt. Das müssen Sie erklären. Beleidigungen sind wichtig, weil wir sonst in kaltem Respekt aneinander vorbeileben. Ich werde nie vergessen, wie ich vor Jahren sauer auf meinen 13-jährigen Sohn war und mir dieses jugoslawische Schimpfwort rausrutschte: »Lass einen Hund deine Mutter ficken.« Er sagte, ohne zu zögern: »Hat er doch schon, vor 14 Jahren, deswegen wurde ich geboren.« Ziemlich schlagfertig für einen 13-jährigen Jungen. Ja, wunderbar, aber es kommt noch besser, weil er mich danach mit großen Augen ansah und fragte: »Das war lustig, oder?« Nachdem er mich beleidigt hatte, wollte er von mir auch noch dafür geliebt werden, das ist lustig und tragisch zugleich. Meine Frau, meine Söhne, wir reden alle so. Für mich ist es die treffendste Definition von Freundschaft: Wenn ich jemanden beleidigen kann, ohne mich schuldig fühlen zu müssen.
Žižek, S. (2019) im
Gespräch mit Tobias Haberl. Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 31 |
Slavoj Žižek
(*21.03.1949) |
Wenn Herr K. einen Menschen liebte "Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?" "Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., "und sorge, daß er ihm ähnlich wird." "Wer? Der Entwurf?" "Nein", sagte Herr K., "der Mensch."
Brecht, Bertolt
(1950): Geschichten vom Herrn Keuner. Werke Band 5: Prosa. |
Bertolt Brecht oder Bert Brecht (1898-1956),
eigentlich Eugen
Berthold Friedrich Brecht, |
In der Tat glauben viel zu viele, es sei schwer, vielleicht sogar unmöglich, die Wahrheit zu erkennen. Wer die Wahrheit erkennt, weiß etwas. Wer also glaubt, es sei unmöglich, die Wahrheit zu erkennen, glaubt damit, dass in Wirklichkeit niemand etwas weiß. Man nennt solche, die glauben, dass niemand etwas weiß: Skeptiker. Dogmatismus ist der Irrglaube, man könne etwas wissen, ohne Gefahr zu: laufen, sich zu täuschen. Sofern sich Skeptiker ihrer Sache sicher sind, spricht man in der Philosophie von negativem Dogmatismus. Skeptiker glauben (sozusagen wider besseres Wissen) zu wissen, dass niemand etwas weiß. Wie alIe Dogmatiker kann man sie nicht vom Gegenteil überzeugen, sie verharren in ihrem Irrtum. (...) Doch es ist schlichtweg falsch, dass es nur dasjenige gibt, was sich experimentell messen lässt. Das sieht man schon ganz einfach daran, dass sich die vermeintliche Wahrheit, dass e es nur dasjenige gibt, was sich experimentell messen lässt, nicht experimentell messen lässt. Gabriel, M. (2019): Der nächste Fortschritt. Fakten, Fakes und der blinde Fleck: Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsglauben sind gerade beide verbreitet - und beide falsch. In Süddeutsche Zeitung v. 25.10.19 (Feuilleton): 11; der Autor ist Professor an der Universität Bonn |
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Kurt Tucholsky (1890-1935) war deutscher Journalist, Literatur- und Theaterkritiker und Schriftsteller. Unter verchiedenen Pseudonymen (Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel) veröffentlichte eine Reihe von Texten. Tucholsky war einer der bedeutendsten Publizisten in der Weimarer Republik und wichtiger Mitarbeiter der Zeitschrift "Die Schaubühne", die später in "Die Weltbühne") umbenannt wurde. Er starb 1935 (in Schweden) durch eine Überdosis des Schlafmittels 'Veronal' - ob in suizidaler Absicht ist nicht klar ... In seinem letzten Brief (15.12.1935) an Arnold Zweig, der nach Palästina emigriert war, kritisiert er bitter den ausgebliebenen Widerstand der deutschen Juden gegen die Nationalsozialisten und sein vergebliches politisches Engagment. Das ist bitter, zu erkennen. Ich weiß es seit 1929 – da habe ich eine Vortragsreise gemacht und "unsere Leute" von Angesicht zu Angesicht gesehen, vor dem Podium, Gegner und Anhänger, und da habe ich es begriffen, und von da an bin ich immer stiller geworden. Mein Leben ist mir zu kostbar, mich unter einen Apfelbaum zu stellen und ihn zu bitten, Birnen zu produzieren. Ich nicht mehr. Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken – möge es Rußland erobern – ich bin damit fertig. Tucholsky, K.: Politische Briefe. Reinbek 1984, S. 121 |
Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein. Tucholsky, K. (1921): Die Verteidigung des Vaterlandes. In: Die Weltbühne vom 6. Oktober 1921: 338f [Werke über Zeno.org] Der Zustand der gesamten menschlichen Moral läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don’t. Tucholsky, K. (1931): So verschieden ist es im menschlichen Leben! Die Weltbühne. Jahrgang 27, Nummer 15 (14.4.1931): 542-543 (unter dem Pseudonym Peter Panter)
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Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. D, & Meadows, D. & Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rom zur Lage der Menschheit (hg. von J. Fest und W. Jobst). Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt: 16 |
Aus den
Schlußfolgerungen des Club of Rome vor mehr als Der Club of Rome ist ein Zusammenschluss von Expert*innen verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern; er wurde 1968 in Rom gegründet: wikipedia: Club of Rome wikipedia: Die Grenzen des Wachstums |
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Psychologists/Psychotherapists 4 future
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Sie [Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen] beteiligen sich darüber hinaus an der Erhaltung und Weiterentwicklung der soziokulturellen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die psychische Gesundheit der Menschen. Bundespsychotherapeutenkammer (2007): Muster-Berufsordnung (i. d. F. der Beschlüsse des 7. Deutschen Psychotherapeutentages am 13.01.06, aktualisiert mit Beschluss des 11. DPT am 10. November 2007): § 1 (Berufsaufgaben) Abs. 2 Satz 2 Muster-Berufsordnung Bundespsychotherapeutenkammer (www.bptk.de) |
Victor Klemperer
(1881 - 1960), Lingua Tertii Imperii: Sprache des Dritten Reiches Anmerkung: Geschrieben hat Klemperer das Buch 1946, wie dem Brief an seine Frau (Seite 7) zu entnehmen ist |
Man zitiert immer wieder Tallyrands Satz, die Sprache sei dazu da, die Gedanken des Diplomaten (oder eines schlauen und fragwürdigen Menschen überhaupt) zu verbergen. Aber genau das Gegenteil hiervon ist richtig. Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag. Klemperer, V. (1957): LTI. Notizbuch einen Philologen. Leipzig: Reclam 18.Aufl. 1999: 20f |
Das für Freud und die Psychoanalyse zentrale Konzept der "Nachträglichkeit" greift das von Klemperer beschriebene Phänomen systematisch auf: Erinnerungen und frühere Erfahrungen erfahren eine psychische Umarbeitung und bekommen eine neue Bedeutung. |
Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da. Klemperer, V. (1957): LTI. Notizbuch einen Philologen. Leipzig: Reclam 18.Aufl. 1999: 27 |
Nach dem bekannten Sprichwort können Worte niemals so weh tun, wie Stöcke und Steine, die Knochen brechen können. Die in diesem Buch versammelten Beiträge dokumentieren, daß das Gesprochenes und Geschriebenes Menschen nicht nur verletzen kann, sondern auch effektiver, systematischer und dauerhafter verletzen kann (...). (Übersetzung JT) |
According to the well-known proverb, words can never hurt you, unlike sticks and stones, which may brake your bones. The papers collected in this book document that talk and text not only may hurt you, they also may hurt you more effectively, more systematically, and more permanently (...). Smitherman-Donaldson, G. & van Dijk, T. (1988): Introduction: Words that hurt. In: Discourse and Discrimination (hg. v. G. Smitherman-Donaldson, G. & T. van Dijk) Detroit: Wayne State University Press: 11-22 (Zitat: 11) Link: books.google.de |
