Dr. Jürgen Thorwart

Dipl.-Psychologe

Psychologischer Psychotherapeut

Psychoanalytiker (DGPT)

Praxis für Psychoanalyse
und Psychotherapie

-alle Kassen und privat-

Marktplatz 13

D-85375 Neufahrn (bei Freising/München)

Tel.: 08165/ 90 93 70 (Anrufbeantworter)

j.thorwart@freenet.de


Telephonische Sprechzeiten:

Dienstags

13.30-14.00

Donnerstags

12.30-13.00


Wegweiser

für PatientInnen

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August  2023
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Freud 1891

Aus: GW I Freud (Imago)

Sigmund Freud (um 1921)

1856-1939

© commons.wikipedia.org
(Bild & (Autograph)

Wir mögen noch so oft betonen, der menschliche Intellekt sei kraftlos im Vergleich zum menschlichen Triebleben, und recht damit haben. Aber es ist doch etwas Besonderes um diese Schwäche; die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen man für die Zukunft der Menschheit optimistisch sein darf (...).

Sigmund Freud (1900):
Die Zukunft einer Illusion.
GW XIV: 377

Goldmünze 50 Euro (2017)

Rechteinhaber: Münze Österreich

www.muenzeoesterreich.at/
produkte/sigmund-freud

(Werknutzungsbewilligung v. 19.09.2020)


File:Freud, Second topography, 1933.jpg

© commons.wikipedia.org

 

 


© JT-2013

Sigmund Freud Museum Wien

Wien IX

Berggasse

Museum

Rundgang durch das renovierte Museum (8/2020)

Weitere Hinweise zum Copyright:

Impressum

Letzte Bearbeitung der Website

(außer Aktuelles):

Januar 2023


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III. Psychoanalytischer Kongreß, Weimar September 1911

(siehe Beitrag in Aktuelles: AKTUELL: Nummer 5/2015)

           

 

Quelle: Kopie von Michael Schröter nach einem Originalabzug im Besitz von Tina Joos-Bleuler;
aufgenommen am 21. oder 22.09.1911 von Franz Vältl (1881-1953)

(Ich danke Herr Schröter für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung auf meiner Webseite: 27.04.15)

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Couch Praxis
© JT-2013

Medaille von
C. M. Schwerdtner (1906)

Aus: GW Freud (Imago)

Praxisschild Neufahrn
© JT-2013

GW Freud (Imago)
© JT-2013

Freud um 1905
wikimedia.org
(public domain)

 

68.

„Das habe ich gethan“ sagt mein Gedächtniss. Das kann ich nicht gethan haben — sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich — giebt das Gedächtniss nach.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse(1886): § 68
www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/JGB-68

Anmerkung: Wegen der Vielzahl von Nietzsche-Ausgaben zitiere ich künftig aus der Digitalen Kritische Gesamtausgabe. Werke und Briefe (basierend auf dem kritischen Text von G. Colli and M. Montinari, Berlin/New York: de Gruyter 1967, hrsg. v. Paolo D’Iorio. (eKGWB)

www.nietzschesource.org/#eKGWB


 

All of old.

Nothing else ever.

Ever tried.

Ever failed.

No matter.

Try again.

Fail again.

Fail better.

Alles seit je.

Nie etwas andres.

Immer versucht.

Immer gescheitert.

Einerlei.

Wieder versuchen.

Wieder scheitern.

Besser scheitern.

Beckett, Samuel:

Worstward Ho (1983/1999: 7)

Deutsche Übersetzung: JT


Das Gedächtnis ist nicht ein Instrument zur Erkundung
 der Vergangenheit, sondern deren Schauplatz.

Benjamin, Walter (1985): Gesammelte Schriften VI: 468

 

 

 

 

Vielleicht

Erinnern

das ist

vielleicht
die qualvollste Art

des Vergessens

und vielleicht

die freundlichste Art

der Linderung

dieser Qual

Fried, Erich (1983)Gesammelte Werke. Gedichte Band 3. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 11 (Es ist was es ist)

Erich Fried (1921-1988) 


* Anmerkung:
Das nebenstehende Gedicht
illustriert die destruktive Kraft
einer grenzüberschreitenden
 Liebesbeziehung (Pappenheim/Breuer).
Bertha Pappenheim lebte von 1859-1936 und war als Frauenrechtlerin, jüdische Sozialpionierin und Gründerin des Jüdischen Frauenbundes tätig (siehe wikipedia).

Mir ward die Liebe nicht -

Drum leb’ ich wie die Pflanze,

Im Keller ohne Licht.

Mir ward die Liebe nicht -

Drum tön’ ich wie die Geige,

Der man den Bogen bricht.

Mir ward die Liebe nicht -

Drum wühl’ ich mich in Arbeit

Und leb’ mich wund an Pflicht.

Mir ward die Liebe nicht -

Drum denk’ ich gern des Todes,

Als freundliches Gesicht.

Pappenheim, Bertha (1910–1912): Stadtarchiv Frankfurt.
Nachlass Dora Edinger. Blatt II *

 

1. [Auszug]

Aber wie finden wir uns selbst wieder? Wie kann sich der Mensch kennen? Er ist eine dunkle und verhüllte Sache; und wenn der Hase sieben Häute hat, so kann der Mensch sich sieben mal siebzig abziehen und wird doch nicht sagen können „das bist du nun wirklich, das ist nicht mehr Schaale.“

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Schopenhauer als Erzieher (1874): § 1
www.nietzschesource.org
Ort: #eKGWB/SE-1


 

Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen.

Wolf, Christa (1968): Nachdenken über Christa T.

 

Denn genauer sieht das Auge etwas im Traum als in der Phantasie, wenn es wach ist.

da Vinci, Leonardo (1452-1519)

Jede Erkenntnis beginnt mit den Sinnen. Aphorismen, Rätsel, Prophezeiungen. München: SchirmerGraf 2006, 20)


(...) es ist ja soviel leichter, den Mars oder den Mond zu erreichen, als das eigene Wesen zu erkennen.

Jung, Carl Gustav (1961): Gespräch mit  Miguel Serrano.
In: C. G. Jung im Gespräch. Interviews, Reden, Begegnungen. Zürich Daimon 1986: 331

Anmerkung: Serrano befragte Jung an dieser Stelle nach seiner Ansicht über das Zeitalter der Supertechnik und interplanetarischer Reisen. Das Interview fand wenige Wochen vor seinem Tod im Juni 1961 statt.

 

Wenn man sich für einen Skeptiker hält, tut man gut daran, gelegentlich auch an seiner Skepsis zu zweifeln.

Freud, Sigmund (1933a):  Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XV: 57

 

 

  

[Fegefeuer, Dreizehnter Gesang]

An jener Seite, wo der Fels sich senkte,
Ging mir Virgil, wo leicht zu fallen war,
Weil kein Geländer dort den Rand verschränkte;

Dante Alighieri (1265-1321): Die Göttliche Komödie - Fegefeuer, 13. Gesang, Vers 79-81

Quelle: Projekt Gutenberg (Deutsche Seite) www.gutenberg.org/ebooks/8085:(z. Zt. für deutsche IP-Adressen gesperrt: 8/2019) über Spiegel-online: Kapitel 48, Ziff. 27

Anmerkung: Dante ist auf dem Weg durch die Hölle - Vergil gibt ihm Halt.


 

  

Sprache

Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen?

Spricht die Seele, so spricht ach! die Seele schon nicht mehr.

Goethe, J. W. von & Schiller, F. (Distichon aus dem
Musenalmanach für 1797): Sämtliche Werke (Hrsg. v. Paul Merker et al.).
Leipzig o.J. (=Tempel-Klassiker) Band I: 264

Anmerkung: Das Musen-Almanach für das Jahr 1797 (hrsg. v. F. Schiller) ist online unter:
http://de.wikisource.org/wiki/Musen-Almanach_f%C3%BCr_das_Jahr_1797)
zu finden. Weitere Suche bei "G und S" [Goethe und Schiller]: Tabulae votivae: 177


Psychosomatik bedeutet nicht, den Körper weniger, sondern die Psyche mehr zu erforschen.

Psychosomatic does not mean to study the soma less; it only means to study the psyche more.

Weiss, Edward (1947): Psychogenic Rheumatism. Annals of Internal Medicine 26 (6): 890-900; Zitat: 890 (Deutsche Übersetzung: JT)

 

 

Ich möchte zu Beginn dieser Diskussion hervorheben, daß der psychosomatische Zugang zu Krankheiten nicht bedeute, den Körper weniger, sondern eher die Psyche mehr zu erforschen.

I should like, at the outset of this discussion, to point out that the psychosomatic approach to disease does not mean that one should study the "soma" any less, but rather study the "psyche" more.

Meyer, A. Zelig (1947): Psychosomatic Considerations of Gastric Disease. California Medicine (Calif Med.) 67 (6): 368–370; Zitat: 368  (Deutsche Übersetzung: JT)


65.

Der Reiz der Erkenntniss wäre gering, wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu überwinden wäre.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse:
§ 65. Erste Veröff. 04/08/1886
 www.nietzschesource.org/ Ort: #eKGWB/JGB-65

Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben.

Freud, Sigmund (1930a): Das Unbehagen in der Kultur: GW XIV: 441


 

Zur Kriminalität aus psychoanalytischer Sicht

Es gibt keinen „kriminellen“ oder „delinquenten“ Typus. Wenn man in diesen Begriffen denkt, macht man den ersten und fundamentalen Fehler. Kriminelle Impulse oder Impulse, Gesetze zu verletzen, sind in jedem vorhanden.

Verbrechen ist kein Problem, das besondere Individuen betrifft; es betrifft die Gesellschaft als Ganzes. Man kann etwas verallgemeinernd sagen, dass das offensichtliche Trio Krimineller, Gesellschaft, Richter Personifikationen von drei Elementen darstellt, die in jedem von uns und damit in jedem Teil unseres inneren Trios präsent sind, dem Es, dem Ich und dem Über-Ich. Kriminelle handeln auf der äußeren Bühne das aus, was innerlich in jedem von uns stattfindet. Wenn man, wie oben gezeigt, in Betracht zieht, dass individuelle Verbrechen unbewusst auf das Urverbrechen zurückgehen und dass diese unbewusste triebhafte psychische Ebene in jedem Menschen vorliegt, dann wird deutlich, dass für den Psychoanalytiker die psychologische Bedeutung von Verbrechen und Strafe jeden Menschen im selben Ausmaße betrifft, sei er Geschworener, Krimineller oder Richter. Es wird ebenso offensichtlich, dass die starke Tendenz hin zur Strafe triebhaften archaischen Gesetzen folgt und dass vernünftige Vorgehensweisen starkem Widerstand begegnen.

Foulkes, Sigmund Heinrich (1943): Psychoanalyse und Verbrechen. Forum der Psychoanalyse 28 (2012): 103f


Das Gewissen findet keine Anwendung auf alles, was zugunsten des Objektes geschieht; in der Liebesverblendung wird man reuelos zum Verbrecher.

Freud, Sigmund (1921c): Massenpsychologie und Ich-Analyse: XII: 125

 

Gnothi seauton - Erkenne Dich selbst
(griechisch: 
Γνῶθι σεαυτόν - Gnōthi seautón
auch
Γνῶθι σαυτόν - Gnōthi sautón)

Bei der Abbildung handelt es sich um ein stilisiertes Auge aus Marmor, (Schloß Buonconsiglio, Trient). In der Umrandung des Auges ist zu lesen: "GNOTHI SAUTON ID EST COGNOSCERE TE IPSUM" (lat.: Erkenne dich selbst, das ist [heißt] erkenne dich selbst).

Der dem Gott Apoll zugeordnete Spruch stand – neben den ebenfalls als apollinisch betrachteten Weisheiten Ἐγγύα, πάρα δ᾽ ἄτα (engýa, pára d' áta „Bürgschaft, schon ist Schaden da!“) und Μηδὲν ἄγαν (mēdén ágan „Nichts im Übermaß“) – an einer Säule der Vorhalle des Apollontempels in Delphi.

Anmerkung: Während die Forderung, sich selbst zu erkennen, ursprünglich auf Einsicht in die Begrenztheit und Hinfälligkeit des Menschen (im Gegensatz zu den Göttern) zielte, stand für Platon der Aspekt im Vordergrund, daß der Mensch Wissen um das eigene Nichtwissen erlangt, zu rechter Einsicht strebt und dadurch auch seinen Charakter veredelt. Das Bemühen um solche Selbsterkenntnis war für Platon ein Bestandteil seines zentralen ethischen Projekts der Sorge um die Seele, deren Wohlergehen davon abhänge, dass sie Tugend (aretē) kultiviere.

Quelle: wikipedia.org;  Fotograph: Thc phreak (keine Nutzungsbeschränkung)


Die Enttäuschung des Krieges

Die psychoanalytische Erfahrung hat diese Behauptung womöglich noch unterstrichen. Sie kann alle Tage zeigen, daß sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand bei ihnen begegnet, aber auch alles Verständnis wieder erlangen, wenn dieser Widerstand überwunden ist.

Man darf sich auch nicht darüber verwundern, daß die Lockerung aller sittlichen Beziehungen zwischen den Großindividuen der Menschheit eine Rückwirkung auf die Sittlichkeit der Einzelnen geäußert hat, denn unser Gewissen ist nicht der unbeugsame Richter, für den die Ethiker es ausgeben, es ist in seinem Ursprunge »soziale Angst« und nichts anderes. Wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt, hört auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf, und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte.

(...)

In Wirklichkeit gibt es keine »Ausrottung« des Bösen. Die psychologische – im strengeren Sinne die psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, daß das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung |gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. Wir klassifizieren sie und ihre Äußerungen in solcher Weise, je nach ihrer Beziehung zu den Bedürfnissen und Anforderungen der menschlichen Gemeinschaft. Zuzugeben ist, daß alle die Regungen, welche von der Gesellschaft als böse verpönt werden – nehmen wir als Vertretung derselben die eigensüchtigen und die grausamen – sich unter diesen primitiven befinden.

(...)

Im allgemeinen sind wir geneigt, den angeborenen Anteil zu hoch zu veranschlagen, und überdies laufen wir Gefahr, die gesamte Kultureignung in ihrem Verhältnisse zum primitiv gebliebenen Triebleben zu überschätzen, d.h. wir werden dazu verleitet, die Menschen »besser« zu beurteilen, als sie in Wirklichkeit sind.

(…)

Es gibt also ungleich mehr Kulturheuchler als wirklich kulturelle Menschen, ja man kann den Standpunkt diskutieren, ob ein gewisses Maß von Kulturheuchelei nicht zur Aufrechterhaltung der Kultur unerläßlich sei, weil die bereits organisierte Kultureignung der heute lebenden Menschen vielleicht für diese Leistung nicht zureichen würde.

(...)

Den bisherigen Erörterungen entnehmen wir bereits den einen Trost, daß unsere Kränkung und schmerzliche Enttäuschung wegen des unkulturellen Benehmens unserer Weltmitbürger in diesem Kriege unberechtigt waren. Sie beruhten auf einer Illusion, der wir uns gefangen gaben. In Wirklichkeit sind sie nicht so tief gesunken, wie wir fürchten, weil sie gar nicht so hoch gestiegen waren, wie wirs von ihnen glaubten. Daß die menschlichen Großindividuen, die Völker und Staaten, die | sittlichen Beschränkungen gegeneinander fallen ließen, wurde ihnen zur begreiflichen Anregung, sich für eine Weile dem bestehenden Drucke der Kultur zu entziehen und ihren zurückgehaltenen Trieben vorübergehend Befriedigung zu gönnen. Dabei geschah ihrer relativen Sittlichkeit innerhalb ihres Volkstumes wahrscheinlich kein Abbruch.

(...)

Die psychoanalytische Erfahrung hat diese Behauptung womöglich noch unterstrichen. Sie kann alle Tage zeigen, daß sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand bei ihnen begegnet, aber auch alles Verständnis wieder erlangen, wenn dieser Widerstand überwunden ist.

Freud, Sigmund (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. X: 330, 331f, 334, 334, 337 und 339

Anmerkung: Das ihm zugeschriebene Zitat 'Die Decke der Zivilisation ist dünn' stammt nach meiner Recherche nicht von Freud - doch unterstreicht der Text (bezogen auf den ersten Weltkrieg) genau diese Überzeugung und ist bis in die Gegenwart von großer Aktualität.

 

Warum Krieg?

Darf ich Ihnen aus diesem Anlaß ein Stück der Trieblehre vortragen, zu der wir in der Psychoanalyse nach vielem Tasten und Schwanken gekommen sind? Wir nehmen an, daß die Triebe des Menschen nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen, – wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Platos, oder sexuelle mit bewußter Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität, – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen. (…) Nun lassen Sie uns nicht zu rasch mit den Wertungen von Gut und Böse einsetzen. Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor. Nun scheint es, daß kaum jemals ein Trieb der einen Art sich isoliert betätigen kann, er ist immer mit einem gewissen Betrag von der anderen Seite verbunden, wie wir sagen: legiert, der sein Ziel modifiziert oder ihm unter Umständen dessen Erreichung erst möglich macht.

(…)

Ganz selten ist die Handlung das Werk einer einzigen Triebregung, die an und für sich bereits aus Eros und Destruktion zusammengesetzt sein muß. In der Regel müssen mehrere in der gleichen Weise aufgebaute Motive zusammentreffen, um die Handlung zu ermöglichen. (…)Wenn also die Menschen zum Krieg aufgefordert werden, so mögen eine ganze Anzahl von Motiven in ihnen zustimmend antworten, edle und gemeine, solche, von denen man laut spricht, und andere, die man beschweigt. Wir haben keinen Anlaß sie alle bloßzulegen. Die Lust an der Aggression und Destruktion ist gewiß darunter; ungezählte Grausamkeiten der Geschichte und des Alltags bekräftigen ihre Existenz und ihre Stärke. Die Verquickung dieser destruktiven Strebungen mit anderen, erotischen und ideellen, erleichtert natürlich deren Befriedigung. Manchmal haben wir, wenn wir von den Greueltaten der Geschichte hören, den Eindruck, die ideellen Motive hätten den destruktiven Gelüsten nur als Vorwände gedient, andere Male, z.B. bei den Grausamkeiten der heiligen Inquisition, meinen wir, die ideellen Motive hätten sich im Bewußtsein vorgedrängt, die destruktiven ihnen eine unbewußte Verstärkung gebracht. Beides ist möglich.

Freud, Sigmund (1933b/1932): Warum Krieg? XV: 121 und 122f

Anmerkung: Es handelt sich hier um ein Antwortschreiben an Albert Einstein (September 1932). Dieser hatte ihm in seinem Brief vom 30. Juli 1932 die Frage gestellt: »Gibt es einen Weg, die Menschen vom Verhängnis des Krieges zu befreien?«

 

 

[Ist Lieben eine Kunst?]

Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können. Daher geht es für sie nur darum, wie man es erreicht, geliebt zu werden, wie man liebenswert wird. Um zu diesem Ziel zu gelangen, schlagen sie verschiedene Wege ein. Der eine, besonders von Männern verfolgte Weg ist der, so erfolgreich, so mächtig und reich zu sein, wie es die eigene gesellschaftliche Stellung möglich macht. Ein anderer, besonders von Frauenbevorzugter Weg ist der, durch Kosmetik, schöne Kleider und dergleichen möglichst attraktiv zu sein. Andere Mittel, die sowohl von Männern als auch von Frauen angewandt werden, sind angenehme Manieren, interessante Unterhaltung, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Gutmütigkeit. Viele dieser Mittel, sich liebenswert zu machen, sind die gleichen wie die, deren man sich bedient, um Erfolg zu haben, um »Freunde zu gewinnen«. Tatsächlich verstehen ja die meisten Menschen unseres Kulturkreises unter Liebenswürdigkeit eine Mischung aus Beliebtheit und Sex-Appeal.

Hinter der Einstellung, daß man nichts lernen müsse, um lieben zu können, steckt zweitens die Annahme, es gehe bei dem Problem der Liebe um ein Objekt und nicht um eine Fähigkeit.

Fromm, Erich (1956a): Die Kunst des Liebens. Gesamtausgabe (R. Funke). IX: 440


[Mephistopheles]

Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn!

Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern;

Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar;

Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sey nicht wahr;

Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht;

Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.

Goethe, J. W. von (1832): Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten (vollendet im Sommer 1831). In: Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. 41. Band. Stuttgart & Tübingen: J. G. Cotta'sche Buchhandlung: 16

Online: Faust - Der Tragödie zweiter Teil – Wikisource

 

 

Wer zu viel mißt, mißt Mist

Unbekannt

 

 


 

Immer noch da, aber unsichtbar

(…)

Vielleicht wollt ihr es nicht wissen, aber ihr wißt es:

So mancherlei ist erst mal da, und dann ist es

immer noch da, aber unsichtbar.

Immer noch da, –-- aber unsichtbar.

(…)

Der Onkel unter dem du als Kind so gelitten hast:

Immer noch da, aber unsichtbar.

Erlebnisse, so seltsam, daß man davon nicht erzählen darf,

Parteien, die man schon seit Jahrzehnten nicht mehr wählen darf:

Immer noch da, aber unsichtbar.

Und sind immer noch da, --- und sind immer noch da …

(…)

Die bösen Zellen, als es hieß, jetzt wird alles wieder gut:

Immer noch da, aber unsichtbar.

Und ganz bis am Schluß … der Lebensmut:

Unsichtbar, aber immer noch da.

(…)

Krämer, Sebastian

Auftritt bei der 64. Jahrestagung der DGPT (Berlin September 2013)

CD Tüpfelhyänen (12/2013) - Track 04: Immer noch da, aber unsichtbar

(www.sebastiankraemer.de)

(Der gesamte Text findest sich unter Skurriles.)


Das Unbehagen in der Moderne erwuchs aus einer Art Sicherheit, die im Streben nach dem individuellen Glück zuwenig Freiheit tolerierte. Das »Unbehagen in der Postmoderne« entsteht aus einer Freiheit, die auf der Suche nach Lustgewinn zuwenig individuelle Sicherheit toleriert. (...) Und daher garantiert eine Freiheit ohne Sicherheit keinen zuverlässigen Nachschub an Glück als eine Freiheit ohne Sicherheit.

Baumann, Zygmundt (1997/1999): Unbehagen in der Postmoderne: Hamburg: Hamburger Edition: 11f

 

 

Die Annäherung an das Unbewußte - das heißt an das, was wir nicht wissen, nicht an das, was wir wissen - ist für den Patienten und den Analytiker zweifellos verstörend. Jeder, der morgen einen Patienten sehen wird, sollte irgendwann Angst verspüren. Im Behandlungszimmer sollten sich grundsätzlich zwei verängstigte Personen aufhalten: der Patient und der Psychoanalytiker. Andernfalls muß man sich fragen, weshalb sie etwas herausfinden wollen, das ohnehin jeder weiß.

Bion, Wilfred R. (1973-74/2010): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 15

Wenn wir uns in der Psychoanalyse dem Unbewußten annähern - das heißt dem, was wir nicht kennen -, reagieren wir, Patient und Analytiker gleichermaßen, zwangsläufig beunruhigt. In jedem Behandlungszimmer sollten sich zwei verängstigte Menschen befinden: der Patient und der Psychoanalytiker. Wenn die beiden keine Angst haben, muß man sich fragen, warum sie sich die Mühe machen, etwas herauszufinden, das jeder weiß.

Bion, Wilfred R.:  Interview mit A. G. Banet. Los Angeles 1976. In: Die Tavistock-Seminare. Tübingen: edition diskord 2007: 126


 

[Brazilian Lectures: Sao Paulo 1973]

Sich mit vertrauten Dingen zu beschäftigen ist immer verlockend. Für Psychoanalytiker ist diese Versuchung größer als für andere Menschen, weil die Psychoanalyse eine der seltenen Situationen ist, in denen man sich einer angsterregenden Beschäftigung widmen kann, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen

Bion, Wilfred R. (1973-74/2010): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 15


[Brief an Lou Andreas Salome 25.5.1916]

Ich weiß, daß ich mich bei der Arbeit künstlich abgeblendet habe, um alles Licht auf die eine dunkle Stelle zu sammeln, auf Zusammenhang, Harmonie, Erhebung und alles, was Sie das Symbolische heißen, verzichte, geschreckt durch die eine Erfahrung, daß jeder solche Anspruch. jede Erwartung die Gefahr mit sich bringt, das zu Erkennende verzerrt zu sehen, wenn auch verschönert.

Freud, Sigmund (1912-1936): Sigmund Freud - Lou Andreas-Salome. Briefwechsel. (hg. v. Ernst Pfeiffer).
Frankfurt/M.: Fischer 1966: 50 (Brief v. 25.5.1916, Wien)

 
 

[Sao Paulo 1973]

Statt zu versuchen, obskure Probleme durch Intelligenz und Kenntnisreichtum in helleres Licht zu rücken, schlage ich vor, das »Licht« bis auf einen durchdringenden Dunkelheitsstrahl – das Gegenteil eines Suchscheinwerfers –  zu dämpfen . Die besondere Eigenschaft dieses durchdringenden Strahls bestünde darin, daß wir ihn auf den Gegenstand unserer Neugierde richten könnten und dieses Objekt dann jedes vorhandene Licht absorbieren würde; dem Untersuchungsbereich würde somit jedes Licht, das er besaß, entzogen. Die Finsternis wäre absolut und würde ein luminöses absolutes Vakuum erzeugen. So daß ein eventuell – wie schwach auch immer – vorhandenes Objekt sehr deutlich erkennbar würde. Unter den Bedingungen maximaler Dunkelheit würde sich dann selbst das schwächste Licht zeigen.

Bion, Wilfred R. (1973-74/2010): Die Brasilianischen Vorträge: Frankfurt/M.: edition diskord: 36

۩

Bion hat diesem Vorgehen von Freud (siehe letzten Beitrag) ein anderes entgegengesetzt, das nicht ganz einfach zu verstehen ist, aber der psychoanalytischen 'Wahrnehmung (die keineswegs nur intellektuell beschaffen ist) vielleicht näher kommt.

 

 


 

Nichts ist schädlicher in der Analyse als das schulmeisterliche oder auch nur autoritative Auftreten des Arztes. Alle unserer Deutungen müssen eher den Charakter eines Vorschlages, denn einer sicheren Behauptung haben, und dies nicht nur, damit wir den Patienten nicht reizen, sondern weil wir uns tatsächlich auch irren können. Das nach uralter Sitte des Handelsmannes jeder Verrechnung angehängte Zeichen „S. E.” (salvo errore), d. h. Irrtum vorbehalten, wäre auch bei jeder analytischen Deutung zu erwähnen. Doch auch unser Vertrauen zu unseren Theorien darf nur ein bedingtes sein, denn vielleicht handelt es sich im gegebenen Falle um die berühmte Ausnahme von der Regel oder gar um die Notwendigkeit, an der bisherigen Theorie etwas zu ändern. Es ist mir schon passiert, dass ein ungebildeter, anscheinend ganz naiver Patient Einwände gegen meine Erklärungen vorbrachte, die ich reflektorisch abzulehnen bereit war, doch die bessere Überlegung zeigte mir, dass nicht ich, sondern der Patient im Rechte war, ja, dass er mir mit seiner Einwendung zu einem viel tieferen Erfassen des Gegenstandes im allgemeinen verhalf. Die Bescheidenheit des Analytikers sei also nicht eine eingelernte Pose, sondern der Ausdruck der Einsicht in die Begrenztheit unseres Wissens.

Ferenczi, Sándor (1927/28): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 389


Francisco de Goya (1746-1828):

El sueño de la razón produce monstruos
(Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer)

Anmerkung: Im Spanischen kann 'sueño' ebenso Traum wie auch Schlaf bedeuten. Auch deshalb geht die Deutung des Werkes in verschiedene Richtungen - als Zustimmung oder Kritik der Vernunft. Der Stich ist das 43. Blatt von insgesamt 80 Werken der in der Technik der Aquatinta ausgeführten Radierungen aus Goyas 1799 veröffentlichten Sammlung "Caprichos" (deutsch: Launen, Einfälle). Es sollte ursprünglich als Titelblatt verwendet werden (vgl. wikipedia). Nach meiner Vorstellung ist es Ausdruck der (dunklen und unheimlichen) Vorgänge im Schlaf und damit Vorläufer der Idee einer dem Bewußtsein weitgehend entzogenen inneren Welt psychischer Vorgänge.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/ee/Goya-Capricho-43.jpg/163px-Goya-Capricho-43.jpg

wikimedia: Public Domain


Jede, auch die wissenschaftliche Neugier wird von infantilen, voyeuristischen Regungen getragen; in den Wunsch zu helfen können sich magische Allmachtswünsche einfügen; sogar der unerlässliche Wunsch, den  Analysanden zu verstehen, ist ohne eine emotionelle Beteiligung nicht möglich, in die unbewusste sexuelle Regungen eingehen. Die tiefe Befriedigung, die wir in »guten« Analysestunden empfinden, ist auf die wechselseitige Übertragung zielgehemmter objektbezogener Wünsche zurückzuführen und erneuert sich im identifikatorischen Austausch von Gefühlen im gemeinsamen Erleben. Daran kann der muntere Ausdruck »Arbeitsbündnis«, der die Lust an der Analyse zu versachlichen sucht, nichts ändern.

Parin, Paul (1987): Abstinenz? In: K. Brede et al. (Hg.): Befreiung zum Widerstand. Aufsätze über Feminismus, Psychoanalyse und Politik. Frankfurt/M.: Fischer, 172-178 (Zitat: 174)

 

Waits, Tom: Come On Up To The House
(www.tomwaits.com)

 

The world is not my home

I'm just a passin thru

 

 


Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.

Luxemburg, Rosa
polnisch-deutsche Politikerin (SPD, SDKPiL, KPD)
eigentlich:
Rozalia Luksenburg

Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung. Berlin 1920: 109; Gesammelte Werke. Band 4: 359, Anmerkung 3. Berlin (Ost): Dietz Verlag 1983

Zitiert nach: wikiquote.org (4/2014)


Luxemburg, Rosa (1871-1919)

erstellt: um die Jahrhundertwende (1900)

de.wikiquote.org


Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.

Luxemburg, Rosa

Breslauer Gefängnismanuskripte zur Russischen Revolution. Textkritische Ausgabe. Manuskriptdruck. Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte. Heft 2. (hrsg. von Klaus Kinner und Manfred Neuhaus). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. 2001: 34

Zitiert nach: wikiquote.org (4/2014)


"When I use a word," Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, "it means just what I choose it to mean – neither more nor less.

"The question is," said Alice, "whether you can make words mean so many different things."

"The question is," said Humpty Dumpty, "which is to be master – that's all."

Übersetzung (JT):

Wenn ich ein Wort benutze, sagte Humpty Dumpty in einem ziemlich verächtlichem Ton, "dann bedeutet es bloß das, was es nach meiner Wahl bedeuten soll - nicht mehr und nicht weniger"

"Die Frage ist", meinte Alice, "ob du Worte so viele unterschiedliche Dinge bedeuten lassen kannst."

"Die Frage ist", meinte Humpty Dumpty, "wer die Macht hat - das ist alles."

Carroll, Lewis (1872): Through the Looking-Glass. Raleigh, NC: Hayes Barton Press, 72 (deutsch: Alice hinter den Spiegeln; vgl Alice im Wunderland/Alice’s Adventures in Wonderland) 1865)

Zitiert (engl. Originalversion) nach: wikiquote.org (4/2014)

Vgl. deutsche Version: wikipedia.org (4/2014)

 

Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.

Kraus, Karl (1911): Die Fackel: Nr. 326-327-328 vom 08.07.1911 (13. Jg.): 44

 

Erotik verhält sich zu Sexualität wie Gewinn zu Verlust.

Kraus, Karl (1911): Die Fackel: Nr. 333 vom 08.10.1911 (13. Jg.): 11

 

 

(...) und schließlich hat sich die Psychoanalyse als eine hochdifferenzierte Art des Spielens im Dienste der Kommunikation des Patienten mit sich selbst und anderen entwickelt.

Winnicott, Donald Woods (1971): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta 1974: 52


All unser redlichstes Bemühn
Glückt nur im unbewußten Momente.
Wie möchte denn die Rose blühn,
Wenn sie der Sonne Herrlichkeit erkennte!

Goethe, J. W. von (1911): Sämmtliche Werke. Band 1: 168f
(Gedichte. 24. Zahme Xenien, Erste Reihe III). Link: google books (kein Volltext)

 

 

Das Wort verwundet leichter, als es heilt.

Goethe, J. W. von (1803): Die natürliche Tochter. Trauerspiel (V. 1471). Link: wikipedia.org


Und allerdings ist für das Wohlsein des Menschen, ja, für die ganze Weise seines Daseins, die Hauptsache offenbar Das, was in ihm selbst besteht, oder vergeht. Hier nämlich liegt unmittelbar sein inneres Behagen, oder Unbehagen, als welches zunächst das Resultat seines Empfindens, Wollens und Denkens ist; während alles außerhalb Gelegene doch nur mittelbar darauf Einfluß hat. Daher affiziren die selben äußern Vorgänge, oder Verhältnisse, Jeden ganz anders, und bei gleicher Umgebung lebt doch Jeder in einer andern Welt. Denn nur mit seinen eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Willensbewegungen hat er es unmittelbar zu thun: die Außendinge haben nur, sofern sie diese veranlassen, Einfluß auf ihn. Die Welt, in der Jeder lebt, hängt zunächst ab von seiner Auflassung derselben, richtet sich daher nach der Verschiedenheit der Köpfe: dieser gemäß wird sie arm, schaal und flach, oder reich, interessant und bedeutungsvoll ausfallen.

Schopenhauer, Arthur (1788-1860): Aphorismen zur Lebensweisheit. Leipzig: Insel-Verlag MCMXVn (1915): 17. Quelle online über  http://archive.org

 

 

Ethik verfährt (...) nicht anders als alle Philosophie: sie lehrt nicht fertige Urteile, sondern "Urteilen" selbst.

Hartmann, Nicolai (1925): Ethik. Berlin: Walter de Gruyter. 3. Aufl. 1949: 3


An den Mond [Auszug - erste Fassung]

Selig, wer sich vor der Welt

Ohne Haß verschließt

Einen Mann am Busen hält

Und mit dem genießt,

Was den Menschen unbewußt

Oder wohl veracht’

Durch das Labyrinth der Brust

Wandelt in der Nacht.

Goethe, J. W. von  (ca. 1777): Handschrift Goethes
(Goethe- und Schillerarchiv)

Referenz: Karl Eibl, K. (1987): Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Band 1.  Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag: 234-235
(Link: Freiburger Anthologie - derzeit nicht aufrufbar: 8/2019)

 

An den Mond [Auszug - zweite Fassung]

Selig, wer sich vor der Welt

Ohne Haß verschließt,

Einen Freund am Busen hält,

Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt,

Oder nicht bedacht,

Durch das Labyrinth der Brust

Wandelt in der Nacht.

Goethe, J. W. von  (ca. 1777): Gedichte. Ausgabe letzter Hand. 1827: 111

Referenz: Karl Eibl, K. (1987): Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Band 1. Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag: 301-302 (Link: Freiburger Anthologie - derzeit nicht aufrufbar: 8/2019)

Anmerkung: Freud zitiert die letzten 4 Zeilen in seiner Ansprache zum Goethe-Preis 1930 als Beleg für den Inhalt des Traumlebens. Freud, S. (1930e): Ansprache im Frankfurter Goethe-Haus. GW XIV: 548

 


 

Zivilisiertheit ist ein Verhalten, das die Menschen voreinander schützt und es ihnen zugleich ermöglicht, an der Gesellschaft anderer Gefallen zu finden. Eine Maske zu tragen gehört zum Wesen von Zivilisiertheit. Masken ermöglichen unverfälschte Geselligkeit, losgelöst von den ungleichen Lebensbedingungen und Gefühlslagen derer, die sie tragen. Zivilisiertheit zielt darauf, die anderen mit der Last des eigenen Selbst zu verschonen.

Das Gegenteil von Zivilisiertheit ist Unzivilisiertheit. Unzivilisiert ist es, andere mit dem eigenen Selbst zu belasten. Unzivilisiertheit bedeutet Einschränkung der Geselligkeit durch diese Last. Jeder kennt Menschen, die in diesem Sinne unzivilisiert sind: jene »Freunde«, die stets darauf aus sind, anderen Einlaß in die traumatische Sphäre ihrer alltäglichen Innenwelt zu gewähren, die am anderen nur ein einziges Interesse haben, daß er ihren Geständnissen sein Ohr leiht.

Sennet, Richard (1990): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt/M.: Fischer: 335 + 336


 

Lieder auf der Flucht : XV (Auszug)

Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen,

die Zeit und die Zeit danach.

Wir haben keinen.

Bachmann, Ingeborg (1956): Werke (hg. v. C. Koschel et al.). München: Piper. Band 1: 147

 
 

Ingeborg Bachmann 1926-1973

(Grabinschrift auf dem Friedhof von Klagenfurt-Annabichl)


[Brief von Louise an Léon - Auszug]

Man gewöhnt sich an seine Leerstellen und lebt mit ihnen, sie gehören zu einem, und man möchte sie nicht missen; wenn ich mich jemandem beschreiben müsste, so würde mir als Erstes einfallen, dass ich die russische Sprache nicht beherrsche und keine Pirouetten drehen kann. So werden die Leerstellen allmählich zu Wesensmerkmalen und füllen sich gleichsam mut sich selber auf. Auch Du, die Sehnsucht nach Dir - oder auch nur das Wissen um Dich - füllt mich noch immer aus.

Capus, Alex (2011): Léon und Louise [Roman]. München: Carl Hanser Verlag: 185

 

Sudelbuch [Auszug]

Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt.

Lichtenberg, Georg Christoph (1911): Schriften und Briefe.
Band 2, München 1967: 181 (H 23)
www.zeno.org

 

Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

Professor für Experimentalphysik an der Universität Göttingen

 


483.

Feinde der Wahrheit. – Ueberzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Menschliches Allzumenschliches I (1878), Kapitel 11, Neuntes Hauptstück:
 Der Mensch mit sich allein www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/MA-483

 

(You Make Me Feel Like) A Natural Woman

(Du läßt mich fühlen wie) Eine normale Frau

Looking out on the morning rain

I used to feel so uninspired

And when I knew I had to face another day

Lord, it made me feel so tired

Before the day I met you, life was so unkind

But you're the key to my peace of mind

'Cause you make me feel

You make me feel

You make me feel like

A natural woman

When my soul was in the lost and found

You came along, to claim it

I didn't know just what was wrong with me

'Til your kiss helped me name it

Now I'm no longer doubtful of what I'm living for

And if I make you happy I don't need to do more

'Cause you make me feel

You make me feel

You make me feel like

A natural woman

Oh, baby, what you done to me?

You make me feel so good inside

And I just wanna be close to you

You make me feel so alive

You make me feel

You make me feel

You make me feel like

A natural woman

You make me feel

You make me feel

You make me feel like

A natural woman

In den morgendlichen Regen hinausschauend

Fühlte ich mich so uninspiriert

Und als mir klar wurde, daß ich einen weiteren Tag zu bewältigen hatte

Gott, das hat mich so müde gemacht

Vor dem Tag an dem ich Dich traf, war das Leben so lieblos

Aber Du bist der Schlüssel zu meinem Seelenfrieden

Weil Du mich fühlen läßt

Du mich fühlen läßt

Du läßt mich fühlen wie

Eine normale Frau

Als meine Seele im Fundbüro war

Kamst Du vorbei, um sie zu beanspruchen

Ich wusste nicht genau was mit mir nicht stimmte

Bis Dein Kuss mir geholfen hat es zu benennen

Jetzt bin ich nicht länger voller Zweifel wofür ich lebe

Und wenn ich Dich glücklich mache, brauche ich nicht mehr zu tun

Weil Du mich fühlen läßt

Du mich fühlen läßt

Du läßt mich fühlen wie

Eine normale Frau

Oh, Schatz, was Du mit mir getan hast,

Du läßt mich mein Inneres so gut anfühlen

Und ich will Dir einfach nur nahe sein

Du läßt mich so lebendig fühlen

Weil Du mich fühlen läßt

Du mich fühlen läßt

Du läßt mich fühlen wie

Eine normale Frau

Weil Du mich fühlen läßt

Du mich fühlen läßt

Du läßt mich fühlen wie

Eine normale Frau

Aretha Franklin (*1942 in Memphis, Tenessee)
Der Titel wurde 1967 auf der Single aus dem Album  'Lady Soul' auf Atlantic Records veröffentlich
(Co-Autoren des Titels: Gerry Goffin and Carole King; Idee: Jerry Wexler.)

Auf youtube.com finden sich Aufnahmen mit Aretha Franklin
als junger Sängerin und in reiferen Jahren mit dem Titel als Geschenk an das Präsidentenpaar (Clinton)

(Deutsche Übersetzung: JT)


 

Das allerbeste Antidot gegen die Versuchung, libidinöse, aggressive, prägenitale Wünsche am Patienten zu befriedigen, ist jedoch, so glaube ich, die Freude an der eigentlichen analytischen Arbeit. Je mehr Lust an der Sache selbst gewonnen werden kann, desto weniger Lust muß aus Nebensachen gezogen werden. Was heißt Lust aus der Sache selber ziehen? Darunter verstehe ich eine offene, neugierige, zu experimentellen und spielerischem Umgang mit der Technik bereiten Haltung, die ohne Angst vor geheiligten Paradigmata das tun kann, was dem Fortgang des analytischen Prozesses dient.

Zugleich aber stammt diese Lust aus der entgegengesetzten Haltung, nämlich aus dem Vergnügen an Disziplin, Ordnng und wissenschaftlicher Redlichkeit. Ich will sagen, aus dem Vergnügen daran, sich stets dem Diskurs mit gesicherten Theoriestücken und erprobten Praxiserfahrungen zu stellen, das, was man tut, auch theoretisch begründen zu wollen. Ich meine also jene Lust, die aus der Spannung erwächst, die der psychoanalytischen Technik immanent ist, zu heilen und zu forschen. (...)

Und wie kontrolliere ich, ob ich in dieser freieren, offeneren Praxis noch die Abstinenzregel beachte? Die Kontrolle darüber gewährleistet die Frage, ob ich das, was ich tue, tue, weil ich es brauche, oder weil der Patient es braucht.

Cremerius, Johannes (1988): Aus gegebenem Anlaß. ABSTINENZ - MAXIME UND REALITÄT. In: Anonyma (1988): Verführung auf der Couch. Ein Niederschrift. Freiburg: Kore, 186-188 (1988 als Vortag an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München e.V. gehalten – Cremerius war Mitglied des Instituts).


 

Das absolut Andere das ist der Andere.
(Original: L'absolument Autre, c'est Autrui)

Lévinas, Emmanuel (1987): Totalität und Unendlichkeit.
Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber, 44 (Original: Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. 1980: 9)


Das absolut Andere das ist der Andere. Er bildet keine Mehrzahl mit mir. Die Gemeinsamkeit, in der ich 'Du' oder 'Wir' sage, ist nicht ein Plural von 'Ich'. Ich, Du sind nicht Individuen eines gemeinsamen Begriffes. An den Anderen bindet mich weder der Besitz noch die Einheit der Zahl noch auch die Einheit des Begriffs. Es ist das Fehlen eines gemeinsamen Vaterlandes, das aus dem Anderen den Fremden macht, den Fremden, der das Bei-mir-zu-Hause stört. Aber Fremder, das bedeutet auch der Freie. Über ihn vermag mein Vermögen nichts. Eine wesentliche Seite an ihm entkommt meinem Zugriff, selbst wenn ich über ihn verfüge. Er ist nicht ganz an meinem Ort. Aber ich, der ich mit dem Fremdebn keinen gemeinsamen Begriff habe, ich bin, wie er, ohne genus. Wir sind der Selbe und der Andere. Die Konjunktion und zeigt hier weder Addition der Termini noch Macht des einen Terminus über den anderen an. Wir werden hier versuchen zu zeigen, daß die Beziehung desSelben und des Anderen - die wir so außeraußerordentlichen Bedingungen zu unterstellen scheinen - die Sprache ist.(...)

Die Rede bewahrt den Abstand zwischen mir und dem Anderen; sie hält an der radikalen Trennung fest, welche die Wiederaufrichtung der Totalität verhindert und in der Trabnszendenz vorausgesetzt ist; (...).

Lévinas, Emmanuel (1987): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber, 44 und 45 f (Original: Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. 1980: 9 und 10f)

 

 

Der Kleine Prinz [Auszug]

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Saint-Exupéry, Antoine de (1943): Der kleine Prinz (Kapitel 21)


Klärchens Lied

Freudvoll

Und leidvoll,

Gedankenvoll sein,

Langen

Und bangen

In schwebender Pein,

Himmelhoch jauchzend,

Zum Tode betrübt –

Glücklich allein

Ist die Seele, die liebt.

Goethe, J. W. von Egmont. 3. Aufzug, 2. Szene (Klärchen singt); www.gutenberg.org
(z. Zt. für deutsche IP-Adressen gesperrt: 8/2019)

 

 

Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur, gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen, und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ.

Kant, Immanuel  (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12 (481-494): 481 und 482f; online: www.deutschestextarchiv.de

Anmerkung: Kant übersetzt hier einen Text aus den Briefen (Episteln) des römischen Dichters Horaz (Epist. I,2,40); siehe: www.herok.info


 

[Anekdote: Bion und der Revolver]

Owen Renik erzählt in seiner Arbeit über Standards and standardization (2003) – sie beruht auf einer offiziösen Rede, die er als Leiter des Board on Professional Standards der American Psychoanalytic Association hielt – eine Anekdote über Wilfred Bion, die, so meint er, das Problem gut auf den Punkt bringt. Bion stellte auf einem Treffen der British Psychoanalytical Society einen Fall vor. Er war, wie Sie wissen, nicht nur ein eminenter Analytiker, sondern auch ein dekorierter Offizier des Zweiten Weltkrieges, der die Waffe zu führen wusste. Nachdem er an dem Abend eingeführt worden war, bereitete Bion seinen Vortrag vor. Er zog das Manuskript aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Er nahm seine Armbanduhr ab und legte sie dazu. Schließlich zog er eine Pistole aus der Tasche und legte sie ebenfalls daneben. An diesem Punkt rief ein alarmierter Kollege aus der Zuhörerschaft: »Professor Bion! Wozu ist die denn da?« »Oh, die?«, antwortete Bion. »Die ist für die erste Person, die zu mir sagen wird, dass das, was ich mache, keine Psychoanalyse mehr ist!« (Renik 2003, S. 43f, übersetzt von H.W.).

Will, Herbert (2006): Psychoanalytische Kompetenzen. Standards und Ziele für die psychotherapeutische Ausbildung und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer, 10f

Renik. Owen (2003): Standards and standardization. Journal American Psychoanalytical Association (Supplement) 51: 43-55


 

Leider zeigt die Geschichte der »Zvilisation«, daß eine Neigung zur Zusammenarbeit und zum Teilen nur recht sporadisch vohanden ist. (120) [135]

Aus Wrights Daten geht hervor, daß eine Gesellschaft umso kriegerischer ist, je mehr Arbeitsteilung in ihr herrscht, und daß Gesellschaften mit einem Klassensystem die am meisten kriegerischen sind. Schließlich zeigen seine Daten auch, daß die Kriegslust um so geringer ist, je ausgewogener das Gleichgewicht der verschiedenen Gruppen und das Gleichgewicht zwischen der Gruppe und ihrer physischen Umgebung ist, während häufige Störungen des Gleichgewichts zu einer erhöhten Kriegsbereitschaft führen. (132) [149]

Fast jeder zieht den Schluß: Wenn schon zivilisierte Menschen so kriegslüstern sind, wieviel kriegslüsterner müssen dann erst die Primitiven gewesen sein. Aber die Ergebnisse von Wright bestätigen die These, daß die primitivsten Menschen die am wenigsten kriegerischen sind und  daß die Kriegslust mit der Zivilisation zunimmt. (133) [149f]

Daß Destruktivität und Grausamkeit nicht wesensmäßig zur menschlichen Natur gehören, besagt freilich nicht, daß sie nicht intensiv und weit verbreitete wären. (159) [177]

Die Geschichte der Menschheit ist der Bericht einer außerordentlichen Destruktivität und Grausamkeit, und die Aggression des Menschen ist offenbar weit größer als die seiner tiereischen Ahnen; der Mensch ist im Gegensatz zu den meisten Tieren ein wirklicher »Killer«. (165)[185]

Die These, daß der Krieg durch eine angeborene menschliche Destruktivität verursacht werde, ist einfach absurd für jemand, der auch nur die geringsten geschichtlichen Kenntnisse besitzt. (189) [210f]

Fromm, Erich (1973a): Anatomie der menschlichen Destruktivität. Gesamtausgabe Band VII: Aggressionstheorie: München: dtv 1. Aufl. 1989; die Angaben in [Klammern] verweisen auf die Originalausgabe


Kleines Solo

Einsam bist du sehr allein.

Aus der Wanduhr tropft die Zeit.

Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.

Träumst von Liebe. Glaubst an keine.

Kennst das Leben. Weißt Bescheid.

Einsam bist du sehr alleine –

und am schlimmsten ist Einsamkeit zu zweit.

Wünsche gehen auf die Freite*.

Glück ist ein verhexter Ort.

Kommt dir nahe. Weicht zur Seite.

Sucht vor Suchenden das Weite.

Ist nie hier. Ist immer dort.

Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.

Sehnsucht krallt sich in Dein Kleid.

Einsam bist du sehr alleine –

und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren.

Magst nicht bleiben, wer du bist.

Liebe treibt die Welt zu Paaren.

Wirst getrieben. Musst erfahren,

dass es nicht die Liebe ist …

Bist sogar im Kuss alleine.

Aus der Wanduhr tropft die Zeit.

Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine.

Brauchtest Liebe. Findest keine.

Träumst von Glück. Und lebst im Leid.

Einsam bist du sehr alleine –

und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

(* auf Brautschau gehen, um jemandes Hand anhalten)

Kästner, Erich (1899 - 1974):  Kleines Solo (1947): www.deutschelyrik.de

 

26. [Auszug]

Belauern und belauschen wir uns nur selber, in jenen Minuten, wo wir einen uns neuen Satz hören oder finden. Vielleicht missfällt er uns, weil er so trotzig, so selbstherrlich dasteht: unbewusst fragen wir uns, ob wir ihm nicht einen Gegensatz als Feind zur Seite ordnen, ob wir ihm ein „Vielleicht“, ein „Mitunter“ anhängen können; selbst das Wörtchen „wahrscheinlich“ giebt uns eine Genugthuung, weil es die persönlich lästige Tyrannei des Unbedingten bricht.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Menschliches Allzumenschliches II (1879): § VM — 26.
http://www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/VM-26

 

133. [Auszug]

Die Wahrheit ist: im Mitleid — ich meine in dem, was irreführender Weise gewöhnlich Mitleid genannt zu werden pflegt, — denken wir zwar nicht mehr bewusst an uns, aber sehr stark unbewusst, wie wenn wir beim Ausgleiten eines Fusses, für uns jetzt unbewusst, die zweckmässigsten Gegenbewegungen machen und dabei ersichtlich allen unseren Verstand gebrauchen.

Anmerkung: Nietzsche deutet das Mitleid einschließlich des daraus resultierenden Handlungsimpulses - z. B. jemand in Not zu helfen - mit einer unbewußten Motivation: Als etwa auftretende Ohnmacht und Feigheit (nicht dem Verletzten zu helfen) - einschließlich der Verletzung der Ehre (sich selbst und anderen gegenüber); als Vermeidung von der Peinlichkeit angesichts der eigenen Gefährdetheit und Gebrechlichkeit; als Möglichkeit feiner Notwehr oder Rache; als Genugtuung, sich als Mächtigerer, Helfender zu fühlen und des Beifalls sicher oder als Versuch, sich aus der Langeweile herausreißen.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Morgenröthe (1881): § 133
www.nietzschesource.org Ort:  #eKGWB/M-133

Friedrich Nietzsche (1844-1900)

Philologe und Philosoph


 

608

Ursache und Wirkung verwechselt. — Wir suchen unbewusst die Grundsätze und Lehrmeinungen, welche unserem Temperamente angemessen sind, so dass es zuletzt so aussieht, als ob die Grundsätze und Lehrmeinungen unseren Charakter geschaffen, ihm Halt und Sicherheit gegeben hätten: während es gerade umgekehrt zugegangen ist. Unser Denken und Urtheilen soll nachträglich, so scheint es, zur Ursache unseres Wesens gemacht werden: aber thatsächlich ist unser Wesen die Ursache, dass wir so und so denken und urtheilen. — Und was bestimmt uns zu dieser fast unbewussten Komödie? Die Trägheit und Bequemlichkeit und nicht am wenigsten der Wunsch der Eitelkeit, durch und durch als consistent, in Wesen und Denken einartig erfunden zu werden: denn diess erwirbt Achtung, giebt Vertrauen und Macht.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Menschliches Allzumenschliches I (1878): § 608
www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/MA-608


 

333. [Auszug]

Die längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft; (…).

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Die fröhliche Wissenschaft (1882): § 333
www.nietzschesource.org/ Ort: #eKGWB/FW-333


Frühling der Seele [Auszug]

Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden.

Trakl, Georg (veröffentlicht 1915): Die Dichtungen. Frankfurt/M. Insel Verlag, 149
 Link: gutenberg.spiegel.de

Gesamtwerk (literarische Texte und Briefe): www.literaturnische.de/Trakl/index-trakl.htm

Georg Trakl (1887-1914)

Schriftsteller, Vertreter des österreichischen Expressionismus


146.

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse (1886): § 146 www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/JGB-146

Friedrich Nietzsche (1844-1900)

Philologe und Philosoph


Klaus Nomi (1944-1983)

Countertenor im Bereich der Popmusik (bürgerlich: Klaus Sperber).

Bei dem "Cold Song" handelt es sich um die Arie "What Power Art Thou" (vom "Génie du froid") aus dem dritten Akt der Semi-Oper "King Arthur. The British Worthy" von Henry Purcell (1659–1695). In der berühmtesten Szene der Oper (Frost-Szene) soll gezeigt werden, wie die Macht der Liebe imstande ist, jedes noch so kalte Herz aufzutauen.

Die exaltierten Auftritte von Klaus Nomi waren sehenswert (ich hatte einmal die Gelegenheit ihn live zu sehen), im Internet (www.youtoube.com) finden sich verschiedene Aufnahmen.

Das Lied findet sich u.a. auf der LP/CD:
The Collection (1991)

(Deutsche Übersetzung: JT)

Cold Song

What power art thou?

Who from below

Hast made me rise?

Unwillingly and slow

From beds of everlasting snow!

See'st thou not how stiff

And wondrous old?

Far unfit to bear the bitter cold ...

I can scarcely move

Or draw my breath

I can scarcely move

Or draw my breath

Let me, let me

Let me, let me

Freeze again ...

Let me, let me

Freeze again to death!

Cold Song

Welche Macht bist Du?

Wer von unten

Mich liess aufersteh'n?

Unwillig und langsam

Aus den Betten des ewigen Schnees!

Siehst Du nicht wie steif

Und wundersam alt [ich bin]?

Gar untauglich die bitt´re Kälte zu ertragen ...

Ich kann mich kaum bewegen

Oder Atem holen

Ich kann mich kaum bewegen

Oder Atem holen

Laß mich, laß mich

Laß mich, laß mich

Wieder einfrieren ...

Laß mich, laß mich

Wieder zu Tode frier´n!


 

[Über den Umgang mit dem Tod]

Der Tod lauert auf uns in allen Ecken. (123)

So laßt uns lernen, ihm Fuß halten und nicht Reißaus geben. Und, um damit anzufangen, ihm seinen großen Vortheil über uns abzugewinnen, müssen wir eine der gewöhnlichen ganz entgegengesetzte Methode einschlagen. Benehmen wir ihm das Fremde, machen wir seine Bekanntschaft, halten wir mit ihm Umgang, und lassen uns nichts so oft vor den Gedanken vorbei eilen, als den Tod. Halten wir ihm alle Augenblicke unsrer Einbildung vor, und zwar unter allen seinen Gestalten. (131)

Es ist ungewiß, wo uns der Tod erwartet; erwarten wir ihn also allenthalben! Sinnen auf den Tod, ist Sinnen auf Freyheit. (132)

de Montaigne, Michel Eyquem (1793): Gedanken und Meinungen über allerley Gegenstände. Erster Band. Berlin: F. T. Lagarde (online verfügbar über google-books)


Was für die Raupe das Ende der Welt bedeutet, nennt der Rest der Welt Schmetterling.

Herkunft unbekannt (häufig Lao tse/Laozi zugeschrieben)

Bild: © Lisa Spreckelmeyer/pixelio.de (lizenzfrei)

 


 

Die Zukunft ist uns verborgen. Aber fühlt der Astronom das, der eine Sonnenfinsternis berechnet?

Wittgenstein, Ludwig (1949/1993): Lertzte Schriften über die Philosophie der Psychologie (1949-1950). Das Innere und das Äußere. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 35


 

Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennst dich aus; du kommst von einer anderen zur selben Stelle, und kennst dich nicht mehr aus.

Wittgenstein, Ludwig (1958/1971): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 106 (Nr. 203)


 

Eine Hauptursache philosophischer Krankheiten ̶̶ einseitige Diät: man nährt sein Denken nur mit einer Art von Beispielen.

Wittgenstein, Ludwig (1958/1971): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 189 (Nr. 593)

Anmerkung: Das könnte auch für andere (psychologische und psychoanalytische) Krankheiten gelten!


Erich Fried (1921-1988) wurde in Wien geboren, floh 1938 nach London, wo er bis zu seinem Tod 1988 lebte. Er schrieb überaus kritische politische Gedichte (so 1966: "und Vietnam und"), seine israelkritischen Gedichten (z. B. "Höre Israel") sind bis heute schwer (oder gar nicht) zu verdauen. Spätestens seit dem 1979 erschienenen Band "Liebesgedichte" gehört er zu den meistgelesenen deutschsprachigen Lyrikern.

Im Verlag Klaus Wagenbach ist eine schöne vierbändige gebundene Ausgabe seines Werkes (Gedichte & Prosa) zu einem erstaunlichen Preis, über 2.500 Seiten für 68 Euro erschienen (siehe rechts).

Drei Wünsche

Ich wollte manchmal

ich wäre so erfahren

wie ich alt bin

oder auch nur

so klug

wie ich erfahren bin

oder wenigstens

so glücklich

wie ich klug bin

aber ich glaube

ich bin

zu dumm dazu

Fried, Erich (1982)Gesammelte Werke. Gedichte Band 2.
Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 652 (Das Nahe suchen)


Briefe Sigmund Freud an Sándor Ferenczi & Ludwig Binswanger (Auszüge)

Anmerkung: Freuds zweite Tochter Sophie, von ihm liebevoll als "Sonntagskind" bezeichnet, starb am 25. Januar 1920 mit 27 Jahren an einer schweren Grippe.

Der Todesfall, so schmerzlich er ist, findet doch keine Lebenseinstellung umzuwerfen. Jahrelang war ich auf den Verlust der Söhne gefaßt, nun kommt der der Tochter; da ich im tiefsten ungläubig bin, habe ich niemand zu beschuldigen und weiß, daß es keinen Ort gibt, wo man eine Klage anbringen könnte.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 346 (Wien, 4.2.1920 an Sándor Ferenczi)

Wenige Wochen später schrieb Freud an Ludwig Binswanger:

Seither liegt ein schwerer Druck auf uns allen, den ich auch in meiner Arbeitsfähigkeit verspüre. Die Ungeheuerlichkeit, daß Kinder vor den Eltern sterben sollen, haben wir beide nicht verwunden.

Sigmund Freud & Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938 (herausgegeben v. G. Fichtner): Frankfurt/M.: Fischer 1992: 169 (122 F, Wien, 14.03.1920)

Als Reaktion auf den plötzlichen Tod des achtjährigen Sohnes von Binswanger (im Mai 1926) schrieb er ihm :

Ich kann es doch nicht unterlassen, Ihnen zu schreiben, nicht ein Wort überflüssigen Beileids, sondern – ja eigentlich nur aus innerem Drange, weil Ihr Brief eine Erinnerung in mir geweckt hat – unsinnig! –, die ja nie eingeschlafen war. Es ist richtig, ich habe eine geliebte Tochter im Alter von 27 Jahren verloren, aber dies vertrug ich merkwürdig gut. Es war das Jahr 1920, man war zermürbt durch das Kriegselend, durch Jahre darauf vorbereitet zu hören, daß man einen Sohn oder gar drei Söhne verloren hat. So war die Gefügigkeit gegen das Schicksal vorbereitet. Aber zwei Jahre später brachte ich das jüngere Kind dieser Tochter, ein Kerlchen von 3–4 Jahren nach Wien, wo es meine kinderlose Älteste zu sich nahm, und dieses Kind ist uns – Juni '23 – an rapid verlaufender Militärtuberkulose gestorben. (...) Mir stand es für alle Kinder und anderen Enkel, und seither, seit Heineles Tod mag ich die Enkel nicht mehr, aber freue mich auch nicht am Leben. Es ist auch das Geheimnis der Indifferenz – Tapferkeit hat man es genannt – bei meiner eigenen Lebensgefahr.
Mein Schicksal hat ja eine Ähnlichkeit mit dem Ihren, auch bei mir ist das Neugebilde nicht wiedergekommen. In dem anderen Punkt, hoffe ich, werden Sie sich der Ähnlichkeit entziehen. Sie sind jung genug, um den Verlust zu überwinden; ich muß ja nicht mehr.

Sigmund Freud & Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938 (herausgegeben v. G. Fichtner): Frankfurt/M.: Fischer 1992: 208 (154 F, Wien, 15.10.1926)

Und noch einmal, drei Jahre später kommt er auf das Thema zurück:

Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter sechsunddreißig Jahre als geworden. (…).

Man weiß, daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.

Sigmund Freud & Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938 (herausgegeben v. G. Fichtner): Frankfurt/M.: Fischer 1992: 222 (168 F, Wien, 11/12.04.1929)


Brief an Paul Demeny, 15.05.1871 [Auszug]

Ich ist ein anderer.
(Original: Car Je est un autre.)

Rimbaud, Arthur (1881): Seher-Briefe. Lettres du voyant (übers. u. hg. v. W. v. Koppenfels). Mainz: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung 1990, 20

online (französisches Original - Auszug!)

Arthur Rimbaud (1854-1891)

französischer Lyriker, Abenteurer und Geschäftsmann

Anmerkung: Das Zitat stammt aus einem Brief Rimbauds an seinen Rhetoriklehrer Paul Demeny. Daß Rimbaud explizit nicht schrieb "Ich bin ein anderer" deutet darauf hin, worum es ihm geht: Der Dichter ist nicht souveräner Autor seiner Worte, sondern vielmehr eine Art von Medium, das durch ihn spricht. Denken und Sprechen entspringen aus seiner Sicht nicht dem 'identischen' Ich: "Es ist falsch, zu sagen: Ich denke; man sollte sagen: Es denkt mich. ̶  Entschuldigen Sie das Wortspiel.  ̶
Was soll man machen, wenn das Holz auf einmal Violine wird? Ein Hohngelächter all den Ahnungslosen, die über Dinge räsonieren, von denen sie nicht das Geringste verstehen.
" (Rimbaud am 13.05.1871 an Georges Izambard); Quelle: siehe links, 11/13


 

Wir mußten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann, wir haben allmählich uns gewöhnen müssen, ohne Boden unter unseren Füßen zu leben, ohne Recht, ohne Freiheit, ohne Sicherheit.

Zweig, Stefan (1944): Die Welt von Gestern. Frankfurt/M.: Fischer, Frankfurt 1970, S. 19

online: Projekt Gutenberg (über http://gutenberg.spiegel.de): Die Welt von Gestern

Anmerkung: Zweig war von Freud sehr beeindruckt. 1926 schrieb er: Mir ist die Psychologie (Sie verstehen dies wie kein zweiter) heute eigentlich die Passion meines Lebens. Und ich möchte dann einmal, wenn ich weit genug bin, sie am schwersten Object üben, an mir selbst. (Brief v. 8.09.1926 an Freud*). In ihrem Briefwechsel bis zum Tod Freuds (Frankfurt: Fischer 1968) schrieb Zweig in der Anrede: "Liebster Vater Freud". Das Buch "Die Welt von Gestern" ist eine Autobiograpie, die Zweig 1942 kurz von seinem Freitod in Brasilien schrieb.
* Zweig, S. (1908-39): Über Sigmund Freud. Portrait, Briefwechsel, Gedenkworte. Frankfurt/M.: Fischer 1989


Erich Fried (1921-1988)

Angst und Zweifel

Zweifle nicht

an dem

der dir

sagt

er hat Angst

aber hab Angst

vor dem

der dir sagt

er kennt keinen Zweifel

Fried, Erich (1974)Gesammelte Werke. Gedichte Band 2. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 202 (Gegengift)


Was es ist

Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe

Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe

Fried, Erich (1983)Gesammelte Werke. Gedichte Band 3. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 35 (Es ist was es ist)

Erich Fried (1921-1988)


Frank Wedekind (1905):
Die vier Jahreszeiten.
München: Albert Langen Verlag, 32

 

Der Gefangene (1902)

Oftmals hab' ich nachts im Bette

Schon gegrübelt hin und her,

Was es denn geschadet hätte,

Wenn mein Ich ein Andrer wär'.

Höhnisch raunten meine Zweifel

Mir die tolle Antwort zu:

Nichts geschadet, dummer Teufel,

Denn der Andre wärest du!

Hilflos wälzt ich mich im Bette

Und entrang mir dies Gedicht,

Rasselnd mit der Sklavenkette,

Die kein Denker je zerbricht.


 

Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.

Morgenstern, Christian (1891): Aphorismen. Stuttgarter Ausgabe, Band 5 (hg. v. Reinhardt Habel). Stuttgart: Verlags Urachhaus 1987: 254 (1146)


 

Der Narzissmus des Analytikers erscheint geeignet, eine besonders ausgiebige Fehlerquelle zu schaffen, indem er mitunter eine Art narzisstischer Gegenübertragung zustande bringt, die den Analysierten veranlasst, einesteils Dinge in den Vordergrund zu schieben, die dem Arzt schmeicheln, andernteils ihn betreffende Bemerkungen und Einfälle abfälliger Art zu unterdrücken. Beides ist technisch unrichtig; das erste, indem es zu Scheinbesserungen des Patienten führen kann, die nur darauf berechnet sind, den Analytiker zu bestechen und ihm auf diese Weise libidinöse Gegensympathie abzugewinnen; das zweite, indem es den Analytiker von der technischen Notwendigkeit abhält, bereits leise Anzeichen der sich meist nur zaghaft hervorwagenden Kritik aufzuspüren und dem Patienten zur unverhüllten Aussprache, beziehungsweise Abreaktion, zu verhelfen.

Ferenczi, Sándor (1924): Entwicklungsziele der Psychoanalyse (Zur Wechselbeziehung von Theorie und Praxis). Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 238f


 

Keinesfalls darf man sich schämen, früher gemachte Irrtümer rückhaltlos zu bekennen. Man vergesse nie, dass die Analyse kein Suggestivverfahren ist, bei dem vor allem das Ansehen des Arztes und seine Unfehlbarkeit zu wahren ist. Das einzige, worauf auch die Analyse Anspruch erhebt, ist das Vertrauen zur Offenheit und Aufrichtigkeit des Arztes, und diesem tut das offene Bekennen eines Irrtums keinen Schaden an.

Ferenczi, Sándor (1927/28): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 390


 

Die analytische Einstellung fordert vom Arzte nicht nur die strenge Kontrolle des eigenen Narzissmus, sondern auch die scharfe Überwachung von Gefühlsreaktionen jeglicher Art. War man früher etwa der Ansicht, dass ein allzu hoher Grad von "Antipathie" eine Gegenanzeige gegen die Durchführung einer analytischen Kur abgeben kann, so müssen wir nach tieferer Einsicht in die Verhältnisse eine solche Gegenindikation von vornherein ausschliessen und vom analysierten Analytiker erwarten, dass seine Selbstkenntnis und Selbstkontrolle stärker ist, als dass er sich vor Idiosynkrasien beugen müsste. Jene "antipathischen Züge" sind ja in den meisten Fällen nur Vorbauten, hinter denen sich ganz andere Eigenschaften verstecken. Es hiesse also dem Patienten aufzusitzen, ginge man auf solche Fallen ein; das Weggejagtwerden ist oft der unbewusste Zweck des unausstehlichen Benehmens. Das Wissen um diese Dinge befähigt uns, auch den unerquicklichsten oder abstossendsten Menschen in voller Überlegenheit als einen heilungsbedürftigen Patienten zu betrachten und ihm, als solchem, sogar unsere Sympathie nicht zu versagen. Diese mehr als christliche Demut zu erlernen, gehört zu den schwersten Aufgaben der psychoanalytischen Praxis. Bringen wir sie aber zustande, so mag uns die Korrektur auch in verzweifelten Fällen gelingen. Ich muss nochmals betonen, dass auch hier nur die wirkliche Gefühlseinstellung hilft; eine nur gemachte Pose wird von scharfsinnigen Patienten mit Leichtigkeit entlarvt.

Ferenczi, Sándor (1927/28): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. Bausteine zur Psychoanalyse III. Frankfurt/M.: Ullstein: 390f


 

Das Nichtmitgeteilte, das Nichtmitteilbare, das, was niemandem erzählt wurde und auf niemanden Eindruck machte, das, was nirgends eingeht in das Bewußtsein der Zeiten und ohne Bedeutung in dem dumpfen Chaos des unbestimmten Vergessens versinkt, ist verdammt zur Wiederholung; es wiederholt sich, weil es, obwohl wirklich geschehen, in der Wirklichkeit keine Bleibe gefunden hat.

Arendt, Hannah (1975): Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München: Ullstein [1959] 1975: 104


Der Mensch mit sich allein [Auszug]

491.

Selbstbeobachtung. — Der Mensch ist gegen sich selbst, gegen Auskundschaftung und Belagerung durch sich selber, sehr gut vertheidigt, er vermag gewöhnlich nicht mehr von sich, als seine Aussenwerke wahrzunehmen. Die eigentliche Festung ist ihm unzugänglich, selbst unsichtbar, es sei denn, dass Freunde und Feinde die Verräther machen und ihn selber auf geheimem Wege hineinführen.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Menschliches Allzumenschliches I (1878): § 491
www.nietzschesource.org
Ort: #eKGWB/MA-491

 

116.

Die unbekannte Welt des "Subjects". — Das, was den Menschen so schwer zu begreifen fällt, ist ihre Unwissenheit über sich selber, von den ältesten Zeiten bis jetzt! Nicht nur in Bezug auf gut und böse, sondern in Bezug auf viel Wesentlicheres! Noch immer lebt der uralte Wahn, dass man wisse, ganz genau wisse, wie das menschliche Handeln zu Stande komme, in jedem Falle. Nicht nur "Gott, der in’s Herz sieht", nicht nur der Thäter, der seine That überlegt, — nein, auch jeder Andere zweifelt nicht, das Wesentliche im Vorgange der Handlung jedes Andern zu verstehen. "Ich weiss, was ich will, was ich gethan habe, ich bin frei und verantwortlich dafür, ich mache den Andern verantwortlich, ich kann alle sittlichen Möglichkeiten und alle inneren Bewegungen, die es vor einer Handlung giebt, beim Namen nennen; ihr mögt handeln, wie ihr wollt, — ich verstehe darin mich und euch Alle!" — so dachte ehemals Jeder, so denkt fast noch Jeder. (…) Die Handlungen sind niemals Das, als was sie uns erscheinen! Wir haben so viel Mühe gehabt, zu lernen, dass die äusseren Dinge nicht so sind, wie sie uns erscheinen, — nun wohlan! mit der inneren Welt steht es ebenso! Die moralischen Handlungen sind in Wahrheit "etwas Anderes", — mehr können wir nicht sagen: und alle Handlungen sind wesentlich unbekannt. Das Gegentheil war und ist der allgemeine Glaube: wir haben den ältesten Realismus gegen uns; bis jetzt dachte die Menschheit: "eine Handlung ist Das, als was sie uns erscheint." (…).

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Morgenröthe (1881): § 116. www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/M-116

 

 

189.

Der Denker. — Er ist ein Denker: das heisst, er versteht sich darauf, die Dinge einfacher zu nehmen, als sie sind.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Die fröhliche Wissenschaft (1882): § 189
www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/FW-189


Ludwig Andreas Feuerbach (1804-1872);
deutscher Philosoph und Anthropologe

Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heißt, sondern der Mensch schuf, wie ich im Wesen des Christenthums zeigte, Gott nach seinem Bilde.

Feuerbach, Ludwig (1851): Ludwig Feuerbach's sämmtliche Werke. 8. Band: Vorlesungen über das Wesen der Religion. Leipzig: Verlag Otto Wigand: 241; google books


Der Geist will sich vermählen mit dem Begriff: ich will geliebt oder ich will begriffen sein, das ist eins.

von Arnim, Bettina (Elisabeth) (1835): Tagebuch. Berlin Ferdinand Dümmler: 36;
Deutsches Textarchiv

Bettina von Arnim,
geb. Brentano (1785 - 1859), deutsche Schriftstellerin,
Vertreterin der Romantik


Ungeplant

Daß ich

viel zu alt bin

für dich

oder daß du

zu jung bist für mich

das sind alles

gewichtige Argumente

die entscheidend wären

in den Lehrwerkstätten

in denen

die aufgeklärteren Menschen

sich ihre berechnete Zukunft

zurechtschneiden

streng nach Maß

Fried, Erich (1983)Gesammelte Werke. Gedichte Band 3. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1993, 26 (Es ist was es ist)

Erich Fried (1921-1988)


Wage es, weise zu sein

Immanuel Kant (1784)

Sapere aude

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

 

Immanuel Kant (1724-1804) erklärte seine Interpretation des lateinischen Spruches 1784 zum Leitspruch der Aufklärung; im Original aus dem Buch der Episteln des Dichters Horaz (20 v. Chr.): Dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, / incipe. (Epist. I,2,40 f.)


John Lennon (9.10.1940 - 8.12.1980)

You may say I'm a dreamer

But I'm not the only one

Lennon, John (1971): Imagine (Liedtext)


3) Allgemeines über alle Perversionen [Auszug]

Die alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten dieser Überschreitungen, wenigstens die minder argen unter ihnen, einen selten fehlenden Bestandteil des Sexuallebens der Gesunden bilden und von ihnen wie andere Intimitäten auch beurteilt werden.

Gerade auf dem Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will.

Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muß man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebes anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten aneinander (»vom Himmel durch die Welt zur Hölle«).

Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 59, 60, 61

 

#29 Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Sexualwissenschaft [Auszug]

Die Psychoanalyse ist so kostbar, weil sie die einzelnen Allgemeinen als Individuen ernst nimmt und zu verstehen sucht. Sie ist bis heute mehrheitlich am Individuellen orientiert. Sie will nicht wahrhaben, dass die Struktur, die Episteme, die diskursive Formation oder die Imperative und Objektive dem Dividuum vorschreibt, was es wie zu praktizieren habe.

Sigusch, Volkmar (1905d): Sexualitäten. Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten. New York: Campus: 134

 

Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben.

Freud, Sigmund (1912d): Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens (Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens II). GW VIII: 82f

Anmerkung: Freud bezieht sich hier auf "junge Menschen, deren "ganze Sinnlichkeit (…) im Unbewußten an inzestuöse Objekte gebunden oder, wie wir auch sagen können, an unbewußte inzestuöse Phantasien fixiert wird. Das Ergebnis ist dann eine absolute Impotenz, die etwa noch durch die gleichzeitig erworbene wirkliche Schwächung der den Sexualakt ausführenden Organe versichert wird. (…) Das Liebesleben solcher Menschen bleibt in die zwei Richtungen gespalten, die von der Kunst als himmlische und irdische (oder tierische) Liebe personifiziert werden. (...) Sie suchen nach Objekten, die sie nicht zu lieben brauchen, um ihre Sinnlichkeit von ihren geliebten Objekten fernzuhalten, und das sonderbare Versagen der psychischen Impotenz tritt nach den Gesetzen der »Komplexempfindlichkeit« und der »Rückkehr des Verdrängten« dann auf, wenn an dem zur Vermeidung des Inzests gewählten Objekt ein oft unscheinbarer Zug an das zu vermeidende Objekt erinnert."

 

Sigmund Freud
(1856-1939)

Zurückhaltung, wir taugen zu keiner Art von offiziellem Dasein, brauchen unsere Unabhängigkeit nach allen Seiten. Vielleicht haben auch wir Grund zu sagen: Gott schütze uns vor unseren Freunden. Mit den Feinden sind wir ja bisher fertig geworden. Auch gibt es ein Nachher, in dem wir wiederum Platz finden müssen. Wir sind und bleiben tendenzlos bis auf das eine: zu erforschen und zu helfen.

Freud, S. & Ferenczi, S. (1917-1919): Briefwechsel. Band II/2. (hg. von Ernst Falzeder & Eva Brabant). Wien: Böhlau: 229 (Brief 808 F, Wien, 20.4.1919)


 

Karl Valentin (1882-1948)

www.karl-valentin.de

Anmerkung: Es handelt sich um die offizielle Seite der Familie und Erben von Karl Valentin; Zitate dürfen noch bis 2018 (Urheberrecht: 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers) nur mit Genehmigung im Internet verwendet werden - es sei denn, es handelt sich um Zitate in einem Text oder um Internetseiten ohne gewerblichen Zweck
(das ist hier der Fall!)

 

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.


Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit


Gut, dass Hitler nicht Kräuter heißt, sonst müsste man ihn mit »Heil Kräuter« grüßen.


Gar nicht krank ist auch nicht gesund.


Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.


Die Zukunft war früher auch besser!


Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!

Karl Valentin: Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut! Das Beste aus seinem Werk (hrsg. von Helmut Bachmaier),
München: Piper, 1996 (Serie Piper; Band 1162)

Karl Valentin (1882-1948)


 

Die Geschichte der Wissenschaften zeigt uns bei allem, was für dieselben geschieht, gewisse Epochen, die bald schneller, bald langsamer auf einander folgen. Eine bedeutende Ansicht, neu oder erneut, wird ausgesprochen; sie wird anerkannt, früher oder später; es finden sich Mitarbeiter; das Resultat geht in die Schüler über; es wird gelehrt und fortgepflanzt, und wir bemerken leider, daß es gar nicht darauf ankommt, ob die Ansicht wahr oder falsch sei: beides macht denselben Gang, beides wird zuletzt eine Phrase; beides prägt sich als todtes Wort dem Gedächtniß ein.

Goethe, J. W. von (1833): Goethe's Werke.  Stuttgart: J. G. Cotta'sche Buchhandlung. Band 50: 68f
(online: Johann Wolfgang von Goethe - Google Books)


Kafka, Franz (1916): Die Acht Oktavhefte
(Eintrag v. 24.11.1917)
http://gutenberg.spiegel.de
(derzeit nicht abrufbar: 8/2019)

Ich kenne den Inhalt nicht,

ich habe den Schlüssel nicht,

ich glaube Gerüchten nicht,

alles verständlich,

denn ich bin es selbst.


"Männer und Frauen stehen so zu Beziehungen, wie sie auch zum Orgasmus stehen, nur umgekehrt (…), Frauen sehnen sich so nach Beziehungen, wie Männer sich nach einem Orgasmus sehnen. Ihr ganzes Wesen beugt sich diesem Imperativ. Umgekehrt wollen Männer Beziehungen so wie Frauen einen Orgasmus: manchmal, unter den richtigen Umständen."

Waldman, Adelle (2013): Das Liebesleben des Nathaniel P. O.O.: Verlagsbuchhandlung Liebeskind: 268

 


Die unbewusste Verkleidung physiologischer Bedürfnisse unter die Mäntel des Objektiven, Ideellen, Rein-Geistigen geht bis zum Erschrecken weit, — und oft genug habe ich mich gefragt, ob nicht, im Grossen gerechnet, Philosophie bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes und ein Missverständniss des Leibes gewesen ist. Hinter den höchsten Werthurtheilen, von denen bisher die Geschichte des Gedankens geleitet wurde, liegen Missverständnisse der leiblichen Beschaffenheit verborgen, sei es von Einzelnen, sei es von Ständen oder ganzen Rassen.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Die Fröhliche Wissenschaft - Vorrede zur zweiten Ausgabe (1887): 2.
www.nietzschesource.org Ort:  #eKGWB/FW

 

Vierter Satz. — Die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff "unrein" ist die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist des Lebens.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Der Antichrist (1888) - Gesetz wider das Christenthum
www.nietzschesource.org Ort:  #eKGWB/AC-Gesetz

 

Hier hat natürlich auch die dem Außenstehenden so auffällige tiefe Ungeschicklichkeit der Deutschen ihren Grund, sich in einem Gespräch über die Frage der Vergangenheit überhaupt zu bewegen. Wie schwer es sein muss, hier einen Weg zu finden, kommt vielleicht am deutlichsten in der gängigen Redensart zum Ausdruck, das Vergangene sei noch unbewältigt, man müsse erst einmal daran gehen, die Vergangenheit zu bewältigen. Dies kann man wahrscheinlich mit keiner Vergangenheit, sicher aber nicht mit dieser. Das höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt.

Arend, Hannah (1959): Rede am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Hamburger Lessing-Preises, zitiert in: diestandard, 11.Oktober 2006, www.diestandard.at (kein Volltext)

Hannah (Johanna) Arend (1906 -1975)

Jüdisch  deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und
Publizistin


Emmanuel Lévinas, (1905/6 - 1995), französisch-litauischer Philosoph

Das Gesicht des Seins, das sich im Krieg zeigt, konkretisiert sich im Begriff der Totalität.

Lévinas, Emmanuel (1980/1987): Totalität und Unendlichkeit: 20


Der Katholizismus ist der große Zerstörer der Kinderseele, der große Angsteinjager, der große Charaktervernichter des Kindes. Das ist die Wahrheit. Millionen und schließlich Milliarden verdanken der katholischen Kirche, daß sie von Grund auf zerstört und ruiniert worden sind für die Welt, daß aus ihrer Natur eine Unnatur gemacht worden ist.

Bernhard, Thomas (1986): Auslöschung. Ein Zerfall.
In: Werke in 22 Bänden (hrsg. v. M. Huber & W. Schmidt-Dengler).
Band 9 Auslöschung (hrsg. v. H. Höller) Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009: 111

Thomas Bernhard
(eigentl. Niclaas Thomas)

(1931 - 1989)

Österreichischer Schriftsteller


 

 

 

 

Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen.

Marquez, Gabriel Garcia (2002): Leben, um davon zu erzählen. München: Kiepenheuer & Witsch: 7 (Die Widmung ist dem Text vorangestellt)


Helmut Schmidt

(23.12.1918 - 10.11.2015)

SPD-Politiker, Bundeskanzler a. D.,
Publizist

ZEIT: Jetzt sind Sie schon fast 25 Jahre lang bei der ZEIT. Sind Sie inzwischen wenigstens ein bisschen Journalist?

Schmidt: Ich fürchte nicht, und wissen Sie, warum?

ZEIT: Mir schwant nichts Nettes.

Schmidt: Weil ich es mir einfach nicht abgewöhnen kann, gründlich zu arbeiten!" (lacht)

Die ZEIT: Unter Wegelagerern. Vom Journalismus und der Gewohnheit, gründlich zu arbeiten (Giovanni di Lorenzo im Gespräch mit Helmut Schmidt). ZEIT EXTRA:  23.12.1918 - 10.11.2015. Der Abschied. Eine Sonderausgabe zum Tod von Helmut Schmidt. Ausgabe Nr. 01 v. 11.11.2015: 26; online unter: www.zeit.de
Das Interview erschien zuerst im ZEITmagazin 44 v. 25.10.2007: 62


Hast du Geld, musst du dich nicht beugen!

Brecht, Bertolt (1926): Vom Geld. In: Werke Band 4: Gedichte 2 (1913-1956).
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005: 105f (hier: 106)

 

Schwächen

Du hattest keine

Ich hatte eine:

Ich liebte

Brecht, Bertolt (1950): Werke Band 4: Gedichte 2 (1913-1956).
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005: 403f

 

 

DER TAG, AN DEM DAS    VERSCHWAND

Am Tag, an dem das     verschwand,

da war die uft vo Kagen.

Den Dichtern, ach, verschug es gatt

ihr Singen und ihr Sagen.

Nun gut. Sie haben sich gefaßt.

Man sieht sie wieder schreiben.

Jedoch:

Soang das     nicht wiederkehrt,

muß aes Fickwerk beiben.

Gernhardt, R. (1994): Gesammelte Gedichte 1954-2006. Frankfurt/M.: Fischer 4. Aufl. 2014: 165


Was ihr den Geist der Zeiten heißt,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Goethe, J. W. (von 1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 45, Vers 577-579

Online: Faust - Der Tragödie erster Teil – Wikisource

 

Jean-Paul Sartre (1905-1980), französischer Romancier,
Dramatiker und Publizist,
seit seinem 25. Lebensjahr
mit Simone de Beauvoir liiert

Nous ne voulons rien manquer de notre temps peut-être en est-il de plus beaux, mais c'est le nôtre; nous n'avons que cette vie à vivre, au milieu de cette guerre, de cette révolution peut-être.

Wir wollen nichts von unserer Zeit verpassen: vielleicht gibt es Schönere, aber diese ist unsere; wir haben nichts als dieses Leben zu leben, inmitten dieses Krieges, vielleicht dieser Revolution. (Deutsche Übersetzung: JT)

Sartre, Jean-Paul (1945): Présentation des Temps Modernes. In: LES TEMPS MODERNES, n° 1, Paris, octobre 1945


Der Satz hat mich immer wieder einmal beschäftigt
und ich sehe es etwas anders:

Das Verstehen erzeugt Tiefe und Tiefe erzeugt Sinn.

Das Verstehen erzeugt Tiefe, nicht Sinn.

Arendt, Hannah (2002): Denktagebuch (hrsg. von U. Ludz & I. Nordmann), 2 Bände. München: Piper: 332


 

Wir kamen dann wieder auf das Kriegsthema, und  ich sagte, daß ich glaubte, im Gegensatz zu seiner Einstellung sei das einfache Volk nicht sehr dankbar für Führer, die ihm Krieg und Zerstörungen bescheren.

»Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg«, sagte Göring achselzuckend. »Warum sollte irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, daß er mit heilen Knochen zurückkommt. Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Rußland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt.«

»Nur mit einem  Unterschied«, entgegnete ich. »In einer Demokratie hat das Volk durch seine gewählten Volksvertreter ein Wort mitzureden, und in den Vereinigten Staaten kann nur der Kongreß einen Krieg erklären.«

»Oh, das ist alles gut und schön, aber das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.«

Gilbert, G. M. (im Gespräch mit Hermann Göring, April 1945): Nürnberger Tagebuch. Gespräche der Angeklagten mit dem Gerichtspsychologen. Frankfurt/M.: Fischer 1962: 270


 

Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. Das Rascheln im Blätterwalde vertreibt ihn.

Benjamin, W. (1936): Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows. In: Gesammelte Schriften. Werkausgabe Edition Suhrkamp (hrsg. v. R. Tiedemann & H Schweppenhäuser), Band 5. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980: 438-465 (hier: 446)


 

Daß es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben (und das heißt: in einem Beziehungssystem zu leben, wo man nach seinen Handlungen und Meinungen beurteilt wird), oder ein Recht, einer politisch organisierten Gemeinschaft zuzugehören – das wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen auftauchten, die solche Rechte verloren hatten und sie zufolge der neuen globalen politischen Situation nicht wiedergewinnen.

Arendt, Hannah (1949): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht. Die Wandlung, 4. Jg., Herbstheft 1949 (Dezember 1949), 754-770; Zitat: 760. Internet: www.hannaharendt.net Zeitschrift für politisches Denken, Band 5, Nr. 1 (2009): unter "Documents"


Croyez ceux qui cherchent la vérité,doutez de ceux qui la trouvent;
doutez de tout, mais ne doutez pas de vous-même.

Glaubt denjenigen, die die Wahrheit suchen, zweifelt an denjenigen, die sie gefunden haben; zweifelt an allem, aber zweifelt nicht an euch selbst (Übers. JT).

Gide, André (1952): Ainsi soit-il ou les Jeux sont faits. Paris: Gallimard (1952): 174

Gide, André, Paul Guillaume

(1869 - 1951)

Französischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger 1947


12 bzw. 28 Jahre nach Samjatins Sciens Fiction Roman "Wir" erschienen die bekannteren Romane  von Aldous Huxley - Brave New World und George Orwell - 1984. Samjatin schildert die Geschichte von D-503, dem Konstrukteur des Raumschiffs INTEGRAL. Er berichtet vom Leben in der gläsernen Stadt im "Einzigen Staat", der das Leben der BewohnerInnen mit Ausnahme zweier freier Stunden pro Tag bis in das kleinste Detail regelt, auch die "Geschlechttage" sind strikt vorgegeben. Durch die Begegnung mit einer Rebellin beginnt sich D-503 zu verändern, er entwickelt eine Seele und schließt sich der Bewegung an. Das Staatsoberhaupt, der "Wohltäter" schlägt hart zurück und es kommt zum offenen Kampf.

Ich fühlte mich. Alle jene, die sich fühlen, sind sich ihrer Individualität bewußt. Doch nur das entzündete Auge, der verletzte Finger, der kranke Zahn machen sich bemerkbar, das gesunde Auge, der gesunde Finger, der gesunde Zahn scheinen nicht vorhanden zu sein. Man ist also bestimmt krank, wenn man sich der eigenen Persönlichkeit bewußt wird.

Samjatin, Jewgnij (1920): Wir. München: Heyne 1975: 87


 

Die statistische Methode vermittelt zwar die ideale Durchschnittlichkeit eines Sachverhalts, nicht aber ein Bild von dessen empirischer Wirklichkeit. Sie gibt zwar einen unanfechtbaren Aspekt der Wirklichkeit, kann aber die tatsächliche Wahrheit bis zur Irreführung verfälschen. Letzteres gilt in besonderem Maße von der auf Statistik gegründete Theorie. Die wirklichen Tatsachen zeichnen sich durch ihre Individualität aus; überspitzt ausgedrückt, könnte man sagen, daß das wirkliche Bild sozusagen auf lauter Ausnahmen von der Regel beruhe und mithin die absolute Wirklichkeit den vorherrschenden Charakter der Irregularität habe.