Aus der Rede des österreichischen Schriftstellers Michael Köhlmeier am 4. Mai 2018 beim Gedenkakt des österreichischen Parlaments für die Opfer des Nationalsozialismus (in Anspielung auf die FPÖ). |
Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, nie, sondern mit vielen kleinen. Von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan. Köhlmeier, M. (2019): Rede am 4. Mai 2018 beim Gedenkakt des österreichischen Parlaments für die Opfer des Nationalsozialismus Bericht mit Link zu youtube über: www.piqd.de (Dirk Liesemer) |
Drum Wie dunkel ist der Lebenspfad, Den wir zu wandeln pflegen. Wie gut ist da ein Apparat Zum Denken und Erwägen. Der Menschenkopf ist voller List Und voll der schönsten Kniffe; Er weiß, wo was zu kriegen ist Und lehrt die rechten Griffe. Und weil er sich so nützlich macht, Behält ihn jeder gerne. Wer stehlen will, und zwar bei Nacht, Braucht eine Diebslaterne. Busch, W. (1904): Zu Guter Letzt. n: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. v. F. Bohne). Band IV: 287 |
Heinrich Christian Wilhelm Busch (1832-1908), Dichter und Zeichner
Zeichnung und Autograph: gemeinfrei (wikipedia.org) |
[Blümlein] Sie war ein Blümlein hübsch und fein, Hell aufgeblüht im Sonnenschein. Er war ein junger Schmetterling, Der selig an der Blume hing. Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm Und nascht und säuselt da herum. Oft kroch ein Käfer kribbelkrab Am hübschen Blümlein auf und ab. Ach Gott, wie das dem Schmetterling So schmerzlich durch die Seele ging. Doch was am meisten ihn entsetzt, Das Allerschlimmste kam zuletzt. Ein alter Esel fraß die ganze Von ihm so heißgeliebte Pflanze. Busch, W. (1874): Kritik des Herzens. In: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. v. F. Bohne). Band II: 522 |
Auf der Seite https://www.wilhelm-busch.de ist einiges aus dem Werk von Busch zu finden. Es handelt sich um die Seite eines Internetdienste-Anbieters, dessen Motivation mir nicht klar ist ... |
Rosen, Tanten, Basen, Nelken Sind genötigt zu verwelken; Ach – und endlich auch durch mich Macht man einen dicken Strich Busch, W. (1904): Tobias Knopp. In: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. v. F. Bohne). Band III: 13 |
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Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist. Die von Johann Strauss (Sohn) geschriebene Polka Mazurka "Glücklich ist, wer vergißt" wurde nach Motiven seiner Operette "Die Fledermaus" zusammengestellt. Das eigenständige Werk (op. 368) wurde im Oktober oder November 1874 uraufgeführt. |
Vorbemerkung über Protestieren Neinsagen ist die Formel des Protests. In einer Welt, die zu Protesten Anlaß bietet, scheint es nicht überflüssig zu sein, diese Formel zu untersuchen. Aber die Untersuchung stößt auf Schwierigkeiten. Nichts ist inhaltsleerer, allgemeiner als das Nein. Es kann sich gegen alles richten und sich mit allem verbünden. Nichts ist unselbständiger als das Nein. Es setzt eine Frage voraus, ist selbst nur die abschlägige Antwort (»nein«) auf eine Frage. Nichts ist überflüssiger als das Nein. Wem es um Erkenntnis zu tun ist, sollte das Nein unterdrücken und, sofern er etwas zu sagen hat, positive Vorschläge liefern. Nichts ist gefährlicher als das Nein. Nein ist nicht nur die Formel des Protests, sondern auch die Formel des Defaitismus. Wer auf dieser Formel beharrt, lehnt alles ab. Er lehnt nicht nur einzelne Ordnungen, sondern die Ordnung ab. Nein ist die Formel der Anarchie. – Nichts ist einfacher, als immerfort »nein« zu sagen. Es sei denn, daß eine Ordnung besteht, die das Neinsagen unter Strafe stellt. (…) Wie können wir protestieren gegen ein Stehen, das kein Stehen ist? Wie können wir protestieren, ohne daß unser Nein sich in den Beschränkungen verstrickt und ohne daß es von der ontologischen Dimension verschluckt wird? Wie können wir, protestierend, den zerstörerischen Konsequenzen des Protestieren entgehen? – Neinsagen ist die Formel des Protests. In einer Welt, die zu Protesten Anlaß bietet, scheint es nicht überflüssig zu sein, diese Formel zu untersuchen. Aber die Untersuchung stößt auf Schwierigkeiten. Wir vermuten, daß es die Schwierigkeiten des Neinsagens selber sind. Heinrich, K. (1982): Versuch über die Schwierigkeiten Nein zu sagen. Basel: Stroemfeld/Roter Stern: 9ff |
Klaus Heinrich (*1927), Professor (emeritiert) für Religionswissenschaften (Schwerpunkt Religionsphilosophie); 1998 Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung; 2002 Verleihung des Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung); studentischer Mitbegründer der Freien Universität Berlin. |
Jeder darf alles sagen - es gibt nur kein Grundrecht darauf, dass einem niemand widerspricht. Jeder darf alles sagen - er muss nur damit rechnen, ausgegrenzt, verachtet, beschimpft, bedroht und in aller Öffentlichkeit als Idiot hingestellt zu werden. Nuhr, D. (2020): Erregt Euch. Dieter Nuhr wird als Nazi beschimpft und als linker Hetzer und als schwule Sau. Erstaunlich, was ein Komiker in diesem Land mit ein paar Witzen auslösen kann (J. Biazza). In: Süddeutsch Zeitung v. 28.02.2020: 3 |
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Jehuda Amichai (hebräisch יהודה עמיחי; ) wurde am 3. Mai 1924 als Ludwig Pfeuffer (Sohn des Kaufmanns Friedrich Moritz Pfeuffer) in Würzburg geboren und wuchs in einer vom jüdisch-orthodoxen Glauben geprägten Familie in Würzburg auf. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte die Familie 1935 nach Petach Tikwa (Palästina) und übersiedelte wenig später nach Jerusalem. Die Änderung des Familiennamens erfolgte 1946 (Amichai = Mein Volk lebt). Amichai studierte ab 1946 am David-Yellin-Lehrerseminar, anschließend studierte er hebräische Literatur und Bibelwissenschaft. Nach seiner Tätigkeit als Lehrer arbeitete er als Hochschuldozent für hebräische Literatur. Er gilt als einer der meistgelesenen und bedeutendsten modernen israelischen Dichter und war einer der ersten, die in umgangssprachlichem Hebräisch schrieben. Am 22. September 2000 starb Jehuda Amichai in Jerusalem.
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Der Ort, an dem wir recht haben An dem Ort, an dem wir recht haben, werden niemals Blumen wachsen im Frühjahr. Der Ort, an dem wir recht haben, ist zertrampelt und hart wie ein Hof. Zweifel und Liebe aber lockern die Welt auf wie ein Maulwurf, wie ein Pflug. Und ein Flüstern wird hörbar an dem Ort, wo das Haus stand, das zerstört wurde. Amichai, J. (1985): Zeit. Gedichte (aus dem Hebräischen von L. & P. Böhmer, Frankfurt/M.: Suhrkamp , 1. Aufl. 1998: 21 |
Interview mit Jürgen Habermas So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie. Habermas, J. (2020) im Gespräch mit Markus Schwering: Philosophie. Jürgen Habermas über Corona: "So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie". Frankfurter Rundschau online (aktualisiert am 10.04.20 - 11:52): www.fr.de |
Zitate in Zeiten von Corona - COVID 19
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Die Fachanwältin für Medizinrecht (Heidelberg), Beate Bahner nach Ablehnung ihres Eilantrags durch das Bundesverfassungsgericht (Karfreitag, 10. April 2020, 17.30 Uhr) ihre Anwaltszulassung zurückgegeben. Zuvor war ein polizeiliches Ermittlungsverfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu einer Straftat nach § 111 StGB wegen Einladung zur Demonstration "Coronoia" am (geplant für Ostersamstag) gegen sie eingeleitet worden Daraufhin reichte die Rechtsanwältin Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgerichts wegen Angriffs auf den Bestand der Bundesrepublik Deutschland durch die Corona-Verordnungen aller 16 Bundesländer).