Jung, Carl Gustav (1957): Gegenwart und Zukunft. GW 10 Zivilisation im Übergang. Olten: Walter-Verlag 1974, 2. Auflage 1981: 275-336 (hier: 278, § 494)


[...] there is nothing so practical as a good theory.

Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie (Übers. JT).

Lewin, Kurt (1951): Problems of Research in Social Psychology. In: D. Cartwright (Hrsg.): Field Theory in Social Science. Selected Theoretical Papers.
New York: Harper & Row,169

Kurt Lewin (1890-1947)
deutsch-amerikanischer Psychologe


Edmund Josef von Horváth

(1901-1938)
Österreichisch-ungarischer Schriftsteller

Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.

Horváth, Ödön (1926): Zur schönen Aussicht. Gesammelte Werke, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2. Aufl. 1978, Band 3: 67

Anmerkung: Es handelt sich um ein 1926 entstandenes Theaterstück; das Zitat spricht Ada Freifrau von Stetten


Heinrich Heine

(1797-1856)
Deutscher Dichter, Schriftsteller
und Journalist

Der große Narr ist ein sehr großer Narr, riesengroß, und er nennt sich
deutsches Volk.

Heine, H. (1832): Französische Zustände I (Vorrede). In: Heinrich Heine's Sämmtliche Werke. Neue Ausgabe in 12 Bänden. 9. Band. Hamburg: Hoffmann & Campe 1887: 18


Rafik Schami

(das Pseudonym bedeutet:
Freund aus Damaskus;
eigentlich:

Suheil Fadél (*1946)

 Promovierter Chemiker,
syrisch-deutscher Schriftsteller,
lebt seit 1971 in Deutschland

(...) Gleichzeitig bin ich in Deutschland ernst geworden

Was hat Sie so ernst gemacht?

Das liegt an der Gesellschaft hier, in der alles Schlag auf Schlag läuft. Das Beschäftigtsein zwingt zur Ernsthaftigkeit und nimmt den Deutschen ihre Leichtigkeit. (...) Weil wir hier trotz unseres Wohlstands sehr bekümmert leben. Gleichzeitig habe ich in Deutschland Dinge in mit entdeckt, die lange unterdrückt waren, und die sich erst hier entfalten konnten. Dass ich mich nicht mehr umsehen muss, wenn ich offen auf der Straße rede - diese Freiheit hat mich geprägt.

Schami, R. (2016): Rafik Schami über Gastfreundschaft. Interview mit Julia Rothhaas. Süddeutsche Zeitung  Ausgabe Samstag/Sonntag, 19./20. März 2016, Nr. 66: 58.


Ärzte

Wissen möchtet ihr gern die geheime Struktur des Gebäudes,

Und ihr wählt den Moment, wenn es in Flammen gerät.

Was ist das Schwerste von allem? Was dir das Leichteste dünken,

Mit den Augen zu sehn, was vor den Augen dir liegt.

Schiller, Friedrich (1796): Xenien und Votivtafeln aus dem Nachlaß. In: J. W. v. Goethe:
Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16],
Band 2, Berlin: Aufbau Verlag 1960 ff: 495

online: www.zeno.org

 

Albrecht Ludolf von Krehl

(1861-1937)
Deutscher Mediziner

Krankheiten als solche gibt es nicht, wir kennen nur kranke Menschen. Wenn wir die Krankheiten des Menschen erforschen, so beschreiben wir den Ablauf eines Lebensvorganges am einzelnen Menschen, d. h. wir beschreiben die Beschaffenheit des Menschen, an dem, die Bedingungen, unter denen, und die Art und Weise, wie jener Vorgang abläuft. Damit ist schon gesagt, daß für uns nicht der Mensch als solcher (auch den gibt es nicht), sondern der einzelne kranke Mensch, die einzelne Persönlichkeit in Betracht kommt. (...)

Diese einzelnen kranken Menschen sind untereinander nicht gleich.

Krehl L. (1930): Entstehung, Erkennung und Behandlung innerer Krankheiten, I. Band: Die Entstehung innerer Krankheiten: Pathologische Physiologie. Leipzig: Vogel (13. Aufl.): 24

online: books.google.de


Dr. Martin Luther

(1483-1546)
Augustinermönch, deutscher Theologe, Professor der Theologie
und Begründer der Reformation

Was wollen wir Christen nun anfangen mit diesem verworfenen und verdammten Volk der Juden? (...)

Wir müssen mit Gebet und Gottesfurcht eine gnadenlose Barmherzigkeit üben, damit wir doch etliche von ihnen aus den Flammen und der Glut erretten können. Rächen dürfen wir uns nicht, sie haben die Rache von selbst am Hals, tausendmal schlimmer als wir es ihnen wünschen mögen. Ich will meinen wohlgemeinten Rat geben:

Erstens, dass man ihre Synagogen oder Schulen anzünde und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und überschütte, sodass kein Mensch für alle Zeiten weder Stein noch Schlacke davon sehe. (...)

Zweitens soll man auch ihre Häuser abbrechen und zerstören, denn sie treiben darin genau das gleiche, wie in ihren Synagogen. Stattdessen mag man sie etwa unter ein Dach oder in einen Stall tun, wie die Zigeuner, damit sie wissen, dass sie nicht Herren in unserem Land sind, wie sie sich derzeit rühmen, (...).

Zum dritten möge man ihnen alle ihre Gebetbüchlein und Talmude nehmen, in denen solcher Götzendienst, Lügen, Fluch und Lästerung gelehrt wird.

Zum vierten soll man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbieten, weiterhin zu lehren. (...)

Zum fünften soll man den Juden das freie Geleit auf den Straßen ganz und gar verwehren und verbieten. Denn sie haben nichts im Land zu suchen, weil sie weder Herren, noch Amtsleute, noch Händler oder dergleichen sind. Sie sollen daheimbleiben. (...)

Zum sechsten soll man ihnen wuchern verbieten, was ihnen schon Mose verboten hatte. Da sie nicht in ihrem eigenen Land sind, können sie nicht Herren über ein fremdes sein. Und man nehme ihnen alle Barschaft und Wertsachen wie Silber und Gold und lege es zur Verwahrung beiseite.

Luther, Martin (1543): Von den Juden und ihren Lügen (Von den Jüden und iren Lügen). Wittenberg: Hans Lufft; übertragen aus dem Frühneuhochdeutschen v. K.-H. Büchner et al. (Hrsg.): Luthers judenfeindliche Schriften, Band 1. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2016: 247ff


 

Wenn ich mer ein Juden tauff, so will ich in auf die Elbpruckh furen, ain stain an hals hengen und hinab stossen et dicere: Ego te baptiso in nomine Abraham, quia non servant fidem.

[Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen, ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams.]

Luther, Martin (1532): Tischrede Nr. 1795. In: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Tischreden 1531-1546. 2. Band. Tischreden aus den dreißiger Jahren. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1913, S. 217 (Nr. 1795); online:
 http://archive.org/stream/werketischreden10202luthuoft#page/216/mode/2up

Die Übersetzung ist hier u.a. zu finden:

Luther, Martin (1543): Von den Juden und ihren Lügen (Von den Jüden und iren Lügen). Wittenberg: Hans Lufft; übertragen aus dem Frühneuhochdeutschen v. K.-H. Büchner et al. (Hrsg.): Luthers judenfeindliche Schriften, Band 1. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2016: 2


Unbekannt

Some days, I feel everything at once. Other days, I feel nothing at all. I don’t know what’s worse: drowning beneath the waves or dying from the thirst.


Schlußstück

Der Tod ist groß.

Wir sind die Seinen

lachenden Munds.

Wenn wir uns mitten im Leben meinen,

wagt er zu weinen

mitten in uns.

Rilke, Rainer Maria (1902)

online: www.lyrik123.de/rainer-maria-rilke-schlussstueck-9933

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926),
eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, österreichischer Erzähler und Lyriker


Das Wiedersehen

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: »Sie haben sich gar nicht verändert.«

»Oh!« sagte Herr K. und erbleichte.

Brecht, Bertolt (1950): Geschichten vom Herrn Keuner. Werke Band 5: Prosa.
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005: 216-231 (hier: 231)

Bertolt Brecht oder

Bert Brecht (1898-1956),

eigentlich Eugen Berthold Friedrich Brecht,
deutscher Dramatiker und Lyriker, Begründer des epischen bzw. dialektischen Theaters


Mühsal der Besten

»Woran arbeiten Sie?« wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: »Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.«

Brecht, Bertolt (1950): Geschichten vom Herrn Keuner. Werke Band 5: Prosa.
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005: 216-231 (hier: 231)

 

 

Maßnahmen gegen die Gewalt

Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Er blickte sich um und sah hinter sich stehen – die Gewalt.

»Was sagtest du?« fragte ihn die Gewalt.

»Ich sprach mich für die Gewalt aus«, antwortete Herr Keuner.

Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner antwortete: »Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muß länger leben als die Gewalt.«

Und Herr Keuner erzählte folgende Geschichte:

In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem stand, daß ihm gehören solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte; ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe.

Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen, wusch sich, legte sich nieder und fragte mit dem Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: »Wirst du mir dienen?«

Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die Fliegen, bewachte seinen Schlaf, und wie an diesem Tage gehorchte er ihm sieben Jahre lang. Aber was immer er für ihn tat, eines zu tun hütete er sich wohl: das war, ein Wort zu sagen. Als nun die sieben Jahre herum waren und der Agent dick geworden war vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der Agent. Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete: »Nein«

Brecht, Bertolt (1930): Geschichten vom Herrn Keuner. Text und Kommentar. Berlin: Suhrkamp 2012: 12


 

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926),
eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke,
österreichischer Erzähler und Lyriker

 

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

so müd geworden, daß er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein.

Rilke, Rainer Maria (1902/3) Sämtliche Werke. Herausgegeben vom Rilke-Archiv in Verbindung mit R. Sieber-Rilke, besorgt von E. Zinn, Band 1–6, Wiesbaden und Frankfurt/M.: Insel, 1955–1966: 505

online: www.zeno.org/nid/20005534046


 

Denn das Schöne ist nichts

als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen.,

und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,

uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf

dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen

wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,

und die findigen Tiere merken es schon,

daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind

in der gedeuteten Welt.

Rilke, Rainer Maria (1923): Duineser Elegien (Auszug aus: Die erste Elegie). Sämtliche Werke, Band 1,  Frankfurt/.: Insel-Verlag 1955; online: http://gutenberg.spiegel.de/buch/duineser-elegien-829/1


 

Und Schlag auf Schlag!

Werd ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! du bist so schön!

Dann magst du mich in Fesseln schlagen

Goethe, J. W. (1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 106,  Vers 1699-1702

online:  Faust - Der Tragödie erster Teil – Wikisource


James Rhodes (Jahrgang 1975) beschreibt in seinem Buch sehr drastisch seinen sexuellen Mißbrauch als Kind in der Grundschule und sein Überleben mit Unterstützung der (klassischen) Musik; er tritt bis heute als Pianist auf. Das Zitat (Titel seiner zweiten CD) stammt nach seinen Angaben von Glenn Gould (Quelle rechts: 232); näheres dazu unter Skurriles

Now Would All Freudians Please Stand Aside.

Rhodes, James (2014): Instrumental. A Memoir of Madness, Medication and Music. Edinburgh: Canongate Books. Deutsch: Der Klang der Wut. Wie die Musik mich am Leben hielt. München: Nagel & Kimche: 232

Rhodes, James (2010): now would all freudians please stand aside. Signum Classics: CD mit Werken von Bach, Bach/Busoni, Bach/Marcello, Beethoven und Chopin


Ich entdeckte, daß es in der Intimität, der Einsamkeit und - alle Freudianer mögen weghören - in der gebärmutterähnlichen Geborgenheit des Studios möglich war, auf eine viel direktere, persönlichere Weise Musik zu machen als in jedem Konzertsaal.

Gould, Glenn (Jahr unbekannt* ) zit. nach Bachmann, P. & S. Zweifel, S. (1990): Glenn Gould. Chronik von Leben und Werk. In: du (Thema: Mythos Glenn Gould. Die Wahrheit und andere Lügen), Heft Nr. 4, April 1990: 76

* vermutlich nach 1964, dem Jahr, in dem er sein letztes öffentliches Konzert gab. (10.04.64, Los Angeles)

Glenn Gould (1932-1982)
amerikanischer Pianist


Dieser wichtige - wenn auch tendenziell idealisierende Satz - bezieht sich auf das von Freud entwickelte "klassische Milieu"; das beschriebene Benehmen des Analytikers (bzw. Freuds) hat aus der Sicht Winnicotts die Entwicklung der psychoanalytischen Technik überhaupt erst möglich gemacht.

Leider wird Winnicotts Satz getrübt - seit bekannt wurde, daß er (als sein ehemaliger Lehranalytiker) Masud R. Khan Patientinnen überwies, im Wissen darum, daß Khan zu Übergriffen neigte! (vgl. Sandler A.-M. (2003): Reaktionen der psychoanalytischen Institutionen auf Grenzverletzungen – Masud Khan und Winnicott. In: Zwettler-Otte S (Hrsg) Entgleisungen in der Psychoanalyse. Vandenhoeck & Ruprecht 2007, Göttingen, S 93–119)

Ich habe mich selbst auch bereits zu diesem Fall geäußert: Thorwart, J. (2015): Zur Prävention von Grenzverletzungen in der psychoanalytischen Ausbildung. Forum der Psychoanalyse 31: 35-51

Man könnte noch viel mehr sagen, aber das Ganze läuft letzten Endes darauf hinaus, daß der Analytiker sich gut benimmt, und das ohne allzuviel Aufwand, einfach deshalb, weil er ein relativ reifer Mensch ist.

Winnicott, Donald C. (1958).: Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse. München: Kindler 1976: 190


 

Eine dritte und letzte Bitte an den Leser muß an dieser Stelle noch ausgesprochen werden, soll die Methode der Aufklärung nicht Unheil bringen: Wenn Sie über sich und andere zu einem besseren Verständnis zu kommen trachen, betreiben Sie Ihre Bemühungen nicht mit der Absicht der Entlarvung, als Spionage.

Freud empfahl dem, der mit seinen Erkenntnissen in der Praxis arbeitet, eine wohlwollende Bereitschaft, die Not des Kranken anzunehmen. Hier in dieser Abhandlung geht es nicht um große schmerzliche Selbstoffenbarungen, sondern um winzige Fragmente, blitzhaftes Aufleuchten verborgener Innenwelt. Wer über den Splittern im Auge des Nächsten die Balken im eigenen vergißt, bleibt auch diesmal blind. Und da die Hellhörigkeit für die Fehlleistungen sich schon recht weit ausgebreitet hat, kann er sicher sein, daß er in die für den lieben Nachbarn gedachte Grube fallen wird.

Rationale Analyse, das Durchschauen eines Prozesses ist in unserer Zivilisation fast zwanghaft mit machtmehrender Ausbeutung dieses Wissens verknüpft. Wenn jetzt auch das vermehrte Wissen um Doppelläufigkeit der menschlichen Verhaltensweisen, um den Spannungszustand zwischen Bewußtem und Unbewußtem in den Strudel der Machtpolitik gerät, welche die Menschen sich untereinander nicht ersparen können, dann ist die Psychoanalyse ihrerseits am unbeabsichtigten anderen Ende ihrer Verwirklichung angelangt. Es wird ertragen werden müssen. Aber man soll nicht leichtfertig dieser Korruption anheimfallen.

Die Psychoanalyse ist aus der spezifischen Not des zeitgenössischen Menschen hervorgegangen. Netze unerhörter neuer Machtansprüche werden über ihn geworfen. Die Not seiner Selbstverborgenheit wächst mit all seinen Fortschritten der Bemächtigung. Man kann dem zynisch gegenüberstehen und mit tiefenpsychologischer Kenntnis auf die Schwächen seiner Mitmenschen zielen. Auch Erkenntnisse haben ihre großen und kleinen Schicksale. Nicht zu vergessen wäre aber, daß die Psychoanalyse eine ärztliche Wissenschaft ist. Nil nocere: niemandem zum Schaden, ist immer das Memento großen Arzttums gewesen. Wer ein Stück teilhat an ärztlichem Wissen, sollte auf den Eid des »nil nocere« schwören. Viele Heilmittel sind Gifte: über die Wirkung entscheidet die Kunst des Wissenden.

Wer mit Wohlwollen dem Autor bis in das zuweilen Absurde seiner Kombinatorik folgt, wird diesmal in der schönsten Lage sein, ihn noch durch die Absurdität, die ihm selbst gelegentlich unterläuft, zu übertrumpfen. Wo immer er dem Possenspiel der unbeabsichtigten Sentenzen, seiner Tücke, die Objekte fehlzuleiten begegnet, mag er fortan Freud dankbar sein für die Winke, wie man über sich selbst lachend, staunend Erkenntnis gewinnen kann – statt einen Fluch auszustoßen.

Alexander Mitscherlich


 

 

 

Friedrich Rückert (1788 - 1866),
Pseudonym: Freimund Raimar, Reimar oder Reimer)
deutscher Dichter, Sprachgelehrter und Übersetzer

 

 

 

 

Das sind die Weisen,

Die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.

Die bei dem Irrtum verharren,

Das sind die Narren.

Rückert, Friedrich (1836): Werke (hrsg. v. Georg Ellinger), Band 1 u. 2, Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut. Band 2: Gedichte (Pantheon/Fünftes Bruchstück. Zahme Xenien/Vierzeilen: Nr. 12 (Seite 48)

online: www.zeno.org


 

Biermann macht Geschlechtsverkehr mit einer Dame.

Es ist Eva-Maria Hagen.

Danach fragt er sie, ob sie etwas trinken möchte.

Aber die Dame hat Hunger.

Danach ist Ruhe im Objekt.

Bericht eines Stasi-Spitzels zitiert in: Biermann, Wolf (2016): Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie. Berlin: Ullstein: 288

Robert Gernhardt zitiert in seinem Gedicht "Schamerfüllter Dichter" einen Stasibericht, bei dem es um dieselbe - oder eine zweite (?) - Begegnung geht:

SCHAMERFÜLLTER DICHTER

Daß der Wolf

Daß der Wolf Biermann

Daß der wortgewaltige Wolf Biermann

All sein Lebtag nichts zu Papier gebracht hat

Was sich dem vergleichen ließe, was dieser Spitzel

Was dieser gottverlassne Stasi-Spitzel in jener Nacht

notierte:

"Wolf Biermann führt mit einer Dame

Geschlechtsverkehr durch.

Später erkundigt er sich,

ob sie Hunger hat.

Die Dame erklärt, daß sie gern

einen Konjak trinken würde.

Es ist Eva Hagen.

Danach ist Ruhe im Objekt."

Daß das nicht schlecht sei

Daß das bei Gitt ziemlich gut sei

Daß das verdammt noch mal besser sei als s.o. :

Das denkt er, und schämt sich.

Gernhardt, R. (1994): Gesammelte Gedichte 1954-2006. Frankfurt/M.: Fischer 4. Aufl. 2014: 384

Anmerkung: Inzwischen habe ich einen Spiegel-Artikel recherchiert, in welchem Wolf Biermann die zweite Version fast identisch wiedergibt (Wolf Biermann: Tiefer als unter die Haut; online: DER SPIEGEL 5/1992: 185). Das Gedächtnis Biermanns scheint offenbar in der Gegenwart eine kleine Umformung vorgenommen zu haben!


 

Arthur Koestler, (1905-1983), österreichisch-ungarischer Schriftsteller, der ein Kritiker Freuds und der Psychoanalyse war (und im Spiegel-Beitrag auch - polemisch - Bezug auf ihn nimmt) faßt in diesem Spiegel-Beitrag die Thesen seines in Englisch erschienenen Buchs The Brain Explosion zusammen (nach meiner Recherche heißt das Buch: Janus - A Summing Up, 1978; deutsch: Der Mensch, Irrläufer der Evolution. Eine Anatomie der menschlichen Vernunft und Unvernunft, Bern: Scherz 1978)

 

Die tödlichste Waffe des Menschen ist die Sprache.

Koestler, Arthur (1978): Der Mensch - ein Irrläufer der Evolution. Über die Unfähigkeit der Menschheit ihre Probleme zu lösen. In: DER SPIEGEL 5/1978: 166

online: DER SPIEGEL 5/1978: 166


On ne connut que le Pastor fido du Guarini ces scènes attendrissantes, qui font verser des larmes, qu'on retient par coeur malgré soi; et voilà pourquoi nous disons retenir par coeur; car ce qui touche le coeur se grave dans la mémoire.

Man kannte diese rührenden Szenen nur aus Pastor fido von Guarini, die einen Tränen vergießen lassen, die man ohne es zu wollen im Herzen behält; deshalb sprechen wir auch vom Auswendiglernen lernen als "retenir par coeur", etwas mit dem Herzen behalten; denn, was das Herz berührt, gräbt sich in das Gedächtnis ein.  (Übersetzung: JT).

Voltaire (1785): Oeuvres complètes de Voltaire. Band 38, Dictionnaire
philosophique II: 5

online: Voltaire - Google Books

Voltaire (1694-1778)
eigentlich François-Marie Arouet,
französischer Philosoph und Schriftsteller, Wegbereiter der französischen und europäischen Aufklärung


Before you cross the street

take my hand.

Life is what happens to you while you’re busy making other plans.

Lennon, John (1950): Text aus dem Song "Beautiful Boy"
(aus dem Album “Double Fantasy").
Das Lied ist eine
 Liebeserklärung an seinen zweiten Sohn Sean (mit Yoko Ono).

Auf www.youtube.com ist das Lied "Beautiful boy" zu hören (Textstelle: 2:16).

John Winston Lennon (1940-80)
später John Winston Ono Lennon, Mitglied der Beatles, britischer Musiker, Komponist, Autor, Filmschauspieler und Friedensaktivist. Er wurde am 8. Dezember 1980 von dem psychisch kranken, religiösen Attentäter Mark David Chapman in New York erschossen.


Nikolai Hartmann (1882-1950)
deutscher Philosoph

 

Ethik lehrt nicht direkt, was hier und jetzt geschehen soll in gegebener Sachlage, sondern allgemein, wie dasjenige beschaffen ist, was überhaupt geschehen soll. (...)

Ethik verfährt darin nicht anders als alle Philosophie: sie lehrt nicht fertige Urteile, sondern "Urteilen" selbst. (...)

Der Charakter der "praktischen Philosophie" verliert hier alles Aufdringliche. Sie mischt sich nicht in die Konflikte des Lebens, gibt keine Vorschriften, die auf diese gemünzt wären, ist kein Codex von Geboten und Verboten wie das Recht. Sie wendet sich gerade an das Schöpferische im Menschen (...).

Nicht die Entmündigung und Einspannung des Menschen in ein Schema ist ihr Ziel, sondern seine Erhebung zur vollen Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit.

Hartmann, Nicolai (1926): Ethik. Berlin: de Gruyter: 3f

online: www.books.google.de


George Santayana (1863-1952)
eigentlich Jorge Augustín Nicolás Ruiz de Santayana, amerikanischer Philosoph und
Schriftsteller spanischer Herkunft

Those who cannot remember the past are condemned to repeat it.

Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern können, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen. (Übers. JT)

Santayana, G. (1832): (1905): The Life of Reason or The Phases of Human Progress. New York: Charles Scribner's Sons: 284. online: https://archive.org


Wer mit dem Wesen der Neurose vertraut ist, wird nicht erstaunt sein zu hören, daß auch derjenige, der sehr wohl befähigt ist, die Psychoanalyse an anderen auszuüben, sich benehmen kann wie ein anderer Sterblicher und die intensivsten Widerstände zu produzieren imstande ist, sobald er selbst zum Objekte der Psychoanalyse gemacht wird. Man bekommt dann wieder einmal den Eindruck der psychischen Tiefendimension und findet nichts Überraschendes daran, daß die Neurose in psychischen Schichten wurzelt, bis zu denen die analytische Bildung nicht hinabgedrungen ist.

Freud, Sigmund (1913c): Zur Einleitung der Behandlung. GW VIII: 458

 


Die Psychoanalyse bemüht sich, unfähige Weichlinge zu lebenstüchtigen Menschen, Instinktgehemmte zu Instinktsicheren, lebensfremde Phantasten zu Menschen, die den Wirklichkeiten ins Auge zu sehen vermögen, ihren Triebimpulsen Ausgelieferte zu solchen, die ihre Triebe zu beherrschen vermögen, liebesunfähige und egoistische Menschen zu liebes- und opferfähigen, am Ganzen des Lebens Uninteressierte zu Dienern des Ganzen umzuformen. Dadurch leistet sie eine hervorragende Erziehungsarbeit und vermag den gerade jetzt neu herausgestellten Linien einer heroischen, realitätszugewandten, aufbauenden Lebensauffassung wertvoll zu dienen.

Müller-Braunschweig, C. (1933): Psychoanalyse und Weltanschauung. Reichswart. Nationalsozialistische Wochenschrift und Organ des Bundes Völkischer Europäer/Organe de L’Alliance Raciste Européenne,
hg. von Graf E. Reventlow. 14. Jg., Nr. 42. Berlin, den 22. Gilbhard (Oktober) 1933. S. 2/3.
Abgedruckt in Psyche 37 (12/1983): 1136-1139 (hier: 1139).

Anmerkung: Wie weit die Verirrungen reichen können (siehe oben bei Freud), dafür ist dieser Textausschnitt
im Duktus der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie ein gutes Beispiel. Auch die Psychoanalyse,
 und Müller-Braunschweig war ein prominenter Vertreter (1881- 1958) - ließ sich gleichschalten und wandte
sich aktiv von den KollegInnen jüdischen Glaubens ab und nötigte sie zum Austritt aus der
Fachgesellschaft (DPG).

Müller-Braunschweig meint wohl jene jüdischen KollegInnen, wenn er schreibt:

Leider ist die Psychoanalyse zum Teil dadurch in Mißkredit geraten, daß sie von Personen ausgeübt worden ist, die es nicht für nötig gehalten haben, sich jener umfänglichen Ausbildung und strengen Schulung zu unterziehen, die für eine sachgemäße und gewissenhafte theoretische und praktische Ausübung unbedingte Voraussetzung bildet. (1139)

 


Ich habe meinen Patienten oft erklärt, daß es ideal wäre, wenn Analytiker nur die Rolle eines Führers auf einer schwierigen Bergtour spielen würde, der darauf hinweist, welcher Weg eingeschlagen oder vermieden werden sollte. Um genau zu sein, sollte man hinzufügen, daß der Analytiker ein Führer ist, der sich über den Weg selber nicht allzu sicher ist, weil er zwar Erfahrung im Bergsteigen besitzt, aber diesen speziellen Berg noch nicht erklommen hat.

Horney, K. (1942): Self-Analysis. New York: N. N. Norton. Deutsche Ausgabe: Selbstanalyse. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1974: 9

Horney, Karen (1885-1952)
Ärztin und Psychoanalytikerin, Vertreterin der Neopsychoanalyse, verließ Deutschland 1932, arbeitete am Psychoanalytischen Instituts in Chicago und gründete 1942 gründete Karen Horney 1942 zusammen mit anderer Analytikern (u. a. Erich Fromm) die „Association for the Advancement of Psychoanalysis“ und später auch ein eigenes (noch heute bestehendes) Institut


Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775-1854)
deutscher Philosoph
und einer der Hauptvertreter des deutschen Idealismus

 

Der Mensch bekommt die Bedingung nie in seine Gewalt, ob er gleich im Bösen danach strebt; sie ist eine ihm nur geliehene, von ihm unabhängige; daher sich seine Persönlichkeit und Selbstheit nie zum vollkommenen Aktus erheben kann. Dies ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient. Daher der Schleier der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens. Freude muß Leid haben, Leid in Freude verklärt werden.

(...)

Nur in der Persönlichkeit ist Leben; und alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde, der also allerdings auch Grund der Erkenntnis sein muß. Aber nur der Verstand ist es, der das in diesem Grunde verborgene und bloß potentialiter enthaltene herausbildet und zum Aktus erhebt.

Schelling, F.,W., J. (1834): E(1834): Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. In: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 3, Leipzig 1907, S. 429ff (Zitate: 495 und 510

online: www.zeno.org


Illusionen empfehlen sich uns dadurch, daß sie Unlustgefühle ersparen und uns an ihrer Statt Befriedigungen genießen lassen. Wir müssen es dann ohne Klage hinnehmen, daß sie irgend einmal mit einem Stücke der Wirklichkeit zusammenstoßen, an dem sie zerschellen.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 331

 

Der Fahrgast (einleitender Satz)

Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie.

Kafka, F. (1908): Der Fahrgast. In: Hyperion. Eine Zweimonatsschrift.
München: Franz Blei & Carl Sternheim;
siehe auch in:
Erzählungen (Kapitel 13: Betrachtung). Frankfurt/M.: S. Fischer 1984

online: www.gutenberg.spiegel.de

 

Arthur Schnitzler (1862-1931)
österreichischer Mediziner und Schriftsteller

23.

Bereit sein ist viel, warten können ist mehr, doch erst: den rechten Augenblick nützen ist alles.

Schnitzler, A. (1927): Buch der Sprüche und Bedenken. Wien: Phaidon-Verlag: 227


 

Patients who test our patience

Kottler, Jeffrey A. (1986): On being a therapist. San Francisco: Jossey-Bass: 141

online: books.google.de


Wir haben damit eine andere Methode der klinischen Darstellung angewandt, als sie bisher meist herrschte. Wir sind gewohnt, bei der Betrachtung eines Krankheitsbildes möglichst auf eine klare, abgegrenzte, einheitliche Diagnose hinzustreben. Wir erreichen dies, indem wir einzelne dominierende Züge im klinischen Bild als wesentlich herausheben, aus diesen die Bezeichnung für das Ganze schöpfen während wir nun von allem, was übrigbleibt, abstrahieren, es retu­schieren und abdunkeln und als scheinbar und unwesentlich aus unserem Blickfeld hinausschieben. Der Wert dieser Methode für den praktischen Gebrauch soll nicht unterschätzt werden. Wir erreichen dadurch faßliche, darstellbare Krankheitseinheiten, wir ziehen die scharfen Grenzen, die wir haben wollen. Aber wir erreichen sie durch die ätiologische und symptomatische Verstümmelung der lebendigen Bilder. Was wir an Systematik gewinnen, das verlieren wir an Verständnis.

Kretschmer, E. (1919): Über psychogene Wahnbildung bei traumatischer Hirnschwäche.
In: Kretschmer, E. (1974): Psychiatrische Schriften 1914-1962 (bearbeitet
und herausgegeben v. W. Kretschmer). Berlin: Springer, 18-33, Zitat: 32

Online: books.google.de

Ernst Kretschmer (1888 - 1964) deutscher Psychiater, der eine heute eher unwissenschaftlich wirkende Konstitutionstypologie entwarf. Er wurde 1929 für den Nobelpreis (Physiologie oder Medizin) nominiert; seine Geschichte als Ordinarius in Marburg (1926-1946) ist eng mit dem Nationalsozialismus verbunden


 

Meine Ausführungen wollen vor allem dem gegenüber herausstellen, daß jenseits von Gegenübertragung im nur technischen Sinne, sowie jenseits der durch die eigene Lehranalyse erreichten Lösung eigener Problematik jeder Mensch - auch der bestanalysierte Analytiker - Struktureigentümlichkeiten aufweist, die nicht wegzuanalysieren sind, auch wenn jemand noch so »durchanalysiert« wird. Wir haben eine Eigenstruktur, die zu uns gehört, eine »persönliche Gleichung«, einen individuellen »Faktor X«, den wegzuleugnen einer Verdrängung gleichkäme.

Riemann, F. (1964): Die Struktur des Analytikers und ihr Einfluß auf den Behandlungsverlauf. In: F. Riemann (1974): Grundformen helfender Partnerschaft. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta, 121-145 (hier: 122)


 

14.

Anfangs wollt' ich fast verzagen,

Und ich glaubt', ich trüg' es nie;

Und ich hab' es doch getragen, –

Aber frag[t] mich nur nicht: wie?

Heine, H. (1822): Buch der Lieder, Nr. 14, Sämmtliche Werke. 15. Band: Dichtungen, Erster Theil. Hamburg: Hoffman und Campe 1865 (hier: 61)

Online: books.google.de


Elend.

Land ohne Band, neues Land,

ohne Hauch der Erinnerung,

mit dem Rauch von fremdem Herd.

Zügellos!

wo mich trug keiner Mutter Schoß

Klee, P. (1914): Tagebücher 1898-1918 (hrsg. v. F. Klee). Stuttgart: Europäischer Buchklub 1964: 319, Eintrag 934

Klee, Paul (1879-1940)
Maler und Grafiker (Expressionismus, Konstruktivismus, Kubismus, Primitivismus und Surrealismus)


 

In hellen Momenten überblicke ich nun zuweilen zwölf Jahre Geschichte des eigenen inneren Ichs. Das krampfige Ich zuerst, jenes Ich mit großen Scheuklappen, dann der Wegfall der Scheuklappen und des Ichs, jetzt allmählich wieder ein Ich ohne Scheuklappen.

Gut, daß man das alles nicht vorauswußte.

Klee, P. (1911): Tagebücher 1898-1918 (hrsg. v. F. Klee). Stuttgart: Europäischer Buchklub 1964: 270, Eintrag 899


Christian Morgenstern (1881-1914)

deutscher Dichter, Schriftsteller und Übersetzer.

An den Galgenliedern arbeitete Morgenstern
seit 1895; die Ballade "Das Butterbrotpapier" entstand 1909 (Band 3: 691)

Das Butterbrotpapier

Ein Butterbrotpapier im Wald, –

da es beschneit wird, fühlt sich kalt ...

In seiner Angst, wiewohl es nie

an Denken vorher irgendwie

gedacht, natürlich, als ein Ding

aus Lumpen usw., fing,

aus Angst, so sagte ich, fing an

zu denken, fing, hob an, begann

zu denken, denkt euch, was das heißt,

bekam (aus Angst, so sagt' ich) Geist,

und zwar, versteht sich, nicht bloß so

vom Himmel droben irgendwo,

vielmehr infolge einer ganz

exakt entstandnen Hirnsubstanz –

die aus Holz, Eiweiß, Mehl und Schmer,

(durch Angst), mit Überspringung der

sonst üblichen Weltalter, an

ihm Boden und Gefäß gewann –

[(mit Überspringung) in und an

ihm Boden und Gefäß gewann.]

Mithilfe dieser Hilfe nun

entschloß sich das Papier zum Tun,

zum Leben, zum – gleichviel, es fing

zu gehn an – wie ein Schmetterling ...

zu kriechen erst, zu fliegen drauf,

bis übers Unterholz hinauf,

dann über die Chaussee und quer

und kreuz und links und hin und her –

wie eben solch ein Tier zur Welt

(je nach dem Wind) (und sonst) sich stellt.

Doch, Freunde! werdet bleich gleich mir! – :

Ein Vogel, dick und ganz voll Gier,

erblickt's (wir sind im Januar ...) –

und schickt sich an, mit Haut und Haar –

und schickt sich an, mit Haar und Haut –

(wer mag da endigen!) (mir graut) –

(Bedenkt, was alles nötig war!) –

und schickt sich an, mit Haut und Haar – –

Ein Butterbrotpapier im Wald

gewinnt – aus Angst – Naturgestalt ...

Genug!! Der wilde Specht verschluckt

das unersetzliche Produkt ...

Morgenstern, C. (1909): Sämtliche Gedichte. Band 3. Sonderausgabe zum 100. Todestag nach der Stuttgarter Ausgabe (hg. v. M. Kießig). Stuttgart: Urachhaus 2013: 136f


GLÜCK ist wie Blütenduft,

der dir vorüberfliegt ...

Du ahnest dunkel Ungeheures,

dem keine Worte dienen –

schließest die Augen,

wirfst das Haupt zurück – –

und, ach!

vorüber ist's.

Morgenstern, C. (1901): Sämtliche Gedichte. Band 1. Sonderausgabe zum 100. Todestag nach der Stuttgarter
 Ausgabe (hg. v. M. Kießig). Stuttgart: Urachhaus 2013: 413
(Entstehungsdatum 1901: Band 1: 921)

 

Frage

Oh Menschenherz, was ist Dein Glück?

Ein rätselhaft geborener

Und kaum gegrüßt, verlorener

Unwiederholter Augenblick!

Lenau, N. (1902): Sämtliche Werke (hg. von O. F. Gensichen). Nikosia/Cyprus: Verone 2017: 54

online: books.google.de

Nikolaus Lenau (1802-1850)

eigentlich Nikolaus Franz Niembsch (seit 1820) Edler von Strehlenau, österreichischer, spätromantischer Schriftsteller


 

It falls to each of us to be those those anxious, jealous guardians of our democracy; to embrace the joyous task we’ve been given to continually try to improve this great nation of ours. Because for all our outward differences, we, in fact, all share the same proud title, the most important office in a democracy: Citizen. (Applause.) Citizen.

Obama, Barack (2015): Abschiedsrede in Chicago am 10.01.2017
 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika: 2009-2017

Online: Rede des Präsidenten auf youtube

 

Jedem von uns fällt die Aufgabe zu, besorgte, eifersüchtige Hüter unserer Demokratie zu sein; die uns übertragene, schöne Aufgabe anzunehmen, kontinuierlich weiter zu versuchen, unsere großartige Nation zu verbessern. Denn trotz aller äußerlichen Unterschiede teilen wir doch tatsächlich alle den gleichen stolzen Titel, das wichtigste Amt in einer Demokratie: Bürger (Applaus) Bürger.

(Übersetzung: JT)


Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.),
römischer Redner und Staatsmann; Der Orator ist ein im Jahre 46 v. Chr. von Marcus Tullius Cicero verfasstes Lehrwerk über Rhetorik in Form eines Briefes an den späteren Caesarmörder Marcus Iunius Brutus.

Nescire quid ante quam natus sis acciderit, id est semper esse puerum.

Nicht zu wissen, was vor deiner Geburt geschehen ist, heißt immer ein Knabe [Kind] bleiben.

Cicero, M. T.  (46 v. Christus): Orator, § 120


 

 

Stefan Zweig (1881-1942): deutscher Schriftsteller; 1942 nahm er sich im brasilianischen Exil, zusammen mit seiner zweiten Frau das Leben. Bei dem nebenstehenden Zitat handelt es sich um den letzten Satz des umfangreichen Buches.

 

Aber jeder Schatten ist im Letzten doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt.

Zweig, S. (1942): Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Köln: Anaconda 2013: 574


 

Der Narr glaubt weise zu sein, aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist.

The fool doth think he is wise, but the wise man knows himself to be a fool.

 

William Shakespear (1564-1616)

Wie es euch gefällt: 5. Akt, 1. Szene (Touchstone)

Deutsche Übersetzung: JT (auch unten)


Wo Worte rar sind, haben sie Gewicht.

Where words are scarse, they are seldome spent in vaine.

William Shakespear (1564-1616)

Richard II: 2. Akt, 1. Szene (Gaunt)


An sich ist nichts weder gut noch schlecht, erst das Denken macht es dazu.

(...) for there is nothing either good or bad, but thinking makes it so

William Shakespear (1564-1616)

Hamlet: 2. Akt, 2. Szene (Hamlet)


Footballer's Wife

Oh, Mr James Dean, er gehörte nirgends dazu

Oh er ging bevor sie ihn kriegen konnten

Auf ihre Art, ihre boshafte Art

Oh Marylin Monroe, wo bis Du hingegangen?

Ich habe nicht alle Deine Geschichten gehört

Ich habe nicht all Deinen Ruhm gesehen

Aber die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit
Letztlich ist es mir egal

Wer ist sie, so zu tun

Als wäre sie eine von ihnen?

Ich glaube nicht

Und das Mädchen aus dieser Show

Ja, die eine, die wir alle kennen

Sie denkt sie ist eine Art Star

Ja, du weißt, wer du bist

Ich denke nicht, ich denke nicht

Oh, Ginger Rogers, Fred Astaire

Würdet ihr für mich tanzen, denn es ist mir egal

Was heutzutage vor sich geht

Ich denke es gibt noch etwas anderes, etwas anderes

Und ich bin vom Winde verweht, so wie sie zuvor

Aber ich ich selbst glaube, ich denke da gibt es noch mehr

Es muss noch mehr geben

Ich denke, da ist noch mehr, noch mehr

Aber die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit

Letztlich ist es mir egal

Wer ist sie, so zu tun

Als wäre sie eine von ihnen?

Ich glaube nicht

Und das Mädchen aus dieser Show

Ja, die eine, die wir alle kennen

Sie denkt sie ist eine Art Star

Ja, du weißt, wer du bist

Ich denke nicht, ich denke nicht

Oh, ich glaube nicht an die Geschichten, die du erzählst

Dein Leben ist nur von etwas Uninteressantem bestimmt es fällt mir nicht ins Auge

Es fällt mir nicht ins Auge

Ich glaube nicht an Deinen verkauften Ruhm bevor du dieses Leben verlässt

Gibt es noch so viel mehr zu sehen

Ich denke nicht, dass die Welt so sein sollte

Aber die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit

Letztlich ist es mir egal

Wer ist sie, so zu tun

Als wäre sie eine von ihnen?

Ich glaube nicht

Und das Mädchen aus dieser Show

Ja, die eine, die wir alle kennen

Sie denkt sie ist eine Art Star

Ja, du weißt, wer du bist

Ich denke nicht, ich denke nicht

Die Frau des Fußballers erzählt ihre Probleme und Streit

Letztlich ist es mir egal

Wer ist sie, so zu tun

Als wäre sie eine von ihnen?

(Übersetzung: JT)

Footballer's Wife

Oh, Mr James Dean, he don't belong to anything

Oh he left before they could get him

With their ways, their wicked ways

Oh Marilyn Monroe, where did you go?

I didn't hear all your stories

I didn't see all your glory

But the footballer's wife tells her troubles and strife

I just don't care in the end

Who is she to pretend

That she's one of them?

I don't think so

And the girl from that show

Yes the one we all know

She thinks she's some kinda star

Yes you know who you are

I don't think so, I don't think so

Oh Ginger Rogers, Fred Astaire

Won't you dance for me cos I just don't care

What's going on today

I think there's something more, something more

And I'm gone with the wind like they were before

But I'm believing myself I think there's something more

There must be something more

I think there's something more, something more

But still the footballer's wife tells her troubles and strife

I just don't care in the end

Who is she to pretend

That she's one of them?

I don't think so

And the girl from that show

Yes the one we all know

She thinks she's some kinda star

Yes you know who you are

I don't think so, I don't think so

Oh I don't believe in the telling of your stories

Throughout your life, there's just something unappealing it don't catch my eye

It don't catch my eye

Oh I don't believe in the selling of your glories before you leave this life

There's so much more to see

I don't believe this is how the world should be

But still the footballer's wife tells her troubles and strife

I just don't care in the end

Who is she to pretend

That she's one of them?

I don't think so

And the girl from that show

Yes the one we all know

She thinks she's some kinda star

Yes you know who you are

I don't think so, I don't think so

The footballer's wife tells her troubles and strife

I just don't care in the end

Who is she to pretend

That she's one of them?

Amy MacDonald (2007): This is the Life (CD - Melodramatic Records) Track 10

Im Internet ist derzeit (9/3017) die CD-Fassung von Footballer's Wife zu hören (www.youtube.com/watch?v=A9uxLuav2kE) - auch ganze Konzerte stehen kan man sich auscheuen und -hören. Auch der Kauf der CD "This is the Life" lohnt sich!


Václav Havel (1936 – 2011),
tschechischer Dramatiker, Essayist, Menschenrechtler und Politiker; Mitglied in der Schriftstellergemeinde Obec spisovatelů und Ehrenmitglied im Club of Rome. Von 1989 bis 1992 war Havel letzter (neunter) Staatspräsident der Tschechoslowakei und von 1993 bis 2003 der erster Staatspräsident der Tschechischen Republik.

Naděje prostě není optimismus. Není to přesvědčení, že něco dobře dopadne, ale jistota, že má něco smysl – bez ohledu na to, jak to dopadne.

Hoffnung ist einfach nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.

Havel, V.  (1985/6)

Das Zitat stammt aus Karel Hvížďala (1990) "Fernverhör. Ein Gespräch mit Karel Hvízd'ala", einem Ferninterview, das dieser mit Havel in den Jahren 1985 und 1986 führte. Die tschechische Originalfassung des Zitats findet sich in Václav Havel – Rozhovory s Karlem Hvížďalou (2011: 145). Das Interview (Dálkový výslech) ist auch in Band 4 der achtbändigen Buchreihe Havels gesammelter Werke Spisy enthalten (889).

Ich danke M. Bermeiser für die Angabe der Quelle. Er hat sich in seinem Buch "Václav Havels Reden: Aspekte einer holistischen Rhetorik" (2017, ibidem) intensiv mit der beeindruckenden Rhetorik der präsidialen Reden Havels beschäftigt.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926),
eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, österreichischer Erzähler und Lyriker

TODES-ERFAHRUNG

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das

nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,

Bewunderung und Liebe oder Haß

dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund

tragischer Klage wunderlich entstellt.

Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.

Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,

spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.

Doch als du gingst, da brach in diese Bühne

ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt

durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,

wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes

hersagend und Gebärden dann und wann

aufhebend; aber dein von uns entferntes,

aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

uns manchmal überkommen, wie ein Wissen

von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,

so daß wir eine Weile hingerissen

das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.

Rilke, R. M. (24.01.1907, Capri): Gesammelte Gedichte. o.O.: Insel-Verlag 1962: 274 (geschrieben zum Gedächtnis der am 24.01.1906 verstorbenen Gräfin Luise Schwerin)

online: ProjektGutenberg.de


Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.

Freud, S. (1920g): Jenseits des Lustprinzips. GW XIII: 40)

 


τὸ φρικωδέστατον οὖν τῶν κακῶν ὁ θάνατος οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς͵ ἐπειδήπερ ὅτανμὲν ἡμεῖς
ὦμεν͵ ὁ θάνατος οὐ πάρεστιν͵ ὅταν δὲ ὁ θάνατος παρῇ͵ τόθ΄ ἡμεῖς οὐκ ἐσμέν.

Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren,
ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.

 Epikur von Samos (341 v.Chr - 270 v.Chr.): Brief an Menoikeus

online: Philosophische Fakultät - Universität Saarland

 


Alles in der Welt läßt sich ertragen,

Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.

Goethe, J. W. von (1827): Sämtliche Gedichte, Zweiter Teil.
Ausgabe letzter Hand, Zweite Abteilung. München: dtv: 66

 


Goethe mahnt sogar: "Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe
von schönen Tagen". Das mag immerhin eine Übertreibung sein.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 434, Fußnote 1

 


Sinn kann nicht gegeben, sondern muß gefunden werden.

Frankl, V. E. (1970): Der Wille zum Sinn. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. München: Piper. Erweiterte Neuausgabe, 2. Aufl. 1994: 9-36 (27)

 


Wo chiemte mer hi?

Wo chiemte mer hi

wenn alli seite

wo chiemte mer hi

und niemer giengti

für einisch z'luege

wohi dass me chiem

we me gieng

Marti, K. (1967): Rosa Loui, vierzg gedicht ir bärner umgangssprach. Neuwied: Luchterhand 1967: 22

Wo kämen wir hin?

Wo kämen wir hin,

wenn alle sagten

wo kämen wir hin

und niemand ginge

um einmal zu schauen

wohin man käme

wenn wir gingen

 


Und der Mensch steht dann da als ein Wesen, das aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht - aus dem Nichts geboren, ins Sein »geworfen«, vom Nichts bedroht. Wahrlich, ein adeliges Wesen ist der Mensch in diesem Aspekt: ein »von und zu« - von Nichts zu Nichts.

Frankl, V. E. (1947): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 47)

Anmerkung: Frankl ist nicht der Auffassung der Existenzphilosophie, wie sie in seinem Zitat zum Ausdruck kommt. Die Logotherapie bzw. die Existenzanalyse geht vielmehr davon aus, daß die Zukunft Nichts ist, die Vergangenheit jedoch die eigentliche Wirklichkeit. Die Gegenwart ist die Grenzfläche zwischen dem Nichts und dem Sein (gleichzeitig als Ewigkeit zu verstehen).

Viktor E. Frankl (1905-1997),
österreichischer Neurologe und Psychiater, Überlebender des Holocaust, Begründer der Logotherapie, einer Form der Existenzanalyse


Der lebende Mensch hat Vergangenheit und hat Zukunft; der Sterbende hat keine Zukunft mehr, sondern nur mehr Vergangenheit; der Tote aber ist seine Vergangenheit.

Frankl, V. E. (1947): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 55; Anm. 6)

 

Im Tode hat der  Mensch zwar kein Leben, aber dafür ist er es. Und daß es das gewesene Leben »ist«, das er nunmehr ist, das kann uns nun nicht mehr stören; wissen wir doch, daß das Gewesensein die sicherste Form von Sein überhaupt ist.

Frankl, V. E. (1947): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 55)

 

Toleranz besteht nicht darin, daß man die Ansicht eines anderen teilt, sondern nur darin, daß man dem anderen das Recht einräumt, überhaupt anderer Ansicht zu sein. Andererseits wird Toleranz aber auch dann mißverstanden, wenn man so weit geht, daß man dem anderen auch noch das Recht zugesteht, selber und seinerseits – intolerant zu sein.

Frankl, V. E. (1947)): Zeit und Verantwortung. In: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie: 37- 80 (Zitat: 80 - Anmerkung zu Seite 79)

 

 

273.

Wen nennst Du schlecht? Den, der immer beschämen will.

274.

Was ist Dir das Menschlichste? Jemandem Scham ersparen.

275.

Was ist das Sigel der erreichten Freiheit? Sich nicht mehr vor sich selber schämen.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Fröhliche Wissenschaft (1887); www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/FW-273


John Keats (1795 - 1821), englischer Dichter
der Romantik

 

I had not a dispute but a disquisition with Dilke, on various subjects; several things dovetailed in my mind, & at once it struck me, what quality went to form a Man of Achievement especially in literature & which Shakespeare possessed so enormously - I mean Negative Capability, that is when man is capable of being in uncertainties, mysteries, doubts without any irritable reaching after fact & reason.

Ich hatte kein Streitgespräch mit Dilke, sondern einen Diskurs über verschiedene Themen; mehrere Dinge fügten sich in meinen Gedanken zusammen, & mit einem Mal fiel mir auf, welche Qualität einen Mann großer Taten besonders in der Literatur ausmacht, die Shakespeare in so ernormen Maße besaß – ich meine eine negative Fähigkeit, das heißt, wenn ein Mensch fähig ist, sich im Zustand von Unsicherheiten, Geheimnissen und Zweifel zu befinden, ohne jeden nervösen Griff nach Tatsachen & Vernunft.

(Übersetzung JT)

Keats, J. (1817): Brief an George und Thomas Keats v. 21.12.1817. In: The Complete Poetical Works of John Keats (ed. by H. E. Scudder). Boston: Riverside Press, 1899: 277; deutsch: Werke und Briefe. Stuttgart: Reclam 1995: 334

Anmerkung: Der britische Psychoanalytiker Wilfred R. Bion (1897-1979) hat diese Aussage von Keats in sein hochdifferenziertes und (beabsichtigt) abstraktes Werk aufgenommen (Aufmerksamkeit und Deutung 2006: 143). Obwohl er den Begriff kaum selbst erwähnt, ist es aus seiner Sicht gerade für den Psychoanalytiker eminent wichtig, Zweifel und Unsicherheit aushalten zu können (dazu unten mehr). Das für Bion wichtigste erkenntnistheoretische Prinzip (Mertens 2018, S. 251) verbindet sich mit seiner Erkenntnis 'no memory, no desire, no understanding' und den von ihm als "selected facts" bezeichneten Deutungseinfällen (ebd. 231ff).

Mertens, W. (2018): Psychoanalytische Schulen im Gespräch über die Konzepte Wilfred R. Bions. Gießen: Psychosozial-Verlag


 

The practising analyst must get hardened to mental breakdowns and become reconciled to the feeling of continuously breaking down; that is the price which we have to pay for growth. We cannot fall back on the idea of being cured, because that is an old-fashioned and inappropriate term. We have to be reconciled to the feeling that we are on the verge of a breakdown, or some kind of mental disaster; we have to have a certain toughness to stand this continuing experience of mental growth (...) – like living in the middle of a mental breakdown, without being clear wether one is breaking up or breaking down.

Der praktizierende Analytiker muss abgehärtet sein gegen mentale Einbrüche und sich mit dem Gefühl eines ständigen Zusammenbrechens aussöhnen; das ist der Preis, den wir für Wachstum zu zahlen haben. Wir können uns nicht auf die Vorstellung zurückziehen, geheilt zu sein, denn das ist ein altmodischer und unangemessener Begriff. Wir müssen uns mit dem Gefühl anfreunden, dass wir am Rande eines Zusammenbruchs oder einer Art von mentaler Katastrophe stehen; wir müssen über eine gewisse Robustheit verfügen, um diese kontinuierliche Erfahrung von mentalem Wachstum auszuhalten (...) als würden wir inmitten eines mentalen Zusammenbruchs leben, ohne uns klar darüber zu sein, ob es ein Ein- oder ein Durchbruch ist.

(Übersetzung JT)

Bion, W. R. (1990): 1973 São Paulo. 1974 Rio de Janeiro/São Paulo: London: Karnac: 203f


Wir sehen mit Schrecken die Gefühle der moralischen Überlegenheit: Wer sich der Gefahr gegenüber absolut sicher fühlt, ist schon auf dem Wege, ihr zu verfallen. Deutschlands Schicksal wäre eine Erfahrung für alle.

Jaspers, K. (1946) Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands.
München: Piper 1974: 68

Karl Jaspers (1883-1969)
Psychiater und Philosoph


Es handelt sich hier um ein Bilderbuch über die Begegnung der Ente mit dem Tod; für Kinder ist es nur insoweit geeignet als jemand an ihrer Seite ist, der mit ihnen über ihre Gedanken und Gefühle spricht oder sie einfach auch (nur) tröstet und festhält!

Lange schaute er ihr nach.

Als er sie aus den Augen verlor, war der Tod fast ein wenig betrübt.

Aber so war das Leben.

Erlbruch, W.  (2010): Ente, Tod und Tulpe. München: Antje Kunstmann (ohne Seitenangaben)


Gleiches (wie oben bei Ente, Tod und Tulpe) gilt für Andersens Märchen.

Es handelt von Leben und Tod, von der Ungeduld groß (erwachsen) zu werden, der Neugier auf das Leben, der (verleugneten) Angst vor den Entwicklungsaufgaben, von Trennungen, narzißtischer Aufwertung und Kränkung - und einem unerfüllt gebliebenen Leben und Sterben.

Hans Christian Andersen (1805-1875)

»Vorbei! vorbei!« sagte der alte Baum. »Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! vorbei!« (...) Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen; nun war der vorbei, und mit dem Baume war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei - und so geht es mit allen Geschichten!

Andersen, H. C.  (1844): Der Tannenbaum. In: Sämmtliche Märchen Leipzig: Verlag von Johann Friedrich Hartknoch 1862

online: gutenberg.spiegel.de


 

51.

Das sind die Weisen,

Die durch Irrthum zur Wahrheit reisen,

Die bei dem Irrthum verharren,

Das sind die Narren.

Rückert, F. (1836): Gesammelte Gedichte, Zweiter Band. Erlangen: Verlag Carl Hender, 408; books.google.de


Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten.

(...) un homme est toujours la proie de ses vérités.

Camus, A. (1942): Der Mythos von Sisyphos. (Deutsch von Hans Georg Brenner und Wolfdietrich Rasch). Düsseldorf: Karl Rauch Verlag 1960: 46 (Original: Le Mythe de Sisyphe, Paris: Gallimard 1942)

Albert Camus (1913-1960)
französischer Schriftsteller, Philosoph, Journalist und Nobelpreisträger für Literatur (1957)


Vater und Sohn

Es ist nicht Zeit 'was zu verändern

Spann' aus, nimm's leicht

Du bist noch jung, das ist dein Problem

Du mußt noch so viel lernen

Find' ein Mädel, werde sesshaft

Wenn Du Lust hast, kannst Du heiraten

Sieh mich an

ich bin alt, aber ich bin glücklich.

Früher war ich wie du jetzt bist

Und ich weiß, daß es nicht leicht ist

Ruhig zu bleiben, wenn Du herausgefunden hast

Daß etwas vor sich geht

Aber nimm Dir Deine Zeit, denk' viel nach

Aber denk an alles, was du hast

Denn morgen wirst Du auch noch da sein

Deine Träume vielleicht aber nicht

Wie soll ich das nur erklären?

Denn, wenn ich tue, wendet er sich wieder ab

Es ist immer dieselbe

Dieselbe alte Geschichte

Von dem Moment an, als ich sprechen konnte

Wurde mir befohlen zuhören

Jetzt sehe ich einen Weg und ich weiß,

Daß es an der Zeit ist, weg zu gehen

Ich weiß, es ist Zeit zu gehen

Es ist nicht Zeit 'was zu verändern

Setz Dich hin, mach' langsam

Du bist noch jung, das ist dein Problem

Du musst noch so viel durchmachen

Find' ein Mädel, werde sesshaft

Wenn Du Lust hast, kannst Du heiraten

Sieh mich an

ich bin alt, aber ich bin glücklich.

All die Zeiten, in denen ich ich geweint habe,

und all die Dinge, von denen ich wußte, für mich behalten habe

Es ist schwierig

Aber es ist schwieriger es zu ignorieren

Wenn sie Recht hätten, würde ich ihnen zustimmen,

Aber sie kennen sich, nicht mich.

Jetzt sehe ich einen Weg und ich weiß,

Daß es an der Zeit ist, weg zu gehen

Ich weiß, es ist Zeit zu gehen

(Übersetzung: JT)

Father and son

It's not time to make a change

Just relax, take it easy

You're still young, that's your fault

There's so much you have to know

Find a girl, settle down

If you want, you can marry

Look at me

I am old, but I'm happy

I was once like you are now

And I know that it's not easy

To be calm when you've found

Something going on

But take your time, think a lot

Why, think of everything you've got

For you will still be here tomorrow

But your dreams may not

How can I try to explain?

'Cause when I do, he turns away again

It's always been the same

Same old story

From the moment I could talk

I was ordered to listen

Now there's a way, and I know

That I have to go away

I know I have to go

It's not time to make a change

Just sit down, take it slowly

You're still young, that's your fault

There's so much you have to go through

Find a girl, settle down

If you want, you can marry

Look at me

I am old, but I'm happy

All the times that I've cried

Keeping all the things I knew inside

It's hard

But it's harder to ignore it

If they were right, I'd agree

But it's them they know, not me

Now there's a way, and I know

That I have to go away

I know I have to go

Cat Stevens - Yussuf Islam (1970): Tea for The Tillerman

Im Internet sind verschiedene Versionen zu hören und sehen (youtube).


 

Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen.

Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 253


Theodor W. Adorno
(1903-1969)
eigentlich: Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno, deutscher Soziologe, Philosoph und Musiktheoretiker

Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.

Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 255


 

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.

Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 67


Anmerkung: Dieses berühmt gewordene Zitat zeigt, wie problematisch es sein kann, einen Satz aus seinem Zusammenhang zu reißen. Denn liest man den dazugehörigen Text (ein Aphorismus mit dem Titel: "Asyl für Obdachlose") ist nicht einfach zu erschließen, was der abschließende Satz bedeutet: Adorno beschreibt die Schwierigkeit sich unter den (Wohn-) Bedingungen der Verhältnisse (Kapitalismus/Konsumismus, Nationalsozialismus und Sozialismus) einzurichten. Obwohl es eine 'richtige' Lösung nicht gibt, zielt die Conclusio darauf ab, sich mit den Widersprüchen (z. B. Privateigentum, Nichtachtung von Dingen und Menschen) auseinanderzusetzen und sich zu fragen, wie man sich unter schwierigen Bedingungen am besten verhalten kann.


Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Adorno, T. W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979: 67

Die Minima Moralia entstanden zwischen 1944 und 1947 im kalifornischen Exil.



The Present Moments that interest us most are those that arise when two people make a special kind of mental contact namely, an intersub-jective contact. This involves the mutual interpenetration of minds that permits us to say, "I know that you know that I know" or "I feel that you feel that I feel." There is a reading of the contents of the other's mind. Such reading can be mutual. Two people see and feel roughly the same mental landscape for a moment at least. These meetings are what psychotherapy is largely about. They also provide the happenings that change our lives and become the memories that compose the story of our intimate relationships.

Stern, D. N. (2004): The Present Moment in Psycho-therapy and Everyday Life. New York: W. W. Norton: 75

Die Gegenwartsmomente, die uns am meisten interessieren, sind jene, die entstehen, wenn zwei Menschen eine spezielle Form des mentalen Kontakt herstellen und zwar einen intersubjektiven Kontakt. Das schließt die gegenseitige Durchdringen der Psychen ein, die es uns erlaubt zu sagen: "Ich weiß, dass du weißt, daß ich weiß" oder "Ich fühle, daß du fühlst, daß ich fühle." Es gibt ein Lesen des Inhalts in der Seele des anderen. Dieses Lesen kann gegenseitig sein. Zwei Menschen sehen und fühlen fast dieselbe seelische Landkarte, zumindest für einen Moment. Diese Begegnungen sind das, worum es in der Psychotherapie hautsächlich geht. Sie stellen auch Erlebnisse dar, die unser Leben verändern und werden zu Erinnerungen, welche die Geschichte unserer intimen Beziehungen ausmachen.

(Übersetzung: JT)


Is this the real life?

Is this just fantasy?

Caught in a landslide

No escape from reality

Mercury, F. (1975):Text zu Bohemian Rhapsody; veröffentlich von Queen auf der LP - A Night at the Opera; vorherige Auskoppelung als Single

youtube.de: Queen - Bohemian Rhapsody (Official Video)

Ist das das richtige Leben?

Ist das nur Fantasie?

Gefangen in einer Erdlawine

Keine Flucht aus der Realität

Nach Angaben von Freddie Mercury hat er den langen Text von Bohemian Rhapsody als sich zufällig reimenden Unsinn bezeichnet. (wikipedia.org).


 

Übrigens aber ist der Mensch ein dunkles Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht, er weiß wenig von der Welt und am wenigsten von sich selber. Ich kenne mich auch nicht, und Gott soll mich auch davor behüten.

Goethe, J. W. von (1929): Gespräche. Mit Johann Peter Eckermann, 10. April 1829. Aus: Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann (Band 1–10, Leipzig 1889–1896), Band 7: 78 (1198)

zeno.org


Gäbe es nicht eine Mitwelt, die unsere Schuld vergibt, wie wir unseren Schuldigern vergeben, könnten auch wir uns kein Vergehen und keine Verfehlung verzeihen, weil uns, eingeschlossen in uns selber, die Person mangeln würde, die mehr ist als das Unrecht, das sie beging.

Arend, H. (1958): Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper: Stuttgart 12. Aufl. 2001: 210f

Hannah Arend (1906-1975)
jüdische deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin


Faust:

(…)

Der Gott, der mir im Busen wohnt,

kann tief mein Innerstes erregen;

Der über allen meinen Kräften thront,

Er kann nach außen nichts bewegen;

Und so ist mir das Dasein eine Last,

Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

Mephistopheles:

Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.

Goethe, J. W. (1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 99,  Vers 1566-1572

online:  Faust - Der Tragödie erster Teil – Wikisource

Johann Wolfgang von Goethe (28. August 1749 in Frankfurt/M.  † 22. März 1832 in Weimar)

Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz in Weimar (eigene Aufnahme)


Mephistopheles:

(...)

Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden.

Goethe, J. W. (1808): Faust. Eine Tragödie von Goethe. Der Tragödie erster Teil. Tübingen: J. G. Cotta: 122,  Vers 1985

online:  Faust - Der Tragödie erster Teil – Wikisource

Zusammenhang: Der Schüler, der mit M. spricht, ist unsicher, was er studieren soll. Von Rechtsgelehrsamkeit hält M. nicht viel, worauf der Schüler auf die Idee kommen, dann also Theologie zu studieren. Daraufhin M.

Was diese Wissenschaft betrifft,

Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,

Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,

(...)


Emmanuel Lévinas
(1906-1995)
französisch-litauischer Philosoph

Das Ich ist in ausgezeichneter Weise Einsamkeit.

Il [le moi] est solitude par excellence.

Lévinas, E. (1961): Totalität und Endlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber Studienausgabe 4. Auflage/3. Auflage der Studienausgabe 2008: 165; Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. Leiden/Niederlande: Martinus Nijhoff 1980: 90


 

Die Sexualität ist in uns weder Wissen noch Können, sondern die eigentliche Pluralität unserer Existenz.

La sexualité n'est en nous ni savoir, ni pouvoir, mais la pluralité même de notre exister.

Lévinas, E. (1961): Totalität und Endlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber Studienausgabe 4. Auflage/3. Auflage der Studienausgabe 2008: 405; Totalité et infini. Essai sur l'extériorité. Leiden/Niederlande: Martinus Nijhoff 1980: 254


 

Nach Auschwitz darf man alles bestreiten, alles betrachten als sinnlos, weil keine Antwort auf dieses Leiden kommt oder dieses Leiden ihren guten Sinn hat ohne Antwort. Eine gewisse craint, eine gewisse Vorsichtigkeit gegenüber dem Begriff des Glücks, um das Menschliche als Menschliches zu betrachten und weiter betrachten zu können, ist wahrscheinlich der Grund dieser Vorsicht gegenüber den Begriffen des Glücks.

Lévinas, E. (1989): Interview mit Christoph von Wolzogen in deutscher Sprache in der Pariser Wohnung von Lévinas, der Grundlage eines Films des WDR "Liebesweisheit - Emmanuel Levinas, Denker des Anderen" ist (Henning Burk und  Christoph von Wolzogen 1990); Auszüge aus dem Interview: www.denkberatung.de; Link zum Film: "Liebesweisheit - Emmanuel Levinas, Denker des Anderen": www.youtube.de


Jeder Mensch erfindet sich eine Geschichte, die er dann oft unter gewaltigen Opfern, für sein Leben hält, oder eine Reihe von Geschichten, die sich mit Ortsnamen und Daten durchaus belegen lassen so daß an ihrer Wirklichkeit nicht zu zweifeln ist. Nur der Schriftsteller glaubt nicht daran. Das ist der Unterschied. Indem ich weiß, daß jede Geschichte, wie sehr sie sich auch belegen läßt mit Fakten, meine Erfindung ist, bin ich Schriftsteller.

Frisch, M. (1960): Unsere Gier nach Geschichten. Gesammelte Werke in zeitlicher Folge,
Bd. IV/1. Frankfurt/M.: Werkausgabe edition Suhrkamp (in 12 Bänden): 263

 


Jede Geschichte ist eine Erfindung (...), jedes Ich, das sich ausspricht, ist eine Rolle –. (...) Unsere Gier nach Geschichten (...) – vielleicht sind's zwei oder drei Erfahrungen, was einer hat (...), zwei oder drei Erfahrungen, wenn's hochkommt, das ist's, was einer hat, wenn er von sich erzählt, überhaupt, wenn er erzählt: Erlebnismuster – aber keine Geschichte (...), keine Geschichte. (...) Man kann sich selbst nicht sehen, das ist's, Geschichten gibt es nur von außen (...), daher unsere Gier nach Geschichten!

Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält (...) oder eine ganze Reihe von Geschichten (...).

Frisch, M. (1964): Mein Name sei Gantenbein. Gesammelte Werke in zeitlicher Folge,
Bd. V/1. Frankfurt/M.: Werkausgabe edition Suhrkamp (in 12 Bänden): 48f

Rede von Gantenbein


 

Alles, was man beweisen kann, kann man auch bestreiten. Unbestreitbar ist nur das Unbeweisbare.

Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 122; online: www.digizeitschriften.de


 

Das in sich inadäquate, verirrte, rastlose Wesen ist der Mensch; als Vernunftwesen hat er zuviel Natur, als Naturwesen zuviel Vernunft was soll da herauskommen?

Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 127; online: www.digizeitschriften.de


 

Die menschliche Seele ist der größte kosmische Versuch mit untauglichen Mitteln.

Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 127; online: www.digizeitschriften.de


 

Das Entscheidende und Bezeichnende des Menschen ist, wo seine Verzweiflungen liegen.

Die Sinnlosigkeit und Eingeschränktheit des Lebens packt einen oft als etwas so Radikales und Auswegloses, daß man völlig verzweifeln muß; das einzige was einen darüber erhebt, ist: daß man dies erkennt und daß man darüber verzweifelt.

Die tiefste Erschütterung ist das gefühlsmäßige Bewußtwerden der Schätze, die in uns wie in einem verschlossenen Gefäß ruhen, zu denen wir nicht den Schlüssel oder die Kraft des Erschließens haben, und die wir so mit ins Grab nehmen.

Simmel, G. (1919): Aus Georg Simmels nachgelassenem Tagebuch. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Band VIII 1919/20 (1919, Heft 2): 130; online: www.digizeitschriften.de


Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Kant, I. (1784): Werkausgabe in 12 Bänden. Band XI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik (Band 1), Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977. Erstdruck in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784, S. 481-494 (Zitat: 481).

Online: zeno.org


Immanuel Kant (1724 - 1804), Philosoph in Königsberg



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie nach uns gesucht, wie sollte es geschehn, daß wir eines Tages uns fänden? (...) Wir bleiben uns eben nothwendig fremd, wir verstehn uns nicht, wir müssen uns verwechseln, für uns heisst der Satz in alle Ewigkeit »Jeder ist sich selbst der Fernste«, – für uns sind wir keine »Erkennenden«...

Nietzsche, Friedrich: (1887): Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral, Vorrede 1.

 www.nietzschesource.org/ Ort: #eKGWB/GM-Vorrede-1


Gefunden

Ich ging im Walde

So für mich hin,

Und nichts zu suchen,

Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich

Ein Blümchen stehn,

Wie Sterne leuchtend,

Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,

Da sagt' es fein:

Soll ich zum Welken

Gebrochen sein?

Ich grubs mit allen

Den Würzlein aus,

Zum Garten trug ichs

Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder

Am stillen Ort;

Nun zweigt es immer

Und blüht so fort.

Goethe, J. W. von (1827 [1815]):
Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand.
Erster Band: 26. (wikimedia) und: wikisource

Goethe schrieb das Gedicht für und an seine Frau, Christiane Vulpius (Brief vom 26. August 1813)


Einigkeit und Recht und Freiheit

für das deutsche Vaterland!

Danach lasst uns alle streben,

brüderlich mit Herz und Hand!

Einigkeit und Recht und Freiheit

sind des Glückes Unterpfand:

Blüh im Glanze dieses Glückes,

blühe, deutsches Vaterland!

Deutschland, wir sind deine Kinder

Aber wir gehören dir nicht

Wir gehören dem Traum von morgen

Hilf uns, dass er nicht zerbricht

Lass und aus Vergangenem lernen

Gib der Zukunft deine Hand

Friedlich über alle Grenzen

Mutter-, Vater-, Kinderland.

Die Nationalhymne der Deutschen Bundesrepublik

Komponist: Joseph Haydn (1732-1809)

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)

online: Die Bundesregierung 5/2018

Rolf Zuckowski (Liedermacher): Deutschland, deine Kinder (Auszug)

online: www.lyrics.com


Ein Kinderlied.

Dazu R. Zuckowski in DIE ZEIT (19. April 2018: 67):

ZEIT: Auch von konservativer Seite haben Sie schon Gegenwind bekommen. In Elternforen beklagen sich Mütter über Ihr Lied Nackidei: Das versaue die Erziehung. Wie gehen Sie damit um?

Zuckowski: In den neunziger Jahren habe ich mal einen Brief aus Bayern bekommen, den Kinder mir geschrieben haben: "Unser Pfarrer ist gestorben, das ist traurig, aber nun dürfen wir das Lied Nackidei wieder singen." Das Lied ist nicht unanständig. Ich singe von Tieren: (...) [siehe Text rechts]. Mir war klar, dass das aneckt. Aber wer bei so was nicht mitkommt ist nicht offen. Zumindest nicht für meine Art von Humor.

Nackidei

Der Eber sagt zu seiner Frau

hörzu du süße kleine Sau,

wir machen heut ne Schweinerei,

und gehn mal wieder Nackidei.

(...)

Rolf Zuckowski (Liedermacher): Deutschland, deine Kinder (Auszug)

online: www.songtexte.com


You load sixteen tons, what do you get?

Another day older and deeper in debt

Saint Peter don't you call me 'cause I can't go

I owe my soul to the company store

(Auszug: Refrain)

Du lädst sechzehn Tonnen und was kriegst Du dafür?

Einen weiteren Tag älter und tiefer in Schulden

Petrus ruf' mich noch nicht, denn ich kann nicht gehen

Ich schulde meine Seele dem Fimenladen

(Übersetzung: JT)

Sixteen Tons ist ein sozialkritischer Country-/Folk-Song, der 1947 von Merle Travis (1917-1983) veröffentlicht wurde. Er beschäftigt sich mit mit den teils unmenschlichen Umständen, unter welchen die Bergleute (und ihre Familien) in den USA ihre Arbeit verrichteten. Es herrschte Lohnsklaverei, die sich dadurch auszeichnete, daß die Kumpel mit Wertmarken (scrips) bezahlt wurden, mit denen sie zu überteuerten Preisen Lebensmittel in den firmeneigenen Geschäften kaufen konnten (wikipedia).

Merle Travis: youtube

Cover-Versionen: Tennessee Ernie Ford (1919-1991), Jonny Cash (1932-2003) u.v.a.


Mein Name sei Gantenbein

Gantenbein allein.
Später einmal, sichrer geworden durch Erfahrung als Blinder, wird Gantenbein sich in jede Gesellschaft wagen; er wird in einer Villa stehen, die dunkle Blindenbrille im Gesicht, und wird mit einem schweizerischen Oberst plaudern, den er mit einem bekannten Schieber verwechselt. Man kann's einem Blinden nicht verargen. Er kann nicht unterscheiden zwischen einem Rechtsanwalt und einem Unterschriftenfälscher, der ein Vetter jenes Schiebers ist. Immer wird Gantenbein sich eines Bessren belehren lassen, um zu beweisen, daß er blind ist. Man wird ihn zu Tisch führen, um ihn bei Tischgesprächen aufzuklären, was die Herrschaften gesehen haben möchten, was hingegen nicht. Man wird ihm eine Welt vorstellen, wie sie in der Zeitung steht, und indem Gantenbein tut, als glaube er's, wird er Karriere machen. Mangel an Fähigkeiten braucht ihn nicht zu bekümmern; was die Welt braucht, sind Leute wie Gantenbein, die nie sagen, was sie sehen, und seine Vorgesetzten werden ihn schätzen; die wirtschaftlichen Folgen solcher Schätzung werden nicht ausbleiben. Seine Anschauungen zu widerrufen oder auch nur zu ändern, bloß weil er Dinge sieht, die seine Anschauungen widerlegen, wird Gantenbein sich hüten, um nicht aus seiner Rolle zu fallen.

Er wird eine politische Karriere machen, nicht eine effektive, aber eine ehrenvolle; er wird überall dabei sein, gestützt auf sein schwarzes Stöcklein, um nicht zu stolpern, und da es einmal ausgemacht ist, daß Gantenbein nicht sieht, was gespielt wird vor seinen Augen, wird man überall gern seine Meinung vernehmen. Ab und zu, mag sein, kann es peinlich werden, etwa wenn er einem Herrn begegnet, der sich als Monsignore vorstellt, und wenn Gantenbein blindlings fragt, wer denn das gewesen sei, der vorhin, von Saujuden gesprochen habe; es ist der Monsignore selbst gewesen. Dazu wird man Kaviar essen. Er wird einem Herrn begegnen, der eben über die Freiheit der Kultur gesprochen hat, und fragen, ob ein andrer Herr, der unter Hitler eine ebenso führende Rolle gespielt hat, ebenfalls im Saal sei, und nicht sehen, daß es derselbe Herr ist. Dazu wird man Zigarren rauchen usw...
(34f)

"Jede Geschichte ist eine Erfindung", sage ich nach einer Weile (...)jedes Ich, das sicht ausspricht, ist eine Rolle " (48)

"Unsere Gier nach Geschichten", sage ich und merke, daß ich schon viel getrunken habe, es zeigt sich daran, daß ich meine Sätze nicht zu Ende spreche, sondern annehme, man habe mich schon verstanden kraft meiner Einsicht: " vielleicht sind's zwei oder drei  Erfahrungen, was einer hat", sage ich, "zwei oder drei Erfahrungen, wenn's hochkommt, das ist's, was einer hat, wenn er von sich erzählt, überhaupt wenn er erzählt: Erlebnismuster - aber keine Geschichte", sage ich, "keine Geschichte." Ich trinke, aber mein Glas ist leer. "Man kann sich selbst nicht sehen, das ist's, Geschichten gibt es nur von außen", sage ich, "daher unsere Gier nach Geschichten!" (48f)

"Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält", sage ich, "oder eine ganze Reihe von Geschichten", sage ich, bin aber zu betrunken, um meinen eignen Gedanken wirklich folgen zu können, und das ärgert mich, so daß ich verstumme. (49)

Ich drehe mich auf dem Absatz ich möchte nicht das Ich sein, das meine Geschichten erlebt, Geschichten, die ich mir vorstellen kann ich drehe mich auf dem Absatz, um mich zu trennen, so flink wie möglich, von dem fremden Herrn. (66)

Es hört auf, wenn man einander wiedersieht, und es hört auf, wenn er weiterfliegt für immer; in jedem Fall, das wußte er, hört es auf, und es gibt keine Hoffnung gegen die Zeit ... (73)

Wenn Lila wüßte, daß ich sehe, sie würde zweifeln an meiner Liebe, und es wäre die Hölle, ein Mann und ein Weib, aber kein Paar; erst das Geheimnis, das ein Mann und ein Weib voreinander hüten, macht sie zum Paar. (103f)

Was ich sehe und was ich nicht sehe, ist eine Frage des Takts. Vielleicht ist die Ehe überhaupt nur eine Frage des Takts. (105)

Da ruht Ihr nun also, ein Paar mit liebestoten Körpern allnächtlich im gemeinsamen Zimmer, ausgenommen die kurzen Reisen wie jetzt. (...) Keines von Euch hat einen vertrauteren Menschen, nein, nicht einmal in der Erinnerung; nicht einmal in der Hoffnung. Kann man sich verbundener sein als Ihr? Man kann's nicht. Aber manchmal sehnt Ihr euch also. Wonach? Da schaudert es euch. Was eigentlich? Da lebt Ihr die endlos-raschen Jahre liebevoll, ein Paar, zärtlich, ohne es vor Gästen zu zeigen, denn Ihr seid es wirklich, ein wirkliches Paar mit zwei liebestoten Körpern, die einander nur noch selten nochmals suchen (133f)

Das Leben geht weiter, aber nicht vorwärts, und es stellt sich, wenn auch verschwiegen, die Frage,wer daran schuld ist (...) (242)

Ich bin blind. Ich weiß es nicht immer, aber manchmal. Dann wieder zweifle ich, ob die Geschichten, die ich mir vorstellen kann, nicht doch mein Leben sind. Ich glaub's nicht. Ich kann nicht glauben, daß das, was ich sehe, schon der Lauf der Welt ist. (314)

Frisch, Max (1960/1964): mein Name sei Gantenbein. Gesammelte Werke in zeitlicher Folge 1964-1967. Band V 1. Werkausgabe edition suhrkamp. Neunter Band. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unsere Art des Verhaltens ist aus jener, die wir "unzivilisiert" nennen, hervorgegangen. Aber die Begriffe fassen die tatsächliche Veränderung zu statisch und zu unnuanciert. In Wahrheit handelt es sich bei dem, was wir als "zivilisiert" und "unzivilisiert" einander gegenüberstellen, nicht um einen Gegensatz von der Art des Gegensatzes zwischen "Gutem" und "Schlechtem", sondern ganz offenbar hat man es hier mit Stufen einer Entwicklungsreihe zu tun, überdies einer Entwicklungsreihe, die weitergeht. Es könnte gut sein, daß den später Kommenden unsere Stufe der Zivilisation, unser Verhalten ähnliche Peinlichkeitsgefühle auslöst, wie uns zuweilen das Verhalten jener, deren Nachkommen wir sind.

Elias, Norbert: (1969): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt/M.: Suhrkamp: 74


Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker.

Roth, P. W. (1908): Jedermann. Everyman.
München: C. Hanser: 148

Phillip Roth (1933-2018), einer der ganz bedeutenden Erzähler und Anwärter auf den Literaturnobelpreis. ist gestern (22.05.18) im Alter von 85 Jahren gestorben!

Über sein Leben: wikipedia


Weil es für sie nicht anders ist als für mich, seit ich ein kleiner Junge war. Weil es für sie nicht anders ist als für jeden. Weil der Tod die größte Beunruhigung des Lebens ist. Weil der Tod so ungerecht ist. Weil der Tod, wenn man das Leben einmal gekostet hat, einem alles andere als natürlich vorkommt. Ich hatte gedacht – insgeheim war ich mir sicher -, das Leben geht immer weiter.

Roth, P. (2006): Jedermann. Everyman.
München: C. Hanser: 160

Roth spielt mit dem Titel und Namen des Protagonisten Jedermann, eines seiner letzten Bücher - seit 2012 schrieb er nicht mehr, auf das Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal von 1911 "Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" an. Dort geht es um die unerwartete Konfrontation des Jedermann mit dem Tod, der ihn vor seinen Schöpfer führen will. Da weder sein treuer Knecht oder seine Freunde noch sein Geld ihn ins Grab begleiten wollen, bekennt er sich schließlich zum Christentum und stirbt als Bekehrter.

Roth blickt aus einen anderen, einer postmoderne und von der Religiosität unberührten, Sicht auf das Leben des Durchschnittsbürgers Jedermann zurück: Nicht vor Gott muß dieser sich rechtfertigen – sondern vor sich selbst. Er hadert mit dem Altern und der sich einstellenden Einsamkeit. Im Gespräch mit einem Totengräber nähert er sich dem Thema Tod stirbt wenig später bei einer Operation.


Vorm Einschlafen zu sagen

Was morgen ist,

auch wenn es Sorge ist,

ich sage: Ja

So wie die Blume still

im Regen abends spricht

weil sie im neuen Licht,

auch wieder blühen will:

Was morgen ist,

auch wenn es Sorge ist,

ich sage: Ja

Wolfgang Borchert (1921-1947),
deutscher Schriftsteller

Borchert, Wolfgang (nachgelassenes Gedicht)

Das Original-Manuskript befindet sich im Borchert-Archiv der Staatsbibliothek Hamburg mit der Signatur BOR: Acb 25: 1v.

Veröffentlicht und versehen mit einer Abbildung des Original-Manuskripts ist das Gedicht im Ausstellungskatalog zur Borchers-Ausstellung in Schloß Reinbek (11/1996-2/1997) erschienen:

Kraske, B. M. (1996): Wolfgang Borchert: Leben - Werk - Wirkung. (Ausstellung und Katalog). Hrsg. von der Stadt Reinbek). Gline: Verlag Hans-Jürgen Böckel 1996: 72


Abschied

Das war ein letzter Kuß am Kai –

vorbei.

Stromabwärts und dem Meere zul

fährst du.

Ein rotes und ein grünes Licht

entfernen sich ...

Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 16


Abschied

Laß mir deinen Rosenmund

noch für einen Kuß.

Draußen weiß ein ferner Hund,

daß ich weiter muß.

Laß mir deinen hellen Schoß

noch für ein Gebet.

Mach mich aller Schmerzen los!

horch, der Seewind weht.

Laß mir noch dein weiches Haar

schnell für diesen Traum:

Daß dein Lieben Liebe war

laß mir diesen Traum!

Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 276


Ich möchte Leuchtturm sein

in Nacht und Wind –

für Dorsch und Stint,

für jedes Boot –

und bin doch selbst

ein Schiff in Not!

Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 7 (Einleitung zu: Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg)


Forderungen aus einem sozialistischen Land? Nein - aus Bayern!

Art. 123 (3) der Bayerischen Verfassung Papier ist geduldig ...

Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.


Art. 161 der Bayerischen Verfassung ...

online über die Bayerische Staatskanzlei - BayernRecht: www.gesetze-bayern.de

Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Mißbräuche sind abzustellen.

Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.


Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe? Nichts als ein besiegter, gebrochener, erbarmenswerter Mensch, Zeugnis einer falschen Lebensweise. Weil ich verlieren kann, was ich habe, mache ich mir natürlich ständig Sorgen, dass ich verlieren werde, was ich habe.

(...)

Wenn ich bin, der ich bin und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen.

Fromm, Erich (1976a): Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Gesamtausgabe (12 Bände; hrsg. von Reiner Funk).
München: Deutsche Verlags-Anstalt 1999. Band II: 348

(Ausgabe dtv 1. Auflage 1979: 108, 109)

Erich Fromm (1900-1980): deutscher, nach der Emigration 1933 aus Deutschland, amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe


Der Konsumentenhaltung liegt der Wunsch zugrunde, die ganze Welt zu verschlingen, der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit.

Fromm, Erich (1976a): Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Gesamtausgabe (12 Bände; hrsg. von Reiner Funk).
München: Deutsche Verlags-Anstalt 1999. Band II: 292      

(Ausgabe dtv 1. Auflage 1979: 37)

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedenspolitik ist eine nüchterne Arbeit. Auch ich versuche, mit den Mitteln, die mir zu Gebote stehen, der Vernunft in meinem Lande und in der Welt voranzuhelfen: Jener Vernunft, die uns den Frieden befiehlt, weil der Unfriede ein anderes Wort für die extreme Unvernunft geworden ist. Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche.

Was in Deutschland zwölf Jahre lang in extremer Zuspitzung Realpolitik genannt wurde, hat sich als höllische Chimäre erwiesen. Heute sind wir dabei, mit uns selbst und mit der Welt ein erträgliches Gleichgewicht zu finden. Wenn in der Bilanz meiner politischen Wirksamkeit stehen würde, ich hätte einem neuen Realitätssinn in Deutschland den Weg öffnen helfen, dann hätte sich eine grosse Hoffnung meines Lebens erfüllt.

Ich sage hier wie zuhause: Ein guter Deutscher kann kein Nationalist sein. Ein guter Deutscher weiss, dass er sich einer europäischen Bestimmung nicht versagen kann. Durch Europa kehrt Deutschland heim zu sich selbst und den aufbauenden Kräften seiner Geschichte. Unser Europa, aus der Erfahrung von Leiden und Scheitern geboren, ist der bindende Auftrag der Vernunft.

Brandt, Willy: (1971): Friedenspolitik in unserer Zeit. Nobelvorlesung. Vortrag des Bundeskanzlers Willy Brandt am 11. Dezember 1971 in Oslo anlässlich der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1971

Online: www.nobelprize.org


Ich will also annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit ist, sondern dass ein boshafter Geist, der zugleich höchst mächtig und listig ist, all seine Klugheit anwendet, um mich zu täuschen; ich will annehmen, dass der Himmel, die Luft, die Erde, die Farben, die Gestalten, die Tone und alles Aeusserliche nur das Spiel von Träumen ist, wodurch er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt; ich werde von mir selbst annehmen, dass ich keine Hände habe, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut, keine Sinne, sondern dass ich mir nur den Besitz derselben fälschlich einbilde; ich werde hartnäckig in dieser Meinung verharren und so, wenn es mir auch nicht möglich ist, etwas Wahres zu erkennen, wenigstens nach meinen Kräften es erreichen, dass ich dem unwahren nicht zustimme, und mit festem Willen mich vorsehen, um nicht von jenem Betrüger trotz seiner Macht und List hintergangen zu werden. Aber dieses Unternehmen ist mühevoll, und eine gewisse Trägheit lässt mich in das gewohnte Leben zurückfallen. Wie ein Gefangener, der zufällig im Traume einer eingebildeten Freiheit genoss, bei dem späteren Argwohn, dass er nur träume, sich fürchtet, aufzuwachen, und deshalb den schmeichlerischen Täuschungen sich lange hingiebt, so falle ich von selbst in die alten Meinungen zurück und scheue das Erwachen, damit nicht der lieblichen Ruhe ein arbeitsvolles Erwachen folge, was, statt in hellem Licht, in der unvertilgbaren Finsterniss der angeregten Schwierigkeiten verbracht werden muss.

Descartes, R.. (1628/29): Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie, in welchen das Dasein Gottes und der Unterschied der menschlichen Seele von ihrem Körper bewiesen wird. In:  René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 5.
Erstdruck unter dem Titel »Meditationes de prima philosophia, in qua dei existentia et animae immortalis demonstratur«, Paris 1641. Text nach der Übersetzung durch Julius Heinrich von Kirchmann von 1870.

Link: Zeno.org (S. 23)

René Descartes
(1596-1650),


Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862)österreichischer Schriftsteller und Schauspieler

Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab' mich noch selten getäuscht.

Nestroy, J., N. (1836): Die beiden Nachtwandler. I,16 (Strick)

online: gutenberg.spiegel.de


She's got it

Yeah, baby, she's got it

I'm your Venus, I'm your fire

At your desire

Well, I'm your Venus, I'm your fire

At your desire

Bananarama (1986): Venus (Auszug: Refrain). Abum: True Confessions

Offizielles Video: www.youtube.com


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei all unseren Institutionen, von der Polizei bis zur Akademie [unklar ist, welche Art von Akademie die Autorin meint], von der Medizin bis zur Politik, achten wir wenig auf die Leute, die gehen – auf jenen Eliminierungsprozess, der die ganze Zeit weiterläuft und sehr früh jene ausschließt, die wahrscheinlich originell und erneuernd sind, während er die zurücklässt, die von einer Sache angelockt werden, weil sie ihr schon gleichen. (…) Dieser Gesellschaftsmechanismus läuft fast unbemerkt – trotzdem vermag er wie kein anderer unsere Institutionen starr und lastend zu erhalten.