Auch wenn man einige ihrer Argumente inhaltlich durchaus nachvollziehen kann, hat die Radikalität ihrer Ansichten und der daraus resultierenden Handlungen (mit weitreichender Wirkung auch auf Dritte) etwas zutiefst Erschreckendes und offenbart ein Potential, das uns allen innewohnt, aber eher selten in dieser Destruktivität an die Oberfläche kommt. Vermutlich war die erlebte Kränkung (polizeiliche Ermittlung, einschließlich vorübergehender Abschaltung ihrer Webseite) und die Ablehnung des Eilantrags nur der letzte Tropfen …
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Sehr gerne habe ich Sie über 25 Jahre als Anwältin begleitet und mich für Ihr gutes Recht eingesetzt. Mit der Entscheidung des BVerfG vom Karfreitag, 10. April 2020 habe ich meine Anwaltszulassung zurückgegeben. Es ist mir leider nicht gelungen, den Rechtsstaat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland, insbesondere unsere verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte und die unverbrüchlichen Menschenrechte vor dem schlimmsten weltweiten Angriff und der blitzschnellen Etablierung der menschenverachtensten Tyrannei zu retten, die die Welt jemals gesehen hat. Damit ist heute unser Rechtsstaat gestorben, den wir noch letztes Jahr mit dem 70-jährigen Bestehen unseres Grundgesetzes so stolz gefeiert haben. Unser Rechtsstaat lag schon seit zwei Wochen sterbend auf der Intensivstation und konnte von mir leider nicht wiederbeatmet werden. Es fehlten 83 Millionen Beatmungsgeräte. In dieser Diktatur kann auch ich leider nichts mehr für Sie tun. Ich war sehr gerne für Sie da und bedanke mich ganz herzlich bei allen Menschen, die mich in der Woche vom Freitag, 3. April 2020 bis Karfreitag, 10. April 2020 unterstützt und begleitet haben.
Ihre Beate Bahner, www.beatebahner.de (heruntergeladen am 11.04.2020 - 11:05) |
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Der Karikaturist Klaus Stuttmann hat auf seiner Webseite eine Reihe von Karikaturen veröffentlich - einige zum Schmunzeln, andere lassen (mich) das Lächeln gefrieren .... Freundlicherweise hat mir Herr Stuttmann erlaubt (18.04.20) einige seiner Zeichnungen zu veröffentlichen. Ich empfehle einen Besuch auf seiner Webseite:
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Die wesentliche Konsequenz unserer vorangehenden Ausführungen ist, daß der Mensch, dazu verurteilt, frei zu sein, das Gewicht der gesamten Welt auf seinen Schultern trägt: er ist für die Welt und für sich selbst als Seinsweise verantwortlich. Sartre, J.-P. (1943): L'être et le néant. Essaie d'ontologie phénoménologique. Paris: Gallimard. Deutsch: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 21. Aufl. 2019: 950
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Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, anderweit aber dennoch frei, da er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut. Was wir sagen wollen ist, daß ein Mensch nichts anderes ist als eine Reihe von Unternehmungen, daß er die Summe, die Durchgliederung, die Gesamtheit der Beziehungen ist, welche diese Unternehmungen ausmachen. Sartre, J.-P. (1946): L'Existentialisme est un humanisme. Deutsch: Der Existentialismus ist ein Humanismus? In: Drei Essays. Frankfurt/M.: Ullstein, 10. Aufl. 2019 (145-192): 16 und 23
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Jeder Tag ist ein kleines Leben, — jedes Erwachen und Aufstehn eine kleine Geburt, jeder frische Morgen eine kleine Jugend, und jedes zu Bette gehn und Einschlafen ein kleiner Tod. Schopenhauer, A. (1913): Aphorismen zur Lebensweisheit: Düsseldorf: Ernst Ohle online: gutenberg (Kapitel V, Abschnitt B) |
Was klagst du über Feinde? Sollten solche je werden Freunde, Denen das Wesen, wie du bist, Im stillen ein ewiger Vorwurf ist? Goethe, J. W. von (1819): West-Östlicher Diwan. Berliner Ausgabe, Band 3 (Hrsg. v. S. Seidel). Berlin: Aufbau, 1960: 71 |
Kurt Eisner (1867-1919) Karl Landauer zitierte dieses Vers, den Kurt Eisner als Achtzehnjähriger schrieb bei seiner Trauerrede für ihn am 26.02.1918 auf dem Ostfriedhof in München. Eisner, der Anführer der Novemberrevolution in München und erster Ministerpräsident des Freistaat Bayerns, wurde von einem militaristischen und antisemitischen Burschenschaftler, Anton Graf von Arco auf Valley, am 21.02.1919 (Ecke Bayerischer Hof/Prannerstraße, München) ermordet. |
Nur der lebt wahr, der lebt in andern, und sterben ist's allein zu wandern. Eisner, K. (1885): zit. nach V. Weidermann (2019): Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen. München: btb Verlag: 130 |
Die Urne mit der Asche Eisners wurde am Ostfriedhof beigesetzt. 1933 wurde sie auf Betreiben der nationalsozialistischen Stadträte Christian Weber und Hans Zöberlein auf den Neuen Israelitischen Friedhof (Garchingerstraße, Freimann) in ein Urnengrab umgebettet, unmittelbar neben Gustav Landauer, der wenige Wochen nach Eisner von Freikorpssoldaten ermordet worden war. Der auf dem Ostfriedhof 1922 errichtete Gedenkstein wurde im Juni 1933 entfernt und 1954 wieder errichtet. Er erinnert an Kurt Eisner und die Toten der Revolution 1919. |
Kurt Eisner lieget hie, Der Plänereiche: Einst zweifelhaft Genie, Jetzt sicher Leiche. Eisner, K. (3.12.1888): An meinen Biographen d. h. Grabsteindichter. Zit. nach V. Weidermann (2019): Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen. München: btb Verlag: 133 online: www.kurt-eisner-werke.org
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Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat gesund zu sein. Brecht, B. (1928): Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 21: Schriften 1. |
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Unterwegs Generation ohne Abschied Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist Abgrund. Wir sind die Generation ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied. Unsere Sonne ist schmal, unsere Liebe grausam und unsere Jugend ist ohne Jugend. Und wir sind die Generation ohne Grenze, ohne Hemmung und Behütung — ausgestoßen aus dem Laufgitter des Kindseins in eine Welt, die die uns bereiten, die uns darum verachten. Aber sie gaben uns keinen Gott mit, der unser Herz hätte halten können, wenn die Winde dieser Welt es umwirbelten. So sind wir die Generation ohne Gott, denn wir sind die Generation ohne Bindung, ohne Vergangenheit, ohne Anerkennung. Und die Winde der Welt, die unsere Füße und unsere Herzen zu Zigeunern auf ihren heißbrennenden und mannshoch verschneiten Straßen gemacht haben, machten uns zu einer Generation ohne Abschied. Wir sind die Generation ohne Abschied. Wir können keinen Abschied leben, wir dürfen es nicht, denn unserm zigeunernden Herzen geschehen auf den Irrfahrten unserer Füße unendliche Abschiede. Oder soll sich unser Herz binden für eine Nacht, die doch einen Abschied zum Morgen hat? Ertrügen wir den Abschied? Und wollten wir die Abschiede leben wie ihr, die anders sind als wir und den Abschied auskosteten mit allen Sekunden, dann könnte es geschehen, daß unsere Tränen zu einer Flut ansteigen würden, der keine Dämme, und wenn sie von Urvätern gebaut wären, widerstehen. Nie werden wir die Kraft haben, den Abschied, der neben jedem Kilometer an den Straßen steht, zu leben, wie ihr ihn gelebt habt. Sagt uns nicht, weil unser Herz schweigt, unser Herz hätte keine Stimme, denn es spräche keine Bindung und keinen Abschied. Wollte unser Herz jeden Abschied, der uns geschieht, durchbluten, innig, trauernd; tröstend, dann könnte es geschehen, denn unsere Abschiede sind eine Legion gegen die euren, daß der Schrei unserer empfindlichen Herzen so groß wird, daß ihr nachts in euren Betten sitzt und um einen Gott für uns bittet. Darum sind wir eine Generation ohne Abschied. Wir verleugnen den Abschied, lassen ihn morgens schlafend, wenn wir gehen, verhindern ihn, sparen ihn — sparen ihn uns und den Verabschiedeten. Wir stehlen uns davon wie Diebe, undankbar dankbar und nehmen die Liebe und lassen den Abschied da. Wir sind voller Begegnungen, Begegnungen ohne Dauer und ohne Abschied, wie die Sterne. Sie nähern sich, stehen Lichtsekunden nebeneinander, entfernen sich wieder: ohne Spur, ohne Bindung, ohne Abschied. Wir begegnen uns unter der Kathedrale von Smolensk, wir sind ein Mann und eine Frau — und dann stehlen wir uns davon. Wir begegnen uns in der Normandie und sind wie Eltern und Kind — und dann stehlen wir uns davon. Wir begegnen uns eine Nacht am finnischen See und sind Verliebte — und dann stehlen wir uns davon. Wir begegnen uns auf einem Gut in Westfalen und sind Genießende und Genesende — und dann stehlen wir uns davon. Wir begegnen uns in einem Keller der Stadt und sind Hungernde, Müde, und bekommen für nichts einen guten satten Schlaf — und dann stehlen wir uns davon. Wir begegnen uns auf der Welt und sind Mensch mit Mensch — und dann stehlen wir uns davon, denn wir sind ohne Bindung, ohne Bleiben und ohne Abschied. Wir sind eine Generation ohne Abschied, die sich davonstiehlt wie Diebe, weil sie Angst hat vor dem Schrei ihres Herzens. Wir sind eine Generation ohne Heimkehr, denn wir haben nichts, zu dem wir heimkehren könnten, und wir haben keinen, bei dem unser Herz aufgehoben wäre — so sind wir eine Generation ohne Abschied geworden und ohne Heimkehr. Aber wir sind eine Generation der Ankunft. Vielleicht sind wir eine Generation voller Ankunft auf einem neuen Stern, in einem neuen Leben. Voller Ankunft unter einer neuen Sonne, zu neuen Herzen. Vielleicht sind wir voller Ankunft zu einem neuen Lieben, zu einem neuen Lachen, zu einem neuen Gott. Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, daß alle Ankunft uns gehört. Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 58ff Hinweis zum Copyright: Die Texte sind, 70 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Borchert (1947), gemeinfrei. |
Wolfgang Borchert (1921-1947), deutscher Schriftsteller (er wird als Vertreter der Kahlschlags- oder Trümmerliteratur bezeichnet). Bereits in seiner Jugend schrieb Borchert zahlreiche Gedicht und strebte dann den Beruf des Schauspielers an. Kurz nach der Ausbildung und einem ersten Engagement in einem Tourneetheater wurde er 1941 zum Kriegsdienst in die Wehrmacht eingezogen und musste am sogenannten Rußlandfeldzug" teilnehmen, wo er sich schwere Verwundungen und Infektionen zuzog. Wegen seiner Kritik am Nationalsozialismus und "Wehrkraftzersetzung" wurde er mehrfach verurteilt und inhaftiert. Wolfgang Borchert starb am 20. November 1947 an den Folgen einer überempfindlichen Leber, die durch andauernde Ernährungsmängel immer weiter geschädigt worden und am Ende zu enormer Größe angeschwollen war. Sein bekanntestes Stückt ist das Drama "Draußen vor der Tür" (im Gesamtwerk: 97-162). Er schrieb es im Spätherbst 1946 in wenigen Tagen, und wenige Monate vor seinem Tod. Nach einer Hörspielfassung im Februar 1947 erfolgte die Uraufführung einen Tag nach seinem Tod unter Leitung von Ida Ehre, der Gründerin und Leiterin der Hamburger Kammerspiele. Anmerkung: Auch mehr als sieben Jahrzehnten nach dem "Krieg" ist schwer zu ertragen, was Borchert hier beschreibt: Vom und nach dem Krieg - und was die Deutschen unter der Oberfläche von Demokratie, Sozialismus und Kapitalismus ("sozialer Marktwirtschaft") geprägt hat. |
Gewiss üben die Massen ihre Wirkungskraft stets unbewusst aus. Aber vielleicht ist gerade dies Unbewusste das Geheimnis ihrer Kraft. In der Natur gibt es Wesen, die nur aus Instinkt handeln und Taten vollbringen, deren wunderbare Mannigfaltigkeit wir anstaunen. Der Gebrauch der Vernunft ist für die Menschheit noch zu neu und zu unvollkommen, um die Gesetze des Unbewussten enthüllen zu können und besonders, um es zu ersetzen. Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der Vernunft sehr klein. Das Unbewusste ist eine Wirkungskraft, die wir noch nicht erkennen können. Wollen wir uns also in den engen, aber sicheren Grenzen der wissenschaftlich erkennbaren Dinge halten und nicht auf dem Felde unbestimmter Vermutungen und nichtiger Voraussetzungen umherirren, so dürfen wir nur die Erscheinungen feststellen, die uns zugänglich sind, und müssen uns damit begnügen. Jede Folgerung, die wir aus unseren Beobachtungen ziehen, ist meistens voreilig; denn hinter den wahrgenommenen Erscheinungen gibt es solche, die wir undeutlich sehen, und hinter diesen wahrscheinlich noch andere, die wir überhaupt nicht erkennen. Le Bon, G. (1911): Psychologie der Massen . Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft 3. Aufl. 2019 (übers. v. R. Eisler nach der Ausgabe 1911): 19 (aus dem Vorwort von G. Le Bon zur ersten Ausgabe 1895) |
Gustave Le Bon (1841-1931), französischer Mediziner, Anthropologe, Psychologe, Soziologe und Erfinder. Er gilt als einer der Begründer der Massenpsychologie, einem Teilgebiet der Sozialpsychologie. Sein bekanntestes Buch und bis heute immer wieder aufgelegtes Buch "Psychologie der Massen" hatte weitreichende Wirkung u. a. auch auf Max Weber und Sigmund Freud. online über Internet Archieve: https://archive.org/details/Le-Bon-Gustave-Psychologie-der-Massen/mode/2up Anmerkung: Nicht ohne weiteres ist hier zu erkennen, daß der Text nicht von S. Freud stammt, sondern eben von Gustave Le Bon - zu einer Zeit, da Freud in den Anfangen der von ihm erarbeiteten Psychoanalyse stand. In seinem Werk "Massenpsychologie und Ich-Analyse" setzt er sich 1921 mit dem Werk Le Bons auseinander (1921c, GW XIII: 71-161) auseinander. Zunächst erweitert er Le Bons Verwendung des Unbewußten als tiefstem Merkmal der archaischen Rasseseele – in der Psychoanalyse als "Kern des Ichs (das Es, wie ich es später genannt habe), dem die »archaische Erbschaft« der Menschenseele angehört" – und sondert davon das »unbewußte Verdrängte« ab, welches aus einem Anteil dieser Erbschaft hervorgegangen ist. Dieser Begriff des Verdrängten fehlt bei Le Bon" (GW XIII: 79 Fn 1). Er stimmt in der Folge zentralen Aussagen Le Bons zu, so der Beschreibung der Massenseele (GW XIII, 82), hält die Aussagen Le Bons über die Führer der Massen aber für "weniger erschöpfend und läßt das Gesetzmäßige nicht so deutlich durchschimmern." (GW XIII, 86)
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Volkslied War es im Walde, waren die Wege verschneit, gingen die Kinder, gingen im Walde zu weit. Über die Heide sangen sie, lachten sie gern, hörten vom Berge Stimmchen wie Silber so fern. Schön sind die Tannen, duftig das funkelnde Eis. Furcht auf den Wangen glüht wie ein Öfchen so heiß. Daß ich dich liebe – bin wie die Kinder im Wald. Sie sind erfroren. Folg ihnen bald.. Kerckhoff, S. (1950): Berliner Zeitung v. 11.03.1950 Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr. 139, Freitag, 19.06.2020: 11 (IMG) |