Lessing, D. (1978): Das goldene Notizbuch (Vorwort). Hamburg: Hoffman und Campe 2007: 20


 

Kinder an die Macht

Die Armeen aus Gummibärchen

Die Panzer aus Marzipan

Kriege werden aufgegessen kindlich genial

Es gibt kein gut, es gibt kein böse

Es gibt kein schwarz, es gibt kein weiß

Es gibt Zahnlücken

Statt zu unterdrücken

Gibt's Erdbeereis auf Lebenszeit

Immer für 'ne Überraschung gut

Gebt den Kindern das Kommando

Sie berechnen nicht, was sie tun

Die Welt gehört in Kinderhände

Dem Trübsinn ein Ende

Wir werden in Grund und Boden gelacht

Kinder an die Macht

Sie sind die wahren Anarchisten

Lieben das Chaos, räumen ab

Kennen keine Rechte, keine Pflichten

Ungebeugte Kraft, massenhaft

Ungestümer Stolz

Gebt den Kindern das Kommando

Sie berechnen nicht, was sie tun

Die Welt gehört in Kinderhände

Dem Trübsinn ein Ende

Wir werden in Grund und Boden gelacht

Kinder an die Macht

Grönemeyer, H. (1986): Kinder an die Macht. Album: Sprünge

Video: www.youtube.com


So beginnt der Roman von Beckett.
Er beschreibt mittels der Erlebnisse
 des jungen Iren Murphy, die Absurdität menschlicher Existenz
und menschlichen Strebens.

Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.

Beckett, S. (1957/1959): Murphy. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 44. Aufl. 2017: 9


 

Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.

Es kann geschehen, überall. Weder kann ich noch will ich behaupten, daß es geschehen wird.

Levi, P. (1990): Die Untergegangenen und die Geretteten, München: Carl Hanser: 205

 

Primo Levi (1919-1987),
italienischer Schriftsteller, Chemiker, Autor wichtiger Bücher, die er als Zeuge und Überlebender des Holocaust schrieb


Zum Bösen kamen die Menschen nie in einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan.

Köhlmeier, M. (2018): »Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt,
sondern mit vielen kleinen«.
Rede vor dem österreichischen Parlament in Wien
zum Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus (4.5.2018)

online: Blätter für deutsche und internationale Politik

Michael Köhlmeier (*1949),
österreichischer Schriftsteller


 

Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand.

Frisch, M. (1953*): Biedermann und die Brandstifter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002: 54

* erstmals als Hörspiel "Biedermann und die Brandstifter" erstmals im Schauspielhaus Zürich aufgeführt (29.03.1958); Suhrkamp-Erstausgabe:
1958 (wikipedia.de)


zeige deine Wunde

Beuys, J. (1976): zeige deine wunde. Installation/Environment: Städtische Galerie im Lenbachhaus München (wikipedia)

Link zum Foto der Installation (www.lenbachhaus.de)


 In einem Interview im Januar 1980 meinte er zu seinem Werk: "Zeige deine Wunde, weil man die Krankheit offenbaren muß, die man heilen will. Der Raum […] spricht von der Krankheit der Gesellschaft. […] Dann ist natürlich der traumatische Charakter angesprochen. Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden." (Jost Herbig: Die Dinge haben ihre Sprache. Interview mit Joseph Beuys. Süddeutsche Zeitung, 26./27. Januar 1980)


ARD-alpha (9.11.2016 punkt. Einfach Wissen; Film von Moritz Pompl 4:58):
Joseph Beuys: zeige deine wunde. Sperrmüll oder Kunst? An seinen Werken scheiden sich die Gemüter.

Besonders interessant: Die Pressekonferenz 1980 (Ankauf durch das Lehnbachhaus) mit Joseph Beuys und Politikern (u. a. Richard Hundhammer, CSU, Abgeordneter des Bayerischen Landtags)

Link: BR-alpha

Link: ARD-Mediathek

Joseph Beuys (1921–1986),
deutscher (Aktions-) Künstler, Bildhauer, Zeichner, Kunsttheoretiker, Professur an der Kunstakademie Düsseldorf

Quelle: wikipedia.org

CC BY-SA 3.0 (Hinweise zur Weiternutzung)

File:Beuys-Feldman-Gallery.jpg

Erstellt: 1. Januar 1971


oeheim, waz wirret dir? (Oheim, was tut dir weh?)

von Eschenbach, Wolfram (1200-1210): Parzival. Werke in drei Bänden. Band II Text und Kommentar (n. d. Ausgabe von K. Lachmann & E. Nellmann, übertragen von D. Kühn). Frankfurt/M.: Deutscher Klassikerverlag 2006: 795, 29 (S. 356)

Während er beim ersten Versuch noch schweigt, führt diese Frage zur unmittelbaren Genesung des Gralkönigs Anfortas. Der mit einem Speer am Hoden Verletzte verwandelt sich in einen jugendlichen und schönen Mann.

Es würde mich wundern, wenn Beuys nicht von diesem Text und seinen Variationen (u. a. von A. Muschg: Der rote Ritter 1993) inspiriert gewesen sein sollte. Denn ein weiteres Motiv, die Doppelung (bei von Eschenbach z. B.: Orient/Okzident; Christen/Heiden; die Brüder Parzifal/Feirefiz; der zweimalige Versuch Parzifals, Amfortas von seinem Leid zu erlösen) ist ein zentraler Aspekt des Beuys'schen Werks.


 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts verstanden werden muß. Aber darüber vergißt man den andern Satz, daß es vorwärts gelebt werden muß. Welcher Satz, je mehr er durchdacht wird, gerade damit endet, daß das Leben in der Zeitlichkeit nie richtig verständlich wird, gerade weil ich keinen Augenblick völlige Ruhe bekommen kann, um die Stellung einzunehmen: rückwärts.

Kierkegaard, Søren: (1843): Geheime Papiere (hg. v. T. Hagemann). Frankfurt/M.: Eichborn 2004: 44 (Tagebucheintrag 1843)


Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden. (72)

Alles Denkbare wird einmal gedacht. Jetzt oder in Zukunft.

8. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. (78)

9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie immer dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten [z.B. Ödipus] (78)

Dürrenmatt, F. (1962): Die Physiker. Zürich: Die Arche

Friedrich Dürrenmatt (1921-1990): schweizerischer Schriftsteller, Dramatiker und Maler; Uraufführung "Die Physiker": 21.2.1962.


 

Was sich auf diesen Seiten chronistisch verzeichnet findet, sind Untaten von so ungezügelter und zugleich bürokratisch-sachlich organisierter Lieblosigkeit, Bosheit und Mordgier, daß niemand sie ohne tiefste Scham darüber zu lesen vermag, daß Menschen zu solchem fähig sind. Indem er aber Kunde bekommt von den Folter- und Schreckenskammern unserer Zeit, wehrt er im Abscheu nicht nur ab, daß ihm diese äußeren Ereignisse zu nahe kommen, er wehrt auch kulturfremde Triebregungen in sich selbst ab, die durch das Aufwachsen in der Kultur, das heißt unter den Bedingungen der Mitmenschlichkeit gemildert wurden. Kultur lehrt die rücksichtslose Asozialität unserer Triebanlagen zu zügeln, angstfreier zu ertragen und in soziales Verhalten zu verwandeln. Aber die sittlichen Normen sind ein Gebäude, das weiterhin auf vulkanischem Boden ruht. Es ist deshalb nicht genug, nur zu erschrecken über das, was geschehen konnte, sondern immer zugleich die Wahrheit in sich einzulassen, daß es von Menschen getan wurde, die nicht als Monstren zur Welt kamen, die vielmehr oft in ziemlich unauffälliger Weise mit geläufiger Begabung es zu Fachkenntnissen und begehrten Stellungen in unserer Gesellschaft brachten, ehe sie die erworbenen Fähigkeiten der Menschlichkeit narkotisch lähmten und in eine weltzerstörerische Trieblust zurücksanken. Was in diesen Hohlräumen völliger Kulturentledigung, in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern geschah, war ungeheuerlich, so ungeheuerlich wie das Menschenwesen, das sich selbst ächtet und sich in das Wesen seiner Albträume verwandelt. Die furchtbare historische Koinzidenz stellte jene Hilfskader von abgerichteten Befehlsempfängern und -ausführern bereit, die dazu verhalfen, daß der Albtraum opferverschlingende Wirklichkeit werden konnte. »Die Kulturgesellschaft, die die gute Handlung fordert und sich um die Triebbegründung derselben nicht kümmert hat also eine große Zahl von Menschen zum Kulturgehorsam gewonnen, die dabei nicht ihrer Natur folgen« (Sigm. Freud, Gesammelte Werke, Bd. X, S. 335)

Mitscherlich, A. & Mielke, F. (Hg.) (1960): Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt/M.: Fischer. Vorwort: Von der Absicht dieser Chronik: 717 (hier 7f)


Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird man wieder tun:
Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Die Bibel - Einheitsübersetzung (2016): Prediger 1,9; online über: bibleserver.com


Heideröslein

Sah ein Knab' ein Röslein stehn,

Röslein auf der Heiden,

War so jung und morgenschön,

Lief er schnell es nah zu sehn,

Sah's mit vielen Freuden.

Röslein, Röslein, Röslein roth,

Röslein auf der Heiden.

Knabe sprach: ich breche dich,

Röslein auf der Heiden!

Röslein sprach: ich steche dich,

Daß du ewig denkst an mich,

Und ich will's nicht leiden.

Röslein, Röslein, Röslein roth,

Röslein auf der Heiden.

Und der wilde Knabe brach

s' Röslein auf der Heiden;

Röslein wehrte sich und stach,

Half ihr doch kein Weh und Ach,

Mußt' es eben leiden.

Röslein, Röslein, Röslein roth,

Röslein auf der Heiden.

Goethe, J. W. von (1789): Goethe’s Schriften.
8. Band. Leipzig
: Göschen: 105-106

online: wikisource

Das 1771 entstandene Gedicht Goethes (damals 22 Jahre alt) wurde von vielen Komponisten verton (u. a. Franz Schubert und Robert Schumann), die Fassung von Heinrich Werner (1827) hat bis heute hohen Bekanntheitsgrad.

Auch die Gedichtinterpretationen sind zahlreich - sie reichen von der Überlegung, daß hier eine Vergewaltigung geschildert wird bis hin zu einer Allegorie von Goethes kurzer Liebesbeziehung zu Friederike Brion.

Die Schönheit der Sprache (in Verbindung mit der lieblichen Melodie, die wir im Ohr haben) verführt dazu, die unter der Oberfläche bzw. zwischen den Zeilen mitgeteilten Assoziationen, Wertvorstellungen und Phantasien nicht mitzudenken (ob Goethe daran gedacht hat, wissen wir nicht). Das Frauen- und Männerbild bzw. die Beziehung zwischen den Geschlechtern war damals bzw. ist (?) durchdrungen von diesen:

weibliche Defloration (Entblütung),

Jungfräulichkeit (Blut),

die Selbstverständlichkeit des (männlichen) Machtanspruches über Frauen und ihre Sexualität,

das Aufbegehren und dann (stille) Leiden des Mädchens/der Frau,

Empathieverweigerung und Gewalt und eine

erzwungene negative Intimität.


Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt,

bürgerlich: Friedrich Stowasser (1928-2000):

österreichischer Künstler

Wer die Vergangenheit nicht ehrt,

verliert die Zukunft,

wer seine Wurzeln vernichtet,

kann nicht wachsen.

Hundertwasser, F. (1990) - hier im Original-Autograph

Er schrieb diese Zeilen 1991 für das KunstHausWien und verwendete sie ebenfalls für eine Grußbotschaft an die Stadt Uelzen anläßlich der Eröffnung des von ihm (um)gestalteten Bahnhofs (1999).

Mit Genehmigung der Hundertwasserstiftung (25.01.19)

www.hundertwasserfoundation.org


Es gibt ja nichts Verlogeneres, als diese Geburtstagsfeiern, zu welchen sich die Menschen hergeben, nichts Widerwärtigeres als die Geburtstagsverlogenheit und die Geburtstagsheuchelei (...).

Bernhard, T. (1985): Alte Meister. Komödie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1. Auflage 1985: 115

 


Ich spreche die Sprache, die nur ich alleine verstehe, sonst niemand, wie jeder nur seine eigene Sprache versteht, und die glauben, sie verstünden, sind Dummköpfe oder Scharlatane.

Bernhard, T. (1976): Der Keller. Eine Entziehung. In: Die Autobiographie. Werke 10. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004: 205

Thomas Bernhard (1931-1989):
österreichischer Schriftsteller, "Allesbeschimpfer"


ASTA SCHEIB: Wann haben Sie sich zum letzten Mal gefreut?

THOMAS BERNHARD: Einmal am Tag freut man sich, daß man am Leben ist und noch nicht tot. Das ist ein unwahrscheinliches Kapital.

(...)

ASTA SCHEIB: Haben Sie sich gewünscht, eine Familie zu gründen?

THOMAS BERNHARD: Ich war immer nur froh zu überleben.

Bernhard, T. (1987): Der Wahrheit auf der Spur (Interview am 17. Januar1987).
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2011: 267f

 


Hans Sahl (1902-1993),
eigentl. Hans Salomon (Jude),
war Literatur-, Film- und Theaterkritiker in der Zeit der Weimarer Republik, nach der Emigration war er als antifaschistischer Schriftsteller, Übersetzer und Kulturkorrespondent ein Vertreter der deutschen Exilliteratur

Strophen

Ich gehe langsam aus der Welt heraus

in eine Landschaft jenseits aller Ferne,

und was ich war und bin und was ich bleibe,

geht mit mir ohne Ungeduld und Eile

in ein bisher noch nicht betretenes Land.

Ich gehe langsam aus der Zeit heraus

in eine Zukunft jenseits aller Sterne,

und was ich war und bin und immer bleiben werde,

geht mit mir ohne Ungeduld und Eile,

als wär ich nie gewesen oder kaum.

Sahl, H. (19xx)*: Die Gedichte. München: Luchterhand 2. Auflage 2009: 185

Anmerkung: Wolf Biemann hat in der ZEIT über das Gedicht geschrieben: Zu einem Gedicht von Hans Sahl (18. Oktober 1991)

* Das Entstehungsdatum ist nicht angegeben.


 

Ich weiß, daß ich bald sterben werde

Ich weiß, daß ich bald sterben werde,

zu lange schon war ich auf dieser Welt zu Gast,

auf diesem Flecken, diesem Stückchen Erde,

das du, mein Gott, wenn es dich gibt, mir gabst.

Was bleibt von all dem, das ich tat und lebte?

Nur eine Kleinigkeit: Ein Mensch fand statt.

Ein Mensch, der weiß, daß er nun sterben werde

und müde ist und sagt: Ich hab es satt.

Fast schon so alt wie dieses, mein Jahrhundert

der Flammenmeere, Mörder, Folterungen,

der Volksverderber und der Volksverächter,

geliebt, gehaßt, gefürchtet und bewundert.

So nehmt, o Brüder, eine Hand voll Erde

und gebt sie mir zum Abschied auf den Weg.

Ich weiß, daß ich bald sterben werde.

Ein Gast nimmt leise seinen Hut und geht.

Sahl, H. (19xx)*: Die Gedichte. München: Luchterhand 2. Auflage 2009: 237

* Das Entstehungsdatum ist nicht angegeben.


 

 

 

 

Das Bedürfnis nach Unterscheidung und Trennung wohnt den Dingen inne; es handelt sich nicht lediglich um ein Bedürfnis des Geistes.

Durkheim, E. (1987): Schriften zur Soziologie der Erkenntnis. Frankfurt: Suhrkamp 1. Aufl. 1993: 157


 

Ermutigung

Du laß dich nicht verhärten

in dieser harten Zeit

die allzu hart sind brechen

die allzu spitz sind stechen

und brechen ab sogleich

und brechen ab zsogleich

Du laß dich nicht verbittern

In dieser bittren Zeit

die Herrschenden erzittern

sitzt du erst hinter Gittern

doch nicht vor deinem Leid

doch nicht vor deinem Leid

Du laß dich nicht erschrecken

in dieser Schreckenszeit

das wolln sie doch bezwecken

das wir die Waffen strecken

schon vor dem großen Streik

schon vor dem großen Streik

Du laß dich nicht verbrauchen

gebrauche deine Zeit

du kannst nicht untertauchen

du brauchst uns und wir brauchen

grad deine Heiterkeit

grad deine Heiterkeit

Wir wolln es nicht verschweigen

in dieser Schweigezeit

das Grün bricht aus den Zweigen

wir wolln das allen zeigen

dann wissen sie bescheid

dann wissen sie bescheid

Biermann, W. (1968): Ermutigung. In: Mit Marx- und Engelszungen. Berlin: Wagenbach: ??

LIVE in der Kölner Sporthalle 1976: youtube

 

Wolf Biermann (*1936), deutscher Liedermacher und Lyriker

Bei "Ermutigung" handelt es sich um ein Gedicht und Lied des damaligen DDR-Bürgers Wolf Biermann. Es erschien 1968 in der Gedichtsammlung "Mit Marx- und Engelszungen" im Verlag Klaus Wagenbach (Westdeutschland); im gleichen Jahr veröffentlichte Wagenbach auch die von Biermann vertonte Fassung auf der Single "4 neue Lieder". 1974 erschien es auf Biermanns Langspielplatte "aah-ja!", die 1974 bei CBS erschien.

Biographisches

Wolf Biermann (*15.11.1936 in Hamburg) stammt aus einem jüdischen kommunistischen Elternhaus. Sein Vater, ein Schlosser und Maschinenbauer, wurde wegen Sabotage gegen die Nationalsozialisten sechs Jahre inhaftiert und 1943 in Auschwitz ermordet. 1953 verlässt Wolf Biermann, damals 16 Jahre alt, Hamburg und siedelt kurz vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in die DDR über. Nach der Veröffentlichung seines Gedichtbandes "Die Drahtharfe" 1965 im westdeutschen Wagenbach-Verlag und dem folgenden Auftritts- und Publikationsverbot durch das 11. Plenum des ZK der SED nach seinen eigenen Worten den "Status eines staatlich anerkannten Staatsfeindes" erreicht. 1976 "darf" Wolf Biermann auf Einladung der westdeutschen Industriegewerkschaft Metall zu einer Tournee in die BRD aufbrechen. Drei Tage nach diesem Konzert, am 16. November 1976, entzieht ihm die DDR ihre Staatsbürgerschaft.

Quelle: www.jugendopposition.de: Biermann - die Biographie

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/b0/Wolf_Biermann_Lauter_Lyrik.jpg/128px-Wolf_Biermann_Lauter_Lyrik.jpg  16.November 2008

Dichtertreffen "Lauter Lyrik" am 1, Rolf-Liebermann-Studio
des NDR, Hamburg

Quelle (Lizenzhinweis): wikimedia.org


Der Text von Herman Melville zeigt in beeindruckender und verstörender Weise den Rückzug desSchreibers Bartlebys aus seiner sozialen Umwelt.

Es gibt eine Vielzahl autobiographischer, gesellschaftspolitischer und psychologischer Deutungen der Kurzgeschichte (deutsch.wikipedia - english.wikipedia.org) und auch PsychoanalytikerInnen haben sich des Themas angenommen (u. a. G. Schneider: (2003): Die Zukunft? Plädoyer für eine atopische Grundhaltung in der Psychoanalyse – mit einem Exkurs zu Melvilles Bartleby. Psyche 57 (Heft 3): 226-249

I would perfer not to.

Melville, H. (1853): Bartleby, the Scriver. A Story of Wall Street. In: Putnam*s Magazin. Monatszeitschrift (Vereinigte Staaten von Amerika), November–December 1853

Text im Original: wikisource

Text in der deutschen Übersetzung: Projekt Gutenberg


Nach dem Tod kommt nichts. Meine Frau hat kein Grab, ich werde kein Grab haben. Ich glaube an nichts. Lebe dein Leben und denk nicht daran, was dann kommt, denn es kommt gar nichts.

Christo (2019): Interview  mit Johanna Adorjan, Süddeutsche Zeitung vom 6./.7.04.19: 60

Christo Wladimirow Jawaschew (*1935)
Verhüllungskünstler, der nach dem Tod seiner Frau Jeanne-Claude
 vor 10 Jahren seine Arbeit unbeirrt fortsetzt


Erst durch den Hinweis eines Radiomoderators, daß es hier um den Mißbrauch eines Jungen gehe, brachte mich dazu, mir den Text dieses sehr bekannte Songs näher anzusehen. Im Originalvideo ist es tatsächlich ein Junge, der mit anderen Jungs durch die Stadt läuft, dann sein Tempo im Treppenhaus verlangsamt und schließlich auf dem (2.) Stockwerk zögernd eine Tür öffnet.

Suzanne Vega schrieb 2010 in der Süddeutschen Zeitung dazu:

(…) Ich wollte Dur, da mich die Kombination aus Moll und einem kleinen leidgeprüften Jungen auf einer Haustürmatte wütend machte. Mir schien, dass die meisten missbrauchten Kinder traurig und ängstlich sind, aber dass sie ihr Schicksal irgendwann als Tatsache des Lebens akzeptieren, als etwas fast Erwartbares. Eine Art Pragmatismus. So kam ich auf Dur, und wir beließen es dabei. Im fertigen Song klang es aufmunternd, froh, fast triumphierend, was gar nicht meine Absicht war. (...) "Luka" war an die Radiostationen verteilt worden. Und sofort ein Erfolg. Wieso? Warum diese enorme Resonanz? Wegen des Themas, unter anderem. Viele Hörer schrieben mir über ihre Erfahrungen mit Missbrauch. Übrigens bis heute. Letztes Wochenende hat mir ein Teenage-Mädchen geschrieben, das als Kind missbraucht wurde, wie sehr es sich mit "Luka" identifiziere. Das war auch damals das Erstaunliche daran: So viele Menschen in Amerika, aber auch aus anderen Ländern und Kulturen dieser Erde, identifizierten sich mit meinem erfundenen Charakter. Ich hatte gedacht, es sei eine kleine, persönliche Sache. Aber mein Manager Ron hatte recht behalten: Es war eine riesige, gesellschaftliche Sache.

Süddeutsche Zeitung online: 17. Mai 2010, 21:01 Uhr: Suzanne Vega und ihr Hit "Luka" Wie man einen Treffer überlebt. Jeder kennt Suzanne Vegas Radio-Hit "Luka" - und vielleicht noch "Tom's Diner", aber nicht viel mehr. Ein "Two Hit Wonder" schreibt über die Anatomie eines Superhits. Von Suzanne Vega
(abgerufen: 18.04.2019)

Das eindringliche an Luka ist, dass alles angedeutet und schwer greifbar bleibt zugleich aber indirekt die Psychodynamik des Geschehens sehr gut zum Ausdruck kommt: das Opfer (Verleugnung, Anpassung, Rückzug), der Täter (das Opfer zum schweigen bringen, es für verrückt erklären, es schuldig sprechen) und Umwelt (Nachbarn, Familienangehörige, die nicht
hinhören bzw. -schauen). 

My name Luka

My name is Luka

I live on the second floor

I live upstairs from you

Yes I think you've seen me before

If you hear something late at night

Some kind of trouble, some kind of fight

Just don't ask me what it was

Just don't ask me what it was

Just don't ask me what it was 

I think it's because I'm clumsy

I try not to talk too loud

Maybe it's because I'm crazy

I try not to act too proud 

They only hit until you cry

After that you don't ask why

You just don't argue anymore

You just don't argue anymore

You just don't argue anymore 

Yes, I think I'm okay

I walked into the door again

If you ask that's what I'll say

And it's not your business anyway

I guess I'd like to be alone

With nothing broken, nothing thrown 

Just don't ask me how I am

Just don't ask me how I am

Just don't ask me how I am 

My name is Luka

I live on the second floor

I live upstairs from you

Yes I think you've seen me before 

If you hear something late at night

Some kind of trouble, some kind of fight

Just don't ask me what it was

Just don't ask me what it was

Just don't ask me what it was 

And they only hit until you cry

After that, you don't ask why

You just don't argue anymore

You just don't argue anymore

You just don't argue anymore

Vega, S. (1987): My name is Luka

youtube: Music video by Suzanne Vega performing Luka.
(C) 1987 A&M Records


Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Wir haben unsere Verwandten in den polnischen Ghettos zurückgelassen, unsere besten Freunde sind in den Konzentrationslagern umgebracht worden und das bedeuten den Zusammenbruch unserer privaten Welt (7f).

Ich weiß nicht, welche Erfahrungen und Gedanken des Nachts in unseren Träumen hausen. Ich wage nicht nach Einzelheiten zu fragen, denn auch ich bliebe lieber optimistisch. (10)

Arendt, H. (1943): Wir Flüchtlinge. In: Zur Zeit. Politische Essays
(aus dem Amerikanischen von Eike Geisel; hg. von Marie Luise Knott.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. Aufl. 1989: 7-21

Hannah Ahrend (1906-1975),
geboren als Johnnah Arendt in
Linden (heute Stadtteil von Hannover) undaufgewachsen in Königsberg, jüdische deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und  Publizistin.
Studium der Philosophie, Theologie und klassischen Philologie (bei Heidegger und Jaspers); Promotion 1929; 1933 Emigration nach Frankreich, 1941 Flucht in die USA; 1961 als Reporterin des"New Yorker" beim Eichmann-Prozeß in Jerusalem, danach Professorin für Politische Theorie


Dieses kurze Stück von Willy
Astor ist ebenso genial
wie umwerfend komisch.

Das Flunserl

Willy Astor entdeckt das Flunserl (Aufzeichnung: 1998); Aufzeichnung und Rechte: Bayerischer Rundfunk v. 31.07.2009; erhältlich auf der CD "Tonjuwelen" (CD1-10) (Ariola)

www.youtube.com


Interview mit Slavoj Žižek

Mal abgesehen davon, dass das System meistens eben nicht funktioniert, besteht Ihr Ideal tatsächlich darin, dass man nebeneinander vor sich hinlebt?

Ja, ich verstehe nicht, warum alle finden, dass sich jeder mit jedem verstehen soll. Es ist doch okay, wenn man einander toleriert und in Ruhe lässt, ich meine das auch in Bezug auf Einwanderer aus anderen Kulturkreisen. Wenn man sich versteht, umso besser, aber es sollte keine moralische Verpflichtung geben. Mir geht es um eine respektvolle, nicht rassistische Form von Distanz. Beleidigen sollte man nur Menschen, die man liebt.

Das müssen Sie erklären.

Beleidigungen sind wichtig, weil wir sonst in kaltem Respekt aneinander vorbeileben. Ich werde nie vergessen, wie ich vor Jahren sauer auf meinen 13-jährigen Sohn war und mir dieses jugoslawische Schimpfwort rausrutschte: »Lass einen Hund deine Mutter ficken.« Er sagte, ohne zu zögern: »Hat er doch schon, vor 14 Jahren, deswegen wurde ich geboren.«

Ziemlich schlagfertig für einen 13-jährigen Jungen.

Ja, wunderbar, aber es kommt noch besser, weil er mich danach mit großen Augen ansah und fragte: »Das war lustig, oder?« Nachdem er mich beleidigt hatte, wollte er von mir auch noch dafür geliebt werden, das ist lustig und tragisch zugleich. Meine Frau, meine Söhne, wir reden alle so. Für mich ist es die treffendste Definition von Freundschaft: Wenn ich jemanden beleidigen kann, ohne mich schuldig fühlen zu müssen.

Žižek, S. (2019) im Gespräch mit Tobias Haberl. Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 31
(2. August 2019): 21f

Slavoj Žižek (*21.03.1949)
Der aus Slowenien stammende Philosoph, Kulturkritiker und Theoretiker der lacanianischen Psychoanalyse zählt zu den bedeutensten - wegen seiner Gesellschaftskritik und provozierenden Aussagen - aber auch zu den umstrittensten Denkern bzw. Intellektuellen der Gegenwart.


Wenn Herr K. einen Menschen liebte

"Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?" "Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., "und sorge, daß er ihm ähnlich wird." "Wer? Der Entwurf?" "Nein", sagte Herr K., "der Mensch."

Brecht, Bertolt (1950): Geschichten vom Herrn Keuner. Werke Band 5: Prosa.
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005: 216-231 (hier: 220)

Bertolt Brecht oder

Bert Brecht (1898-1956),

eigentlich Eugen Berthold Friedrich Brecht,
deutscher Dramatiker und Lyriker, Begründer des epischen bzw. dialektischen Theaters


In der Tat glauben viel zu viele, es sei schwer, vielleicht sogar unmöglich, die Wahrheit zu erkennen. Wer die Wahrheit erkennt, weiß etwas. Wer also glaubt, es sei unmöglich, die Wahrheit zu erkennen, glaubt damit, dass in Wirklichkeit niemand etwas weiß. Man nennt solche, die glauben, dass niemand etwas weiß: Skeptiker. Dogmatismus ist der Irrglaube, man könne etwas wissen, ohne Gefahr zu: laufen, sich zu täuschen. Sofern sich Skeptiker ihrer Sache sicher sind, spricht man in der Philosophie von negativem Dogmatismus. Skeptiker glauben (sozusagen wider besseres Wissen) zu wissen, dass niemand etwas weiß. Wie alIe Dogmatiker kann man sie nicht vom Gegenteil überzeugen, sie verharren in ihrem Irrtum.

(...)

Doch es ist schlichtweg falsch, dass es nur dasjenige gibt, was sich experimentell messen lässt. Das sieht man schon ganz einfach daran, dass sich die vermeintliche Wahrheit, dass e es nur dasjenige gibt, was sich experimentell messen lässt, nicht experimentell messen lässt.

Gabriel, M. (2019): Der nächste Fortschritt. Fakten, Fakes und der blinde Fleck: Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsglauben sind gerade beide verbreitet - und beide falsch. In Süddeutsche Zeitung v. 25.10.19 (Feuilleton): 11; der Autor ist Professor an der Universität Bonn

 


Kurt Tucholsky (1890-1935) war deutscher Journalist, Literatur- und Theaterkritiker und Schriftsteller. Unter verchiedenen Pseudonymen (Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel) veröffentlichte eine Reihe von Texten. Tucholsky war einer der bedeutendsten Publizisten in der Weimarer Republik und wichtiger Mitarbeiter der Zeitschrift "Die Schaubühne", die später in "Die Weltbühne") umbenannt wurde. Er starb 1935 (in Schweden) durch eine Überdosis des Schlafmittels 'Veronal' - ob in suizidaler Absicht ist nicht klar ...

In seinem letzten Brief (15.12.1935) an Arnold Zweig, der nach Palästina emigriert war, kritisiert er bitter den ausgebliebenen Widerstand  der deutschen Juden gegen die Nationalsozialisten und sein vergebliches politisches Engagment.

Das ist bitter, zu erkennen. Ich weiß es seit 1929 – da habe ich eine Vortragsreise gemacht und "unsere Leute" von Angesicht zu Angesicht gesehen, vor dem Podium, Gegner und Anhänger, und da habe ich es begriffen, und von da an bin ich immer stiller geworden. Mein Leben ist mir zu kostbar, mich unter einen Apfelbaum zu stellen und ihn zu bitten, Birnen zu produzieren. Ich nicht mehr. Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken – möge es Rußland erobern – ich bin damit fertig.

Tucholsky, K.: Politische Briefe. Reinbek 1984, S. 121

Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.

Tucholsky, K. (1921): Die Verteidigung des Vaterlandes. In: Die Weltbühne vom 6. Oktober 1921: 338f  [Werke über Zeno.org]

Der Zustand der gesamten menschlichen Moral läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don’t.

Tucholsky, K. (1931): So verschieden ist es im menschlichen Leben! Die Weltbühne. Jahrgang 27, Nummer 15 (14.4.1931): 542-543 (unter dem Pseudonym Peter Panter)

 


Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.

Meadows, D, & Meadows, D. & Zahn, E. & Milling, P. (1972): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rom zur Lage der Menschheit (hg. von J. Fest und W. Jobst). Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt: 16

Aus den Schlußfolgerungen des Club of Rome vor mehr als
40 Jahren ...

Der Club of Rome ist ein Zusammenschluss von Expert*innen verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern; er wurde 1968 in Rom gegründet:

wikipedia: Club of Rome

wikipedia: Die Grenzen des Wachstums


Psychologists/Psychotherapists 4 future

Webseite:

https://psychologistsforfuture.org

E-Mail:

mail@psychologistsforfuture.org

 

 

Sie [Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen] beteiligen sich darüber hinaus an der Erhaltung und Weiterentwicklung der soziokulturellen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die psychische Gesundheit der Menschen.

Bundespsychotherapeutenkammer (2007): Muster-Berufsordnung (i. d. F. der Beschlüsse des 7. Deutschen Psychotherapeutentages am 13.01.06, aktualisiert mit Beschluss des 11. DPT am 10. November 2007): § 1 (Berufsaufgaben) Abs. 2 Satz 2

Muster-Berufsordnung Bundespsychotherapeutenkammer (www.bptk.de)


Victor Klemperer (1881 - 1960),
 war ein deutscher Romanist und Politiker. Bekannt wurde er insbesondere durch seine Tagebücher "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten (1933–1945)", in denen er akribisch seine Alltagserfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus dokumentierte. Als intellektueller protestantischer Konvertit jüdischer Herkunft wurde er aus der deutschen Gesellschaft ausgrenzt.

Lingua Tertii Imperii: Sprache des Dritten Reiches

Anmerkung: Geschrieben hat Klemperer das Buch 1946, wie dem Brief an seine Frau (Seite 7) zu entnehmen ist

Man zitiert immer wieder Tallyrands Satz, die Sprache sei dazu da, die Gedanken des Diplomaten (oder eines schlauen und fragwürdigen Menschen überhaupt) zu verbergen. Aber genau das Gegenteil hiervon ist richtig. Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag.

Klemperer, V. (1957): LTI. Notizbuch einen Philologen. Leipzig: Reclam 18.Aufl. 1999: 20f


 Das für Freud und die Psychoanalyse zentrale Konzept der "Nachträglichkeit" greift das von Klemperer beschriebene Phänomen systematisch auf: Erinnerungen und frühere Erfahrungen erfahren eine psychische Umarbeitung und bekommen eine neue Bedeutung.

Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.

Klemperer, V. (1957): LTI. Notizbuch einen Philologen. Leipzig: Reclam 18.Aufl. 1999: 27


Nach dem bekannten Sprichwort können Worte niemals so weh tun, wie Stöcke und Steine, die Knochen brechen können. Die in diesem Buch versammelten Beiträge dokumentieren, daß das Gesprochenes und Geschriebenes Menschen nicht nur verletzen kann, sondern auch effektiver, systematischer und dauerhafter verletzen kann (...).

(Übersetzung JT)

According to the well-known proverb, words can never hurt you, unlike sticks and stones, which may brake your bones. The papers collected in this book document that talk and text not only may hurt you, they also may hurt you more effectively, more systematically, and more permanently (...).

Smitherman-Donaldson, G. & van Dijk, T. (1988): Introduction: Words that hurt. In: Discourse and Discrimination (hg. v. G. Smitherman-Donaldson, G. & T. van Dijk) Detroit: Wayne State University Press: 11-22 (Zitat: 11)

Link: books.google.de


Aus der Rede des österreichischen Schriftstellers Michael Köhlmeier am 4. Mai 2018 beim Gedenkakt des österreichischen Parlaments für die Opfer des Nationalsozialismus (in Anspielung auf die FPÖ).

Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, nie, sondern mit vielen kleinen. Von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan.

Köhlmeier, M. (2019): Rede am 4. Mai 2018 beim Gedenkakt des österreichischen Parlaments für die Opfer des Nationalsozialismus

Bericht mit Link zu youtube über: www.piqd.de (Dirk Liesemer)


Drum

 Wie dunkel ist der Lebenspfad,

Den wir zu wandeln pflegen.

Wie gut ist da ein Apparat

Zum Denken und Erwägen.

Der Menschenkopf ist voller List

Und voll der schönsten Kniffe;

Er weiß, wo was zu kriegen ist

Und lehrt die rechten Griffe.

Und weil er sich so nützlich macht,

Behält ihn jeder gerne.

Wer stehlen will, und zwar bei Nacht,

Braucht eine Diebslaterne.

Busch, W. (1904): Zu Guter Letzt. n: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. v. F. Bohne). Band IV: 287

Heinrich Christian Wilhelm Busch (1832-1908), Dichter und Zeichner

Zeichnung und Autograph: gemeinfrei (wikipedia.org)


[Blümlein]

Sie war ein Blümlein hübsch und fein,

Hell aufgeblüht im Sonnenschein.

Er war ein junger Schmetterling,

Der selig an der Blume hing.

Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm

Und nascht und säuselt da herum.

Oft kroch ein Käfer kribbelkrab

Am hübschen Blümlein auf und ab.

Ach Gott, wie das dem Schmetterling

So schmerzlich durch die Seele ging.

Doch was am meisten ihn entsetzt,

Das Allerschlimmste kam zuletzt.

Ein alter Esel fraß die ganze

Von ihm so heißgeliebte Pflanze.

Busch, W. (1874): Kritik des Herzens. In: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. v. F. Bohne). Band II: 522

Auf der Seite https://www.wilhelm-busch.de ist einiges aus dem Werk von Busch zu finden. Es handelt sich um die Seite eines Internetdienste-Anbieters, dessen Motivation mir nicht klar ist ...


 Rosen, Tanten, Basen, Nelken

Sind genötigt zu verwelken;

Ach – und endlich auch durch mich

Macht man einen dicken Strich

Busch, W. (1904): Tobias Knopp. In: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. v. F. Bohne). Band III: 13

 


 

Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist.

Die von Johann Strauss (Sohn) geschriebene Polka Mazurka "Glücklich ist, wer vergißt" wurde nach Motiven seiner Operette "Die Fledermaus" zusammengestellt. Das eigenständige Werk (op. 368) wurde im Oktober oder November 1874 uraufgeführt.


Vorbemerkung über Protestieren

Neinsagen ist die Formel des Protests. In einer Welt, die zu Protesten Anlaß bietet, scheint es nicht überflüssig zu sein, diese Formel zu untersuchen. Aber die Untersuchung stößt auf Schwierigkeiten. Nichts ist inhaltsleerer, allgemeiner als das Nein. Es kann sich gegen alles richten und sich mit allem verbünden. Nichts ist unselbständiger als das Nein. Es setzt eine Frage voraus, ist selbst nur die abschlägige Antwort (»nein«) auf eine Frage. Nichts ist überflüssiger als das Nein. Wem es um Erkenntnis zu tun ist, sollte das Nein unterdrücken und, sofern er etwas zu sagen hat, positive Vorschläge liefern. Nichts ist gefährlicher als das Nein. Nein ist nicht nur die Formel des Protests, sondern auch die Formel des Defaitismus. Wer auf dieser Formel beharrt, lehnt alles ab. Er lehnt nicht nur einzelne Ordnungen, sondern die Ordnung ab. Nein ist die Formel der Anarchie. – Nichts ist einfacher, als immerfort »nein« zu sagen. Es sei denn, daß eine Ordnung besteht, die das Neinsagen unter Strafe stellt.

(…)

Wie können wir protestieren gegen ein Stehen, das kein Stehen ist? Wie können wir protestieren, ohne daß unser Nein sich in den Beschränkungen verstrickt und ohne daß es von der ontologischen Dimension verschluckt wird? Wie können wir, protestierend, den zerstörerischen Konsequenzen des Protestieren entgehen? – Neinsagen ist die Formel des Protests. In einer Welt, die zu Protesten Anlaß bietet, scheint es nicht überflüssig zu sein, diese Formel zu untersuchen. Aber die Untersuchung stößt auf Schwierigkeiten. Wir vermuten, daß es die Schwierigkeiten des Neinsagens selber sind.

Heinrich, K. (1982): Versuch über die Schwierigkeiten Nein zu sagen. Basel: Stroemfeld/Roter Stern: 9ff

Klaus Heinrich (*1927), Professor  (emeritiert) für Religionswissenschaften (Schwerpunkt Religionsphilosophie); 1998 Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung; 2002 Verleihung des Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung); studentischer Mitbegründer der Freien Universität Berlin.


Jeder darf alles sagen - es gibt nur kein Grundrecht darauf, dass einem niemand widerspricht.

Jeder darf alles sagen - er muss nur damit rechnen, ausgegrenzt, verachtet, beschimpft, bedroht und in aller Öffentlichkeit als Idiot hingestellt zu werden.

Nuhr, D. (2020): Erregt Euch. Dieter Nuhr wird als Nazi beschimpft und als linker Hetzer und als schwule Sau. Erstaunlich, was ein Komiker in diesem Land mit ein paar Witzen auslösen kann (J. Biazza). In: Süddeutsch Zeitung v. 28.02.2020: 3

 


 

 

Jehuda Amichai (hebräisch יהודה עמיחי; ) wurde am 3. Mai 1924 als Ludwig Pfeuffer (Sohn des Kaufmanns Friedrich Moritz Pfeuffer) in Würzburg geboren und wuchs in einer vom jüdisch-orthodoxen Glauben geprägten Familie in Würzburg auf. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte die Familie 1935 nach Petach Tikwa (Palästina) und übersiedelte wenig später nach Jerusalem. Die Änderung des Familiennamens erfolgte 1946 (Amichai = Mein Volk lebt).

Amichai studierte ab 1946 am David-Yellin-Lehrerseminar, anschließend studierte er hebräische Literatur und Bibelwissenschaft. Nach seiner Tätigkeit als Lehrer arbeitete er als Hochschuldozent für hebräische Literatur. Er gilt als einer der meistgelesenen und bedeutendsten modernen israelischen Dichter und war einer der ersten, die in umgangssprachlichem Hebräisch schrieben.

Am 22. September 2000 starb Jehuda Amichai in Jerusalem.

 

 

Der Ort, an dem wir recht haben

An dem Ort, an dem wir recht haben,

werden niemals Blumen wachsen

im Frühjahr.

Der Ort, an dem wir recht haben,

ist zertrampelt und hart

wie ein Hof.

Zweifel und Liebe aber

lockern die Welt auf

wie ein Maulwurf, wie ein Pflug.

Und ein Flüstern wird hörbar

an dem Ort, wo das Haus stand,

das zerstört wurde.

Amichai, J. (1985): Zeit. Gedichte (aus dem Hebräischen von L. & P. Böhmer, Frankfurt/M.: Suhrkamp , 1. Aufl. 1998: 21


Interview mit Jürgen Habermas

So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.

Habermas, J. (2020) im Gespräch mit Markus Schwering: Philosophie. Jürgen Habermas über Corona: "So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie". Frankfurter Rundschau online (aktualisiert am 10.04.20 - 11:52): www.fr.de

Zitate in Zeiten von Corona - COVID 19

Bild von Frank Pfeiffer auf pixabay.com (lizenzfrei)

 


 

 

 

Die Fachanwältin für Medizinrecht (Heidelberg), Beate Bahner nach Ablehnung ihres Eilantrags durch das Bundesverfassungsgericht (Karfreitag, 10. April 2020, 17.30 Uhr) ihre Anwaltszulassung zurückgegeben. Zuvor war ein polizeiliches Ermittlungsverfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu einer Straftat nach § 111 StGB wegen Einladung zur Demonstration "Coronoia" am (geplant für Ostersamstag) gegen sie eingeleitet worden Daraufhin reichte die Rechtsanwältin Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgerichts wegen Angriffs auf den Bestand der Bundesrepublik Deutschland durch die Corona-Verordnungen aller 16 Bundesländer).

 

Auch wenn man einige ihrer Argumente inhaltlich durchaus nachvollziehen kann, hat die Radikalität ihrer Ansichten und der daraus resultierenden Handlungen (mit weitreichender Wirkung auch auf Dritte) etwas zutiefst Erschreckendes und offenbart ein Potential, das uns allen innewohnt, aber eher selten in dieser Destruktivität an die Oberfläche kommt. Vermutlich war die erlebte Kränkung (polizeiliche Ermittlung, einschließlich vorübergehender Abschaltung ihrer Webseite) und die Ablehnung des Eilantrags nur der letzte Tropfen …

 

 

Sehr gerne habe ich Sie über 25 Jahre als Anwältin begleitet und mich für Ihr gutes Recht eingesetzt.

Mit der Entscheidung des BVerfG vom Karfreitag, 10. April 2020 habe ich meine Anwaltszulassung zurückgegeben.

Es ist mir leider nicht gelungen, den Rechtsstaat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland, insbesondere unsere verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte und die unverbrüchlichen Menschenrechte vor dem schlimmsten weltweiten Angriff und der blitzschnellen  Etablierung der menschenverachtensten Tyrannei zu retten, die die Welt jemals gesehen hat.

Damit ist heute unser Rechtsstaat gestorben, den wir noch letztes Jahr mit dem 70-jährigen Bestehen unseres Grundgesetzes so stolz gefeiert haben.

Unser Rechtsstaat lag schon seit zwei Wochen sterbend auf der Intensivstation und konnte von mir leider nicht wiederbeatmet werden. Es fehlten 83 Millionen Beatmungsgeräte.

In dieser Diktatur kann auch ich leider nichts mehr für Sie tun.

Ich war sehr gerne für Sie da und bedanke mich ganz herzlich bei allen Menschen, die mich in der Woche vom Freitag, 3. April 2020 bis Karfreitag, 10. April 2020 unterstützt und begleitet haben.

Ihre Beate Bahner, Rechtsanwältin

www.beatebahner.de (heruntergeladen am 11.04.2020 - 11:05)


Der Karikaturist Klaus Stuttmann hat auf seiner Webseite eine Reihe von Karikaturen veröffentlich - einige zum Schmunzeln, andere lassen (mich) das Lächeln gefrieren ....