Drei Tage nach der Veröffentlichung, in der Nacht v. 14. auf den 15. März 1950, nahm sich die Schriftstellerin, Lyrikerin und Journalistin Susanne Kerckhoff mit 32 Jahren das Leben. In ihrem Abschiedsbrief schreibt sie: An meine Freunde. Die Ursache, die im wesentlichen meinen Selbstmord bewirkt, ist der Verlust meiner Kinder. Meine letzten Gedanken gelten, trotz meiner persönlichen Schwäche, ganz allein dem Gedeihen der Deutschen Demokratischen Republik, der ich stärkere und fähigere und tapferere Menschen wünsche, als ich es bin. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung. Lernen aus der Geschichte – LaG – Material: Das Gedicht "Volkslied" von Susanne Kerckhoff (5.2.1918-15.3.1950) aus biografischer Sicht. Zum LaG-Magazin 08/2013 (Webseite)
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Es hört doch jeder nur, was er versteht Goethe, J. W. von (1950): Berliner Ausgabe. Herausgegeben von Siegfried Seidel: Poetische Werke [Band 1–16]; Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen [Band 17–22], Berlin: Aufbau, 1960 ff. Band 18: 611 online: www.zeno.org
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Sigmund Freud (1856-1939) VERGÄNGLICHKEIT Anmerkung: Der Spaziergang fand Anfang September 1913, anlässlich des 4. Kongresses der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) in München statt (also im Übergang von Sommer zu Herbst) der "junge(n), bereits rühmlich bekannte(n)" Dichter ist Rainer Maria Rilke, der "schweigsame(n)" Freund vermutlich C. G. Jung (am Beginn des Bruches der Freundschaft mit Freud). Lou Andreas-Salomé hatte Freud den Dichter auf der Tagung vorgestellt. |
Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen Freundes und eines jungen, bereits rühmlich bekannten Dichters einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft. Der Dichter bewunderte die Schönheit der Natur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen. Ihn störte der Gedanke, daß all diese Schönheit dem Vergehen geweiht war, daß sie im Winter dahingeschwunden sein werde, aber ebenso jede menschliche Schönheit und alles Schöne und Edle, was Menschen geschaffen haben und schaffen könnten. Alles, was er sonst geliebt und bewundert hätte, schien ihm entwertet durch das Schicksal der Vergänglichkeit, zu dem es bestimmt war. Wir wissen, daß von solcher Versenkung in die Hinfälligkeit alles Schönen und Vollkommenen zwei verschiedene seelische Regungen ausgehen können. Die eine führt zu dem schmerzlichen Weltüberdruß des jungen Dichters, die andere zur Auflehnung gegen die behauptete Tatsächlichkeit. Nein, es ist unmöglich, daß all diese Herrlichkeiten der Natur und der Kunst, unserer Empfindungswelt und der Welt draußen, wirklich in Nichts zergehen sollten. Es wäre zu unsinnig und zu frevelhaft, daran zu glauben. Sie müssen in irgendeiner Weise fortbestehen können, allen zerstörenden Einflüssen entrückt. Allein diese Ewigkeitsforderung ist zu deutlich ein Erfolg unseres Wunschlebens, als daß sie auf einen Realitätswert Anspruch erheben könnte. Auch das Schmerzliche kann wahr sein. Ich konnte mich weder entschließen, die allgemeine Vergänglichkeit zu bestreiten, noch für das Schöne und Vollkommene eine Ausnahme zu erzwingen. Aber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, daß die Vergänglichkeit des Schönen eine Entwertung desselben mit sich bringe. Im Gegenteil, eine Wertsteigerung! Der Vergänglichkeitswert ist ein Seltenheitswert in der Zeit. Die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erklärte es für unverständlich, wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte. Was die Schönheit der Natur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerstörung durch den Winter im nächsten Jahre wieder, und diese Wiederkehr darf im Verhältnis zu unserer Lebensdauer als eine ewige bezeichnet werden. Die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts sehen wir innerhalb unseres eigenen Lebens für immer schwinden, aber diese Kurzlebigkeit fügt zu ihren Reizen einen neuen hinzu. Wenn es eine Blume gibt, welche nur eine einzige Nacht blüht, so erscheint uns ihre Blüte darum nicht minder prächtig. Wie die Schönheit und Vollkommenheit des Kunstwerks und der intellektuellen Leistung durch deren zeitliche Beschränkung entwertet werden sollte, vermochte ich ebensowenig einzusehen. Mag eine Zeit kommen, wenn die Bilder und Statuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein Menschengeschlecht nach uns, welches die Werke unserer Dichter und Denker nicht mehr versteht, oder selbst eine geologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt ist, der Wert all dieses Schönen und Vollkommenen wird nur durch seine Bedeutung für unser Empfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbst nicht zu überdauern und ist darum von der absoluten Zeitdauer unabhängig. Ich hielt diese Erwägungen für unanfechtbar, bemerkte aber, daß ich dem Dichter und dem Freunde keinen Eindruck gemacht hatte. Ich schloß aus diesem Mißerfolg auf die Einmengung eines starken affektiven Moments, welches ihr Urteil trübte, und glaubte dies auch später gefunden zu haben. Es muß die seelische Auflehnung gegen die Trauer gewesen sein, welche ihnen den Genuß des Schönen entwertete. Die Vorstellung, daß dieses Schöne vergänglich sei, gab den beiden Empfindsamen einen Vorgeschmack der Trauer um seinen Untergang, und da die Seele von allem Schmerzlichen instinktiv zurückweicht, fühlten sie ihren Genuß am Schönen durch den Gedanken an dessen Vergänglichkeit beeinträchtigt. Die Trauer über den Verlust von etwas, das wir geliebt oder bewundert haben, erscheint dem Laien so natürlich, daß er sie für selbstverständlich erklärt. Dem Psychologen aber ist die Trauer ein großes Rätsel, eines jener Phänomene, die man selbst nicht klärt, auf die man aber anderes Dunkle zurückführt. Wir stellen uns vor, daß wir ein gewisses Maß von Liebesfähigkeit, genannt Libido, besitzen, welches sich in den Anfängen der Entwicklung dem eigenen Ich zugewendet hatte. Später, aber eigentlich von sehr frühe an, wendet es sich vom Ich ab und den Objekten zu, die wir solcher Art gewissermaßen in unser Ich hineinnehmen. Werden die Objekte zerstört oder gehen sie uns verloren, so wird unsere Liebesfähigkeit (Libido) wieder frei. Sie kann sich andere Objekte zum Ersatz nehmen oder zeitweise zum Ich zurückkehren. Warum aber diese Ablösung der Libido von ihren Objekten ein so schmerzhafter Vorgang sein sollte, das verstehen wir nicht und können es derzeit aus keiner Annahme ableiten. Wir sehen nur, daß sich die Libido an ihre Objekte klammert und die verlorenen auch dann nicht aufgeben will, wenn der Ersatz bereit liegt. Das also ist die Trauer. Die Unterhaltung mit dem Dichter fand im Sommer vor dem Kriege statt. Ein Jahr später brach der Krieg herein und raubte der Welt ihre Schönheiten. Er zerstörte nicht nur die Schönheit der Landschaften, die er durchzog, und die Kunstwerke, an die er auf seinem Wege streifte, er brach auch unseren Stolz auf die Errungenschaften unserer Kultur, unseren Respekt vor so vielen Denkern und Künstlern, unsere Hoffnungen auf eine endliche Überwindung der Verschiedenheiten unter Völkern und Rassen. Er beschmutzte die erhabene Unparteilichkeit unserer Wissenschaft, stellte unser Triebleben in seiner Nacktheit bloß, entfesselte die bösen Geister in uns, die wir durch die Jahrhunderte währende Erziehung von seiten unserer Edelsten dauernd gebändigt glaubten. Er machte unser Vaterland wieder klein und die andere Erde wieder fern und weit. Er raubte uns so vieles, was wir geliebt hatten, und zeigte uns die Hinfälligkeit von manchem, was wir für beständig gehalten hatten. Es ist nicht zu verwundern, daß unsere an Objekten so verarmte Libido mit um so größerer Intensität besetzt hat, was uns verblieben ist, daß die Liebe zum Vaterland, die Zärtlichkeit für unsere Nächsten und der Stolz auf unsere Gemeinsamkeiten jäh verstärkt worden sind. Aber jene anderen, jetzt verlorenen Güter, sind sie uns wirklich entwertet worden, weil sie sich als so hinfällig und widerstandsunfähig erwiesen haben? Vielen unter uns scheint es so, aber ich meine wiederum, mit Unrecht. Ich glaube, die so denken und zu einem dauernden Verzicht bereit scheinen, weil das Kostbare sich nicht als haltbar bewährt hat, befinden sich nur in der Trauer über den Verlust. Wir wissen, die Trauer, so schmerzhaft sie sein mag, läuft spontan ab. Wenn sie auf alles Verlorene verzichtet hat, hat sie sich auch selbst aufgezehrt, und dann wird unsere Libido wiederum frei, um sich, insofern wir noch jung und lebenskräftig sind, die verlorenen Objekte durch möglichst gleich kostbare oder kostbarere neue zu ersetzen. Es steht zu hoffen, daß es mit den Verlusten dieses Krieges nicht anders gehen wird. Wenn erst die Trauer überwunden ist, wird es sich zeigen, daß unsere Hochschätzung der Kulturgüter unter der Erfahrung von ihrer Gebrechlichkeit nicht gelitten hat. Wir werden alles wieder aufbauen, was der Krieg zerstört hat, vielleicht auf festerem Grund und dauerhafter als vorher. Freud, S. (1916b): Vergänglichkeit. GW X: 358-361 |
Prof. Dr. Hans-Peter Erb ist Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg |
Dunning-Kruger-Effekt: Damit ist gemeint, dass Leute, die wenig Ahnung haben, nicht merken, dass sie wenig Ahnung haben. Und das liegt daran, dass sie wenig Ahnung haben. (...) Wir haben eine Entwicklung hin zum Individualismus in unserer Gesellschaft. (...) Wenn wir das übertragen, müsste auch der Dunning-Kruger-Effekt stärker werden: Dass wir uns alle überschätzen als noch vor 30, 40 Jahren. Die Tendenz geht jedenfalls in diese Richtung. Erb, H.-P. (2020): In: Labern und labern lassen. Ist der Fußball nicht eigentlich kaputt? Sicher, trotzdem schauen alle zu und reden darüber, wenn die Liga jetzt wieder anfängt. Und besser Millionen Bundestrainer als Millionen Virologen. Ein Lob des Fußballs als Gesprächsgegenstand (H. Gerz). Süddeutsche Zeitung Nr. 216 (18.09.2020): 3 |
Eyes Full Of Rage One day you'll wake up to find They've taken possession of your mind They'll make you into a number, they'll take away your choice They're going to make you into a zombie without a voice (chorus) With your eyes full of rage, eyes full of rage With your eyes full of rage, and a heart full of hate Life as once we knew it is now dying White rights are disappearing form the earth They'll take away our birthrights, take away our lands They're going to take away what was ours since time began It's time that we all stood up for our nations It's time that we all made that sacrifice We'll stand against the traitors, we'll stand up for our rights And we will never give them up without a fight Skrewdriver (1991): Album "After the Fire", Track 5 Augen voller Wut Eines Tages wirst du aufwachen und merken Sie haben deinen Verstand in Besitz genommen Sie werden dich zu einer Nummer machen, sie werden dir deine Wahl nehmen Sie werden dich zu einem Zombie ohne Stimme machen (Chor) Mit deinen Augen voller Wut, Augen voller Wut Mit deinen Augen voller Wut und einem Herzen voller Hass Das Leben, wie wir es einst kannten, stirbt jetzt Weiße Rechte verschwinden von der Erde Sie werden unsere Geburtsrechte wegnehmen, unser Land wegnehmen Sie werden wegnehmen, was uns schon immer gehört hat Es ist Zeit, dass wir uns alle für unsere Nationen einsetzen Es ist Zeit, dass wir alle dieses Opfer bringen Wir werden uns gegen die Verräter stellen, wir werden uns für unsere Rechte einsetzen Und wir werden sie niemals kampflos aufgeben (Übersetzung JT) |
Wikipedia (heruntergeladen 19.09.2020): "Skrewdriver (englisch abgewandelt von ›screwdriver‹ Schraubendreher) war eine britische Musikgruppe aus Blackpool. Sie wurde 1976 als Punk-Band gegründet und entwickelte sich später zu einer international bekannten neonazistischen Band. Sie gilt als Vorreiter der Rechtsrock-Szene und war Zugpferd des rassistischen und neonazistischen Netzwerks Rock Against Communism. Später war sie eine der Gründungsbands von Blood and Honour. Leadsänger und Haupttexter Ian Stuart Donaldson war bis zu seinem Tod am 24. September 1993 eine Leitfigur der internationalen Rechtsrock-Szene und wird seit seinem Tod als Märtyrer verehrt." Anmerkung: Auf diesen Liedtext stieß ich durch einen Vortrag des Historikers Prof. Dr. Roger Griffin im Rahmen des Symposiums "Attraktion von Hasspolitik" (Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München, DPG-AG München, Brockhaus-Stiftung) am 18.09.2020: "Wie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit Hass attraktiv machen kann". Seiner These würde ich als Psychoanalytiker nicht uneingeschränkt zustimmen. Die unbewußte Dimension und Grundlage des sicherlich bestehenden Bedürfnisses nach Zugehörigkeit, das durch gesellschaftliche Prozesse der Ungleichheit und erlebten/realen Ungerechtigkeit verstärkt wird, taucht hier nicht auf: Aggression infolge nicht bewältigter Trauer angesichts von Frustrations- und Trennungserlebnissen. Der Haß, der ursprünglich denjenigen galt, die das verursacht haben, wird verschoben und projiziert auf jene, die in der Gegenwart vermeintlich alles bekommen und es denen, die ein Recht darauf haben, wegnehmen. |
Zum Abendessen gab es Koteletts, Kartoffeln und — für wen auch immer — Salat. Francis beobachtete, wie die Chedwicks das Fleisch kleinschnitten und es sich genussvoll in den Mund schoben. Beide waren ziemlich übergewichtig, Sex hatten sie bestimmt keinen mehr. Sie hatten das Lustzentrum vom Schlafzimmer in die Küche verlegt. War aber okay, weil es für sie zu funktionieren schien. Ihre Lebenseinstellung lautete ungefähr so: »Wenn Du mal nicht weiterweißt, schmeiß ein Steak auf den Grill.« Wells, B. (2011): Fast genial. Zürich: Diogenes; Diogenes Deluxe 2015: 31f |
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It’s easier to be a parent this morning. It’s easier to be a dad. It’s easier to tell your kids character matters. It matters. Telling the truth matters. Being a good person matters. And it’s easier for a whole lot of people. If you’re Muslim in this country, you don’t have to worry if the president doesn’t want you here. If you’re an immigrant, you don’t have to worry if the president is going to be happy to have babies snatched away, send dreamers back for no reason. It’s vindication for a lot of people who have really had suffered. You know, "I can’t breathe", that wasn’t just George Floyd. That was a lot of people who felt they couldn’t breathe. Every day you’re waking up you’re getting these tweets and you just don’t know. And you’re going to the store and people who have been afraid to show their racism get nastier and nastier to you. And you’re worried about your kids and you’re worried about your sister and can she just go to Walmart and get back into her car without somebody saying something to her. And you spend so much of your life energy just trying to hold it together. And this is a big deal for us just to be able to get some peace and have a chance for a reset. And the character of the country matters. And being a good man matters. I just want my sons to look at this. It's easier to do it the cheap way and get away with stuff. But it comes back around. It comes back around. And it’s good for this country. I’m sorry for the people who lost. For them it’s not a good day. But for a whole lot of people, it’s a good day.