Freundlicherweise hat mir Herr Stuttmann erlaubt (18.04.20) einige seiner Zeichnungen zu veröffentlichen.

Ich empfehle einen Besuch auf seiner Webseite:

www.stuttmann-karikaturen.de

 

Karikatur vom 10.04.2020 Karikatur vom 30.03.2020

Karikatur vom 07.04.2020

Karikatur vom 06.04.2020

 

Die wesentliche Konsequenz unserer vorangehenden Ausführungen ist, daß der Mensch, dazu verurteilt, frei zu sein, das Gewicht der gesamten Welt auf seinen Schultern trägt: er ist für die Welt und für sich selbst als Seinsweise verantwortlich.

Sartre, J.-P. (1943): L'être et le néant. Essaie d'ontologie phénoménologique. Paris: Gallimard. Deutsch: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 21. Aufl. 2019: 950

 


 

Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, anderweit aber dennoch frei, da er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut.

Was wir sagen wollen ist, daß ein Mensch nichts anderes ist als eine Reihe von Unternehmungen, daß er die Summe, die Durchgliederung, die Gesamtheit der Beziehungen ist, welche diese Unternehmungen ausmachen.

Sartre, J.-P. (1946): L'Existentialisme est un humanisme. Deutsch: Der Existentialismus ist ein Humanismus? In: Drei Essays. Frankfurt/M.: Ullstein, 10. Aufl. 2019 (145-192): 16 und 23

 


Jeder Tag ist ein kleines Leben, — jedes Erwachen und Aufstehn eine kleine Geburt, jeder frische Morgen eine kleine Jugend, und jedes zu Bette gehn und Einschlafen ein kleiner Tod.

Schopenhauer, A. (1913): Aphorismen zur Lebensweisheit: Düsseldorf: Ernst Ohle

online: gutenberg (Kapitel V, Abschnitt B)

 

 

zeno.org

 

 

 

 

Was klagst du über Feinde?

Sollten solche je werden Freunde,

Denen das Wesen, wie du bist,

Im stillen ein ewiger Vorwurf ist?

Goethe, J. W. von  (1819): West-Östlicher Diwan. Berliner Ausgabe, Band 3 (Hrsg. v. S. Seidel). Berlin: Aufbau, 1960: 71


Kurt Eisner (1867-1919)

Karl Landauer zitierte dieses Vers, den Kurt Eisner als  Achtzehnjähriger schrieb bei seiner Trauerrede für ihn am 26.02.1918 auf dem Ostfriedhof in München. Eisner, der Anführer der Novemberrevolution in München und erster Ministerpräsident des Freistaat Bayerns, wurde von einem militaristischen und antisemitischen Burschenschaftler, Anton Graf von Arco auf Valley, am 21.02.1919 (Ecke Bayerischer Hof/Prannerstraße, München) ermordet.

Nur der lebt wahr,

der lebt in andern,

und sterben ist's

allein zu wandern.

Eisner, K. (1885): zit. nach V. Weidermann (2019): Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen. München: btb Verlag: 130


Die Urne mit der Asche Eisners wurde am Ostfriedhof beigesetzt. 1933 wurde sie auf Betreiben der nationalsozialistischen Stadträte Christian Weber und Hans Zöberlein auf den Neuen Israelitischen Friedhof (Garchingerstraße, Freimann) in ein Urnengrab umgebettet, unmittelbar neben Gustav Landauer, der wenige Wochen nach Eisner von Freikorpssoldaten ermordet worden war. Der auf dem Ostfriedhof 1922 errichtete Gedenkstein wurde im Juni 1933 entfernt und 1954 wieder errichtet. Er erinnert an Kurt Eisner und die Toten der Revolution 1919.

Kurt Eisner lieget hie,

Der Plänereiche:

Einst zweifelhaft Genie,

Jetzt sicher Leiche.

Eisner, K. (3.12.1888): An meinen Biographen d. h. Grabsteindichter. Zit. nach V. Weidermann (2019): Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen. München: btb Verlag: 133

online: www.kurt-eisner-werke.org

 


Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat gesund zu sein.

Brecht, B. (1928): Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 21: Schriften 1.

www.dslv-bayern.de

 


Unterwegs

Generation ohne Abschied

Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist Abgrund. Wir sind die Generation ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied. Unsere Sonne ist schmal, unsere Liebe grausam und unsere Jugend ist ohne Jugend. Und wir sind die Generation ohne Grenze, ohne Hemmung und Behütung — ausgestoßen aus dem Laufgitter des Kindseins in eine Welt, die die uns bereiten, die uns darum verachten.

Aber sie gaben uns keinen Gott mit, der unser Herz hätte halten können, wenn die Winde dieser Welt es umwirbelten. So sind wir die Generation ohne Gott, denn wir sind die Generation ohne Bindung, ohne Vergangenheit, ohne Anerkennung.

Und die Winde der Welt, die unsere Füße und unsere Herzen zu Zigeunern auf ihren heißbrennenden und mannshoch verschneiten Straßen gemacht haben, machten uns zu einer Generation ohne Abschied.

Wir sind die Generation ohne Abschied. Wir können keinen Abschied leben, wir dürfen es nicht, denn unserm zigeunernden Herzen geschehen auf den Irrfahrten unserer Füße unendliche Abschiede. Oder soll sich unser Herz binden für eine Nacht, die doch einen Abschied zum Morgen hat? Ertrügen wir den Abschied? Und wollten wir die Abschiede leben wie ihr, die anders sind als wir und den Abschied auskosteten mit allen Sekunden, dann könnte es geschehen, daß unsere Tränen zu einer Flut ansteigen würden, der keine Dämme, und wenn sie von Urvätern gebaut wären, widerstehen.

Nie werden wir die Kraft haben, den Abschied, der neben jedem Kilometer an den Straßen steht, zu leben, wie ihr ihn gelebt habt.

Sagt uns nicht, weil unser Herz schweigt, unser Herz hätte keine Stimme, denn es spräche keine Bindung und keinen Abschied. Wollte unser Herz jeden Abschied, der uns geschieht, durchbluten, innig, trauernd; tröstend, dann könnte es geschehen, denn unsere Abschiede sind eine Legion gegen die euren, daß der Schrei unserer empfindlichen Herzen so groß wird, daß ihr nachts in euren Betten sitzt und um einen Gott für uns bittet.

Darum sind wir eine Generation ohne Abschied. Wir verleugnen den Abschied, lassen ihn morgens schlafend, wenn wir gehen, verhindern ihn, sparen ihn — sparen ihn uns und den Verabschiedeten. Wir stehlen uns davon wie Diebe, undankbar dankbar und nehmen die Liebe und lassen den Abschied da.

Wir sind voller Begegnungen, Begegnungen ohne Dauer und ohne Abschied, wie die Sterne. Sie nähern sich, stehen Lichtsekunden nebeneinander, entfernen sich wieder: ohne Spur, ohne Bindung, ohne Abschied.

Wir begegnen uns unter der Kathedrale von Smolensk, wir sind ein Mann und eine Frau — und dann stehlen wir uns davon.

Wir begegnen uns in der Normandie und sind wie Eltern und Kind — und dann stehlen wir uns davon.

Wir begegnen uns eine Nacht am finnischen See und sind Verliebte — und dann stehlen wir uns davon.

Wir begegnen uns auf einem Gut in Westfalen und sind Genießende und Genesende — und dann stehlen wir uns davon.

Wir begegnen uns in einem Keller der Stadt und sind Hungernde, Müde, und bekommen für nichts einen guten satten Schlaf — und dann stehlen wir uns davon.

Wir begegnen uns auf der Welt und sind Mensch mit Mensch — und dann stehlen wir uns davon, denn wir sind ohne Bindung, ohne Bleiben und ohne Abschied. Wir sind eine Generation ohne Abschied, die sich davonstiehlt wie Diebe, weil sie Angst hat vor dem Schrei ihres Herzens. Wir sind eine Generation ohne Heimkehr, denn wir haben nichts, zu dem wir heimkehren könnten, und wir haben keinen, bei dem unser Herz aufgehoben wäre — so sind wir eine Generation ohne Abschied geworden und ohne Heimkehr.

Aber wir sind eine Generation der Ankunft. Vielleicht sind wir eine Generation voller Ankunft auf einem neuen Stern, in einem neuen Leben. Voller Ankunft unter einer neuen Sonne, zu neuen Herzen. Vielleicht sind wir voller Ankunft zu einem neuen Lieben, zu einem neuen Lachen, zu einem neuen Gott.

Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, daß alle Ankunft uns gehört.

Borchert, Wolfgang (1940-45): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt 1949: 58ff

Hinweis zum Copyright: Die Texte sind, 70 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Borchert (1947), gemeinfrei.

Wolfgang Borchert (1921-1947), deutscher Schriftsteller (er wird als Vertreter der Kahlschlags- oder Trümmerliteratur bezeichnet).

Bereits in seiner Jugend schrieb Borchert zahlreiche Gedicht und strebte dann den Beruf des Schauspielers an. Kurz nach der Ausbildung und einem ersten Engagement in einem Tourneetheater wurde er 1941 zum Kriegsdienst in die Wehrmacht eingezogen und musste am sogenannten Rußlandfeldzug" teilnehmen, wo er sich schwere Verwundungen und Infektionen zuzog. Wegen seiner Kritik am  Nationalsozialismus und "Wehrkraftzersetzung" wurde er mehrfach verurteilt und inhaftiert.

Wolfgang Borchert starb am 20. November 1947 an den Folgen einer überempfindlichen Leber, die durch andauernde Ernährungsmängel immer weiter geschädigt worden und am Ende zu enormer Größe angeschwollen war.

Sein bekanntestes Stückt ist das Drama "Draußen vor der Tür" (im Gesamtwerk: 97-162). Er schrieb es im Spätherbst 1946 in wenigen Tagen, und wenige Monate vor seinem Tod. Nach einer Hörspielfassung im Februar 1947 erfolgte die Uraufführung einen Tag nach seinem Tod unter Leitung von Ida Ehre, der Gründerin und Leiterin der Hamburger Kammerspiele.

Anmerkung:

Auch mehr als sieben Jahrzehnten nach dem "Krieg" ist schwer zu ertragen, was Borchert hier beschreibt: Vom und nach dem Krieg - und was die Deutschen unter der Oberfläche von Demokratie, Sozialismus und Kapitalismus ("sozialer Marktwirtschaft") geprägt hat.


Gewiss üben die Massen ihre Wirkungskraft stets unbewusst aus. Aber vielleicht ist gerade dies Unbewusste das Geheimnis ihrer Kraft. In der Natur gibt es Wesen, die nur aus Instinkt handeln und Taten vollbringen, deren wunderbare Mannigfaltigkeit wir anstaunen. Der Gebrauch der Vernunft ist für die Menschheit noch zu neu und zu unvollkommen, um die Gesetze des Unbewussten enthüllen zu können und besonders, um es zu ersetzen. Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der Vernunft sehr klein. Das Unbewusste ist eine Wirkungskraft, die wir noch nicht erkennen können. Wollen wir uns also in den engen, aber sicheren Grenzen der wissenschaftlich erkennbaren Dinge halten und nicht auf dem Felde unbestimmter Vermutungen und nichtiger Voraussetzungen umherirren, so dürfen wir nur die Erscheinungen feststellen, die uns zugänglich sind, und müssen uns damit begnügen. Jede Folgerung, die wir aus unseren Beobachtungen ziehen, ist meistens voreilig; denn hinter den wahrgenommenen Erscheinungen gibt es solche, die wir undeutlich sehen, und hinter diesen wahrscheinlich noch andere, die wir überhaupt nicht erkennen.

Le Bon, G. (1911): Psychologie der Massen . Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft 3. Aufl. 2019 (übers. v. R. Eisler nach der Ausgabe 1911): 19 (aus dem Vorwort von G. Le Bon zur ersten Ausgabe 1895)

Gustave Le Bon (1841-1931), französischer Mediziner, Anthropologe, Psychologe, Soziologe und Erfinder.

Er gilt als einer der Begründer der Massenpsychologie, einem Teilgebiet der Sozialpsychologie. Sein bekanntestes Buch und bis heute immer wieder aufgelegtes Buch "Psychologie der Massen" hatte weitreichende Wirkung u. a. auch auf Max Weber und Sigmund Freud.

online über Internet Archieve: https://archive.org/details/Le-Bon-Gustave-Psychologie-der-Massen/mode/2up

Anmerkung:

Nicht ohne weiteres ist hier zu erkennen, daß der Text nicht von S. Freud stammt, sondern eben von Gustave Le Bon - zu einer Zeit, da Freud in den Anfangen der von ihm erarbeiteten Psychoanalyse stand.

In seinem Werk "Massenpsychologie und Ich-Analyse" setzt er sich 1921 mit dem Werk Le Bons auseinander (1921c, GW XIII: 71-161) auseinander. Zunächst erweitert er Le Bons Verwendung des Unbewußten als tiefstem Merkmal der archaischen Rasseseele – in der Psychoanalyse als "Kern des Ichs (das Es, wie ich es später genannt habe), dem die »archaische Erbschaft« der Menschenseele angehört" – und sondert davon das »unbewußte Verdrängte« ab, welches aus einem Anteil dieser Erbschaft hervorgegangen ist. Dieser Begriff des Verdrängten fehlt bei Le Bon" (GW XIII: 79 Fn 1). Er stimmt in der Folge zentralen Aussagen Le Bons zu, so der Beschreibung der Massenseele (GW XIII, 82), hält die Aussagen Le Bons über die Führer der Massen aber für "weniger erschöpfend und läßt das Gesetzmäßige nicht so deutlich durchschimmern." (GW XIII, 86)

 


Volkslied

War es im Walde,

waren die Wege verschneit,

gingen die Kinder,

gingen im Walde zu weit.

Über die Heide

sangen sie, lachten sie gern,

hörten vom Berge

Stimmchen wie Silber so fern. 

Schön sind die Tannen,

duftig das funkelnde Eis.

Furcht auf den Wangen

glüht wie ein Öfchen so heiß.

Daß ich dich liebe –

bin wie die Kinder im Wald.

Sie sind erfroren.

Folg ihnen bald..

Kerckhoff, S. (1950): Berliner Zeitung v. 11.03.1950

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr. 139, Freitag, 19.06.2020: 11 (IMG)

Drei Tage nach der Veröffentlichung, in der Nacht v. 14. auf den 15. März 1950, nahm sich die Schriftstellerin, Lyrikerin und Journalistin Susanne Kerckhoff mit 32 Jahren das Leben.

In ihrem Abschiedsbrief schreibt sie:

An meine Freunde. Die Ursache, die im wesentlichen meinen Selbstmord bewirkt, ist der Verlust meiner Kinder. Meine letzten Gedanken gelten, trotz meiner persönlichen Schwäche, ganz allein dem Gedeihen der   Deutschen Demokratischen Republik, der ich stärkere und fähigere und tapferere Menschen wünsche, als ich es bin.

Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung. Lernen aus der Geschichte – LaG – Material: Das Gedicht "Volkslied" von Susanne Kerckhoff (5.2.1918-15.3.1950) aus biografischer Sicht. Zum LaG-Magazin 08/2013 (Webseite)

 


Es hört doch jeder nur, was er versteht

Goethe, J. W. von (1950): Berliner Ausgabe. Herausgegeben von Siegfried Seidel: Poetische Werke [Band 1–16]; Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen [Band 17–22], Berlin: Aufbau, 1960 ff. Band 18: 611

online: www.zeno.org

 

 


Sigmund Freud (1856-1939)

VERGÄNGLICHKEIT

Anmerkung:

Der Spaziergang fand Anfang September 1913, anlässlich des 4. Kongresses der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) in München statt (also im Übergang von Sommer zu Herbst) der "junge(n), bereits rühmlich bekannte(n)" Dichter ist Rainer Maria Rilke, der "schweigsame(n)" Freund vermutlich C. G. Jung (am Beginn des Bruches der Freundschaft mit Freud). Lou Andreas-Salomé hatte Freud den Dichter auf der Tagung vorgestellt.

Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen Freundes und eines jungen, bereits rühmlich bekannten Dichters einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft. Der Dichter bewunderte die Schönheit der Natur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen. Ihn störte der Gedanke, daß all diese Schönheit dem Vergehen geweiht war, daß sie im Winter dahingeschwunden sein werde, aber ebenso jede menschliche Schönheit und alles Schöne und Edle, was Menschen geschaffen haben und schaffen könnten. Alles, was er sonst geliebt und bewundert hätte, schien ihm entwertet durch das Schicksal der Vergänglichkeit, zu dem es bestimmt war.

Wir wissen, daß von solcher Versenkung in die Hinfälligkeit alles Schönen und Vollkommenen zwei verschiedene seelische Regungen ausgehen können. Die eine führt zu dem schmerzlichen Weltüberdruß des jungen Dichters, die andere zur Auflehnung gegen die behauptete Tatsächlichkeit. Nein, es ist unmöglich, daß all diese Herrlichkeiten der Natur und der Kunst, unserer Empfindungswelt und der Welt draußen, wirklich in Nichts zergehen sollten. Es wäre zu unsinnig und zu frevelhaft, daran zu glauben. Sie müssen in irgendeiner Weise fortbestehen können, allen zerstörenden Einflüssen entrückt.

Allein diese Ewigkeitsforderung ist zu deutlich ein Erfolg unseres Wunschlebens, als daß sie auf einen Realitätswert Anspruch erheben könnte. Auch das Schmerzliche kann wahr sein. Ich konnte mich weder entschließen, die allgemeine Vergänglichkeit zu bestreiten, noch für das Schöne und Vollkommene eine Ausnahme zu erzwingen. Aber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, daß die Vergänglichkeit des Schönen eine Entwertung desselben mit sich bringe.

Im Gegenteil, eine Wertsteigerung! Der Vergänglichkeitswert ist ein Seltenheitswert in der Zeit. Die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erklärte es für unverständlich, wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte. Was die Schönheit der Natur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerstörung durch den Winter im nächsten Jahre wieder, und diese Wiederkehr darf im Verhältnis zu unserer Lebensdauer als eine ewige bezeichnet werden. Die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts sehen wir innerhalb unseres eigenen Lebens für immer schwinden, aber diese Kurzlebigkeit fügt zu ihren Reizen einen neuen hinzu. Wenn es eine Blume gibt, welche nur eine einzige Nacht blüht, so erscheint uns ihre Blüte darum nicht minder prächtig. Wie die Schönheit und Vollkommenheit des Kunstwerks und der intellektuellen Leistung durch deren zeitliche Beschränkung entwertet werden sollte, vermochte ich ebensowenig einzusehen. Mag eine Zeit kommen, wenn die Bilder und Statuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein Menschengeschlecht nach uns, welches die Werke unserer Dichter und Denker nicht mehr versteht, oder selbst eine geologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt ist, der Wert all dieses Schönen und Vollkommenen wird nur durch seine Bedeutung für unser Empfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbst nicht zu überdauern und ist darum von der absoluten Zeitdauer unabhängig.

Ich hielt diese Erwägungen für unanfechtbar, bemerkte aber, daß ich dem Dichter und dem Freunde keinen Eindruck gemacht hatte. Ich schloß aus diesem Mißerfolg auf die Einmengung eines starken affektiven Moments, welches ihr Urteil trübte, und glaubte dies auch später gefunden zu haben. Es muß die seelische Auflehnung gegen die Trauer gewesen sein, welche ihnen den Genuß des Schönen entwertete. Die Vorstellung, daß dieses Schöne vergänglich sei, gab den beiden Empfindsamen einen Vorgeschmack der Trauer um seinen Untergang, und da die Seele von allem Schmerzlichen instinktiv zurückweicht, fühlten sie ihren Genuß am Schönen durch den Gedanken an dessen Vergänglichkeit beeinträchtigt.

Die Trauer über den Verlust von etwas, das wir geliebt oder bewundert haben, erscheint dem Laien so natürlich, daß er sie für selbstverständlich erklärt. Dem Psychologen aber ist die Trauer ein großes Rätsel, eines jener Phänomene, die man selbst nicht klärt, auf die man aber anderes Dunkle zurückführt. Wir stellen uns vor, daß wir ein gewisses Maß von Liebesfähigkeit, genannt Libido, besitzen, welches sich in den Anfängen der Entwicklung dem eigenen Ich zugewendet hatte. Später, aber eigentlich von sehr frühe an, wendet es sich vom Ich ab und den Objekten zu, die wir solcher Art gewissermaßen in unser Ich hineinnehmen. Werden die Objekte zerstört oder gehen sie uns verloren, so wird unsere Liebesfähigkeit (Libido) wieder frei. Sie kann sich andere Objekte zum Ersatz nehmen oder zeitweise zum Ich zurückkehren. Warum aber diese Ablösung der Libido von ihren Objekten ein so schmerzhafter Vorgang sein sollte, das verstehen wir nicht und können es derzeit aus keiner Annahme ableiten. Wir sehen nur, daß sich die Libido an ihre Objekte klammert und die verlorenen auch dann nicht aufgeben will, wenn der Ersatz bereit liegt. Das also ist die Trauer.

Die Unterhaltung mit dem Dichter fand im Sommer vor dem Kriege statt. Ein Jahr später brach der Krieg herein und raubte der Welt ihre Schönheiten. Er zerstörte nicht nur die Schönheit der Landschaften, die er durchzog, und die Kunstwerke, an die er auf seinem Wege streifte, er brach auch unseren Stolz auf die Errungenschaften unserer Kultur, unseren Respekt vor so vielen Denkern und Künstlern, unsere Hoffnungen auf eine endliche Überwindung der Verschiedenheiten unter Völkern und Rassen. Er beschmutzte die erhabene Unparteilichkeit unserer Wissenschaft, stellte unser Triebleben in seiner Nacktheit bloß, entfesselte die bösen Geister in uns, die wir durch die Jahrhunderte währende Erziehung von seiten unserer Edelsten dauernd gebändigt glaubten. Er machte unser Vaterland wieder klein und die andere Erde wieder fern und weit. Er raubte uns so vieles, was wir geliebt hatten, und zeigte uns die Hinfälligkeit von manchem, was wir für beständig gehalten hatten.

Es ist nicht zu verwundern, daß unsere an Objekten so verarmte Libido mit um so größerer Intensität besetzt hat, was uns verblieben ist, daß die Liebe zum Vaterland, die Zärtlichkeit für unsere Nächsten und der Stolz auf unsere Gemeinsamkeiten jäh verstärkt worden sind. Aber jene anderen, jetzt verlorenen Güter, sind sie uns wirklich entwertet worden, weil sie sich als so hinfällig und widerstandsunfähig erwiesen haben? Vielen unter uns scheint es so, aber ich meine wiederum, mit Unrecht. Ich glaube, die so denken und zu einem dauernden Verzicht bereit scheinen, weil das Kostbare sich nicht als haltbar bewährt hat, befinden sich nur in der Trauer über den Verlust. Wir wissen, die Trauer, so schmerzhaft sie sein mag, läuft spontan ab. Wenn sie auf alles Verlorene verzichtet hat, hat sie sich auch selbst aufgezehrt, und dann wird unsere Libido wiederum frei, um sich, insofern wir noch jung und lebenskräftig sind, die verlorenen Objekte durch möglichst gleich kostbare oder kostbarere neue zu ersetzen. Es steht zu hoffen, daß es mit den Verlusten dieses Krieges nicht anders gehen wird. Wenn erst die Trauer überwunden ist, wird es sich zeigen, daß unsere Hochschätzung der Kulturgüter unter der Erfahrung von ihrer Gebrechlichkeit nicht gelitten hat. Wir werden alles wieder aufbauen, was der Krieg zerstört hat, vielleicht auf festerem Grund und dauerhafter als vorher.

Freud, S. (1916b): Vergänglichkeit. GW X: 358-361


Prof. Dr. Hans-Peter Erb ist Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg

Dunning-Kruger-Effekt: Damit ist gemeint, dass Leute, die wenig Ahnung haben, nicht merken, dass sie wenig Ahnung haben. Und das liegt daran, dass sie wenig Ahnung haben.

(...)

Wir haben eine Entwicklung hin zum Individualismus in unserer Gesellschaft.

(...)

Wenn wir das übertragen, müsste auch der Dunning-Kruger-Effekt stärker werden: Dass wir uns alle überschätzen als noch vor 30, 40 Jahren. Die Tendenz geht jedenfalls in diese Richtung.

Erb, H.-P. (2020): In: Labern und labern lassen. Ist der Fußball nicht eigentlich kaputt? Sicher, trotzdem schauen alle zu und reden darüber, wenn die Liga jetzt wieder anfängt. Und besser Millionen Bundestrainer als Millionen Virologen. Ein Lob des Fußballs als Gesprächsgegenstand (H. Gerz). Süddeutsche Zeitung Nr. 216 (18.09.2020): 3


Eyes Full Of Rage

One day you'll wake up to find

They've taken possession of your mind

They'll make you into a number, they'll take away your choice

They're going to make you into a zombie without a voice

(chorus)

With your eyes full of rage, eyes full of rage

With your eyes full of rage, and a heart full of hate

Life as once we knew it is now dying

White rights are disappearing form the earth

They'll take away our birthrights, take away our lands

They're going to take away what was ours since time began

It's time that we all stood up for our nations

It's time that we all made that sacrifice

We'll stand against the traitors, we'll stand up for our rights

And we will never give them up without a fight

Skrewdriver (1991): Album "After the Fire", Track 5

Augen voller Wut

Eines Tages wirst du aufwachen und merken

Sie haben deinen Verstand in Besitz genommen

Sie werden dich zu einer Nummer machen, sie werden dir deine Wahl nehmen

Sie werden dich zu einem Zombie ohne Stimme machen

(Chor)

Mit deinen Augen voller Wut, Augen voller Wut

Mit deinen Augen voller Wut und einem Herzen voller Hass

Das Leben, wie wir es einst kannten, stirbt jetzt

Weiße Rechte verschwinden von der Erde

Sie werden unsere Geburtsrechte wegnehmen, unser Land wegnehmen

Sie werden wegnehmen, was uns schon immer gehört hat

Es ist Zeit, dass wir uns alle für unsere Nationen einsetzen

Es ist Zeit, dass wir alle dieses Opfer bringen

Wir werden uns gegen die Verräter stellen, wir werden uns für unsere Rechte einsetzen

Und wir werden sie niemals kampflos aufgeben

(Übersetzung JT)

Wikipedia (heruntergeladen 19.09.2020):

"Skrewdriver (englisch abgewandelt von screwdriver‹ Schraubendreher) war eine britische Musikgruppe aus Blackpool. Sie wurde 1976 als Punk-Band gegründet und entwickelte sich später zu einer international bekannten neonazistischen Band. Sie gilt als Vorreiter der Rechtsrock-Szene und war Zugpferd des rassistischen und neonazistischen Netzwerks Rock Against Communism. Später war sie eine der Gründungsbands von Blood and Honour. Leadsänger und Haupttexter Ian Stuart Donaldson war bis zu seinem Tod am 24. September 1993 eine Leitfigur der internationalen Rechtsrock-Szene und wird seit seinem Tod als Märtyrer verehrt."

Anmerkung: Auf diesen Liedtext stieß ich durch einen Vortrag des Historikers Prof. Dr. Roger Griffin im Rahmen des Symposiums "Attraktion von Hasspolitik" (Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München, DPG-AG München, Brockhaus-Stiftung) am 18.09.2020: "Wie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit Hass attraktiv machen kann". Seiner These würde ich als Psychoanalytiker nicht uneingeschränkt zustimmen. Die unbewußte Dimension und Grundlage des sicherlich bestehenden Bedürfnisses nach Zugehörigkeit, das durch gesellschaftliche Prozesse der Ungleichheit und erlebten/realen Ungerechtigkeit verstärkt wird, taucht hier nicht auf: Aggression infolge nicht bewältigter Trauer angesichts von Frustrations- und Trennungserlebnissen. Der Haß, der ursprünglich denjenigen galt, die das verursacht haben, wird verschoben und projiziert auf jene, die in der Gegenwart vermeintlich alles bekommen und es denen, die ein Recht darauf haben, wegnehmen.


Zum Abendessen gab es Koteletts, Kartoffeln und — für wen auch immer — Salat. Francis beobachtete, wie die Chedwicks das Fleisch kleinschnitten und es sich genussvoll in den Mund schoben. Beide waren ziemlich übergewichtig, Sex hatten sie bestimmt keinen mehr. Sie hatten das Lustzentrum vom Schlafzimmer in die Küche verlegt. War aber okay, weil es für sie zu funktionieren schien. Ihre Lebenseinstellung lautete ungefähr so: »Wenn Du mal nicht weiterweißt, schmeiß ein Steak auf den Grill.«

Wells, B. (2011): Fast genial. Zürich: Diogenes; Diogenes Deluxe 2015: 31f

 


 

It’s easier to be a parent this morning. It’s easier to be a dad. It’s easier to tell your kids character matters. It matters. Telling the truth matters. Being a good person matters. And it’s easier for a whole lot of people. If you’re Muslim in this country, you don’t have to worry if the president doesn’t want you here. If you’re an immigrant, you don’t have to worry if the president is going to be happy to have babies snatched away, send dreamers back for no reason.

It’s vindication for a lot of people who have really had suffered. You know, "I can’t breathe", that wasn’t just George Floyd. That was a lot of people who felt they couldn’t breathe. Every day you’re waking up you’re getting these tweets and you just don’t know. And you’re going to the store and people who have been afraid to show their racism get nastier and nastier to you. And you’re worried about your kids and you’re worried about your sister and can she just go to Walmart and get back into her car without somebody saying something to her. And you spend so much of your life energy just trying to hold it together. And this is a big deal for us just to be able to get some peace and have a chance for a reset.

And the character of the country matters. And being a good man matters. I just want my sons to look at this. It's easier to do it the cheap way and get away with stuff. But it comes back around. It comes back around. And it’s good for this country. I’m sorry for the people who lost. For them it’s not a good day. But for a whole lot of people, it’s a good day.

 

Heute Morgen ist es einfacher, Eltern zu sein. Es ist einfacher, Vater zu sein. Es ist einfacher, deinen Kindern zu erklären daß Charakter wichtig ist . Er ist wichtig. Die Wahrheit zu sagen, ist wichtig! Ein guter Mensch zu sein, ist wichtig. Und es ist einfacher für eine ganze Menge Menschen. Wenn Sie ein Moslem in diesem Land sind , müssen Sie sich keine Sorgen machen, wenn der Präsident Sie nicht hier haben will. Wenn Sie ein Einwanderer sind, müssen Sie sich keine Sorgen machen, ob der Präsident Freude daran hat Babies wegzunehmen und "dreamers" ohne Grund zurückzuschicken.

Das ist eine Wiedergutmachung für viele Menschen, die wirklich gelitten haben. Wissen Sie "I can't breathe?", das war nicht nur George Floyd. Es gibt viele Leute, die das Gefühl hatten, nicht atmen zu können. Jeden Tag, wenn du aufwachst, bekommst du diese Tweets und du weißt einfach nicht. Und du gehst in den Laden und Menschen, die sich nicht getraut hatten, ihren Rassismus zu zeigen, werden widerlicher und widerlicher zu dir. Und du machst dir Sorgen um deine Kinder und um deine Schwester. Kann sie nicht einfach zu Walmart gehen und wieder in ihr Auto steigen, ohne dass jemand etwas zu ihr sagt? Und du hast so viel von deiner Lebensenergie aufgewendet, nur um dich zusammenzureißen. Und das ist eine große Sache für uns, nun in der Lage zu sein, etwas Frieden zu bekommen und die Chance auf einen Neuanfang zu haben.

Der Charakter des Landes ist wichtig. Und ein guter Mensch zu sein ist wichtig. Ich möchte nur, dass meine Söhne sich das ansehen. Es ist einfacher es auf die billige Weise zu tun und mit solchen Sachen davonzukommen. Aber sie kommen zurück. Sie sie kommen zurück. Und es ist ein guter Tag für dieses Land. Es tut mir leid für die Leute, die verloren haben. Für sie ist es kein guter Tag. Aber für sehr viele Menschen ist es ein guter Tag.

(Übersetzung JT)

Van Jones, 52-jähriger Politikwissenschaftler im Interview bei CNN live in der Sendung am 7.11.2020, vom Moderator unmittelbar nach der Verkündung des Wahlsiegs von Joe Biden über Donald Trump befragt - und mit den Tränen kämpfend ...

online: https://edition.cnn.com/2020/11/07/opinions/the-election-is-a-huge-relief-van-jones/index.html

 


Willy Brandt: Der Kniefall von Warschau

7.12.1970

 

Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland.

Schreiber, H. (1970): Ein Stück Heimkehr. SPIEGEL-Reporter Hermann Schreiber mit Bundeskanzler Brandt in Warschau. Spiegel 51 (14.12.1970): 29

online: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/43822428

Anmerkung: Ob deutsche Briefmarken als amtliche Werke gemeinfrei sind, ist seit langem zwischen der Literatur und Gerichten umstritten. Sollte die/der jeweilige Rechteinhaber*in nicht mit der Abbildung auf dieser Seite einverstanden sein, werde ich sie unverzüglich entfernen.

 



 

Theodor Shitstorm alias Desiree Klaeukens und Dietrich Brüggemann, veröffentlichten dieses Lied im März 2020.

Dazu Dietrich Brüggemann selbst:

Die gesamte Welt – oder zumindest der Teil davon, der es sich leisten kann – sitzt zuhause und schreibt Songs über Corona. Eigentlich wollten wir uns da auf keinen Fall beteiligen. Doch dann starb Gabo Delgado (DAF), im Radio kamen Nachrufe, danach lief immer der "Mussolini", und wir hörten immer nur: „BEWEG DEINEN HINTERN / UND WASCH DIR DIE HÄNDE.

Und da war es nicht mehr zu stoppen. Es musste sein. Es musste raus. Wir tanzen jetzt die soziale Distanz und hoffen, dass wir damit nicht allein bleiben."

(zitiert nach:
http://soundchecker.koeln/theodor-shitstorm-tanz-die-soziale-distanz-neues-video/)

Das (offizielle) Video: https://www.youtube.com/watch?v=DWNCsBWxOJA

Tanz die soziale Distanz

Bleib mir vom Leibe und wasch dir die Hände

Komm mir nicht zu nah, und wasch dir die Hände

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Gib mir keine Hand und wasch dir die Hände

Gib mir keinen Kuss und wasch dir die Hände

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Geh nicht zur Schule und wasch dir die Hände

Geh nicht zur Arbeit und wasch dir die Hände

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Tanz den Virus und jetzt im Mundschutz

Und jetzt im Kekulé und jetzt die Charité

Lass dich testen und tanz nach Westen

Tanz nach Osten und tanz den Drosten und …

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Tanz die Distanz, tanz die soziale, totale, normale, die ganz radikale Distanz ...

Kloopapier ist alle, Nudeln sind alle

Kauf dir (ein)nen Hamster, Hamster sind alle

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Mach kein Hauskonzert aber wasch dir die Hände

Mach was Mutti sagt und wasch dir die Hände

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Geh Bankrott und dann wasch dir die Hände

Hol dir Hartz IV und dann wasch dir die Hände

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Tanz den Virus und jetzt im Mundschutz

Und jetzt in Quarantäne und mach jetzt keine Pläne

Tanz die Krise und tanz die Pause

Tanz die Pleite und bleib zu Hause

Tanz die Distanz, tanz die soziale Distanz ...

Tanz die Distanz, tanz die soziale, totale, normale, die ganz radikale Distanz ...

Tanz die Distanz, tanz die soziale, totale, normale, die ganz radikale Distanz ...

Theodor Shitstorm (2020): Tanz die soziale Distanz; CD Tanz die soziale Distanz: Staatsakt Rec. GmbH (13.04.2020)


Michael Friedmann im Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki

ARD extra Thema: Friedmann

Erstausstrahlung 28.03.2001

https://www.youtube.com

Anmerkung: Ein bedeutender Zeitzeuge unseres Jahrhunderts! Er berichtet von seinem wechselvollen Erleben in Polen, Berlin, im Warschauer Getto und wieder in Deutschland, wohin er 1958 zurückkehrt in "Mein Leben" Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt (12. Auflage 2000)

 

Friedmann:

Herr Reich-Ranicki, Sie sagten "Deutschland, das ist in meinen Augen Adolf Hitler und Thomas Mann". Was ist Deutschland heute? Mehr Adolf Hitler oder Thomas Mann?

Reich-Ranicki:

Mit Sicherheit mehr Thomas Mann, wenn Sie diese Alternative aufrechterhalten wollen. Das, wofür Adolf Hitler stand und steht, das ist Deutschland heute nicht.

Friedmann:

Aber ein Teil in Deutschland ist wieder so …

Reich-Ranicki

Nein, nein, nein, nein, nein. Konzentrationslager gibt’s in diesem Land nicht, die Synagogen werden hier nicht verbrannt …

Friedmann:

Es gab mehrere Synagogen …

Reich-Ranicki:

Ja ...

Friedmann:

… die angezündet wurden …

Reich-Ranicki:

... angezündet wurden, aber es gab Krach im ganzen Lande aus diesem Grunde, es war doch anders. Und es werden auch keine Menschen in Todeslager, in Gasöfen deportiert. Also so kann man das nicht sagen. Natürlich – Thomas Mann ist auch eine Figur einer vergangenen Epoche eben die Gegenfigur, so habe ich sie jedenfalls gesehen, zu Adolf Hitler.

 


 

233. Überschreitet man das richtige Maß, so kann das Angenehmste zum Unangenehmsten werden.

Demokrit (ca. 400 vor Chr.): Demokrit aus Abdera. In: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. Vierte Auflage, 1. und 2. Band, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1922: 106

Online: www.zeno.org


 

alle ding sind gifft unnd nichts ohne gifft / allein die dosis macht das ein ding kein gifft ist.

Paracelsus (1574): Die dritte Defension von den newen Recepten, in: Labyrintus und Irrgang der vermeinten Artzet. Item/ Siben Defensiones/ oder Schirmreden. Basel: 88

Online: books.google.de


 

Amanda Gorman (* 1998) bei der Inauguration des 46. Präsidenten der USA, Joe Biden. Die zweiundzwanzigjährige Frau beeindruckt die Welt mit ihrem hochpolitischen Gedicht am Ende einer niederschmetternden destruktiven Präsidentschaft, die verbrannte Erde und ein noch weiter gespaltenes Land hinterlassen hat. Mit Ihren Worten beschönt sie nichts und macht doch Hoffnung, daß eine neue Zeit beginnt ...

Zu sehen auf Live abc-News: THE INAUGURATUION OF JOSEPH R. BIDEN JR. https://www.youtube.com

Einleitend sagte Sie:

Mr. President, Dr. Biden, Madam Vice President, Mr. Emhoff, Americans and the world ...

[The Hill We Climb]

When day comes, we ask ourselves

where can we find light in this never-ending shade?

The loss we carry

a sea we must wade.

We've braved the belly of the beast

we've learned that quiet isn't always peace.

And the norms and notions

of what just is, isn't always just-ice.

And yet the dawn is ours

before we knew it.

Somehow we do it

somehow we've weathered and witnessed

a nation that isn't broken

but simply unfinished.

We, the successors of a country and a time

where a skinny Black girl

descended from slaves and raised by a single mother

can dream of becoming president

only to find herself reciting for one.

And yes, we are far from polished

far from pristine.

But that doesn't mean

we are striving to form a union that is perfect.

We are striving to forge our union with purpose

to compose a country, committed to all cultures, colors, characters, and conditions of man.

And so we lift our gaze, not to what stands between us

but what stands before us.

We close the divide because we know to put our future first

we must first put our differences aside.

We lay down our arms

so we can reach out our arms

to one another.

We seek harm to none and harmony for all.

Let the globe, if nothing else, say, this is true:

That even as we grieved, we grew

that even as we hurt, we hoped

that even as we tired, we tried

that we'll forever be tied together, victorious.

Not because we will never again know defeat

but because we will never again sow division.

Scripture tells us to envision

that everyone shall sit under their own vine and fig tree

and no one shall make them afraid.

If we're to live up to our own time

then victory won't lie in the blade

but in all the bridges we've made.

That is the promised glade

the hill we climb.

If only we dare

it's because being American is more than a pride we inherit.

It's the past we step into

and how we repair it.

We've seen a force that would shatter our nation, rather than share it.

Would destroy our country if it meant delaying democracy.

And this effort very nearly succeeded.

But while democracy can be periodically delayed

it can never be permanently defeated.

In this truth

in this faith we trust

for while we have our eyes on the future

history has its eyes on us.

This is the era of just redemption.

We feared at its inception

we did not feel prepared to be the heirs

of such a terrifying hour

but within it, we found the power

to author a new chapter.

To offer hope and laughter to ourselves.

So - while once we asked

how could we possibly prevail over catastrophe?

Now we assert

how could catastrophe possibly prevail over us?

We will not march back to what was

but move to what shall be

a country that is bruised but whole

benevolent, but bold

fierce, and free.

We will not be turned around

or interrupted by intimidation

because we know our inaction and inertia

will be the inheritance of the next generation.

Our blunders become their burdens.

But one thing is certain:

if we merged mercy with might

and might with right

then love becomes our legacy

and change our children's birthright.

So let us leave behind a country

better than the one we were left with.

Every breath, my bronze-pounded chest

we will raise this wounded world into a wondrous one.

we will rise from the gold-limbed hills of the West

we will rise from the windswept Northeast

where our forefathers first realized revolution.

We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states

we will rise from the sunbaked South

we will rebuild, reconcile and recover

and every known nook of our nation

and every corner called our country.

Our people diverse and beautiful will emerge

battered and beautiful.

When day comes, we step out of the shade

aflame and unafraid.

The new dawn blooms as we free it.

For there was always light

if only we're brave enough to see it

 If only we're brave enough to be it.

Siehe auch: Süddeutsche Zeitung (online), 21.01.2021, 10:17: "The Hill We Climb": Das Gedicht zum Nachlesen (einige Änderungen habe ich nach mehrmaligem Anhören des Originals verändert)

https://www.sueddeutsche.de

Wenn es Tag wird, fragen wir uns

wo können wir Licht finden in diesem niemals endenden Schatten?

Den Verlust, den wir tragen

ein Meer, das wir durchwaten müssen.

Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt

wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet.

Und dass die Normen und Vorstellungen

von dem, was gerade ist, nicht immer etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben.

Und doch gehört die Morgendämmerung uns

noch ehe wir es wussten.

Irgendwie schaffen wir es

irgendwie haben wir es überstanden und bezeugten

eine Nation, die nicht zusammengebrochen ist

sondern einfach unvollendet ist.

Wir, die Nachfahren eines Landes und einer Zeit

in der ein dünnes, schwarzes Mädchen

das von Sklav*innen abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde

davon träumen kann, Präsidentin zu werden

nur um zu sehen, wie sie für einen rezitiert.

Und ja, wir sind weit entfernt davon lupenrein zu sein

weit entfernt makellos zu sein.

Aber das bedeutet nicht,

daß wir danach streben, eine perfekt Gemeinschaft zu bilden.

Wir streben danach, eine Gemeinschaft mit Zielen aufzubauen

ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und Lebensbedingungen verpflichtet fühlt.

Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht

sondern auf das, was vor uns steht.

Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass unsere Zukunft an erste Stelle steht

wir müssen zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen.

Wir legen unsere Waffen nieder

damit wir unsere Arme

nacheinander ausstrecken können.

Wir suchen Niemand zu schaden und Harmonie für alle.

Laßt die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, das ist wahr:

daß wir, selbst als wir trauerten, wuchsen

daß wir, selbst als wir Schmerzen hatten, hofften

daß wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versuchten

daß wir für immer siegreich verbunden sein werden.

Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden

sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.

Die Bibel sagt uns, dass wir uns vergegenwärtigen sollen

daß jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum sitzen soll

und keiner ihnen Angst machen soll.

Wenn wir unserer eigenen Zeit gerecht werden sollen

dann wird der Sieg nicht in der Klinge liegen

sondern in all den errichteten Brücken.

Das ist die versprochene Lichtung:

der Hügel, den wir erklimmen.

Wenn wir es nur wagen

denn Amerikaner*in zu sein, ist mehr als ein Stolz, den wir erben.

Es ist die Vergangenheit, in die wir treten

und die Art, wie wir sie reparieren.

Wir haben eine Macht gesehen, die unsere Nation eher zerschlagen würde, als sie zu teilen.

Die unser Land zerstören würde, wenn es bedeutete, die Demokratie aufzuhalten.

Und dieser Versuch war fast erfolgreich.

Doch auch wenn die Demokratie von Zeit zu Zeit aufgehalten werden kann

kann sie niemals dauerhaft besiegt werden.

In diese Wahrheit

in diesen Glauben, vertrauen wir

denn obwohl wir unsere Augen auf die Zukunft richten

hat die Geschichte ihre Augen auf uns gerichtet.

Dies ist die Ära der gerechten Erlösung.

Wir fürchteten zu Beginn

wir fühlten uns nicht bereit

Erben einer solch entsetzlichen Stunde zu sein

doch in ihr fanden wir die Kraft

ein neues Kapitel zu verfassen.

Uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken.

Also - während wir einst fragten

wie wir diese Katastrophe bewältigen könnten?

Jetzt behauten wir

wie konnte eine Katastrophe so über uns triumphieren?