Heute Morgen ist es einfacher, Eltern zu sein. Es ist einfacher, Vater zu sein. Es ist einfacher, deinen Kindern zu erklären daß Charakter wichtig ist . Er ist wichtig. Die Wahrheit zu sagen, ist wichtig! Ein guter Mensch zu sein, ist wichtig. Und es ist einfacher für eine ganze Menge Menschen. Wenn Sie ein Moslem in diesem Land sind , müssen Sie sich keine Sorgen machen, wenn der Präsident Sie nicht hier haben will. Wenn Sie ein Einwanderer sind, müssen Sie sich keine Sorgen machen, ob der Präsident Freude daran hat Babies wegzunehmen und "dreamers" ohne Grund zurückzuschicken. Das ist eine Wiedergutmachung für viele Menschen, die wirklich gelitten haben. Wissen Sie "I can't breathe?", das war nicht nur George Floyd. Es gibt viele Leute, die das Gefühl hatten, nicht atmen zu können. Jeden Tag, wenn du aufwachst, bekommst du diese Tweets und du weißt einfach nicht. Und du gehst in den Laden und Menschen, die sich nicht getraut hatten, ihren Rassismus zu zeigen, werden widerlicher und widerlicher zu dir. Und du machst dir Sorgen um deine Kinder und um deine Schwester. Kann sie nicht einfach zu Walmart gehen und wieder in ihr Auto steigen, ohne dass jemand etwas zu ihr sagt? Und du hast so viel von deiner Lebensenergie aufgewendet, nur um dich zusammenzureißen. Und das ist eine große Sache für uns, nun in der Lage zu sein, etwas Frieden zu bekommen und die Chance auf einen Neuanfang zu haben. Der Charakter des Landes ist wichtig. Und ein guter Mensch zu sein ist wichtig. Ich möchte nur, dass meine Söhne sich das ansehen. Es ist einfacher es auf die billige Weise zu tun und mit solchen Sachen davonzukommen. Aber sie kommen zurück. Sie sie kommen zurück. Und es ist ein guter Tag für dieses Land. Es tut mir leid für die Leute, die verloren haben. Für sie ist es kein guter Tag. Aber für sehr viele Menschen ist es ein guter Tag. (Übersetzung JT) Van Jones, 52-jähriger Politikwissenschaftler im Interview bei CNN live in der Sendung am 7.11.2020, vom Moderator unmittelbar nach der Verkündung des Wahlsiegs von Joe Biden über Donald Trump befragt - und mit den Tränen kämpfend ... online: https://edition.cnn.com/2020/11/07/opinions/the-election-is-a-huge-relief-van-jones/index.html
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Willy Brandt: Der Kniefall von Warschau 7.12.1970
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Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland. Schreiber, H. (1970): Ein Stück Heimkehr. SPIEGEL-Reporter Hermann Schreiber mit Bundeskanzler Brandt in Warschau. Spiegel 51 (14.12.1970): 29 online: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/43822428 Anmerkung: Ob deutsche Briefmarken als amtliche Werke gemeinfrei sind, ist seit langem zwischen der Literatur und Gerichten umstritten. Sollte die/der jeweilige Rechteinhaber*in nicht mit der Abbildung auf dieser Seite einverstanden sein, werde ich sie unverzüglich entfernen.
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Theodor Shitstorm alias Desiree Klaeukens und Dietrich Brüggemann, veröffentlichten dieses Lied im März 2020. Dazu Dietrich Brüggemann selbst: Die gesamte Welt – oder zumindest der Teil davon, der es sich leisten kann – sitzt zuhause und schreibt Songs über Corona. Eigentlich wollten wir uns da auf keinen Fall beteiligen. Doch dann starb Gabo Delgado (DAF), im Radio kamen Nachrufe, danach lief immer der "Mussolini", und wir hörten immer nur: „BEWEG DEINEN HINTERN / UND WASCH DIR DIE HÄNDE. Und da war es nicht mehr zu stoppen. Es musste sein. Es musste raus. Wir tanzen jetzt die soziale Distanz und hoffen, dass wir damit nicht allein bleiben."
(zitiert nach: Das (offizielle) Video: https://www.youtube.com/watch?v=DWNCsBWxOJA |
Tanz die soziale Distanz Bleib mir vom Leibe und wasch dir die Hände Komm mir nicht zu nah, und wasch dir die Hände Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Gib mir keine Hand und wasch dir die Hände Gib mir keinen Kuss und wasch dir die Hände Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Geh nicht zur Schule und wasch dir die Hände Geh nicht zur Arbeit und wasch dir die Hände Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Tanz den Virus und jetzt im Mundschutz Und jetzt im Kekulé und jetzt die Charité Lass dich testen und tanz nach Westen Tanz nach Osten und tanz den Drosten und … Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Tanz die Distanz, tanz die soziale, totale, normale, die ganz radikale Distanz ... Kloopapier ist alle, Nudeln sind alle Kauf dir (ein)nen Hamster, Hamster sind alle Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Mach kein Hauskonzert aber wasch dir die Hände Mach was Mutti sagt und wasch dir die Hände Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Geh Bankrott und dann wasch dir die Hände Hol dir Hartz IV und dann wasch dir die Hände Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Tanz den Virus und jetzt im Mundschutz Und jetzt in Quarantäne und mach jetzt keine Pläne Tanz die Krise und tanz die Pause Tanz die Pleite und bleib zu Hause Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ... Tanz die Distanz, tanz die soziale, totale, normale, die ganz radikale Distanz ... Tanz die Distanz, tanz die soziale, totale, normale, die ganz radikale Distanz ... Theodor Shitstorm (2020): Tanz die soziale Distanz; CD Tanz die soziale Distanz: Staatsakt Rec. GmbH (13.04.2020) |
Michael Friedmann im Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki ARD extra Thema: Friedmann Erstausstrahlung 28.03.2001 Anmerkung: Ein bedeutender Zeitzeuge unseres Jahrhunderts! Er berichtet von seinem wechselvollen Erleben in Polen, Berlin, im Warschauer Getto und wieder in Deutschland, wohin er 1958 zurückkehrt in "Mein Leben" Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt (12. Auflage 2000) |
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233. Überschreitet man das richtige Maß, so kann das Angenehmste zum Unangenehmsten werden. Demokrit (ca. 400 vor Chr.): Demokrit aus Abdera. In: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. Vierte Auflage, 1. und 2. Band, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1922: 106 Online: www.zeno.org |
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alle ding sind gifft unnd nichts ohne gifft / allein die dosis macht das ein ding kein gifft ist. Paracelsus (1574): Die dritte Defension von den newen Recepten, in: Labyrintus und Irrgang der vermeinten Artzet. Item/ Siben Defensiones/ oder Schirmreden. Basel: 88 Online: books.google.de |
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Amanda Gorman (* 1998) bei der Inauguration des 46. Präsidenten der USA, Joe Biden. Die zweiundzwanzigjährige Frau beeindruckt die Welt mit ihrem hochpolitischen Gedicht am Ende einer niederschmetternden destruktiven Präsidentschaft, die verbrannte Erde und ein noch weiter gespaltenes Land hinterlassen hat. Mit Ihren Worten beschönt sie nichts und macht doch Hoffnung, daß eine neue Zeit beginnt ... Zu sehen auf Live abc-News: THE INAUGURATUION OF JOSEPH R. BIDEN JR. https://www.youtube.com Einleitend sagte Sie: Mr. President, Dr. Biden, Madam Vice President, Mr. Emhoff, Americans and the world ... |