Wir werden nicht zu dem zurückmarschieren, was war

sondern uns auf das zu bewegen, was sein wird

ein Land, das verletzt, aber ganz ist

gütig, aber kühn

entschlossen und frei.

Wir werden uns nicht abbringen

oder durch Einschüchterung unterbrechen lassen

weil wir wissen, dass unsere Untätigkeit und Trägheit

unser Erbe für die nächste Generation sein wird.

Unsere Fehler werden zu ihren Lasten.

Aber eines ist sicher:

wenn wir Barmherzigkeit mit Macht verschmelzen

und Macht mit Recht

dann wird Liebe zu unserem Vermächtnis

und verändert das Geburtsrecht unserer Kinder.

Also lasst uns ein Land hinterlassen,

das besser ist als jenes, das uns hinterlassen wurde.

Mit jedem Atemzug aus meiner bronzegegossenen Brust

werden wir diese verwundete Welt in eine wundersame emporheben

wir werden uns von den goldbeschienenen Hügeln des Westens erheben

wir werden uns aus dem windgepeitschten Nordosten erheben

in dem unsere Vorfahren die Revolution zum ersten Mal verwirklichten.

Wir werden uns aus den von Seen gesäumten Städten des Mittleren Westens erheben

wir werden uns aus dem ausgedörrten Süden erheben

wir werden wieder aufbauen, versöhnen und wiederherstellen

und jeden bekannten Winkel unserer Nation

und jede Ecke, die als unser Land bezeichnet wird.

Unser Volk, vielfältig und schön, wird hervortreten

zerschunden und schön.

Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,

entflammt und ohne Angst.

Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.

Denn es gab immer Licht,

wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen

wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.

(Übersetzung JT)


 

Denn die Summe unseres Lebens

Sind die Stunden, wo wir lieben.

Wilhelm Busch (1874): Didelum!, Summa summarum. In: Gesamtausgabe in vier Bänden (hg. von F. Bohne). Wiesbaden E. Vollmer Verlag. II. Band: 489


If you were a carpenter, and I were a lady

Would you marry me anyway? would you have my baby?

If a tinker were your trade, would you still find me

Carrying the pots you made, following behind me?

See my love through loneliness

See my love for sorrow

I've given you my onlyness,

Come give me your tomorrow

If you worked your hands in wood, would you still love me?

Answer me, Yes I would, I'd put you above me"

And if you were a miller, had a mill-wheel grinding,

Would you see it written on my face? I'm here for the finding.

See my love through loneliness

See my love for sorrow

I've given you my onlyness,

Come give me your tomorrow

If you were a carpenter, and I were a lady

Would you marry me anyway? would you have my baby?

Joan Baez (1967): If you were a carpenter. Album Joan

Hier in einer Aufnahme mit ihrer noch sehr jugendlich-anmutigen Stimme - sie war 27 Jahre alt, als das Album erschien): www.youtube.com


I suspect I may have unwittingly engaged in a dangerous game, ascribing to musical composition attributes which reflect only the analytical approach of the performer. This is an especially vulnerable practice in the music of Bach which concedes neither tempo nor dynamic intention, and I caution myself to restrain the enthusiasm of an interpretative conviction from identifying itself with the unalterable absolute of the oomposer's will.

Möglicherweise habe ich mich unabsichtlich auf ein gefährliches Spiel eingelassen, wenn ich der musikalischen Komposition Attribute zuschreibe, die nur das analytische Vorgehen des Interpreten widerspiegeln. Das ist ein besonders angreifbares Verfahren bei der Musik von Bach, die keine Angaben zu Tempo oder Dynamik bietet, und ich muss mich davor hüten, im Rausch der Begeisterung meine Überzeugung als Interpret mit der unverrückbar feststehenden Absicht des Komponisten gleichzusetzen.

Gould, G. (1955): Einführungstext zu Bachs Goldberg-Variationen von der Original-LP-Hülle der 1955er Aufnahme. Wiedergegeben und ins deutsche übersetzt im Begleitbuch der 2005 erschienenen CD zum 50. Geburtstag der Aufnahme von 1955; 2005 SONY BMG Music Entertainment

Die Gesamtaufnahme (Studio 1955 und Konzert 1959) finden Sie hier:

 www.youtube.com 

Bach by Glenn Gould - Goldberg Variations BWV 988 (Studio 1955 & Live 1959 NEW MASTERING 2021) von

Classical Music/ /Reference Recording

www.youtube.com

Glenn Herbert Gould (* 25.09.1932 in Toronto, Ontario, Kanada; † 4.10.1982) war einer der begabtesten und außergewöhnlichsten Pianisten aller Zeiten (er sang auch bei Studioaufnahmen und Konzerten mit - und das nicht besonders gut) zudem auch Komponist, Organist und Musikautor

In youtube gibt es zu den Goldberg-Variationen eine Aufnahme von ihm als noch sehr jungem Mann, offenbar zu hause beim Üben (bei der legendären Aufnahme von 1955 war er Anfang 20):

www.youtube.com

Im Vergleich dazu die Aufnahme von 1981:

www.youtube.com

Glenn Gould starb 1982, wenige Monate nach dem Erscheinen seiner zweiten Studioaufnahme der Goldberg-Variationen und wenige Tage nach seinem 50. Geburtstag an den Folgen eines Schlaganfalls


Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn je mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. Diese muß die Wirklichkeit verlassen, und sich mit anständiger Kühnheit über das Bedürfniß erheben; denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen.

Schiller, Friedrich (1795): Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück.
Tübingen 1795, S. 7–48 (hier: 10f)

online: https://www.deutschestextarchiv.de

Johann Christoph Friedrich Schiller, ab 1802 von Schiller (1759-1805): Arzt, Dichter, Philosoph, Historiker, der einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker, Essayisten und Lyriker


File:Friedrich duerrenmatt 19890427.jpg

Friedrich Dürrenmatt

Foto: Elke Wetzig

Verleihung des Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik, Bonn, 27.04.1989

commons.wikimedia.org

21 Punkte zu den Physikern

1.

Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus.

2.

Geht man von einer Geschichte aus, muß sie zu Ende gedacht werden.

3.

Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.

4.

Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.

5.

Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.

6.

Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen.

7.

Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet.

8.

Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.

9.

Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten.

10.

Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd [sinnwidrig].

11.

Sie ist paradox.

12.

Ebensowenig wie die Logiker können die Dramatiker das Paradoxe vermeiden.

13.

Ebensowenig wie die Logiker können die Physiker das Paradoxe vermeiden.

14.

Ein Drama für die Physiker muß paradox sein.

15.

Es kann nicht den Inhalt der Physik zum Ziele haben, sondern nur ihre Auswirkung.

16.

Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.

17.

Was alle angeht, können nur alle lösen.

18.

Jeder Versuch eines einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muß scheitern.

19.

Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.

20.

Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus.

21.

Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.

Dürrenmatt, F. (1962): Die Physiker, In: Werkausgabe, Bd.7 (1998). Zürich: Diogenes: S. 91ff

Die "21 Punkte zu den Physikern" hat Dürrenmatt zur Uraufführung seiner Tragikomödie Die Physiker im Jahr 1962 veröffentlicht: Sie und die Tragikomödie nehmen Bezug auf das Buch von Robert Jungk "Heller als tausend Sonnen" (1956) in dem sich Jungk mit dem Schicksal der Atomforscher, die an die ersten Kernspaltungsversuche, mit dem Bau der ersten Atombombe und der Entwicklung der amerikanischen Wasserstoffbombe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Dabei geht es ihm (wie Dürrenmatt in den Physikern) darum, wie sich die Physiker angesichts der Gefahren ihren Forschungsergebnisse für der Menschheit verhalten sollen.

Dürrenmatt hat 1956 in "Die Weltwoche" eine Rezension über Jungks Werk geschrieben, in der mehrere Textpassagen mit den Aussagen der später veröffentlichten "21 Punkte zu den Physikern" übereinstimmen.


Egmont: Ich höre auf zu leben; aber ich habe gelebt.

Goethe, J. W. von (1832): Egmont. Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz, Hamburg: Christian Wegener, 1948 ff (450)

Online: www.zeno.org

 

Fünfter Aufzug:

Egmont im Gefängnis vor seinem Tod
im Gespräch mit Ferdinand

 


 

Denn um frei zu sein, genügt es nicht, nur einfach die Ketten abzuwerfen, sondern man muß so leben, daß man die Freiheit des anderer respektiert und fördert.

Mandela, N. (1994): Der lange Weg zur Freiheit. Frankfurt/Main: Fischer: 836


Das Weihnachtsbäumlein

Es war einmal ein Tännelein,

mit braunen Kuchenherzlein

und Glitzergold und Äpflein fein

und vielen bunten Kerzlein:

Das war am Weihnachtsfest so grün,

als fing es eben an zu blühn.

Doch nach nicht gar zu langer Zeit,

da stands im Garten unten,

und seine ganze Herrlichkeit

war, ach, dahingeschwunden.

Die grünen Nadeln warn'n verdorrt,

die Herzlein und die Kerzlein fort.

Bis eines Tags der Gärtner kam,

den fror zu Haus im Dunkeln,

und es in seinen Ofen nahm -

hei! tat‘s da sprühn und funkeln!

Und flammte jubelnd himmelwärts

in hundert Flämmlein an Gottes Herz.

Morgenstern, C. (ca. 1910): Gedichte - Verse - Sprüche. Limasol (Cyprus): Lechner Publishing: 358

Das Gedicht entstand um 1910 (erstmals veröffentlicht 1922) und erinnert sehr an das (mich) erschütternde Märchen (eines ungelebten Lebens) von Hans Christian Anders: Der Tannenbaum (erstmals 1844 veröffentlicht)

Der Tannenbaum

Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten. Aber dem kleinen Tannenbaum schien nichts so wichtig als das Wachsen; er achtete nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht um die Bauerkinder, die da gingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einem ganzen Topf voll oder hatten Erdbeeren auf einen Strohhalm gezogen, dann setzten sie sich neben den kleinen Tannenbaum und sagten: »Wie niedlich klein ist der!« Das mochte der Baum gar nicht hören.

Im folgenden Jahre war er ein langes Glied größer, und das Jahr darauf war er um noch eins länger, denn bei den Tannenbäumen kann man immer an den vielen Gliedern, die sie haben, sehen, wie viele Jahre sie gewachsen sind.

»O, wäre ich doch so ein großer Baum wie die andern!« seufzte das kleine Bäumchen. »Dann könnte ich meine Zweige so weit umher ausbreiten und mit der Krone in die weite Welt hinausblicken! Die Vögel würden dann Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn der Wind weht, könnte ich so vornehm nicken, gerade wie die andern dort!«

Er hatte gar keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und den roten Wolken, die morgens und abends über ihn hinsegelten.

War es nun Winter und der Schnee lag ringsumher funkelnd weiß, so kam häufig ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum weg. O, das war ärgerlich! Aber zwei Winter vergingen und im dritten war das Bäumchen so groß, daß der Hase im dasselbe herumlaufen mußte. »O, wachsen, wachsen, groß und alt werden, das ist doch das einzige Schöne in dieser Welt!« dachte der Baum.

Im Herbst kamen immer Holzhauer und fällten einige der größten Bäume; das geschah jedes Jahr, und dem jungen Tannenbaum, der nun ganz gut gewachsen war, schauderte dabei; denn die großen, prächtigen Bäume fielen mit Knacken und Krachen zur Erde, die Zweige wurden abgehauen, die Bäume sahen ganz nackt, lang und schmal aus; sie waren fast nicht zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt und Pferde zogen sie davon, aus dem Walde hinaus.

Wohin sollten sie? Was stand ihnen bevor?

Im Frühjahr, als die Schwalben und Störche kamen, fragte sie der Baum: »Wißt Ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid Ihr ihnen begegnet?«

Die Schwalben wußten nichts, aber der Storch sah nachdenkend aus, nickte mit dem Kopfe und sagte: »Ja, ich glaube wohl; mir begegneten viele neue Schiffe, als ich aus Ägypten flog; auf den Schiffen waren prächtige Mastbäume; ich darf annehmen, daß sie es waren, sie hatten Tannengeruch; ich kann vielmals grüßen, sie prangen, sie prangen!«

»O, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinfahren zu können! Was ist das eigentlich, dieses Meer, und wie sieht es aus?«

»Ja, das ist weitläufig zu erklären!« sagte der Storch und damit ging er.

»Freue Dich Deiner Jugend!« sagten die Sonnenstrahlen; »freue Dich Deines frischen Wachstums, des jungen Lebens, das in Dir ist!«

Und der Wind küßte den Baum, und der Tau weinte Thränen über denselben, aber das verstand der Tannenbaum nicht.

Wenn es gegen die Weihnachtszeit war, wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die oft nicht einmal so groß oder gleichen Alters mit diesem Tannenbaume waren, der weder Rast noch Ruhe hatte, sondern immer davon wollte; diese jungen Bäume, und es waren gerade die allerschönsten, behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen gelegt und Pferde zogen sie von dannen zum Walde hinaus.

»Wohin sollen diese?« fragte der Tannenbaum. »Sie sind nicht größer als ich, Einer ist sogar viel kleiner; weswegen behalten sie alle ihre Zweige? Wohin fahren sie?«

»Das wissen wir! Das wissen wir!« zwitscherten die Sperlinge. »Unten in der Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren! O, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit, die man sich denken kann! Wir haben in die Fenster gesehen und erblickt, daß sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit den schönsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen hundert Lichtern geschmückt werden.«

»Und dann?« fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. »Und dann? Was geschieht dann?«

»Ja, mehr haben wir nicht gesehen! Das war unvergleichlich schön!«

»Ob ich wohl bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?« jubelte der Tannenbaum. »Das ist noch besser, als über das Meer zu ziehen! Wie leide ich an Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich hoch und entfaltet wie die andern, die im vorigen Jahre davongeführt wurden! O, wäre ich erst auf dem Wagen, wäre ich doch in der warmen Stube mit all' der Pracht und Herrlichkeit! Und dann? Ja, dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, warum würden sie mich sonst so schmücken? Es muß noch etwas Größeres, Herrlicheres kommen! Aber was? O, ich leide, ich sehne mich, ich weiß selbst nicht, wie es mir ist!«

»Freue Dich unser!« sagten die Luft und das Sonnenlicht; »freue Dich Deiner frischen Jugend im Freien!«

Aber er freute sich durchaus nicht; er wuchs und wuchs, Winter und Sommer stand er grün; dunkelgrün stand er da, die Leute, die ihn sahen, sagten: »Das ist ein schöner Baum!« und zur Weihnachtszeit wurde er von allen zuerst gefällt. Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden, er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er konnte gar nicht an irgend ein Glück denken, er war betrübt, von der Heimat scheiden zu müssen, von dem Flecke, auf dem er emporgeschossen war; er wußte ja, daß er die lieben, alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher nie mehr sehen werde, ja vielleicht nicht einmal die Vögel. Die Abreise hatte durchaus nichts Behagliches.

Der Baum kam erst wieder zu sich selbst, als er im Hofe, mit andern Bäumen abgeladen, einen Mann sagen hörte: »Dieser hier ist prächtig! Wir brauchen nur diesen!«

Nun kamen zwei Diener im vollen Staat und trugen den Tannenbaum in einen großen, schönen Saal. Ringsherum an den Wänden hingen Bilder, und bei dem großen Kachelofen standen große chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; da waren Wiegestühle, seidene Sophas, große Tische voll von Bilderbüchern und Spielzeug für hundertmal hundert Thaler; wenigstens sagten das die Kinder. Der Tannenbaum wurde in ein großes, mit Sand gefülltes Faß gestellt, aber niemand konnte sehen, daß es ein Faß war, denn es wurde rund herum mit grünem Zeug behängt und stand auf einem großen, bunten Teppich. O, wie der Baum bebte! Was wird da doch vorgehen? Sowohl die Diener, als die Fräulein schmückten ihn. An einen Zweig hängten sie kleine Netze aus farbigem Papier ausgeschnitten, jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt; vergoldete Äpfel und Wallnüsse hingen herab, als wären sie fest gewachsen und über hundert rote, blaue und weiße kleine Lichter wurden in den Zweigen festgesteckt. Puppen, die leibhaft wie die Menschen aussahen – der Baum hatte früher nie solche gesehen – schwebten im Grünen, und hoch oben in der Spitze wurde ein Stern von Flittergold befestigt. Das war prächtig, ganz außerordentlich prächtig!

»Heute Abend,« sagten alle, »heute Abend wird es strahlen!«

»O,« dachte der Baum, »wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde kommen, mich zu sehen? Ob die Sperlinge gegen die Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?«

Ja, er wußte gut Bescheid; aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum eben so schlimm wie Kopfschmerzen für uns andere.

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz, welche Pracht! Der Baum bebte in allen Zweigen dabei, so daß eins der Lichter das Grüne anbrannte; es sengte ordentlich.

»Gott bewahre uns!« schrieen die Fräulein und löschten es hastig aus.

Nun durfte der Baum nicht einmal beben. O, das war ein Grauen! Ihm war bange, etwas von seinem Staate zu verlieren; er war ganz betäubt von all' dem Glanze. Da gingen beide Flügelthüren auf, und eine Menge Kinder stürzten herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen, die älteren Leute kamen bedächtig nach; die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten sie wieder, daß es laut schallte, sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt.

»Was machen sie?« dachte der Baum. »Was soll geschehen?« Die Lichter brannten gerade bis auf die Zweige herunter, und je nachdem sie niederbrannten, wurden sie ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder die Erlaubnis, den Baum zu plündern. O, sie stürzten auf denselben ein, daß es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und mit dem Goldsterne an der Decke festgemacht gewesen, so wäre er umgestürzt.

Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeug herum, niemand sah nach dem Baume, ausgenommen das alte Kindermädchen, welches kam und zwischen die Zweige blickte; aber es geschah nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen sei.

»Eine Geschichte, eine Geschichte!« riefen die Kinder und zogen einen kleinen, dicken Mann gegen den Baum hin, und er setzte sich gerade unter denselben, »denn so sind wir im Grünen,« sagte er, »und der Baum kann besonders Nutzen davon haben, zuzuhören! Aber ich erzähle nur eine Geschichte. Wollt Ihr die von Ivede-Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt?«

»Ivede-Avede!« schrieen einige, »Klumpe-Dumpe!« schrieen andere. Das war ein Rufen und Schreien! Nur der Tannenbaum schwieg ganz still und dachte: »Komme ich garnicht mit, werde ich nichts dabei zu thun haben?« Er war ja mit gewesen, hatte ja geleistet, was er sollte.

Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, welcher die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen: »Erzähle, erzähle!« Sie wollten auch die Geschichte von Ivede-Avede hören, aber sie bekamen nur die von Klumpe-Dumpe. Der Tannenbaum stand ganz stumm und gedankenvoll, nie hatten die Vögel im Walde dergleichen erzählt. »Klumpe-Dumpe fiel die Treppen hinunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der Welt zu!« dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei, weil es ein so netter Mann war, der es erzählte. »Ja, ja! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und bekomme eine Prinzessin!« Und er freute sich, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und Spielzeug, Gold und Früchten aufgeputzt zu werden.

»Morgen werde ich nicht zittern!« dachte er. »Ich will mich recht aller meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe und vielleicht auch die von Ivede-Avede hören.« Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll.

Am Morgen kamen die Diener und das Mädchen herein.

»Nun beginnt der Staat aufs neue!« dachte der Baum; aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf, auf den Boden, und stellten ihn in einen dunkeln Winkel, wohin kein Tageslicht schien. »Was soll das bedeuten?« dachte der Baum. »Was soll ich hier wohl machen? Was mag ich hier wohl hören sollen?« Er lehnte sich gegen die Mauer und dachte und dachte. Und er hatte Zeit genug, denn es vergingen Tage und Nächte; niemand kam herauf, und als endlich jemand kam, so geschah es, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen; der Baum stand ganz versteckt, man mußte glauben, daß er ganz vergessen war.

 

»Nun ist es Winter draußen!« dachte der Baum. »Die Erde ist hart und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutz stehen! Wie wohl bedacht ist das! Wie die Menschen doch so gut sind! Wäre es hier nur nicht so dunkel und schrecklich einsam! Nicht einmal ein kleiner Hase! Das war doch niedlich da draußen im Walde, wenn der Schnee lag und der Hase vorbei sprang, ja selbst als er über mich hinweg sprang; aber damals mochte ich es nicht leiden. Hier oben ist es doch schrecklich einsam!«

»Pip, pip!« sagte da eine kleine Maus und huschte hervor; und dann kam noch eine kleine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum und dann schlüpften sie zwischen dessen Zweige.

»Es ist eine gräuliche Kälte!« sagten die kleinen Mäuse. »Sonst ist hier gut sein; nicht wahr, Du alter Tannenbaum?«

»Ich bin gar nicht alt!« sagte der Tannenbaum; »es giebt viele, die weit älter sind denn ich!«

»Woher kommst Du,« fragten die Mäuse, »und was weißt Du?« Sie waren gewaltig neugierig. »Erzähle uns doch von den schönsten Orten auf Erden! Bist Du dort gewesen? Bist Du in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglicht tanzt, mager hineingeht und fett herauskommt?«

»Das kenne ich nicht,« sagte der Baum; »aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint und die Vögel singen!« Und dann erzählte er alles aus seiner Jugend, die kleinen Mäuse hatten früher nie dergleichen gehört, und sie horchten auf und sagten: »Wie viel Du gesehen hast! Wie glücklich Du gewesen bist!«

»Ich?« sagte der Tannenbaum und dachte über das, was er selbst erzählte, nach. »Ja, es waren im Grunde ganz fröhliche Zeiten!« Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Kuchen und Lichtern geschmückt war.

»O,« sagten die kleinen Mäuse, »wie glücklich Du gewesen bist, Du alter Tannenbaum!«

»Ich bin gar nicht alt!« sagte der Baum; »erst in diesem Winter bin ich vom Walde gekommen! Ich bin in meinem allerbesten Alter, ich bin nur so aufgeschossen.«

»Wie schön Du erzählst!« sagten die kleinen Mäuse, und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier anderen kleinen Mäusen, die den Baum erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich selbst an alles und dachte: »Es waren doch ganz fröhliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen, können wiederkommen! Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und erhielt doch die Prinzessin; vielleicht kann ich auch eine Prinzessin bekommen.« Und dann dachte der Tannenbaum an eine kleine niedliche Birke, die draußen im Walde wuchs; das war für den Tannenbaum eine wirkliche schöne Prinzessin.

»Wer ist Klumpe-Dumpe?« fragten die kleinen Mäuse. Da erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, er konnte sich jedes einzelnen Wortes entsinnen; die kleinen Mäuse waren aus reiner Freude bereit, bis an die Spitze des Baumes zu springen. In der folgenden Nacht kamen weit mehr Mäuse und am Sonntage sogar zwei Ratten, aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das betrübte die kleinen Mäuse, denn nun hielten sie auch weniger davon.

»Wissen Sie nur die eine Geschichte?« fragten die Ratten.

»Nur die eine,« antwortete der Baum; »die hörte ich an meinem glücklichsten Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war.«

»Das ist eine höchst jämmerliche Geschichte! Kennen Sie keine von Speck und Talglicht? Keine Speise kammergeschichte?«

»Nein!« sagte der Baum.

»Ja, dann danken wir dafür!« erwiderten die Ratten und gingen zu den ihrigen zurück.

 

Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch weg, und da seufzte der Baum: »Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herum saßen, die beweglichen kleinen Mäuse, und zuhörten, wie ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! Aber ich werde daran denken, mich zu freuen, wenn ich wieder hervorgenommen werde.«

Aber wann geschah das? Ja, es war eines Morgens, da kamen Leute und wirtschafteten auf dem Boden; die Kasten wurden weggesetzt, der Baum wurde hervorgezogen; sie warfen ihn freilich ziemlich hart gegen den Fußboden, aber ein Diener schleppte ihn gleich nach der Treppe hin, wo der Tag leuchtete.

»Nun beginnt das Leben wieder!« dachte der Baum; er fühlte die frische Luft, die ersten Sonnenstrahlen, und nun war er draußen im Hofe. Alles ging geschwind, der Baum vergaß völlig, sich selbst zu betrachten, da war so vieles ringsumher zu sehen. Der Hof stieß an einen Garten, und alles blühte darin; die Rosen hingen frisch und duftend über das kleine Gitter hinaus, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und sagten: »Quirrevirrevit, mein Mann ist kommen!« Aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meinten.

»Nun werde ich leben!« jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus; aber ach, die waren alle vertrocknet und gelb; und er lag da zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben in der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein.

Im Hofe selbst spielten ein Paar der munteren Kinder, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so froh über denselben gewesen waren. Eins der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.

»Sieh, was da noch an dem häßlichen, alten Tannenbaum sitzt!« sagte es und trat auf die Zweige, so daß sie unter seinen Stiefeln knackten.

Der Baum sah auf all' die Blumenpracht und Frische im Garten, er betrachtete sich selbst und wünschte, daß er in seinem dunkeln Winkel auf dem Boden geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe-Dumpe angehört hatten.

»Vorbei, vorbei!« sagte der arme Baum. »Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!«

Der Diener kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag da; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel. Der Baum seufzte tief und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; des halb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten in dasselbe hinein und riefen: »Piff, paff!« Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommerabend im Walde oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, welches er gehört hatte und zu erzählen wußte – und dann war der Baum verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen; nun war der vorbei, und mit dem Baum war es auch vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei, und so geht es mit allen Geschichten!

Anders, H. C. (1844): Der Tannenbaum

Erstveröffentlichung (mit dem Märchen "Die Schneekönigin" am 21. Dezember 1844 in der Buchausgabe Nye Eventyr. Første Bind. Anden Samling (Neue Abenteteur, Erster Band, Zweite Sammlung) vom Verleger C. A. Reitzel

Quelle: Andersen, H[ans] C[hristian]: Sämmtliche Märchen. Leipzig [um 1900], S. 1-11: http://www.zeno.org


George Tabori (György Tábori, 1914-2007) war Drehbuchautor, Schauspieler, Sprecher, Schriftsteller, Übersetzer, Dramatiker und Theaterregisseur (einen Begriff, den er aber ablehnte und sich stattdessen als "Spielmacher" bezeichnete.

Die besten Witze sind nicht komisch. Was ist der kürzeste Witz? Auschwitz.

Tabori, G. (2007): Bett & Bühne. Über das Theater und das Leben. Berlin: Wagenbach (156)

Das Buch mit einem eindrücklichen Foto von Tabori ist leider vergriffen:

www.wagenbach.de/buecher/titel/304-bett-buehne.html


Ludwig Hirsch (1978): Die Omama.
Album (LP) "Dunkelgraue Lieder" 1978

Der Liedtext beschäftigt sich mit latenter Gewalt, Mißbrauch und dem Nationalsozialismus im Mief der österreichischen Kleinbürger*innen (so meine Deutung!). Zwar ist der Wiener Dialekt dem bayerischen recht ähnlich, dann aber doch wieder so verschieden, daß ich darauf verzichtet haben den Text hier vollständig wiederzugeben.

Es gibt eine schöne Live-Aufnahme:

www.youtube.com

Ludwig Hirsch, ein begnadeter Liedermacher, hat sich vor 10 Jahren, im November 2011 nach seiner Lungenkrebs-Diagnose und während der stationären Behandlung einer Lungenentzündung das Leben.

Die Omama

(...)

Die sieben Robn

es worn nur sechs

Die gute Fee

es wor a Hex

Der böse Woif

a klaner Dackl

Der Märchenprinz

a schiacher Lackl.

(...)

Oma pfiadigott

mach's drüben besser

Moch kane Knödln für die Engerln

sei so guad

Tu net die Heiligen sekkiern

Tu net den Opa denunziern

und gehst zum Herrgott auf Besuch - a guter Tipp:

Omama, nimm's Mutterkreuz net mit.


Excessive emotional detachement is just as fertile ground for sexual violations as excessive intimacy.

Mitchell, S. A. (1997): Influence and autonomy in psychoanalysis. Hillsdale: Analytic Press: 198

Übermäßige emotionale Distanz ist ein ebenso fruchtbarer Boden für sexuelle Übergriffe wie übermäßige Intimität.

(Übersetzung: JT)


Nicht einen am anderen messen

Man sagte einmal zu Rabbi Mendel von einem bestimmten Menschen, er sei größer als ein anderer, den man ebenfalls beim Namen nannte. Rabbi Mendel erwiderte: «Bin ich ich, weil ich ich bin, und du bist du, weil du du bist, dann bin ich ich und du bist du. Bin ich hingegen ich, weil du du bist, und du bist du, weil ich ich bin, dann bin ich nicht ich und du bist nicht du.»

Buber, Martin [Menachem Mendel von Kozk] (1949): Die Erzählungen der Chassidim. Zürich: Manesse: 793

 


Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele

Gleicht dem Wasser:

Vom Himmel kommt es,

Zum Himmel steigt es,

Und wieder nieder

Zur Erde muß es,

Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,

Steilen Felswand

Der reine Strahl,

Dann stäubt er lieblich

In Wolkenwellen

Zum glatten Fels,

Und leicht empfangen,

Wallt er verschleyernd,

Leisrauschend

Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen

Dem Sturze entgegen,

Schäumt er unmuthig

Stufenweise

Zum Abgrund.

Im flachen Bette

Schleicht er das Wiesenthal hin,

Und in dem glatten See

Weiden ihr Antlitz

Alle Gestirne.

Wind ist der Welle

Lieblicher Buhler;

Wind mischt vom Grund aus

Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,

Wie gleichst du dem Wasser!

Schicksal des Menschen,

Wie gleichst du dem Wind!

Goethe, J. W. von (1779): Goethes Schriften. Achter Band, G. J. Göschen. 1789. Seite 187-188

online: wikisource.org

 

Stefan Zweig (1881-1942) war war britisch-österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Pazifist.

Mit Sigmund Freud unterhielt er eine sehr freundschaftliche Beziehung, die auch in Briefen dokumentiert ist:

Zweig, S. (1989): Über Sigmund Freud. Portrait, Briefwechsel, Gedenkworte. Frankfurt/M.: Fischer

Wir mußten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann, wir haben allmählich uns gewöhnen müssen, ohne Boden unter unseren Füßen zu leben, ohne Recht, ohne Freiheit, ohne Sicherheit.

Zweig, S. (1942): Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Köln: Anaconda, 2013: 21

Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

Friedrich Schiller (1759-1805)

Eine erschütternde Einsicht lang vor der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule (u. a. Horkheimer, Adormo, Markuse, Fromm, Benjamin)

Die Aufklärung, deren sich die höheren Stände unsers Zeitalters nicht mit Unrecht rühmen, ist bloß theoretische Kultur, und zeigt, im ganzen genommen, so wenig einen veredelnden Einfluß auf die Gesinnung, daß sie vielmehr bloß dazu hilft, die Verderbniß in ein System zu bringen, und unheilbarer zu machen.

Schiller, F. (1773): Schiller an den Herzog v. Augustenburg, 13. Juli 1793

online: www.friedrich-schiller-archiv.de

Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

 

Das Zeitalter ist aufgeklärt, (…) woran liegt es, daß wir noch immer Barbaren sind? Es muß (…), weil es nicht in den Dingen liegt, in den Gemütern der Menschen etwas vorhanden sein, was der Aufnahme der Wahrheit, auch wenn sie noch so hell leuchtete, und der Annahme derselben, auch wenn sie noch so lebendig überzeugte, im Wege steht. Ein alter Weiser hat es empfunden, und es liegt in dem vielbedeutenden Ausdrucke versteckt: sapere aude.

Schiller, F. (1793–94): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (Achter Brief). Sämtliche Werke, Band 5. München: Hanser 1962: 590

online: www.zeno.org

Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

Ich habe immer daran geglaubt, daß das Gegenteil von Liebe nicht Haß ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.

Wiesel, E. (1986): Erinnerung als Gegenwart. In: Schwencke O. (1988): Erinnerung als Gegenwart, Elie Wiesel in Loccum : [Dokumentation e. Tagung d. Evang. Akad. Loccum vom 28. - 30. Mai 1986]. Evangelische Akademie Loccum (Loccumer Protokolle 25): Rehburg-Loccum: 157


Freud hatte bereits 1915 den Zusammenhang bzw. Gegensatz von Liebe, Haß und Gleichgültigkeit beschrieben:

Das Lieben ist nicht nur eines, sondern dreier Gegensätze fähig. Außer dem Gegensatz: lieben – hassen gibt es den anderen: lieben – geliebt werden, und überdies setzen sich lieben und hassen zusammengenommen dem Zustande der Indifferenz oder Gleichgültigkeit entgegen.

Freud, S. (1915c): Triebe und Triebschicksale X: 226

Elie Wiesel (1928-2016) war rumänisch-amerikanischer Schriftstelle, Hochschullehrer und Publizist. Als Holocaust-Überlebender schrieb er zahlreiche Romane und Beiträge zu diesem Thema. 1986 erhielt er den Friedensnobelpreis  für seinen Einsatz gegen gegen Gewalt, Unterdrückung und Rassismus.

Am 6. Juni 2009 begleitete Wiesel die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und den damaligen Präsidenten der USA, Barack Obama, und Bertrand Bertrand Herz, (Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos) bei  ihrem Besuch im Konzentrationslager Buchenwald. In seiner damaligen Rede sagte er:

Viele von uns hatten sie, obwohl wir im Grunde genommen jedes Recht hatten, unsere Hoffnung in die Menschheit, die Kultur und die Zivilisation aufzugeben, die Hoffnung, dass man sein Leben in Würde in einer Welt beschließen würde, in der es keine Würde gab. Aber diese Möglichkeit haben wir von uns gewiesen. Wir haben gesagt: "Nein, wir müssen doch versuchen, weiterhin an eine Zukunft zu glauben, weil die Welt ihre Lektion gelernt hat." Aber das hat die Welt eben leider nicht. Hätte die Welt ihre Lektion gelernt, hätte es kein Kambodscha, kein Ruanda, kein Darfur und kein Bosnien gegeben. Wird die Welt je lernen?

online: Webseite der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

www.buchenwald.de


Ludwig Thoma (1867-1921), Rechtsanwalt und Schriftstelle (mit einigen bösartigen antisemitischen Veröffentlichungen) lieferte die Urfassung des Textes - und wurde dafür zu einer Geldstrafe verurteilt.

https://de.wikipedia.org

Die hier wiedergegebene Version stammt von Adolf Gondrell, der sie 1962 in seiner unvergleichlichen Art auf die Bühne brachte.

Tonaufnahme im Original:

https://www.youtube.com

Ein Münchner im Himmel

Alois Hingerl, Dienstmann Nr. 172 am Münchner Hauptbahnhof, erledigte einen Auftrag mit solcher Hast, dass er vom Schlag getroffen zu Boden sank und starb.

Zwei Engerln schleppten ihn mit vieler Mühe in den Himmel, wo er vom Heiligen Petrus empfangenen wurde. Petrus eröffnet ihm zunächst, daß er von nun an auf den Namen »Engel Aloisius« zu hören habe, überreicht ihm eine Harfe und machte ihn mit der himmlischen Hausordnung bekannt:

 "Von morgens acht Uhr bis Mittag zwölf Uhr »frohlocken«, von Mittag zwölf Uhr bis acht Uhr abends »Hosianna singen«."

"Wosis?"

"Von morgens acht Uhr bis Mittag zwölf Uhr »frohlocken«, von Mittag zwölf Uhr bis acht Uhr abends »Hosianna singen«".

"So ... mhm ... ja, wann kriag na i was z'dringa?

"Sie werden Ihr Manna schon bekommen, sagte Petrus leicht indigniert und ließ ihn stehen.

"Auwä ... des werd sche fad! Mei Liaba, da moin i bin i wo nei'dredn ... frohlocken ... ah, ah, ah ah ... eahm schaug o ... frohlocken miaßad i do herom ... i hob gmoant i kum in Himmi ...."

Und während er noch so vor sich hinbrummelte, sah er plötzlich einen roten Radler-Engel auf sich zukommen und sofort erwachte in ihm die alte Wut auf diese vermeintliche Erden-Konkurrenz und er schrie den roten Radler-Engel an: "Jo, seids es a do herom, es Hundsbuam es miserabligen? Mei Liaba laß Di Du blos ned bei mir blicka ... gei ... sonst fangst a paar".

Und für alle Fälle versetzte er dem roten Radler-Engel ein paar kräftige Hiebe mit dem ärarischen Himmelsinstrument. Daraufhin war ihm bedeutend wohler und er setzte er sich, wie ihm befohlen auf eine Wolke und begann zu frohlocken: "Halleluja ... halleluja ... halleluja .... ha--luia!

Ein völlig vergeistigter Engel schwebte an ihm vorüber.

"Hallo, Sie! Hallo ... pfft ... hallo ... ham's, ham's koan Schmaizla? ... an Schnupftabak, ham's nix? ... a Pries ... gä weider, fahr oane her."

Der Durchgeistigte sah ihn nur völlig entgeistert an, lispelte nur "Hosianna" und flog von hinnen.

"Ja ... ja was is jetzt des fir a Depp, fir a damischer? Ja, na, na, na host hoid koan Schmaizla nen ... wenn ma scho anständig frogt, werd ma doch a anständige Antwort kriagng kenna ... Gscherde Ruam, gscherde ... Engl, boaniger! Mei Liaba, da werd a so a Zeigl herom sei. Ah, ah, ah, aah ... do steh' i aus.

Und er setzte sich wieder auf seine Wolke und begann erneut zu frohlocken. Allerdings bedeutend zorniger:

"Halleluja ... luja ... luja sog i ... zefix halleluja! .... luja!

Er schrie so, dass der liebe Gott nebenan von seinem Mittagsschlaf erwachte und ganz erstaunt fragte: "Ja, was ist denn da für ein Lümmel heroben?"

Er schickte sofort zu Petrus, der kam angerast und sie hörten zusammen den Engel Aloisius frohlocken: "Luja ... sacklzement haleluja ... luja sog i ... mei liaba luija."

Petrus raste los und schleppte den Aloisius vor den lieben Gott. Der sah ihn sich lange an, drauf sprach er: "Aha! Ein Münchner! Ja, sagen Sie mal, warum plärren Sie denn da heroben so unanständig?"

Da kam er beim Alosius aber grad an den Richtigen. Der war mitten drin in der Wut und legte nun los:

"Ja, ja was glam denn Sie, weil mir do herom im Himmi san, do miasat i do singa wier'a Zeisal ... wos, wos? Und z'dringa kriagt i überhaupt nix? Mei liaba, a Manna hod er gsogt, a Manna kriagt i. Mei liaba, do wennst ma ned gähst mit Deim Manna, gei. Den kennts seiba saffa. Aber i trink koan Manna, daß D'i auskennst. Und singa dur'i überhaupts ned. I hob no nia gsunga. Dann sing i erscht recht ned."

"Petrus", sagte der liebe Gott, "mit dem können wir hier nichts anfangen. Nun, für den habe ich eine andere Aufgabe. Der soll meine göttlichen Ratschläge der Bayerischen Regierung überbringen. Auf diese Weise kommt er jede Woche ein oder zweimal nach München und dann hat die liebe Seele ihre Ruhe."

Als Aloisius das hörte, war er sichtlich froh. Er bekam auch gleich den ersten Auftrag, einen Brief und flog damit los.

Und als er plötzlich Münchner Boden unter den Füßen fühlte, da war es ihm, als sei er im Himmel. Und einer alten Gewohnheit gemäß führte ihn der Weg hin zum Hofbräuhaus. Und er fand seinen Stammplatz wieder, fand den Stammplatz leer und die Kellnerin, die Kathi, kam auf ihn zu und er bestellte sich eine Maß und bestellte sich noch a Maß und er vergaß seinen Brief und seinen Auftrag und bschdeid si no a Maß und no a Mass und no oane und da sitz er heid no.

Und so wartet die Bayerische Regierung bis heute vergeblich auf die göttlichen Eingebungen.


Russians

In Europe and America, there's a growing feeling of hysteria

Conditioned to respond to all the threats

In the rhetorical speeches of the Soviets

Mr. Krushchev said we will bury you

I don't subscribe to this point of view

It would be such an ignorant thing to do

If the Russians love their children too

How can I save my little boy from Oppenheimer's deadly toy

There is no monopoly in common sense

On either side of the political fence

We share the same biology

Regardless of ideology

Believe me when I say to you

I hope the Russians love their children too

There is no historical precedent

To put the words in the mouth of the President

There's no such thing as a winnable war

It's a lie we don't believe anymore

Mr. Reagan says we will protect you

I don't subscribe to this point of view

Believe me when I say to you

I hope the Russians love their children too

Sting (1985): The Dream of the Blue Turtles: A&M Records

Russen

In Europa und in Amerika wächst das Gefühl der Hysterie

Konditioniert um auf alle Drohungen zu reagieren

In den rhetorischen Reden der Soviets

Mr. Chruschtschow sagte wir werden Euch begraben

Ich teile diese Ansicht nicht

Es wäre eine so kurzsichtige Sache es zu tun

Wenn die Russen ihre Kinder auch lieben

Wie kann ich meinen kleinen Jungen vor Oppenheimers tödlichem Spielzeug schützen

Es gibt kein Monopol auf gesunden Menschenverstand

Auf irgendeiner Seite des politischen Zauns

Wir teilen die gleiche Biologie

Ungeachtet der Ideologie

Glaub' mir, wenn ich Dir sage

Ich hoffe, die Russen lieben ihre Kinder auch

Es gibt keinen historischen Präzedenzfall

um dem Präsidenten die Worte in den Mund zu legen

Es gibt keinen zu gewinnenden Krieg

Das ist eine Lüge, die wir nicht länger glauben

Mr. Reagan sagt wir werden Euch beschützen

Ich teile diese Ansicht nicht

Glaub' mir, wenn ich Dir sage

Ich hoffe, die Russen lieben ihre Kinder auch

Übersetzung: JT


Leonard Cohen: Auftritt in Frankreich, 1970

https://www.youtube.com

Übersetzung: JT

The Partisan

When they poured across the border

I was cautioned to surrender

This I could not do

I took my gun and vanished

I have changed my name so often

Yes, i've lost my wife and children

But I have many friends

And some of them are with me (with me right here tonight)

An old woman gave us shelter

Kept us hidden in the garret

Then the soldiers came

She died without a whisper (without a whisper)

There were three of us this morning

I'm the only one this evening

But I will go on

The frontiers are my prison (my prison)

Oh, the wind, the wind is blowing

Through these graves the wind is blowing

Freedom soon will come

Then we'll come from these shadows (these shadows)

Les Allemands étaient chez moi

Ils m'ont dit "Résigne-toi"

Mais je n'ai pas peut

J'ai repris mon arme

J'ai changé cent fois de nom

J'ai perdu femme et enfants

Mais j'ai tant d'amis

J'ai la France entière

Un vieil homme dans un grenier

Pour la nuit nous a cachés

Les Allemands l'ont pris

Il est mort sans surprise

Oh, the wind, the wind is blowing

Through the graves the wind is blowing

Freedom soon will come

Then we'll come from the shadows (i mean the shadows)

Der Partisan

Als sie über die Grenze strömten

Wurde mir geraten, mich zu ergeben

Das konnte ich nicht tun

Ich nahm mein Gewehr und verschwand

Ich habe meinen Namen so oft gewechselt

Ja, ich habe meine Frau und Kinder verloren

Aber ich habe viele Freunde

Und einige sind mit mir (mit mir hier heute Nacht)

Eine alte Frau gab uns Unterschlupf

versteckte uns auf dem Speicher

Dann kamen die Soldaten

Sie starb ohne einen Laut (ohne einen Laut)

Heute Morgen waren wir zu dritt

Heute Abend bin ich der Einzige

Aber ich werde weiter gehen

Die Grenzen sind mein Gefängnis (mein Gefängnis)

Oh, der Wind, der Wind weht

Durch diese Gräber weht der Wind

Bald wird Frieden kommen

Dann werden wir aus diesen Schatten treten (diesen Schatten)

Die Deutschen waren bei mir

Sie haben mir gesagt: "Ergib dich!"

Aber das konnte ich nicht

Ich habe wieder zu meiner Waffe gegriffen

Ich habe hundertmal den Namen gewechselt

Ich habe Frau und Kinder verloren

Aber ich habe so viele Freunde

Ich habe ganz Frankreich

Ein alter Mann hat uns für eine Nacht

In einem Speicher versteckt

Die Deutschen haben ihn festgenommen

Er starb wenig überraschend

Oh, der Wind, der Wind weht

Durch die Gräber weht der Wind

Bald wird Frieden kommen

Dann werden wir aus den Schatten treten (ich meine die Schatten)


Okean Elzi mit Sänger Slava (Svyatoslav) Vakarchuk ist eine bekannte ukrainische Rockband

www.okeanelzy.com

www.youtube.com

Ein melancholisches Lied mit einer erstaunlichen Ausdrucksstärke ...

CD: Zemlya (Moon Records 2013, Track 7)

Коли настане день,
Закінчиться війна,
Там загубив себе,
Побачив аж до дна
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
Так лагідно і не пускай,
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
І от моя душа складає зброю вниз,
Невже таки вона
Так хоче теплих слів?
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
Так лагідно і не пускай,
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
І більше так не відпускай
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
https://lyricstranslate.com
Коли настане день,
Закінчиться війна,
Там загубив себе,
Побачив аж до дна
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
Так лагідно і не пускай,
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
І от моя душа складає зброю вниз,
Невже таки вона
Так хоче теплих слів?
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
Так лагідно і не пускай,
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
І більше так не відпускай
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
https://lyricstranslate.com
Коли настане день,
Закінчиться війна,
Там загубив себе,
Побачив аж до дна
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
Так лагідно і не пускай,
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
І от моя душа складає зброю вниз,
Невже таки вона
Так хоче теплих слів?
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
Так лагідно і не пускай,
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
Обійми мене, обійми мене, обійми
І більше так не відпускай
Обійми мене, обійми мене, обійми
Твоя весна прийде нехай.
 
https://lyricstranslate.com

Обійми

Коли настане день,

Закінчиться війна,

Там загубив себе,

Побачив аж до дна

Обійми мене, обійми мене, обійми

Так лагідно і не пускай,

Обійми мене, обійми мене, обійми

Твоя весна прийде нехай.

І от моя душа складає зброю вниз,

Невже таки вона

Так хоче теплих слів?

Обійми мене, обійми мене, обійми

Так лагідно і не пускай,

Обійми мене, обійми мене, обійми

Твоя весна прийде нехай.

Обійми мене, обійми мене, обійми

І більше так не відпускай

Обійми мене, обійми мене, обійми

Твоя весна прийде нехай.

Ukrainisch (Variante des kyrillischen Alphabets)

Obijmy

Koly nastane denʹ,

Zakinchytʹsya viyna,

Tam zahubyv sebe,

Pobachyv azh do dna

Obiymy mene, obiymy mene, obiymy

Tak lahidno i ne puskay,

Obiymy mene, obiymy mene, obiymy

Tvoya vesna pryyde nekhay.

I ot moya dusha skladaye zbroyu vnyz,

Nevzhe taky vona

Tak khoche teplykh sliv?

Obiymy mene, obiymy mene, obiymy

Tak lahidno i ne puskay,

Obiymy mene, obiymy mene, obiymy

Tvoya vesna pryyde nekhay.

Obiymy mene, obiymy mene, obiymy

I bilʹshe tak ne vidpuskay

Obiymy mene, obiymy mene, obiymy

Tvoya vesna pryyde nekhay.

Transliteration

Umarmen

Wenn der Tag kommt

da der Krieg vorbei ist

Ich habe mich dort verloren,

in den Abgrund gesehen

Umarme mich, umarme mich, umarme

so sanft und lass mich nie mehr geh'n

Umarme mich, umarme mich, umarme

laß' deine Quelle sprudeln

Und dann legt meine Seele ihre Waffen nieder,

Wenn sie meine warmen Tränen

wirklich so sehr will?

Umarme mich, umarme mich, umarme

so sanft und lass mich nie mehr geh'n,

umarme mich, umarme mich, umarme

laß' deine Quelle sprudeln

Umarme mich, umarme mich, umarme

so sanft und lass mich nie mehr geh'n,

umarme mich, umarme mich, umarme

laß' deine Quelle sprudeln

Übersetzung: JT (unter Zuhilfenahme der englischen Untertitel des Original-Videos, daher ohne Gewähr)


Mein Sohn ist jetzt 18 Monate alt. Ich werde wohl töten, um seine Zukunft zu sichern.

Eine junge ukrainische Mutter mit ihrem Sohn auf dem Arm (Interview in einer ukrainischen Stadt während des Angriffskrieges von Putin ab 24.02.2022)

Heute Nachrichten (19.00), ZDF 25.03.2022 (04:20)

https://www.zdf.de

Video verfügbar bis 25.03.2023

Das Leben zu ertragen, bleibt ja doch die erste Pflicht aller Lebenden. Die Illusion wird wertlos, wenn sie uns darin stört.

Wir erinnern uns des alten Spruches: Si vis pacem, para bellum. Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege.

Es wäre zeitgemäß, ihn abzuändern: Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 354f

Anmerkung: Die letzten drei Sätze dieses Aufsatzes sind als Plädoyer des Pazifisten Freud (so bezeichnete er sich und Albert Einstein in einem Brief an diesen im September 1932) zu verstehen, sich mit dem Tod (den das Unbewußte ebenso leugnet wie seine Mordlust gegen Fremde und geliebte Personen) auseinanderzusetzen. Seinen Brief an Albert Einstein schließt er mit den folgenden Überlegungen:

"Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die Anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen, aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, daß der Einfluß dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg."

Freud, S. (1933b): Warum Krieg? GW XVI: 26f


Der Mensch kann die Krone der Schöpfung bleiben - wenn er begreift, daß er sie nicht ist.

Amery, Carl (1998): Hitler als Vorläufer. Auschwitz der Beginn des 21. Jahrhunderts? München: Luchterhand: 191

Carl Amery (1922-2005), eigentlich Christian Anton Mayer, lebte mit seiner Frau und 5 Kindern in München (Obere Au), er war Mitglied der Gruppe 47, Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller (1976/77) und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland (1989-1991). Nach der Mitgliedschaft in der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), wechselte er zur SPD (1967-1974) und wandte sich, auch als einer der Gründer, der Partei "Die Grünen" zu (Bundeskongreß 1980).


[Alle Lust will Ewigkeit]

O Mensch! Gib acht!

Was spricht die tiefe Mitternacht?

»Ich schlief, ich schlief –,

Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –

Die Welt ist tief,

Und tiefer als der Tag gedacht.

Tief ist ihr Weh –,

Lust – tiefer noch als Herzeleid:

Weh spricht: Vergeh!

Doch alle Lust will Ewigkeit –,

– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Nietzsche, F. (ca. 1885): Also sprach Zarathustra. Werke in zwei Bänden: München: Hanser 1963: 775f


Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Schiller, F. (1998): Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 51–94 (Zitat: 88)

 


Lied / Stille //

6

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber

wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber

die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber

die ich kenne, will ich nicht mehr sehen aber

wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber

wo ich sterbe, da will ich nicht hin:

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin

Brasch, T. (1977): Kargo 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen. Frankfurt/M.; Suhrkamp: 97f

Anmerkung: Die Zeilen stammen aus dem Gedicht (?) "Der Papiertiger" (94-109)

Thomas Brasch (1945-2001) wurde als Sohn jüdischer Emigranten in Großbritannien (Westow, North Yorkshire) geboren, Die Familie übersiedelte 1947 in die sowjetische Beatzungszone, der Vater wurde stellvertretender Minister für Kultur der DDR, die Mutter (Journalistin) veröffentlichte Mitte der 1950er Jahre in einer Cottbuser Lokalzeitung das erste Gedicht ihres Sohnes.

Nach dem Abitur arbeitete Brasch als Schlosser, Meliorationsarbeiter und Schriftsetzer und begann Journalistik zu studieren. Wegen der "Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR" wurde er exmatrikuliert. Wegen der Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch in die ČSSR (1968) wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, aber bereits nach 77 Tagen auf Bewährung entlassen. Er arbeitete im Brecht-Archiv (Ost-Berlin) und als freier Schriftsteller und schreib Dramen und Lehrstücke.

Als Mitunterzeichner der Resolution gegen die Ausbürgerung Biermanns (1976) und nach Verbot der Veröffentlichen von Prosatexten stellte er einen Ausreiseantrag und konnte mit seiner  damaligen Freundin Katharina Thalbach nach West-Berlin übersiedeln.

Im Westen hatte er Erfolg mit verschiedenen Veröffentlichungen (Romane, Prosatexte, Dramen), 'verstummte' aber mit dem Fall der Mauer. Offensichtlich führte ein langjähriger Alkohol- und Drogenmißbrauch zu seinem frühen Tod a. 3. November 2001.


Faust.

(...)

Nun gut, wer bist du denn?

Mephistopheles.

Ein Theil von jener Kraft,

Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Faust.

Was ist mit diesem Räthselwort gemeint?

Mephistopheles.

Ich bin der Geist der stets verneint!

Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,

Ist werth daß es zugrunde geht;

Drum besser wär's daß nichts entstünde.

So ist denn alles, was ihr Sünde,

Zerstörung, kurz das Böse nennt,

Mein eigentliches Element.

Goethe J. W. von (1808): Faust. Eine Tragödie. von Goethe.
Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung: 86f (V 1336ff)

online: wikisource.org

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

Die Bibel (Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1987, nach der Übersetzung Martin Luthers): Römer 7: 19, 20


Geist

Du gleichst dem Geist, den Du begreifst

Nicht mir!

Verschwindet

Faust zusammenstürzend!

Nicht Dir!

Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

Goethe J. W. von (1808): Faust. Eine Tragödie. von Goethe.
Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung: 41 (V 512ff)

online: wikisource.org

Du* gleichst dem Geist, den Du begreifst

Nicht mir!**

Du gleichst dem Schein, den Du entwirfst

Nicht Dir!***

Nun sag':

Gleich' ich dem Geist, den ich begreif

Nicht Dir?

Und weh', da ich versteh', daß Du begreifst

Daß ich der Geist, der Dich begreift.

Ich**** gleich', dem Geist, den Du begreifst

Nicht mir!

* Faust

** Dem Geist, der weit mehr ist als das was zu begreifen wäre - dem Unbewußten

*** Du bist mehr als der Schein Deines Selbst

**** Geist

Ein eigenes Werk des Verfassers (2010)


Und die Leute werden sagen

Und die Leute werden sagen

In fernen Tagen

Wird es einmal recht

Was falsch ist und was echt

Was falsch ist, wird verkommen

Obwohl es heut regiert.

Was echt ist, das soll kommen -

Obwohl es heut krepiert.

Horváth, Ö. von (1922-29): Theoretisches, Briefe, Verse. Gesammelte Werke. Band IV. Frankfurt M.: Suhrkamp. 2. Aufl. 1972: 688

Der Vers stammt vermutlich aus der Spätzeit, er wurde auf eine leere Zigarettenschachtel geschrieben, die am Todestag (1.06.1938, Paris) in der Rocktasche des Toten gefunden wurde (ebd. 45*)

Edmund (Ödön) Josef von Horváth (1901-1938), Schriftsteller mit ungarischer Staatsbürgerschaft, der seine Texte auf Deutsch schrieb (u. a. Jugend ohne Gott, Der ewige Spießer, Ein Kind unserer Zeit, Geschichten aus dem Wiener Wald, Glaube Liebe Hoffnung und Kasimir und Karoline).


Es ist ein Wunder: der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt doch noch als Gespenst wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks.

Nietzsche, F. (1874): Unzeitgemäße Betrachtungen. In: Werke in drei Bänden, Band 1 (hrsg. von K. Schlechta). München: Hanser, 1954. (Zitat: 210)

 


Joni Mitchel: Auftritt in Frankreich, 1970

https:

 

Übersetzung: JT

Both Sides Now

Rows and flows of angel hair

And ice cream castles in the air

And feather canyons everywhere

I've looked at clouds that way

But now they only block the sun

They rain and they snow on everyone

So many things I would have done

But clouds got in my way

I've looked at clouds from both sides now

From up and down and still somehow

It's cloud illusions I recall

I really don't know clouds at all

Moons and Junes and Ferris wheels

The dizzy dancing way that you feel

As every fairy tale comes real

I've looked at love that way

But now it's just another show

And you leave 'em laughing when you go

And if you care, don't let them know

Don't give yourself away

I've looked at love from both sides now

From give and take and still somehow

It's love's illusions that I recall

I really don't know love at all

Tears and fears and feeling proud

To say, "I love you" right out loud

Dreams and schemes and circus crowds

I've looked at life that way

But now old friends they're acting strange

And they shake their heads and they tell me that I've changed

Well something's lost, but something's gained

In living every day

I've looked at life from both sides now

From win and lose and still somehow

It's life's illusions I recall

I really don't know life at all

I've looked at life from both sides now

From up and down and still somehow

It's life's illusions I recall

I really don't know life at all

Beide Seiten jetzt

Reihen und Flüsse aus Engelhaar

Und Eiscremeschlösser in der Luft

Und Federschluchten überall

So habe ich Wolken betrachtet

Aber jetzt verdecken sie nur die Sonne

Sie regnen und schneien auf jedermann

So viele Dinge hätte ich getan

Doch Wolken versperrten meinen Weg

Ich habe Wolken jetzt von beiden Seiten betrachtet

Von oben und unten und irgendwie

Es sind Wolkenillusionen, an die ich mich erinnere

Eigentlich kenne ich Wolken überhaupt nicht

Monde und Junis und Riesenräder

Die schwindelig tanzende Art, die du fühlst

Wie jedes Märchen wahr wird

So habe ich die Liebe betrachtet.

Aber nun ist es eine andere Vorstellung,

Du lässt sie lachend zurück, wenn du gehst

Und wenn du dich sorgst, lass sie es nicht merken

Gib dich selbst nicht weg

Ich habe die Liebe jetzt von beiden Seiten betrachtet

Vom Geben und Nehmen und irgendwie

Es die Liebesillusionen, die ich erinnere

Eigentlich kenne ich die Liebe überhaupt nicht

Tränen und Ängste und ein Gefühl von Stolz

Wenn du laut sagst „Ich liebe dich“

Träume und Pläne und Zirkusrummel

So habe ich (bisher) das Leben betrachtet

Aber nun handeln alte Freunde seltsam,

Sie schütteln ihre Köpfe, sie sagen, ich habe mich verändert

Gut, manches ist verloren, aber manches ist gewonnen

Wenn du im Alltag lebst

Ich habe das Leben nun von beiden Seiten betrachtet

Vom Gewinnen und Verlieren aus, und irgendwie

Sind es die Täuschungen des Lebens, an die ich mich erinnere

Eigentlich kenne ich das Leben überhaupt nicht

Ich habe das Leben jetzt von beiden Seiten betrachtet

Von oben und unten doch irgendwie

Es die Liebesillusionen, die ich erinnere

Eigentlich kenne ich das Leben überhaupt nicht


Am Strande

Heute sah ich wieder dich am Strand

Schaum der Wellen dir zu Füßen trieb

Mit dem Finger grubst du in den Sand

Zeichen ein, von denen keines blieb.

Ganz versunken warst du in dein Spiel

Mit der ewigen Vergänglichkeit,

Welle kam und Stern und Kreis zerfiel

Welle ging und du warst neu bereit.

Lachend hast du dich zu mir gewandt

Ahntest nicht den Schmerz, den ich erfuhr:

Denn die schönste Welle zog zum Strand, 

Und sie löschte deiner Füße Spur.

Kaschnitz, M. L. (1975): Gedichte. Berlin: Suhrkamp, 1. Aufl. 2016: 7

online: www.deutschelyrik.de

Marie Luise Kaschnitz - eigentlich Marie Luise Freifrau Kaschnitz von Weinberg, geborene Freiin von Holzing-Berstett (1901-1974), war eine deutsche Schriftstellerin und Lyrikerin


Daten

Diese präzisen Geräte

Deine Daten und meine

Mechanisch gespeichert

Zukunft ausgerechnet

Von tickenden stummen

Maschinengehirnen

Und noch immer der Brunnen

Der Stein der nicht aufschlägt

 Auf den wir horchen

Der

Nicht aufschlägt.

Kaschnitz, M. L. (1975): Gedichte. Berlin: Suhrkamp, 1. Aufl. 2016: 110

 


Jonny Cash (1932-2002) hat diesen überaus bekannten Song 2002 aufgenommen (Album: 'American IV: The Man Comes Around'), doch er wurde ursprünglich von Trent Reznor geschrieben und von seiner Band 'Nine Inch Nails' (deren Frontman er war) aufgenommen.

Er singt es, schon schwer gezeichnet von seiner Krankheit (autonome Neuropathie), wenige Monate vor seinem Tod - ein ergreifendes Zeitdokument der Vergänglichkeit ...

www.youtube.com

Seine Tochter soll, als sie es zum ersten Mal hörte, gesagt haben: "It sounds like you're saying goodbye" und ihr Vater antwortete: "I am".

 

Hurt

I hurt myself today

To see if I still feel

I focus on the pain

The only thing that's real

The needle tears a hole

The old familiar sting

Try to kill it all away

But I remember everything

What have I become?

My sweetest friend

Everyone I know goes away

In the end

And you could have it all

My empire of dirt

I will let you down

I will make you hurt

I wear this crown of thorns

Upon my liar's chair

Full of broken thoughts

I cannot repair

Beneath the stains of time

The feelings disappear

You are someone else

I'm still right here

What have I become?

My sweetest friend

Everyone I know goes away

In the end

And you could have it all

My empire of dirt

I will let you down

I will make you hurt

If I could start again

A million miles away

I would keep myself

I would find a way


Von den Kindern

Und eine Frau, die ein Kindlein gegen ihre Brust drückte, sagte: "Sprich zu uns von Kindern."

Und er sprach:

"Eure Kinder sind nicht eure eigenen Kinder.

Sie sind die Söhne und Töchter des Lebens Sehnsucht nach sich selbst.

Sie kommen durch euch, doch nicht von euch.

Und obwohl sie an eurer Seite sind, gehören sie euch doch nicht.

Ihr könnt ihnen eure Liebe zuteilwerden lassen, aber nicht eure Gedanken.

Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr könnt ihre Körper bei euch aufnehmen, nicht aber ihre Seelen.

Denn ihre Seelen verweilen im Hause der Zukunft, welches ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.

Ihr könnt danach streben ihnen nachzueifern, aber strebt nicht danach, dass sie euch ähneln.

Denn das Leben verläuft nicht rückwärts, noch verharrt es im Gestern.

Ihr seid die Bögen, von denen eure Kinder, lebende Pfeile gleich, hinausgeschickt werden.

Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit und Er beugt euch mit Seiner Macht, damit Seine Pfeile schnell und weit fliegen.

Lasst euch mit Freuden in des Schützen Hand biegen.

Denn auch wenn er den fliegenden Pfeil liebt, so liebt Er auch den stabilen Bogen."

Gibran, Khalil (1883 - 1931): Der Prophet. Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft 6. Aufl. 2022: 21

 

"Versöhnung ist Quatsch". Wo steht die deutsche Erinnerungskultur? Ein Gespräch mit der Historikerin Stefanie Schüler-Springorum und dem Soziologen Natan Sznaider über das Gedenken zwischen Demokratiekrise und Kolonialismusstreit. Die Zeit, Nr. 4 (19.01.2023): 17

"Aus der Geschichte läßt sich vor allem lernen, dass man möglichst viele Pässe braucht"

Stefanie Schüler-Springorum, Jahrgang 1962, leitet das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin

"Die Juden können sich nicht mehr auf den guten Willen der Deutschen verlassen"

Natan Sznaider wurde 1954 in Mannheim geboren und lehrt Soziologie an der Akademischen Hochschule in Tel Aviv

Stefanie Schüler-Springorum, Natan Sznaider und andere diskutieren am 26. Januar in Berlin auf der Tagung »Wissen Erinnern Fragen« des S. Fischer Verlags über die Zukunft der Erinnerungskultur:

www.fischerverlage.de/wissen-erinnern-fragen

 

Sznaider: Ich persönlich glaube nicht, dass die Welt besser wird, wenn man nur fleißig aus der Geschichte lernt. Dieses ganze Gedenkreden-Vokabular ist mir suspekt. Das Einzig, was man lernen kann, ist, dass alles möglich ist und dass Demokratien sehr schnell zu Nichtdemokratien werden können. Dazu braucht man allerdings nicht gleich Nazi-Deutschland oder das faschistische Italien zu bemühen, dafür gibt es viele andere Beispiele.

(...)

Ich finde es gut, dass die Debatte so scharf geführt wird; manchmal bleibt einem doch gar nichts anderes übrig. Wenn ich mir die Diskussion um Achille Mbembe mit seinen Äußerungen über Israel als Apartheidstaat anschaue, den Streit über die These von Dirk Moses, dass die deutsche Erinnerungskultur ein »Katechismus« sei, der jede Kritik an der israelischen Politik verbiete, dann den Documenta-Skandal - da kann ich nur sagen: Das war für viele Juden in Deutschland das Erwachen aus einer Illusion. Von wegen, es gibt hier für Antisemitismus keinen Raum! Es hat sich gezeigt, dass es einen »progressiven« linken Antisemitismus gibt, der in Teilen an den reaktionären rechten andockt. Als kulturell selbstbewusster jüdischer Mensch muss man sich intellektuell dagegen zur Wehr setzen. Man kann auch aus der Distanz die widerstreitenden Narrative analysieren; das habe ich ja auch selbst getan. Aber manchmal platzt mir der Kragen. Dann bin ich in meiner eigenen Geschichte, meinem eigenen Empfinden, auch wenn ich das nicht vor mir hertragen will: Seht her, ich bin das Kind von Holocaust-Überlebenden, hört mir doch zu! Es geht mir darum, mich zu wehren, wenn ich das Gefühl habe, dass mir mit einem Messer die Haut abgezogen wird - von Leuten, mit denen ich auf einer Wellenlänge zu sein glaubte. Die Lehre daraus ist für mich, dass sich Juden in Deutschland nicht mehr auf den guten Willen der Deutschen verlassen können.

(...)

Meine Utopie ist das ständige Gespräch. Nicht die Wahrheit zu finden ist das Ziel, sondern das Gespräch über die Wahrheit. Es geht um Anerkennung. Und ich glaube, das Gespräch - gerade in Deutschland, zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen - muss ein hartes Gespräch sein und darf nicht auf Mitleid beruhen. Wenn ich sage, ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die Schoah ein einzigartiges Ereignis war, dann sage ich das nicht nur, um die Existenz des Staates Israel zu legitimieren, ich sage das, weil ich fest daran glaube. Wenn dann jemand sagt, das ist doch alles Ideologie, um etwas anderes zu verdecken, so antworte ich: Dann ist deine Einstellung vielleicht auch eine Ideologie, die etwas verdecken will - zum Beispiel die partikulare deutsche Verantwortung gegenüber dieser Geschichte! Letztlich glaube ich nicht, dass das Universale immer ein Fortschritt gegenüber dem Partikularen ist. Wenn man die Singularität der Schoah nicht als Hindernis für eine Erinnerung sieht, die den Kolonialismus mitbedenkt, dann wäre das für mich schon genug.

(...)

ZEIT: Und was bleibt 2023 vom Pathos der Versöhnung?

Schüler-Springorum: Das Bedürfnis nach Versöhnung ist Quatsch, sooft es auch beschworen wurde.

Sznaider: Da sind wir uns einig, ich bin auch gegen Versöhnung: Die Vergangenheit kann nicht wiedergutgemacht werden.

Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts verstanden werden muß. Aber darüber vergißt man den andern Satz, daß vorwärts gelebt werden muß.

Kierkegaard, Søren (1923): Die Tagebücher. Deutsch von Theodor Haecker. Brenner-Verlag 1923: 203

Det er ganske sandt, hvad Philosophien siger, at Livet maa forstaaes baglaends. Men derover glemmer man den anden Saetning, at det maa leves forlaends.

Kierkegaard, Søren (1843): Journalen JJ 167, Søren Kierkegaards Skrifter 18: Journalerne EE, FF, GG, HH, JJ, KK. Søren Kierkegaard Forskningscenteret, 2001: 194

 


 

I would like my love to die

and the rain to be raining on the graveyard

and on me walking the streets

mourning her who thought she loved me

je voudrais que mon amour meure

qu’il pleuve sur le cimetière

et les ruelles où je vais

pleurant celle qui crut m’aimer

Ich möchte, daß meine Liebe stirbt
und den Regen, der auf den Friedhof fällt
und auf mich während ich durch die Straßen gehe
weinend um sie, die dachte, sie würde mich lieben

Beckett, S.: Collected Poems in English and French. New York: Groove Press 1977: 60+61

Deutsche Übersetzung: JT


L'enfer

J'suis pas tout seul à être tout seul

Ça fait d'jà ça d'moins dans la tête

Et si j'comptais, combien on est

Beaucoup

Tout ce à quoi j'ai d'jà pensé

Dire que plein d'autres y ont d'jà pensé

Mais malgré tout je m'sens tout seul

Du coup

J'ai parfois eu des pensées suicidaires

Et j'en suis peu fier

On croit parfois que c'est la seule manière de les faire taire

Ces pensées qui nous font vivre un enfer

Ces pensées qui me font vivre un enfer

Est-c'qu'y a que moi qui ai la télé

Et la chaîne culpabilité?

Mais faut bien s'changer les idées

Pas trop quand même

Sinon ça r'part vite dans la tête

Et c'est trop tard pour qu'ça s'arrête

C'est là qu'j'aimerais tout oublier

Du coup

J'ai parfois eu des pensées suicidaires

Et j'en suis peu fier

On croit parfois que c'est la seule manière de les faire taire

Ces pensées qui me font vivre un enfer

Ces pensées qui me font vivre un enfer

Tu sais j'ai mûrement réfléchi

Et je sais vraiment pas quoi faire de toi

Justement, réfléchir

C'est bien l'problème avec toi

Tu sais j'ai mûrement réfléchi

Et je sais vraiment pas quoi faire de toi

Justement, réfléchir

C'est bien l'problème avec toi

Die Hölle

Ich bin nicht ganz allein um allein zu sein

Das macht es schon weniger im Kopf

Und wenn zählen würde wie viele wir sind

Viele

Alles, worüber ich schon nachgedacht habe

Zu sagen, dass viele andere bereits darüber nachgedacht haben

Aber trotz allem fühle ich mich ganz allein

Plötzlich

Ich habe manchmal Suizidgedanken gehabt

Und ich bin wenig stolz darüber

Manchmal glaubt man, das wäre die einzige Weise sie zum Schweigen zu bringen

Diese Gedanken, die uns eine Hölle durchleben lassen

Diese Gedanken, die mich eine Hölle durchleben lassen

Bin es nur ich, der Fernsehen hat

Und den Kanal der Schuld?

Aber du mußt deine Meinung ändern

Allerdings nicht zu oft

Sonst geht es schnell in den Kopf

Und ist zu spät um es zu stoppen

Und genau dann würde ich am liebsten alles vergessen

Plötzlich

Ich habe manchmal Suizidgedanken gehabt

Und ich bin wenig stolz darüber

Manchmal glaubt man, das wäre die einzige Weise sie zum Schweigen zu bringen

Diese Gedanken, die uns eine Hölle durchleben lassen

Diese Gedanken, die mich eine Hölle durchleben lassen

Weißt du, ich habe sorgfältig nachgedacht

Und ich weiß wirklich nicht, was ich mit dir machen soll

Genau, Nachdenken

Das ist genau das Problem mit dir

Weißt du, ich habe sorgfältig nachgedacht

Und ich weiß wirklich nicht, was ich mit dir machen soll

Genau, Nachdenken

Das ist genau das Problem mit dir

Stromae alias Paul van Haver

(Stromae: "Maestro" in verdrehten Silben, ausgesprochen "stromaji")

CD Mulititude (Track 5)

online: https://www.youtube.com 

Deutsche Übersetzung: JT


Bundesverfassungsgericht (2021): Beschluß v. 24 März 2021 (1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20): Leitsätze (Hervorhebung in fett: JT)


Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021: https://www.bundesverfassungsgericht.de

Beschluß v. 24 März 2021: https://www.bundesverfassungsgericht.de

Anmerkung:

Das Klima-Abkommen bzw. Übereinkommen von Paris (4.11.2016) beinhaltet die Vereinbarung, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen; hierauf hat der deutsche Gesetzgeber in § 1 Satz 3 Klimaschutzgesetz-KSG Bezug genommen (BverfG Beschluß v. 24 März 2021: RN 7).

Nach seiner Ratifizierung durch den Bundestag hat es gemäß Artikel 59 des Grundgesetzes den Rang unmittelbar geltenden Bundesrechts. Damit ist das Abkommen verbindlich und Zuwiderhandlungen sind als Rechtsbruch anzusehen. Da die Bundesregierung  laut ihrem eigenen Expert*innenrat für Klimafragen ihre selbstgesteckten Ziele verfehlt, ist ihr genau das vorzuwerfen.

Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Bundesregierung (ebenso wie der Bundesrat oder mindestens 5 % der Mitglieder des Bundestages oder einer Fraktion) lediglich Gesetzentwürfe einbringen kann. Bundesweit geltende Gesetze kann lediglich der Bundestag (ggf. unter Beteiligung und, soweit Länderinteressen berührt sind, Zustimmung des Bundesrats) Gesetze beschließen.


Niemand war schon immer da.

Titel des Themenbereichs Siedlungs- und Migrationsgeschichte im Schweizerischen Nationalmuseum, Landesmuseum in Zürich - aus der Ausstellung "Geschichte der Schweiz" (ab 2009)

Broschüre von 2011 für Schulen der Sekundarstufe II

Die Filmemacherin (mit einer Reihe weiterer Berufe/Qualifikationen) hat 2013 einen Kurzfilm unter diesem Titel erstellt: Webseite Julia Furer

 


 

Ed è subito sera

Ognuno sta solo sul cuor della terra
trafitto da un raggio di sole:
ed è subito sera.

Und gleich ist es Abend

Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde
getroffen von einem Sonnenstrahl:
und gleich ist es Abend.

Quasimodo, S. (1942): Das Leben ist kein Traum. Ausgewählte Gedichte. Italienisch/ Deutsch. München: Pieper 1960: 8f

 

 

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Salvatore Quasimodo (1901-1968), italienischer Lyriker und Kritiker, Nobelpreisträger für Literatur; Foto (1968): gemeinfrei wikipedia.org   


Der Gedanke an den Selbstmord ist ein starkes Trostmittel: mit ihm kommt man gut über manche böse Nacht hinweg

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse (1886): § 157
www.nietzschesource.org Ort: #eKGWB/JGB-157

 


Ralph Ruthe: "Ich gebe so viel ..."

Der Autor, Musiker, Filmemacher und Cartoonist Ralph Ruthe (Webseite: https://ruthe.de) hat eine Postkarte zum Thema Psychoanalyse/Psychoanalytiker gezeichnet, die in sehr treffender Weise die Situation in der Behandlungsstunde widerspiegelt. Ich habe eine Lizenz zur Verwendung auf meiner Webseite erworben und weise daraufhin, daß die Grafik nicht ohne Zustimmung weiterverwendet werden darf! Es ist aber möglich, die Postkarte käuflich zu erwerben (1,35 Euro):

Ralph Ruthe: Postkarte A6 Ich gebe so viel

 

 


Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

§ 6 Individuelle und gesellschaftliche Verantwortung

Jede Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei.

online: Fedlex-Die Publikationsplattform des Bundesrechts (Schweiz)

 

Was wir gemeinhin Nihilismus nennen ‒ und versucht sind, historisch zu datieren, politisch herunterzureden und Denkern zuzuschreiben, die angeblich »gefährliche Gedanken« zu denken wagten ‒, das ist in Wirklichkeit eine der Denktätigkeit selbst inhärente Gefahr. Es gibt keine gefährlichen Gedanken; das Denken selbst ist gefährlich, aber der Nihilismus ist nicht sein Produkt.

Arendt, H. (1968): Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. München: Pieper 1994: 144 

 

Chapter I. The Period

It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of light, it was the season of darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way in short, the period was so far like the present period, that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.

Kapitel I. Die damalige Zeit

Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Torheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens, es war die Zeit des Lichts, es war die Zeit der Dunkelheit, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung, wir hatten alles vor uns, wir hatten alles vor uns, wir hatten nichts vor uns, wir gingen alle direkt in den Himmel, wir gingen alle direkt in die andere Richtung kurzum, die Zeit war der heutigen so entfernt, daß einige der lautesten Autoritäten darauf bestanden, dass sie im Guten wie im Bösen nur im Superlativ des Vergleichs aufgenommen wurde.

Dickens, C. (1859): A Tale of two cities. A Story of the French Revolution. London: Chapman & Hall

online: www.gutenberg.org 

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Abbildung: Charles Dickens. A Tale of Two Cities (with Illustrations by H. K. Browne), 1859: Public Domain: https://en.wikiquote.org

Deutsche Übersetzung: JT


Du kennst mich doch, ich hab' nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier!

Goscinny, R. & Uderzo, A.  (1968): Das Geschenk Cäsars. Großer Asterix-Band XXIl. Stuttgart: Delta Verlag

Methusalix (auf Seite 16). Dort spricht er mit seiner Frau (die schönste Gallierin, die keinen Namen trägt) über Orthopädix und dessen Familie, die durch eine von Cäsar unterzeichnete Besitzurkunde in das Dorf gekommen sind:
Methusalix' Frau antwortet: "Und das junge Mädchen ist ein richtiges Flittchen. Finde ich!"

 


Rätsel

Ein Meer größer als das Meer,

und du siehst es nicht.

Ein Meer, in dem du schwimmst,

und du spürst es nicht.

Ein Meer, das in deiner Brust rauscht

und du hörst es nicht.

Ein Meer, in dem du badest,

und du wirst nicht naß.

Ein Meer, aus dem du trinkst,

und du merkst es nicht.

Ein Meer, in dem du lebst,

bis du begraben wirst.

Enzensberger, H. M. (2009): Rebus. Frankfurt: Suhrkamp: 35

 


Interview mit Margot Friedländer (102 Jahre alt): "Ich würde nie hassen wollen"  

Glaubt Margot Friedländer daran, dass der Mensch lernen kann? Ist sie optimistisch, dass sich schließlich alles zum Besseren entwickelt? "Nein." Ihre Antwort kommt schnell. "Nein. Leider nicht. Ich habe das gehofft, aber ich glaube es nicht." Und warum macht sie das dann alles? Warum geht sie immer noch, mit über hundert Jahren, an Schulen, redet vor Klassen, vor Politikern, hat jetzt an diesem Film mitgewirkt, gibt Interviews?

Sie guckt einen lange an. Und sagt dann: "Man muss es doch wenigstens versuchen."

Adorján, J. (2023). Süddeutsche Zeitung v. 3.11.2023, S. 3

online: www.sueddeutsche.de

Margot Friedländer wurde am 5. November 1921 als Anni Margot Bendheim in Berlin geboren; sie würde im Frühjahr 1944 in das KZ Theresienstadt gebracht und überlebte, zusammen mit ihrem späteren Mann, Adolf Friedländer, den Holocaust. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden im KZ Auschwitz ermordet.


Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit.

Sprichwort mit unklarer Herkunft, häufiger angegeben wird der afrikanische und  arabische Raum


Unter der Hirnschale

Was da unaufhörlich tickt

und feuert, das soll ich sein?

Woher denn. Es ist nur

diese graue Masse da drinnen.

Sie beobachtet mich,

ich beobachte sie.

Wir überraschen einander.

Nicht immer macht mein Gehirn,

was ich will. Mißverständnisse,

Kräche bleiben nicht aus.

Wenn es dunkel wird,

versuche ich, es ganz einfach

abzuschalten. Vergebens.

Es arbeitet weiter, erzeugt

Erfindungen, auf eigene Faust,

von denen ich nichts weiß,

für die ich nicht hafte.

Oft, ohne es zu fragen,

denke ich mir mein Teil.

Nur ganz zuletzt hören wir auf,

einander zu belauern,

und lassen es gut sein.

Dann herrscht endlich Ruhe.

Zum Abgewöhnen

Sie ist ja so sensibel, die Ärmste.

Ein scheeler Blick, eine Absage,

ein bißchen Ärger, mir

macht das nichts aus, aber sie

ist weich im Nehmen.

Schon ist sie gekränkt,

beklagt sich, droht mit Migräne.

Dann wieder bockt sie,

stellt sich taub, will nicht,

spielt die Unergründliche.

Ja, diese ewige Nörglerin

geht mir oft auf die Nerven.

Aber was soll ich machen?

Unzertrennlich sind wir,

bis daß der Tod uns scheide,

meine Psyche und mich.

Der Doppelgänger

Ich bin nicht da,

wenn er schläft.

Ich weiß nicht,

wo ich geblieben bin.

Er ist ein anderer.

Wenn es hell wird,

geht er, und ich

komme wieder.

Er kümmert sich nicht

um mich. Er schläft.

Was er macht und denkt,

dafür kann ich nichts.

Wir lassen einander in Ruhe.

Solange er da ist,

richte ich keinen Schaden an.

Der Schlaf ist heilig.

Enzensberger, H. M. (2009): Rebus. Frankfurt: Suhrkamp: 16, 22, 30

Enzensberger, Hans Magnus (1922-2022): Deutscher Dichter, Schriftsteller, Herausgeber, Übersetzer und Redakteur. Verschiedentlich schrieb er unter Pseudonym: Andreas Thalmayr, Linda Quilt, Elisabeth Ambras, Giorgio Pellizzi, Benedikt Pfaff, Trevisa Buddensiek und Serenus M. Brezengang.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/4c/Hans_Magnus_Enzensberger_T%C3%BCbingen_November_2013.JPG/403px-Hans_Magnus_Enzensberger_T%C3%BCbingen_November_2013.JPG

am 18. November 2013 während einer Vorlesung an der Eberhard Karls Universität Tübingen

Felix König: wikimedia.org (Freies Werk)

 


Gelassenheitsgebet

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Serenity Prayer

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
  Courage to change the things I can,
  And wisdom to know the difference.

Es handelt sich hier um die einleitenden Worte des Gelassenheitsgebets (Serenity Prayer), das von Reinhold Niebuhr, einem amerikanischen Theologen verfaßt wurde (allerdings sind sowohl Urheberschaft und Verbreitungsgeschichte umstritten:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gelassenheitsgebet


Grosser, Alfred: Warum ich Israel kritisiere. Frankfurter Rundschau online, 30.01.2019 (19:26)

https://www.fr.de

Alfred Grosser (1925-2024), deutsch-französischer Publizist und Politikwissenschaftler jüdischer Herkunft

wikipedia.org

Meine eigenen negativen Erfahrungen sind leicht darzustellen. Im Juni 2001 forderte die Zeitung Tribune juive ein Dutzend Intellektuelle auf, kurz zu sagen, was man im Nahen Osten tun könnte, um Frieden herzustellen. Ich sagte den Journalisten: "Sie werden meine ganz kurze Antwort nicht bringen." "Wir zensieren? Nie!" Aber mein kleiner Text ist nicht erschienen. Ich schrieb:

1. Ich bin als Judenkind in der Frankfurter Schule verachtet und sogar geschlagen worden. Ich kann nicht verstehen, dass Juden andere verachten.

2. Die Lösung kann nur kommen, wenn die israelischen Behörden endlich echtes Mitgefühl für das Leiden in Gaza und in den "Gebieten" zeigen.

Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

Negt, Oskar (2016): Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Werkausgabe Band 16.
Göttingen: Steidl Verlag

https://steidl.de

(Das Zitat steht auf der Webseite des Verlags - ohne Seitenangabe)

Oskar Negt (1934-2024), deutscher Soziologe und Sozialphilosoph

 

Demokratie ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – immer wieder, tagtäglich und bis ins hohe Alter hinein. Ich suche nach Antworten auf die Frage, warum Menschen unter bestimmten Bedingungen ihren politischen Verstand verlieren und andere politische Urteilskraft zeigen und praktizieren – unter Umständen sogar unter Einsatz ihres Lebens.

 Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

 

 

 

 

 

Die Inschrift "Vulnerando Sanamus" (Indem wir verletzen heilen wir) befindet sich am 1907 im Jugendstil errichteten Gebäude der denkmalgeschützten Alten Chirurgie (Chirurgische Klinik) im Klinikviertel Seltersberg in Gießen (Klinikstr. 29).

Seit 2016 wird sie als Medizinisches Lehrzentrum der Justus-Liebig-Universität Gießen genutzt.

Der Spruch stammt offenbar nicht von einem Chirurgen, sondern dem langjährigen Leiter der Universitätsbibliothek Robert Arnold Fritzsche (18868-1934)

https://link.springer.com

 

VULNERANDO SANAMUS

JT (2023)


Schließlich wird den wenigsten ein Tod ohne Sterben zuteil. Wir sterben von dem Augenblick an, in welchem wir geboren werden, aber wir sagen erst, wir sterben, wenn wir am Ende dieses Prozesses angekommen sind, und manchmal zieht sich dieses Ende noch eine fürchterlich lange Zeit hinaus. Wir bezeichnen als Sterben die Endphase unseres lebenslänglichen Sterbeprozesses.

Bernhard, Thomas (1978): Der Atem. Eine Entscheidung
Salzburg: Residenzverlag (81)

Foto: Monozygote wikimedia.org

Thomas Bernhard
(eigentl. Niclaas Thomas)

(1931 - 1989)

Österreichischer Schriftsteller

File:Thomas Bernhard1.jpg

 


Freud hat sich mit der Bedeutung des Witzes ausführlich beschäftigt:

"Sowohl der «harmlose» Witz (das Spiel mit Sinn und Unsinn) als auch der «tendenziöse» Witz (der verborgene sexuelle oder aggressive Impulse zum Ausdruck bringt) erzielen ihre Wirkung durch die Ersparung von psychischem Aufwand. Dieser Aufwand kann (beim tendenziösen Witz) der sonst gegen die verpönten sexuellen und aggressiven Tendenzen gerichtete «Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand» sein oder aber (beim harmlosen Witz) jener psychische Aufwand, der erforderlich ist, das wilde, unbewusste, «primärprozesshafte» Denken zum «sekundärprozesshaften», bewussten, logischen Denken zu disziplinieren."

Schneider, P. (2007): Sigmund Freud: Geschenkter Lust aufs Maul geschaut. «Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten» untersucht, was passiert, wenn man mit Worten andere zum Lachen bringt. In: WOZ. Die Wochenzeitung. Nr. 11 –

Quelle:

Freud. S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI

Zwei Witze

Ein alter fast blinder Mann mit langem Bart geht durch die Wüste. Als er einen Nomaden trifft, fragt er ihn: "Hast du meinen Sohn gesehen? Er hat Löcher durch Hände und Füße." Der Nomade verneint und beide ziehen weiter. Der alte Mann trifft einen anderen Nomaden und fragt auch ihn: "Hast Du meinen Sohn gesehen? Er hat Löcher durch Hände und Füße." Auch er verneint. Als der alte Mann lange weitergegangen ist, trifft er Jesus: "Hast Du meinen Sohn gesehen? Er hat Löcher durch Hände und Füße." Darauf Jesus: "Vater! Vater!" Der alte Mann: "Pinocchio!".

Jesus macht einen Spaziergang im Himmel, als ihm ein älterer Herr auffällt, der ihm bekannt vorkommt. Er fragt sich, ob der alte Mann sein Vater Joseph sein könnte. Also geht er auf ihn zu und fragt: "Entschuldigung, hatten Sie zufällig einen Sohn?"

"Ja", sagt der alte Mann, "aber er war nicht mein biologischer Sohn. Er kam durch ein Wunder auf die Welt – durch eine himmlische Fügung." "Interessant", sagt Jesus. "Musste er Versuchungen widerstehen?" "O ja, immer wieder!", sagt der alte Mann, "aber zum Schluss hat er gesiegt. Leider musste er einen heldenhaften Tod sterben, aber kurz darauf erwachte er wieder zum Leben." "Eine letzte Frage", bittet Jesus aufgeregt. "Waren Sie ein Zimmermann?" "Aber ja!", sagt der alte Mann. "Das war ich wirklich."

Jesus reibt sich die Augen und fragt: "Papa?" Der alte Mann reibt sich die Augen und fragt: "Pinocchio?"

 

Jesus macht einen Spaziergang im Himmel, als ihm ein älterer Herr auffällt, der ihm bekannt vorkommt. Er fragt sich, ob der alte Mann sein Vater Joseph sein könnte. Also geht er auf ihn zu und fragt: "Entschuldigung, hatten Sie zufällig einen Sohn?"

"Ja", sagt der alte Mann. "Aber er war nicht mein biologischer Sohn. Er kam durch ein Wunder auf die Welt – durch eine himmlische Fügung."

"Interessant", sagt Jesus. "Musste er Versuchungen widerstehen?" "O ja, immer wieder!", sagt der alte Mann. "Aber zum Schluss hat er gesiegt. Leider musste er einen heldenhaften Tod sterben, aber kurz darauf erwachte er wieder zum Leben."

"Eine letzte Frage", bittet Jesus aufgeregt. "Waren Sie ein Zimmermann?" "Aber ja!", sagt der alte Mann. "Das war ich wirklich."

Jesus reibt sich die Augen und fragt: "Papa?" Der alte Mann reibt sich die Augen und fragt: "Pinocchio?"

Jesus und Pinocchio

Ein alter fast Blinder Mann mit langem Bart geht durch die Wüste. Als er einen Nomaden trifft, fragt er ihn: "Hast du meinen Sohn gesehen? Er hat Löcher durch Hände und Füße." Der Nomade verneint und beide ziehen weiter. Der alte Mann mit dem langen Bart trifft den nächsten Nomaden und fragt auch den: "Hast Du meinen Sohn gesehen? Er hat Löcher durch Hände und Füße." Er verneint ebenfalls. Als der alte Mann einige weitere Meilen zurückgelegt hat, trifft er Jesus. "Hast Du meinen Sohn gesehen? Er hat Löcher durch Hände und Füße." "Vater! Vater!" Der alte Mann: "Pinocchio!".

Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/
„Wir mussten Freud recht geben, wenn er in unserer Kultur, unserer Zivilisation nur eine dünne Schicht sah, die jeden Augenblick von den destruktiven Kräften der Unterwelt durchstoßen werden kann […].“ — Stefan Zweig, buch Die Welt von Gestern Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992 [1942], S. 18. Kapitel „Die Welt der Sicherheit“ gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/3

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2052725-stefan-zweig-wir-mussten-freud-recht-geben-wenn-er-in-unserer/

 

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