[The Hill We Climb] When day comes, we ask ourselves where can we find light in this never-ending shade? The loss we carry a sea we must wade. We've braved the belly of the beast we've learned that quiet isn't always peace. And the norms and notions of what just is, isn't always just-ice. And yet the dawn is ours before we knew it. Somehow we do it somehow we've weathered and witnessed a nation that isn't broken but simply unfinished. We, the successors of a country and a time where a skinny Black girl descended from slaves and raised by a single mother can dream of becoming president only to find herself reciting for one. And yes, we are far from polished far from pristine. But that doesn't mean we are striving to form a union that is perfect. We are striving to forge our union with purpose to compose a country, committed to all cultures, colors, characters, and conditions of man. And so we lift our gaze, not to what stands between us but what stands before us. We close the divide because we know to put our future first we must first put our differences aside. We lay down our arms so we can reach out our arms to one another. We seek harm to none and harmony for all. Let the globe, if nothing else, say, this is true: That even as we grieved, we grew that even as we hurt, we hoped that even as we tired, we tried that we'll forever be tied together, victorious. Not because we will never again know defeat but because we will never again sow division. Scripture tells us to envision that everyone shall sit under their own vine and fig tree and no one shall make them afraid. If we're to live up to our own time then victory won't lie in the blade but in all the bridges we've made. That is the promised glade the hill we climb. If only we dare it's because being American is more than a pride we inherit. It's the past we step into and how we repair it. We've seen a force that would shatter our nation, rather than share it. Would destroy our country if it meant delaying democracy. And this effort very nearly succeeded. But while democracy can be periodically delayed it can never be permanently defeated. In this truth in this faith we trust for while we have our eyes on the future history has its eyes on us. This is the era of just redemption. We feared at its inception we did not feel prepared to be the heirs of such a terrifying hour but within it, we found the power to author a new chapter. To offer hope and laughter to ourselves. So - while once we asked how could we possibly prevail over catastrophe? Now we assert how could catastrophe possibly prevail over us? We will not march back to what was but move to what shall be a country that is bruised but whole benevolent, but bold fierce, and free. We will not be turned around or interrupted by intimidation because we know our inaction and inertia will be the inheritance of the next generation. Our blunders become their burdens. But one thing is certain: if we merged mercy with might and might with right then love becomes our legacy and change our children's birthright. So let us leave behind a country better than the one we were left with. Every breath, my bronze-pounded chest we will raise this wounded world into a wondrous one. we will rise from the gold-limbed hills of the West we will rise from the windswept Northeast where our forefathers first realized revolution. We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states we will rise from the sunbaked South we will rebuild, reconcile and recover and every known nook of our nation and every corner called our country. Our people diverse and beautiful will emerge battered and beautiful. When day comes, we step out of the shade aflame and unafraid. The new dawn blooms as we free it. For there was always light if only we're brave enough to see it If only we're brave enough to be it. Siehe auch: Süddeutsche Zeitung (online), 21.01.2021, 10:17: "The Hill We Climb": Das Gedicht zum Nachlesen (einige Änderungen habe ich nach mehrmaligem Anhören des Originals verändert) |
Wenn es Tag wird, fragen wir uns wo können wir Licht finden in diesem niemals endenden Schatten? Den Verlust, den wir tragen ein Meer, das wir durchwaten müssen. Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet. Und dass die Normen und Vorstellungen von dem, was gerade ist, nicht immer etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben. Und doch gehört die Morgendämmerung uns noch ehe wir es wussten. Irgendwie schaffen wir es irgendwie haben wir es überstanden und bezeugten eine Nation, die nicht zusammengebrochen ist sondern einfach unvollendet ist. Wir, die Nachfahren eines Landes und einer Zeit in der ein dünnes, schwarzes Mädchen das von Sklav*innen abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde davon träumen kann, Präsidentin zu werden nur um zu sehen, wie sie für einen rezitiert. Und ja, wir sind weit entfernt davon lupenrein zu sein weit entfernt makellos zu sein. Aber das bedeutet nicht, daß wir danach streben, eine perfekt Gemeinschaft zu bilden. Wir streben danach, eine Gemeinschaft mit Zielen aufzubauen ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und Lebensbedingungen verpflichtet fühlt. Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht sondern auf das, was vor uns steht. Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass unsere Zukunft an erste Stelle steht wir müssen zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen. Wir legen unsere Waffen nieder damit wir unsere Arme nacheinander ausstrecken können. Wir suchen Niemand zu schaden und Harmonie für alle. Laßt die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, das ist wahr: daß wir, selbst als wir trauerten, wuchsen daß wir, selbst als wir Schmerzen hatten, hofften daß wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versuchten daß wir für immer siegreich verbunden sein werden. Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden. Die Bibel sagt uns, dass wir uns vergegenwärtigen sollen daß jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum sitzen soll und keiner ihnen Angst machen soll. Wenn wir unserer eigenen Zeit gerecht werden sollen dann wird der Sieg nicht in der Klinge liegen sondern in all den errichteten Brücken. Das ist die versprochene Lichtung: der Hügel, den wir erklimmen. Wenn wir es nur wagen denn Amerikaner*in zu sein, ist mehr als ein Stolz, den wir erben. Es ist die Vergangenheit, in die wir treten und die Art, wie wir sie reparieren. Wir haben eine Macht gesehen, die unsere Nation eher zerschlagen würde, als sie zu teilen. Die unser Land zerstören würde, wenn es bedeutete, die Demokratie aufzuhalten. Und dieser Versuch war fast erfolgreich. Doch auch wenn die Demokratie von Zeit zu Zeit aufgehalten werden kann kann sie niemals dauerhaft besiegt werden. In diese Wahrheit in diesen Glauben, vertrauen wir denn obwohl wir unsere Augen auf die Zukunft richten hat die Geschichte ihre Augen auf uns gerichtet. Dies ist die Ära der gerechten Erlösung. Wir fürchteten zu Beginn wir fühlten uns nicht bereit Erben einer solch entsetzlichen Stunde zu sein doch in ihr fanden wir die Kraft ein neues Kapitel zu verfassen. Uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken. Also - während wir einst fragten wie wir diese Katastrophe bewältigen könnten? Jetzt behauten wir wie konnte eine Katastrophe so über uns triumphieren? Wir werden nicht zu dem zurückmarschieren, was war sondern uns auf das zu bewegen, was sein wird ein Land, das verletzt, aber ganz ist gütig, aber kühn entschlossen und frei. Wir werden uns nicht abbringen oder durch Einschüchterung unterbrechen lassen weil wir wissen, dass unsere Untätigkeit und Trägheit unser Erbe für die nächste Generation sein wird. Unsere Fehler werden zu ihren Lasten. Aber eines ist sicher: wenn wir Barmherzigkeit mit Macht verschmelzen und Macht mit Recht dann wird Liebe zu unserem Vermächtnis und verändert das Geburtsrecht unserer Kinder. Also lasst uns ein Land hinterlassen, das besser ist als jenes, das uns hinterlassen wurde. Mit jedem Atemzug aus meiner bronzegegossenen Brust werden wir diese verwundete Welt in eine wundersame emporheben wir werden uns von den goldbeschienenen Hügeln des Westens erheben wir werden uns aus dem windgepeitschten Nordosten erheben in dem unsere Vorfahren die Revolution zum ersten Mal verwirklichten. Wir werden uns aus den von Seen gesäumten Städten des Mittleren Westens erheben wir werden uns aus dem ausgedörrten Süden erheben wir werden wieder aufbauen, versöhnen und wiederherstellen und jeden bekannten Winkel unserer Nation und jede Ecke, die als unser Land bezeichnet wird. Unser Volk, vielfältig und schön, wird hervortreten zerschunden und schön. Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus, entflammt und ohne Angst. Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien. Denn es gab immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein. (Übersetzung JT) |
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Denn die Summe unseres Lebens Sind die Stunden, wo wir lieben. Wilhelm Busch (1874): Didelum!, Summa summarum. In: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. von F. Bohne). Wiesbaden E. Vollmer Verlag. II. Band: 489 |
If you were a carpenter, and I were a lady Would you marry me anyway? would you have my baby? If a tinker were your trade, would you still find me Carrying the pots you made, following behind me? See my love through loneliness See my love for sorrow I've given you my onlyness, Come give me your tomorrow If you worked your hands in wood, would you still love me? Answer me, Yes I would, I'd put you above me"
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